Notizen und Anmerkungen von unterwegs

In der Leprakolonie

Photo by Norbert Böer

San Pablo/Peru, im Dezember 1985

Für einen solchen Trip würden wir keinen verlässlichen Schiffsführer finden, meint der Bootsverleiher zu uns, dahin würde uns keiner fahren. Wir sollen uns diese Schnapsidee schleunigst aus dem Kopf schlagen, wir seien ja nicht ganz dicht. Tagelang laufen wir von einem Schiffsverleih zum anderen auf der Suche nach einem Boot. Am dritten Tag schließlich finden wir einen Eigner, der uns sein Boot überlassen würde, claro, bei dem Ziel allerdings doppelter Preis – und nur, wenn der Schiffsführer mitspiele. Der junge Asunción, ein 18-jähriger Indio mit stoischen Gesicht, hört sich unser Vorhaben an und er nickt nur kurz als er das Wort Lepra hört.

Kurz vor 6 Uhr, mit dem ersten Licht des Morgens, legen wir ab. Das kleine Motorboot ist vollgestopft mit Proviant und im Heck mit zwei wuchtigen Benzinfässern mit dem Reservesprit. In Asunción haben wir einen Glücksgriff getan, der junge Amazonas-Indio kennt sich in der Region und auf dem Fluss aus wie kein zweiter. Er wird uns zur Kolonie bringen.

Am späten Nachmittag legt unser kleines Schiff in der unberührten Bucht unterhalb der Leprakolonie San Pablo an. Im Nu umringt uns ein Dutzend lärmender Kinder, ein älterer Mann kommt den Abhang herunter und heißt uns Willkommen. Der Empfang in der Leprakolonie ist herzlich. Wir, die Journalisten aus Alemania, werden bestaunt wie Außerirdische. Nun, meint der Franziskanermönch, der die Kolonie leitet und uns am Boot abholt, man freue sich über jeden Besuch, aber offen gesagt, man sei nicht auf ihn eingestellt. In der Kolonie sei schon seit Monaten niemand mehr vorbei gekommen. Und er reicht mir seine Hand zum Gruß.

Eine Leprakolonie hat natürlich kein Hotel und so bietet man uns ein Zimmer im kargen Hospital an. Eigentlich sind das bessere Holzverschläge, ebenso wie die Toilette. Die Nacht in der Leprakolonie endet abrupt. Punkt 5 Uhr 30 tönt eine sonore männliche Stimme aus den zahlreichen Lautsprechern, die, auf langen Holzstangen befestigt, über die ganze Kolonie verteilt sind: “Guten Morgen, hier spricht Manuel Rodriguez. Ich wünsche allen Bewohnern von San Pablo einen wunderschönen Tag. Und jetzt alle raus aus den Betten, Ihr Faulpelze!“

Don Manuel ist der Entertainer der Lepragemeinde. Zuerst dankt er Gott, anschließend verkündet er die Lokalnachrichten, die Preise für Fisch und Obst, die Todesfälle. Die Radiostimme des Lepradorfes gehört einem geachteten Mann, und Manuel Rodriguez ist nicht nur wegen seiner launigen Moderationen respektiert. Denn im Hauptberuf verwaltet der 50-jährige das Geld der Leprakranken. Die Krankheitsbilanz des Bankdirektors: ein Bein weg, der andere Fuß, die Finger. Aber an der Schreibmaschine sei er flink wie ein junger Hüpfer, doch leider, den Banküberfall damals, den habe er nicht verhindern können.

Seit 5 Jahren sind die Doctora Carmen Orts und ihre Kollegin Pilar Bandrés in San Pablo. Ihr Missionsorden hat die beiden Spanierinnen in den tiefen Urwald geschickt. „Vor uns war lange Zeit kein Arzt hier“, klagt die 32-jährige Carmen, „kein peruanischer Arzt will den Job übernehmen.“ Wegen der miserablen Bezahlung. Und früher, da hätten die Ärzte ihre Patienten nicht einmal anzupacken gewagt. Vielen Leprakranken werden Hände oder Füße amputiert, um den Vormarsch des Leprabazillus zu stoppen. Denn der Erreger dringt durch die Haut in die Nervenenden ein und tötet sie ab. Von Füßen und Händen aus wandert er hinauf zu Kopf und Gehirnnerven. Im Gesicht bilden sich im Endstadium poröse Hautknoten, die Haare fallen aus, ganze Körperpartien verfaulen.

Und auch jeden Abend ertönt aus den Lautsprechern eine romantische Melodie und danach die vertraute Stimme des Bankdirektors. Don Manuel dankt Gott für den herrlichen Tag und fängt an, die Abendnachrichten zu verlesen. Der Licht-Generator hat für heute seine Schuldigkeit getan, das monotone Surren der Maschine geht über in die friedvolle Stille der Natur.

Es wird dunkel und aus dem Dschungelgestrüpp ertönt das Quaken der Frösche und das Zirpen der Zikaden. Eine neue Nacht legt sich bedächtig über das kleine Lepradorf.

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  1. Pag insel appartements Zrce

    Good post….

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