In den Jahren, als man begann, nicht mehr gar so blöd zu sein, also so mit Mitte zwanzig, tritt ein Philosoph in mein Leben, der mein Denken und mein Handeln fortan bestimmen sollte.

Die Rede ist von dem Österreicher Karl Raimund Popper, einem kleinen Mann mit einem großen Geist. Er begründete die Denkrichtung, die die Wissenschaft als Kritischen Rationalismus, manchmal auch als Neopositivismus, bezeichnet.

Durch unser Wissen unterscheiden wir Menschen uns nur wenig, in unserer grenzenlosen Unwissenheit aber sind wir alle gleich. Das menschliche Wissen, so Karl Popper, sei mehr ein kritisches Raten, ein Netz von Hypothesen, eine Ansammlung von Vermutungen.

Poppers Denkansatz kennt folglich auch keinen Absolutheitsanspruch. Eine endgültige Wahrheit gebe es nicht. Es gibt nur Annahmen, wie er es nannte, Annahmen über die Wirklichkeit. Diese Annahmen gelten als richtig bis zum Beweis des Gegenteils. Die Wirklichkeit sei demnach zu falsifizieren, zu widerlegen. Es sei nicht Aufgabe der Wissenschaft zu verifizieren, also einer vermeintlichen Wahrheit nachzujagen.

Popper und seine Jünger bauen keine luftigen Wolkenkuckucksheime, sondern entwerfen eine Theorie, die sich an der Wirklichkeit messen kann. Im Studium habe ich mich lange mit diesem Denker befasst und ihn auch als ein  Prüfungsthema gewählt.

Vielen meiner Kommilitonen blieben die Neopositivisten verhasst. Ihnen fehle die Vision, sie seien in Wirklichkeit unkritische Abbildner der Realität, so der böse Vorwurf. Aber diese Kritik erwies sich als unfair. Die Vision der Kritischen Rationalisten ist klar und hell: Den Willen des Einzelnen zu respektieren, keinen kollektiven Leitbildern nachzulaufen, sondern das freie Individuum in den Mittelpunkt zu stellen.

Karl Popper entstammt der Denkschule des Positivismus und des Wiener Kreises. Poppers undogmatischer Denkansatz, der sich einzig von der Vernunft leiten lässt, liest sich als Hohelied auf die Freiheit. Und als eine Brandschrift gegen jeden Totalitarismus.

Die offene Gesellschaft und ihre Feinde heißt eines seiner Hauptwerke und es muss, Entstehungsjahr 1945, als ein Plädoyer gegen Faschismus, Kommunismus oder sonstige Heilslehren aufgefasst werden. Auch Religion interessiert die Kritischen Rationalisten wenig. Der Glaube fängt da an, wo das Denken aufhört, so das rüde Urteil der Wiener.

Alles Leben ist Problemlösen. Auch ein wortgewaltiges Werk von Karl Popper. Politik sei peaceful social engineering. Stückwerkstechnik. Fortschritt als Abfolge anhaltend kleiner Schritte.

Dieser Philosoph, 1902 in Wien geboren und 1994 in London gestorben, vermochte all den blutigen Irrwegen und dummen Moden zu trotzen. Sein pragmatischer Denkansatz, der human und fortschrittlich zugleich ist, passt wunderbar in unsere Tage und steht in sympathischer Weise für das Ende aller hohlen Utopien.

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