Notizen und Anmerkungen von unterwegs

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Drei Wünsche des Jazz

Dies ist ein wunderbares Buch, ein Buch voller Anmut und Sentimentalität. Es lädt ein zur nostalgischen Reminiszenz und zum tiefgehenden Staunen. Ein Kleinod für Jazz-Freunde aus dem Reclam-Verlag.

Die Mentorin des Werkes, die Baronesse Pannonica de Koenigswarter, die jüngste Tocher von Charles Rothschild, war eine Jazzverrückte, seit sie als junges Mädchen die Plattensammlung ihres Vaters entdeckte.

Später wurde sie Vertraute, Beichtmutter und letzte Hilfe vieler Jazz-Musiker im New York der 50er und 60er Jahre. Nica war die Frau, in deren Wohnung Charlie Parker Obdach fand und starb. Und in der Thelonious Monk neun Jahre lebte.

In über zwei Dutzend Jazzkompositionen flog ihr der Dank der meist schwarzen Musiker zu. Nica oder My Dream of Nica von Sonny Clark beispielsweise oder das berühmte Pannonica von Thelonious Monk.

Mit ihrer Polaroid-Kamera fotografierte die Baronesse 300 ihrer Musikerfreunde und ihnen allen hat sie die Frage gestellt, was sie sich wünschen würden, hätten sie drei Wünsche frei. Ihre Großnichte Nadine de Koenigswarter hat aus den Antworten ein leidenschaftliches und zugleich liebenswertes Buch zusammen gestellt.

Ebenso interessant wie die leicht vergilbten Polaroids erscheinen die drei Wünsche der Giganten des Jazz. Von Monk, Dizzy Gillespie, Coleman Hawkins, Art Blakey oder Clark Terry. In ihren Wünschen zeigen sich die Künstler als sorgengeplagte underdogs, die in einem zähen Kampf um künstlerische Anerkennung, materielles Auskommen und wohl auch um ein bisschen Liebe ringen. So drehen sich die meisten Wünsche um die Themen Geld, Musik und Frauen.

Mein Lieblings-Dreier? Hier ist er:
1. Glück.
2. Musikalischen Erfolg.
3. Das Dritte will mir nicht einfallen!… Ich überlegte krampfhaft, was es ist…. Jetzt weiß ich’s! Ich wünsche mir ein Baby!

Dies schrieb Freddie Hubbard.

Der lakonische Miles Davis brachte nur drei Wörter zu Papier, denn er hatte nur einen Wunsch: WEISS zu sein.

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Ein Schwede besucht Mario Vargas Llosa

Photos by Norbert Böer

Anfang der 80er Jahre besuchte ich Mario Vargas Llosa in seinem Haus in Lima. Na ja, Haus scheint leicht untertrieben, denn der Schriftsteller wohnt in einer riesigen weißen Villa, die nur durch die Autostrasse vom Meereskliff getrennt wird. Hier am Malecón im feinen Stadtteil Barranco erhält man einen atemberaubenden Blick auf den Pazifik, der in Lima wüster auftritt als sonst wo.

Als ich an dem großen hellbraunen Tor die Klingel betätige, kommen von der Strasse her zwei Kinder angelaufen, die dort spielten. Der Junge vielleicht vierzehn, fünfzehn, das Mädchen wesentlich jünger, so knapp zehn. Sie mustern mich kritisch von oben bis unten. Insbesondere unten, ganz unten.

Dem Jungen fällt mein Schuhwerk auf. Wie so oft in Südamerika trage ich Clogs, offene Halbschuhe, die einerseits bequem und andererseits schön luftig sind. Clogs, die in diesen Breiten Zuecos heißen, was umgangssprachlich auch mit Suecos assoziiert wird, also Schwedenschuhe. Und Schuhe aus Skandinavien, allein dies ist ja schon ziemlich dubios.

Denn Schweden besaßen in jenen Jahren ein ganz bestimmtes Image im erzkatholischen Südamerika. So wie wenn ein Deutscher den Begriff Ibiza hört, auch dieser ein klares Bild vor Augen bekommt. Und auch in Deutschland sagt man ja ab und an alter Schwede, was allerdings nur in gewissen Kreisen als Kompliment gemeint ist. In Schweden, so die Fama rund um den Äquator, seien die Sitten zwischen Männlein und Weiblein arg locker, in Schweden heiraten Frauen andere Frauen und in die Seen springt man aus Prinzip nur nackend. Wie auch immer, alles merkwürdig bis suspekt.

Und Schwedenschuhe? Jedenfalls waren Zuecos in Südamerika damals mehr oder weniger unbekannt, zumindest als Männerschuh. Denn kein richtiger Macho würde so etwas anziehen, Unisex ist sicherlich kein modischer Renner in Lateinamerika.

Der Junge, der meine Zuecos sieht, fängt an zu Kichern und raunt seiner Schwester zu: Schau mal, der Mann trägt Schuhe von einem Mädchen. Das ist doch…. Das Mädchen schaut den Bruder missbilligend an. Sei still, sagt sie, das ist doch der Besuch für Papa.

Die beiden sympathisch vorwitzigen Kinder auf der Strasse waren Gonzalo, der Sohn von Mario Vargas Llosa und die Tochter des Schriftstellers, Morgana.

Das war vor fast dreißig Jahren. Morgana Vargas Llosa ist heute eine bekannte Fotografin in Madrid und Gonzalo Vargas Llosa arbeitet bei der UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen in Genf. Der erstgeborene Sohn Alvaro Vargas Llosa lebt in den USA und ist einer der liberalen Denker hinter dem amerikanischen Think Tank The Independent Institute in Washington, D.C. und ein wortstarker Kolumnist für verschiedene amerikanische Zeitungen.

Und der Schwede, der ja eigentlich ein Deutscher ist, und der noch nie in seinem Leben in Schweden gewesen war, der trägt auch heute noch manchmal Zuecos, seine Schwedenschuhe. Und, als ironische Fussnote der Zeitläufte: Im Jahr 2010 erhält dieser Mario Vargas Llosa aus Barranco, Lima, den Nobelpreis für Literatur – von, ja doch, von der Schwedischen Akademie.

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Mario Vargas Llosa: Ein ziemlich verspäteter Nobelpreis

Mario Vargas Llosa

Im Hause von Mario Vargas Llosa in Lima/Peru. Im Januar 1986. Photo by Norbert Böer.

Eine großartige Nachricht kam da heute Mittag aus Stockholm. Den diesjährigen Nobelpreis für Literatur erhält der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa. Er musste lange genug warten.

Mario Vargas Llosa traf ich das erste Mal Anfang der 1980er Jahre in Lima. Kurz zuvor waren acht Journalisten in dem Andennest Uchuraccay von Indios zu Tode gesteinigt worden. Es waren jene Tage, in denen man sich auf der Strasse zum ersten Mal den Namen Sendero Luminoso zuraunte, und der blutige Terror dieser maoistischen Guerrilla sollte in den nächsten zehn Jahren den Alltag der Peruaner aus den Fugen bringen.

Der integere, aber schon etwas senile Präsident Fernando Belaúnde Terry muss eine aufgewühlte Öffentlichkeit beruhigen und beruft eine Kommission, die den Unmut im Ausland und in einheimischen Intellektuellenkreisen dämpfen soll. Wer nun könnte als Vorsitzenden dieser Kommission glaubhaft sein? Belaúndes Wahl fällt auf einen Schriftsteller, der sich schon damals weit über die Grenzen seiner Heimat Respekt und Renommee erworben hat. Und so wird der damals Mittvierziger Mario Vargas Llosa Vorsitzender der dreiköpfigen Untersuchungskommission, die den düsteren Fall aufhellen soll.

Bei der Schaffung der Welt, so erklärt Mario Vargas Llosa später im Gespräch, habe sich Gott einen üblen Scherz erlaubt: Auf wenig mehr als eine Million Quadratkilometer habe er drei völlig verschiedene Erdzonen – die Sahara, Tibet und den Kongo – gepresst. Die 24 Millionen Peruaner, verstreut auf drei Landschaftszonen, getrennt durch drei Sprachen und erschüttert durch tiefgehende rassische und soziale Konflikte, durchlebten exemplarisch alle Übel eines unterentwickelten Landes.

Ob man da von einer ‚Peruanität‘, von einer nationalen Identität aller Peruaner, reden könne, bei einer verschiedenartigen Völkergemeinschaft aus Indios, Chinesen, Schwarzen und Weißen? Peru ist in Wirklichkeit ein Konglomerat von Ländern. Es gibt eine Vielzahl von Kulturen in einer Gesellschaft, die leider keinen Zusammenhalt besitzt. Wenn man von der Küste in die Hochebene reist, so wechselt man nicht nur die Klimazone, sondern auch die Sprache und, so will es scheinen, gar das Jahrhundert. Diese Mannigfaltigkeit stellt Perus großes Problem dar, aber andererseits glaube ich auch, dass es der große Reichtum unseres Landes ist. Wir sind Erben verschiedener reicher Kulturen.

Aber wie sollen diese doch so unterschiedlichen Kulturen in Harmonie mit einander leben? Wo doch alleine drei Sprachen, die Indiosprachen Ketchua und Aymará sowie das Spanische, die Menschen trennen. Von der sozialen Benachteiligung gar nicht zu reden. Eine Harmonie erscheint mir im Augenblick schwer möglich, weil hinter den kulturellen Unterschieden teilweise tiefe wirtschaftliche Disparitäten stehen. Die Welt der Bauern, der Ketchua und Aymará ist eine durch das hispanisierte Peru ausgebeutete Welt. Auf der anderen Seite existieren Kulturen, wie die der Chinesen und der Schwarzen, die stärker in das peruanische Gemeinwesen integriert sind. Der afrikanische Einfluss auf unsere Musik der Küstenregion etwa, aber auch auf die Literatur ist sichtlich ausgeprägt.

Eine Person wie Mario Vargas Llosa würden die Franzosen als einen homme d’esprit bezeichnen. Dieser Mann von Geist hat zwei, drei außergewöhnliche Romane veröffentlicht, dieser Mensch kann jede Woche einen meist fabelhaften Essay zu Papier bringen und sprachlich brillant und druckreif aus dem Stehgreif eine Rede halten. Vargas Llosa ist ein virtuoser Sprachtechniker, wie sich nur wenige in der modernen Weltliteratur finden lassen, er ist ein opulenter Imaginist – und ein sympathischer Bursche obendrein. Er gilt als scharfsinniger und wortgewaltiger Beobachter seiner Heimat und des Kontinents, als jemand, dessen Rat man sucht und auf dessen Rat man hört.

Geboren wird Vargas Llosa 1936 in Arequipa, dem bedeutenden Zentrum im Süden Perus. Arequipa hinterlässt beim Besucher den Eindruck einer hübschen Stadt, deren 800.000 Einwohner von einer phantastischen Berglandschaft umgeben sind. Perus weiße Stadt wird Arequipa genannt, weil viele ihrer Strassen und Wege mit weißem Vulkanstein gepflastert sind. Der schneebedeckte Gipfel des Vulkans El Misti überstrahlt die Stadt, die weitgehend ihre pittoreske koloniale Architektur erhalten konnte. Dennoch waltet über diesem Idyll die Allmacht der Natur in ihrer heimtückischen Gefährdung durch Vulkanausbruch oder Erdbeben. Von Lava verbrannt oder von einem Erdbeben verschluckt zu werden, als sei dies die dunkle Heimsuchung, die über dieser faszinierenden Stadt und möglicherweise gleich über dem ganzen Land liegt.

Kann ein guter Schriftsteller da ob der grausamen Wirklichkeit seines Landes neutral bleiben, darf er lediglich beschreiben oder muss er vielmehr nicht all diese Zerrissenheit auch einem Werturteil unterziehen? Natürlich legt eine aufrichtige und authentische Literatur nicht nur Zeugnis ab, sondern bezieht zugleich auch Standpunkt. Sie zeigt eine wie auch immer geartete Perspektive auf, und dies schließt schon eine Art Werturteil ein. Jede wahrhafte Literatur besitzt letztlich – so glaube ich – eine kritische Funktion. Sie legt ein Problem offen, beschreibt eine Unzufriedenheit, eine Leere oder eine Unzulänglichkeit der Wirklichkeit.

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Ein kluger Denker, ein großer Autor. Mario Vargas Llosa in Lima. Photo by Norbert Böer.

Anfang der 1970er Jahre, als der Boom der lateinamerikanischen Literatur einem ersten Höhepunkt zusteuerte, hatten wir junge Lateinamerika-Verrückte sechs Namen auf unseren Hitlisten ganz oben stehen: den Kolumbianer Gabriel García Márquez, die Mexikaner Juan Rulfo und Carlos Fuentes, den Kubaner José Lezama Lima, den Argentinier Julio Cortázar und den Peruaner Mario Vargas Llosa. Von diesen großen Sechs blieben heute, würde man die Liste erneut aufstellen, wohl nur noch zwei Namen übrig. Drei trinken ihre Daiquirís beim großen Autoren-Manitu über den Wolken, ein anderer charmiert ziellos als Plauderfritze durch die Feuilletons dieser Welt. Nur noch Gabo García Márquez und Mario Vargas Llosa dribbeln in jener Champions League der Literatur, in der einst auch Gustave Flaubert oder Franz Kafka spielten.

Am Malecón Paul Harris wohnt Vargas Llosa in einer gigantischen weißen Villa mit Blick auf den Pazifik. Dort auf der Anhöhe über der Brandung des Meeres in Limas Stadtteil Barranco sind Mario Vargas Llosa und seine liebenswürdige Frau Patricia allerdings nur noch selten anzutreffen. Er, der treffsichere Chronist Perus, pendelt heute zwischen London und Madrid hin und her, anstatt in den Cafés von Miraflores oder an den brütenden Gestaden des Amazonas der Geschichte seiner Heimat nachzujagen. Die Opposition zu dem Regime des autokratischen Präsidenten Alberto Fujimori und Todesdrohungen der Terroristen des Sendero Luminoso haben ihn und seine Familie Anfang der 1990er Jahre nach Europa getrieben. 1993 hat der Schriftsteller zusätzlich die spanische Staatsbürgerschaft angenommen.

Wie viele Autoren denn in einem Land wie Peru vom Schreiben leben könnten, will ich wissen. Nun, kaum einer, antwortet Mario Vargas Llosa. Die meisten, wie Julio Ramón Ribeyro, der im diplomatischen Dienst tätig war, üben andere Berufe aus, sind Journalisten oder Lehrer. Doch selbst ein Lehrer oder Arzt fristet mit einem Monatslohn von gerade einmal zwei- oder dreihundert Dollar ein kümmerliches Dasein. Das Land hat nie großen Wert auf eine vernünftige Ausbildung seiner Bürger gelegt, Perus Schulen und Universitäten leiden an schlechter Ausstattung und besitzen einen schlechten Ruf. Wer die Mittel besitzt, schickt seine Kinder auf Privatschulen oder zum Studium nach Stanford oder an die Sorbonne.

Trotz aller Preise und Auszeichnungen liegt auf dem schriftstellerischen Glanz von MVLL, wie er in Peru abgekürzt genannt wird, ein zarter Schatten. Denn bereits mit 30 Lenzen – der Kalender zeigt das Jahr 1966 – hat der Peruaner sein Opus magnum veröffentlicht. Das grüne Haus ist ein virtuos verschachtelter Roman in Zeit und Raum und gehört wohl zu den 20 sprachstärksten Werken des 20. Jahrhunderts. Das grüne Haus – allerlei Geschichten um ein Bordell in der Wüstenstadt Piura im Norden Perus – versteht sich als metaphorische Annäherung an das ganze Land. Es stellt die laszive Lebensfreude seiner Bewohner dar, aber auch die urwüchsige Gewalt des Alltags und beschreibt so als Mikrokosmos die explosiven Vielfalt der peruanischen Völkergemeinschaft.

Alles was nach dem grünen Haus kam, war – kein Zweifel – nett bis obernett. Aber weder die Tante Julia noch Lob der Stiefmutter oder sein letztes Werk Das böse Mädchen aus dem Jahr 2006 konnten sich der sprachliche Genialität des grünen Hauses nähern. Einzig Gespräch in der Kathedrale und sein spätes Kunstwerk Das Fest des Ziegenbocks vermögen dem Meisterstück La casa verde in Ansätzen das Wasser reichen. Womöglich mag sich Mario Vargas Llosa wie ein unermüdlicher 100-Meter-Läufer fühlen, der am blühenden Anfang seiner Karriere die 9,7 Sekunden lief, während der Zeitmesser später nur mehr bei 10,4 oder 10,6 Sekunden stehen blieb. Was ja auch noch beachtlich scheint, zumal dieses Schicksal der Jugendkreativität nicht nur bei Don Mario, sondern des öfteren in den bildenden Künsten zu beobachten ist. Hat nicht auch der Beatle Paul McCartney bereits mit 21 Jahren seinen Jahrhundertsong Yesterday komponiert und war er nicht noch deutlich unter 30 als er sein letztes Meisterwerk Let it be herausbrachte?

Tollkühn hat sich Mario Vargas Llosa im Jahre 1990 in ein Abenteuer gestürzt, das so bunt und wild war, als sei es einem seiner Romane entsprungen. Allseits respektiert und als haushoher Favorit gestartet, bewarb er sich in jenem Jahr um das Präsidentenamt seines vom sozialistischen Populisten Alan García gründlich ins Elend herunter gewirtschafteten Landes. Vargas Llosa verlor sensationell und er verlor sensationell hoch gegen einen Señor-San, gegen einen Nobody, gegen einen bis dahin gänzlich unbekannten peruanischen Agraringenieur japanischer Abstammung.

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Gegen jede Dogmen. Ein kritischer Geist, die Stimme der Liberalität in Lateinamerika. Mario Vargas Llosa im Garten seiner Villa in Barranco. Photo by Norbert Böer.

Dieser vom Volke eher liebevoll denn despektierlich der Chinese genannte Dozent mit Namen Alberto Fujimori schaffte es in seiner elfjährigen Amtszeit zwar, das Land makroökonomisch zu stabilisieren und auch den Anführer der Sendero Luminoso-Terroristen, den irren Philosophie-Professor Abimael Gúzman, hinter Schloss und Gitter zu bringen. Gleichzeitig überzog Fujimori die Andenrepublik in der dämonischen Gestalt des faktischen Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos mit einem feinen Netz von Korruption und Selbstherrlichkeit. Und als die Knoten dieses Spinnennetzes im November 2000 rissen, da schickte el Chino, der sich auf einer Auslandsreise in Asien befand, aus Tokio seinem Land Peru ein mageres Fax: Er trete als Präsident zurück.

Es hat Vargas Llosa damals hart getroffen, dass nicht er, der brillanteste Sohn der Nation, diese Wahl gewonnen hat. Doch die Indios und Besitzlosen, die Mehrheit der Wähler also, haben ihn einer knappen und harschen Beurteilung unterzogen: zu weiß, zu reich, zu europäisch. Der Japaner Fujimori mit seinem kauzigen Auftreten und dem schlechten Spanisch schien da eher einer der ihren. Für die Intellektuellenwelt freilich bleibt es ein Segen, dass Vargas Llosa die Präsidentenwahl 1990 mit Pauken und Trompeten verloren hat. Sonst hätten die Peruaner einen vorzüglichen Schriftsteller weniger und einen lausigen Präsidenten mehr gehabt.

Vargas Llosa gilt als ein literarischer Tausendsassa. Er schreibt eine wöchentliche Kolumne für die Sonntagsausgabe der spanischen Zeitung El País, er verfasst Romane, bringt Erotika zu Papier, bei der selbst Playboy-Leser ein wenig erröten, er schreibt Theaterstücke, zieht durch Talkshows und dreht – wenn es denn gar nicht anders geht – sogar Kinofilme.

Als Mario Vargas Llosa 1967 den angesehenen Rómulo Gallegos-Literaturpreis entgegennahm, da haben viele seine damalige Dankesrede als flammende Lobrede auf Fidel Castros kubanischen Umsturz und sonstige Revolutionäre auf dem Halbkontinent verstanden. Ob er im Laufe der Jahre seine Ansichten geändert habe? Sehe er die Welt heute in einem anderen Licht? Sicher, ich habe einige Ansichten korrigiert. Aber mehr auf politischem Gebiet. Meine Ansicht über Literatur und literarisches Arbeiten haben sich nicht grundlegend geändert. Politisch gab es eine Zeit, wo ich der marxistischen Analyse sehr nahe stand. Ich glaubte damals an eine Revolution, an eine gewaltsame Änderung der Strukturen in den unterentwickelten Ländern, um unsere Probleme zu lösen. Nach und nach reifte jedoch die Einsicht von der Ungerechtigkeit des Marxismus.

Worin diese Ungerechtigkeit des Marxismus bestehe, möchte ich von dem Schriftsteller wissen. Denn die Abschaffung der Ungerechtigkeit habe er sich ja gerade auf die Fahnen geschrieben. Durch die Einschränkung der politischen, persönlichen und auch künstlerischen Freiheiten schafft man Gesellschaften, die dem Individuum keine Luft mehr zum Atmen lassen. Ich bin Reformer und gegen jede Form der Diktatur. Unser Ziel sollte ein demokratisches Gemeinwesen sein, das nicht nur in einem formalen Sinn funktioniert, sondern dem Volk auch materiell etwas bieten kann. Jahrhunderte lang haben unsere Länder unter diktatorischen Obrigkeiten gelitten, unter korrupten Regierungen und ineffizienten Verwaltungen. Ich bin gegen Heilslehren von links wie rechts. Ich glaube nicht an die absolute Lösung, sondern nur an relative.

Nach Herz und Habitus gilt Mario Vargas Llosa als Vertreter eines aufgeklärten, liberalen Bürgertums in Südamerika. Seit er von 1977 bis 1980 Präsident der internationalen Autorenvereinigung PEN gewesen war, verbindet ihn eine herzliche Abneigung gegen den Deutschen Günter Grass und den Kolumbianer Gabriel García Márquez. Grass messe mit zweierlei Maß, beklagt Vargas Llosa. In Lateinamerika verteidige er Dinge, in Kuba beispielsweise die Einschränkung der Pressefreiheit und der bürgerlichen Rechte, die er sich zu Hause in Deutschland niemals gefallen lassen würde. Gerade die Deutschen sollten sich vor falschem Romantizismus hüten. Fidel Castro sei kein Robin Hood.

Für García Márquez empfinde er aufrichtige Wertschätzung, und den Nobelpreis habe er vollauf verdient. Auch wenn er persönlich einen anderen Südamerikaner – nämlich den Argentinier Jorge Luis Borges – vorgezogen hätte. Und wenn Mario Vargas Llosa den Begriff Literatur-Nobelpreis ausspricht, über solche Schriftsteller räsoniert, die ihn bereits erhalten haben und solche, die ihn eigentlich verdient hätten, dann hatte seine Stimme so etwas schwingendes, etwas ungeduldiges. Er hätte ihn gerne, das wäre sein großer Wunsch, man merkt es ihm an. Doch die Schwedische Akademie der Schönen Künste lässt ihn zappeln. Bis 2010.

Nun hat er ihn bekommen. Zu spät, möchte man klagen, leider viel zu spät. Zwischenzeitlich hat der magische Realismus des lateinamerikanischen Romans viel an Glanz verloren. Der artifizielle Stil eines Vargas Llosa brummelt bei seinen letzten Erzählungen zwar brav, aber doch ziemlich altväterlich vor sich hin. Der Wechsel der verschiedenen Erzählebenen, die Technik der inneren Monologe, das Verschachteln der Handlungsstränge – das sind Erzähltechniken, die anno 1975 elektrisierten. Heute, eine halbe Ewigkeit später, ist all das nicht mehr bahnbrechend und richtungsweisend. Auch junge Wilde kommen in die Jahre. Deshalb mag man das Gefühl nicht ablegen, dieser Nobelpreis komme verspätet, in einem betrüblichen Sinne doch sehr hinausgezögert. Aber verdient, so möchte man schnell hinzufügen, verdient ist er allemal.

siehe auch: Ein Schwede besucht Mario Vargas Llosa

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Freund

There is no friend as loyal as a book.
Es gibt keinen Freund, der so loyal ist wie ein Buch.

Ernest Hemingway

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Henry Kissinger am Büdchen

gefunden in Mexico City 1988

Henry Kissinger verehre ich als elder statesman. Als jemand, der sich Verdienste erworben hat, als jemand, auf den man hört und dem man gerne zuhört. Im Düsseldorfer Industrie-Club haben wir einmal kurz geredet, ein hochintelligenter Mensch.

Wir wissen, Henry Kissinger war ein großartiger Außenminister der USA. Der beste im 20. Jahrhundert. Ein Stratege, wie ihn die amerikanische Außenpolitik nur selten kannte. Den Friedensnobelpreis bekam er, weil er die Friedensverhandlungen mit Vietnam zum Erfolg führte.

Überdies ist der in Fürth geborene Henry Kissinger ein sympathischer und vor allem seriöser Zeitgenosse. Deshalb fuhr mir der Schreck in die Glieder, als ich an einem Kiosk in der mexikanischen Hauptstadt, in der Schmuddelecke, ein Heftchen entdeckte.

Si la cama hablara…Wenn das Bett sprechen könnte, so der verheißungsvolle Titel. Und der Autor: Henry Kissinger. Auf dem Umschlag des Büchleins räkelt sich in voller Schönheit eine nackte Frau auf einer Matratze. Verkauf einzig nur an Erwachsene.

Coleccion Couple – so ist auf der Rückseite des Taschenbuches zu lesen. Die Buchreihe für das moderne Eheleben, möchte man sagen. Und ein schönes rotes Herz lacht uns an. Erotische Romane von Spitzenautoren des Genres, steht da weiter geschrieben. Ich kaufe Kissingers Büchlein für ein paar Pesos. Und fange an zu lesen…

Das junge Ehepaar, frisch verliebt, betritt ein Möbelgeschäft mit der Absicht, Möbel zu kaufen, um sich sein zukünftiges Heim einzurichten…beginnt der Roman etwas sperrig, um dann aber doch schnell zur Sache zu kommen, in puncto körperliche Ertüchtigung. Auf 96 Seiten Erotisches, allerdings der eher einfach gestrickten Art.

Ein solch schmieriges Machwerk soll aus der Feder von Henry Kissinger stammen? Dem konservativen Doktor Kissinger aus New York? Hier am Büdchen in Mexiko-Stadt? Wir staunen und blättern weiter. Schnell naht die Aufklärung. Auf Seite 3 wird noch einmal Titel und Autor aufgeführt. Si la cama hablara, noch immer will das Bett sprechen.

Nun aber heißt der Autor nicht wie auf dem Cover zugkräftig Henry Kissinger, sondern Henry Singer. Da hat man auf dem Umschlag ein KIS zu viel gedruckt. Also, Henry Singer und nicht Henry Kis-singer ist der Autor. Oh, das war sicherlich eine Unachtsamkeit des Verlages, eine harmlose Silbe mehr als Präfix, vielleicht hat der Lektor für ein paar Sekunden geschlafen. Honi soit qui mal y pense. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

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Peter Drucker, der Große

Peter Drucker

Peter Drucker

Frankfurt am Main, den 7. Juni 1990

Der Management-Professor nimmt mich freundschaftlich am Arm. Nennen Sie mich Peter, meint Peter F. Drucker bei unserem ersten persönlichen Zusammentreffen 1990 ganz amerikanisch. Ich zögere. Peter, nein, das will mir nicht über die Lippen, selbst wenn mein Verstand es will.

Ich kann diesen Mann, der fast fünf Jahrzehnte älter ist als ich, nicht mit dem Vornamen anreden. Peter, das geht einfach nicht. Ich bleibe zeitlebens beim Professor Drucker. Dabei sind es nicht die Jahre, die zwischen uns liegen, das ist es nicht. Es ist einfach die Statur, die Lebensleistung und auch die Ehrfurcht.

Peter Ferdinand Drucker ist der geistige Vater des modernen Managements, der Lehrmeister eines jeden, der gestern und heute in der Wirtschaft Verantwortung trägt. Die Generation, die in den 60er und 70er Jahren an der Universität war, die hat ihn im Studium gelesen. Und auch jene, die nicht studieren konnten, haben seine Bücher verschlungen, weil er sehr klar und verständlich zu schreiben vermochte.

In seinen gut fünfzig Büchern, fast jedes Jahr hat er eines geschrieben und veröffentlicht, brachte der gebürtige Wiener und Exil-Amerikaner einer sich schnell wandelnden Wirtschaft das moderne Management nahe. Drucker hat all das aufgeschrieben, was er in den USA und in Japan beobachtete, er hat dies mit einem profundem historischen Verständnis und einer umfassenden philosophischen Kenntnis zu einer stimmigen Anleitung für die Praxis entwickelt.

Er war mehr Wirtschafts-Historiker denn Management-Guru. Er hat alle wichtigen Themen früh, manchmal als erster, angesprochen. Dezentrales Management, Qualitätsmanagement, technologische Erneuerung, Prozessmanagement, nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften, Personalführung, Non-Profit-Management – alles Peter Drucker.

Dieser Mann war so zeitlos klug, man kann auch sagen, weise. Companies don’t make money, companies make shoes. Besser als Peter Drucker kann man es nicht auf den Punkt bringen, und in diesem Bonmot zeigt sich wie aktuell Drucker heute noch ist. Der Gewinn ist für einen guten Unternehmer nicht das Ziel, sondern eine Folge der Zielerreichung.

Für die Wirtschaft und das Management bleibt Peter Drucker der Größte. Er setzt den Maßstab. Mehr geht nicht. Peter Drucker war der geistreiche Wirtschaftsdenker meiner Generation und jener davor. Eigentlich gibt es für mich nur zwei große Denker in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der andere heißt Karl Popper. Auch ein Wiener. Auch ein Exilant.

Von allen Autoren, die ich hatte, verehre ich Peter Drucker am meisten. Noch heute kriege ich eine Gänsehaut vor lauter Hochachtung. Hochachtung vor einem Jahrhundertdenker. Ein großer Denker, der als bescheidener und sympathischer Mensch in Erinnerung bleibt.

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Gott ist gegangen, sagt Jack Kerouac

Er ist das jüngste von neun Kindern, Sohn einer Arbeiterfamilie, er war ganz unten, er ist von Geburt an blind, ein armer Junge aus Battersea. Er hat für fünf Dollar die Woche in Londoner Pubs angefangen. Als Pianist. 1947 ist er dann in die USA gegangen. Und er wurde ein Weltstar.

Heute heißt George Shearing ganz fein und edel  Sir George, weil er von der britischen Königin Elizabeth II vor einigen Jahren zum Ritter geschlagen wurde. Und, was sehr erfreulich ist, Sir George, Jahrgang 1919, weilt mit über 90 noch unter uns.

Weltstar, Schotter, Ritter – alles schön bis oberschön. Die größte Auszeichnung jedoch verlieh ihm ein anderer Großer. Jack Kerouac, der Schriftsteller der Beatniks. In On the Road aus dem Jahr 1951, das erst 1957 als Buch erschien, widmet er dem Pianisten George Shearing eine atmosphärisch besonders dichte Episode. In dem typischen atem- und rastlosen Stil Kerouacs, der irgendwie an Jazz erinnert, an geschriebenen Bebop.

An diesem langen, beschissenen Wochenende machten Dean und ich uns auf ins Birdland, um Shearing zu sehen. Der Club war menschenleer, wir waren die ersten Gäste, zehn Uhr nachts. Dann kam Shearing raus, blind, die Hand tastete sich zum Klavier. Er war einer dieser blassierten Engländer, mit steifem weißen Kragen, leicht fleischig, blond, mit einem zarten Englisch-Sommernachts-Lüftlein um ihn herum, das verflog als er die erste süße Kräuselnummer spielte, während der Bassist sich zu ihm ehrfurchtsvoll rüberlehnte und den Beat zupfte.

Ja, das ist George Shearing. Er spielt eine Kräuselnummer, es beginnt ganz harmlos, aber dann wird es zu richtig gutem flotten Jazz. George spielt das Klavier betont klassisch, so als trüge der Arrangeur der wilden Musik den Namen Johann Sebastian Bach. Aber, man täusche sich nicht, spätestens wenn Shearing in up-tempi geht, dann phrasiert er schwarz und lässt die Klassik hinter sich. Jack Kerouac hat das erkannt. In einer freien und flotten Übersetzung von mir schreibt er weiter:

Der Schlagzeuger, Denzil Best, saß regungslos da, nur seine Handgelenke wippen die Bürsten. Und Shearing begann zu zucken. Ein Lächeln ging über sein strenges Gesicht; er begann auf dem Klavierhocker zu schaukeln, vor und zurück, langsam zuerst, dann als der Rhythmus schneller wurde, schaukelte auch er immer schneller, sein linker Fuß sprang bei jedem Takt auf, und sein Hals krümmte sich wippend hin und her, er senkte sein Gesicht runter zu den Tasten, er schob seine Haare zurück, seine feinen Strähnen waren aufgelöst, und er begann zu schwitzen.

Jack Kerouac und sein Kumpel Dean bleiben den Abend im Birdland. Nun ist das Konzert vorüber, der Jazzclub wirkt verlassen, die beiden Freunde blödeln rum. Plötzlich zeigt Dean auf die Bühne, auf den einsamen Piano-Schemel. Gottes Stuhl ist leer, sagt Dean ernst. Und Jack Kerouac widmet sich wieder dem Pianisten: Gott ist gegangen; es war die Stille seines Abschieds. Draußen regnete es.

Jack Kerouac und George Shearing, On the Road. Zwei Giganten. Wir schreiben das Jahr 1949. Draußen regnet es.

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Wie Erwin Barth von Wehrenalp „Mister Sachbuch“ wurde

Erwin Barth von Wehrenalp, Frankfurt am Main, im Juni 1990, Photo by W. Stock

Frankfurt am Main, den 7. Juni 1990

Er war schon ein alter und auch arg gebrechlicher Mann, als ich Erwin Barth von Wehrenalp kennen lernte. Auch wenn er sich körperlich schnell erschöpfte, ganz oben, in den grauen Zellen, da zeigte er sich noch hellwach. Und seinen Charme und diesen österreichischen Schmäh, den hatte er sich sowie so noch erhalten.

Leider habe ich nie unter diesem Verleger arbeiten dürfen, da lagen die Jahre dazwischen, im Grunde trennten uns ja zwei Generationen. Als ich zu ECON nach Düsseldorf kam, da war von Wehrenalp schon sieben Jahre aus dem Verlag.

Wohin man jedoch auch ging, der Geist und die Aura des Erwin Barth von Wehrenalp schwebten scheinbar mit. Schriftsteller, Politiker und Wissenschaftler fragten nach ihm, erzählten bunte Anekdoten, gaben beste Grüsse mit auf den Weg. Kein Zweifel, das merkte der junge Lektor, von Wehrenalp, einer der großen Verleger Deutschlands, hatte Spuren hinterlassen.

Im November 1950 gründete Erwin Barth von Wehrenalp einen Verlag im Pressehaus am Düsseldorfer Martin-Luther-Platz. Das Baby wurde ECON getauft – als Abkürzung von Economia – und der Name sollte Programm sein. Die Marke sollte kurz sein, einprägsam und international. Und auf das verlegerische Kernstück – die Wirtschaft – hinweisen.

Die ganze Breite des Sachbuchs sollte dieser Verlag in den nächsten Jahren einem großen Publikum vorstellen: John F. Kennedy, Gerhard Herm, Martin Luther King, Walter Henkels, Amitai Etzioni, Vance Packard, Erich von Däniken, Rudolf Pörtner, Norbert Wiener, ich könnte ein kleines Telefonbuch herunter beten, die großen Denker und Akteure jener Jahre haben bei ECON ihre verlegerische Heimat gefunden.

Wer einen Verlag betreibt, wer seine Themen aus dem prallen Leben greift, der hat am Ende des Tages vielerlei in Händen: seltene Pretiosen, viel Dutzendware und wohl auch einiges, worüber der Chronist taktvoll den Mantel des Schweigens legt.

Er war ein ziemliches Schlitzohr, der erste ECON-Verleger, und zugleich ein charmanter Grandseigneur, wie ihn so nur felix Austria hinkriegt. In Dresden geboren und in Wien als Sohn eines österreichischen Arztes aufgewachsen, verfügte von Wehrenalp über jenen ondulierten Plauderton, der in Deutschland Herz und Hirn schmelzen lässt. Von Erwin Barth wird kolportiert, er habe jeden, aber auch wirklich jeden halbwegs bekannten Zeitgenossen mit seinem Standardsatz „Sie müssen unbedingt ein Buch schreiben!“ kräftig gebauchpinselt. Manch einer hat dann tatsächlich zur Feder gegriffen.

Der muntere Bonvivant besaß ein verläßliches Gespür für Themen und Titel. Er hat es über Jahrzehnte geschafft, eigentlich trockene Stoffe aus Historie, Forschung oder Wirtschaft auf unterhaltsame Art und Weise zu popularisieren. So lautete wohl auch der verlegerische Auftrag jener Jahre: Spezialwissen einem breiten Publikum verständlich dar zu reichen.

Und die ECON-Titel von damals summen noch heute im Ohr: Und die Bibel hat doch recht. Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit. Wohlstand für alle. Wenn das alte Schwarzweiß-Foto von Ludwig Erhard mit seiner schmauchenden Zigarre veröffentlicht wird, dann hält der Vater des deutschen Wirtschaftswunders noch immer sein berühmtes ECON-Buch in der Hand. Von Kanzler Konrad Adenauer wird die Anekdote überliefert, er habe seinen Wirtschaftsminister Erhard gefragt, ob der Titeltexter seiner ECON-Bücher nicht auch die CDU-Wahlkampfslogans schreiben könne.

Von Wehrenalp, Jahrgang 1911, war ein Verleger der alten Schule. Mit allen Vorzügen und auch mit allen Grenzen. Sein riesiger Erfolg erklärt sich vor allem aus der wissensdurstigen Nachkriegszeit. Ende der 70er Jahre war Mister Sachbuch dann aus der Zeit gefallen. Konkurrenz, Konzerne, Fernsehen und Medienboom verlangten mehr als nur Charme und Chuzpe. Die moderne Medienwelt war nicht mehr sein Ding.

Der Österreicher verkaufte 1981 seinen angeschlagenen Verlag, er ging zurück in seine Heimat nach Anif bei Salzburg und verbrachte schließlich den Lebensabend in Paris. Im April 1996 ist er dort verstorben. Auf Père Lachaise hat seine Frau ihn begraben.

siehe auch: Hero Kind, der letzte ECON-Verleger
siehe auch: Erwin Barths Geheimnis

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Eine Schönheit

Photo by W. Stock

The world is a fine place and worth the fighting for it.

Die Welt ist ein schöner Ort und wert, dass man um sie kämpft.

Ernest Hemingway, For whom the Bell tolls, 1940

Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.

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B. Traven versteckt sich in Acapulco

Ein sonniges Plätzchen für schattige Winkelzüge. In Acapulco hält sich B. Traven ab 1930 versteckt, wo er ein kleines Landhaus mit einen großen Obstgarten außerhalb des Zentrums bewohnt. El Parque Cachú an der Avenida Costa Grande 901 ist ein mit vielen Bäumen und Gestrüpp bewuchertes Landhaus an der Strasse nach Pie de La Cuesta.

Die heute heruntergekommene Obstplantage liegt an einer vielbefahrenen Ausfallstrasse Acapulcos, weit weg von den imposanten Hotels und der azurblauen Bucht. Eine Holzgittertüre, vom Staub der Strasse und der schwülen Tropenhitze angefressen, verdeckt den Blick auf das einfache Ziegelhaus.

Es ist, wie in diesen Breiten üblich, ein bescheidenes eingeschossiges Bauwerk mit einem flachen Dach und einfachen Klappfenstern. Das Haus wurde ohne jeden Schnörkel symmetrisch auf einer kleinen Anhöhe gebaut, zu der die Dutzend Steinstufen einer kleinen Treppe führen. Um das Gebäude herum gruppiert sind Mangobäume und vor allem zahlreiche Nussbäume, die der Huerta den Namen geben.

Der Autor von El Tesoro de la Sierra Madre – Der Schatz der Sierra Madre – lebt im Parque Cachú mit einer jungen indianischen Frau zusammen, Maria de la Luz Martínez, die Besitzerin der Obstplantage ist. Maria und ihre Schwester Elva betreiben im Parque ein kleines Gartenrestaurant, das den Geschwistern und ihrem Mitbewohner Traven, insbesondere in den Kriegsjahren, als aus Europa nur geringe Tantiemezahlungen fließen, den Lebensunterhalt garantiert.

In Acapulco erhält Traven auch seinen ersten mexikanischen Personalausweis. Gastwirt trägt Traven in manchen Lebenslauf als Berufsbezeichnung ein, und in diesen Jahren sollte dies ausnahmsweise dann annähernd den Tatsache entsprechen.

Traven arbeitet viel im Obstgarten, ansonsten schreibt er in seiner oficina an seinen Romanen. Wie ein Einsiedler ohne jeden tieferen Kontakt lebt der kauzige Mann in diesem sonnigen, verfallen wirkenden Gartenhaus in Acapulco und die Nachbarn nennen den drahtigen, kleinen grauen Mann El Gringo.

Acapulco ist damals noch lange nicht der mondäne Badeort späterer Jahre, keine Jetset-Destination, sondern ein armes, verlassenes Fischernest am Pazifik mit gerade mal 8.000 Einwohnern. Und im heiteren Acapulco kann man sich höchst angenehm verstecken.

Der geheimnisumwitterte Schriftsteller lebt in Acapulco unter dem Namen Berick Traven Torsvan, was einerseits seine Identität ausreichend camoufliert, ihn anderseits noch in die Lage versetzt, Honorare für einen B. Traven anzunehmen. Postfach 49, Acapulco, Guerrero, México – das bleibt seine einzige Verbindung zur Welt nach draußen.

Auch während der Zeit des Zweiten Weltkriegs bleibt er in dem idyllischen Pazifikstädtchen untergetaucht. Dies besitzt den charmanten Nebeneffekt, dass er den nun zahlreichen deutschen Emigranten, die es nach Mexiko City verschlägt, nicht über den Wege laufen muss. Egon Erwin Kisch, der rasende Reporter, beispielsweise macht sich auf die Suche nach seinem schreibenden Kollegen, von dem er weiß, dass er der frühere Münchner Revolutionär Ret Marut sein muss.

Ein Flüchtiger auf der Flucht vor Flüchtlingen, merkt der Traven-Biograf Karl Guthke spitz an. Aber B. Traven versteckt sich unbeirrbar viele, viele Jahre in seiner Huerta und in diesen beiden Jahrzehnten hier in Acapulco schreibt der deutsche Autor ein halbes Dutzend detailreicher Romane über tapfere Campesinos, darbende Indios und feiste Hacendados. Also, über Mexiko.

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