Notizen und Anmerkungen von unterwegs

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Mario Adorf, der unvollendete Amazonas-Kapitän

Mick Jagger und Mario Adorf bei den Dreharbeiten zum Film Fitzcarraldo in Peru; Photo by René Pinedo/Collection W. Stock

Iquitos, im Januar 1981

Zu unserem Lieblingsrestaurant in Iquitos wird die Casa Cohen am Jirón Próspero. Das ist ein einfaches, aber hübsches Ecklokal im Zentrum, das nach zwei Seiten zur Strasse offen ist. Die Fassade wurde mit glanzvollen blauen Reliefkacheln geschmückt, die sich hier, im peruanischen Amazonasdschungel, ein wenig surreal ausnehmen.

Als wir in dieser Nachmittagsstunde die Casa Cohen betreten, sitzt nur ein stattlicher Herr mittleren Alters mit Dreitagebart vor seinem kühlen Bier. Irgendwie kommt uns der Mann bekannt vor. Ein deutscher Schauspieler?

Sind Sie nicht Mario Adorf, fragen wir ihn auf Deutsch. Ja, lautet freundlich die Antwort, er drehe hier den Film Fitzcarraldo von Regisseur Werner Herzog. Wir setzen uns an seinen Tisch und Adorf plaudert voller Begeisterung über das Filmprojekt. Ein Film mit Mick Jagger, großartig, da freue er sich drauf wie ein Schulbub, meint der Wahl-Römer.

Am nächsten Tag beobachten wir Mario Adorf am Set. Er spielt den Kapitän der Molly Aida, eines Amazonas-Dampfers, mit dem Fitzcarraldo aufbrechen wird zu den Kautschukfelder im Norden. Adorf steht auf der Reling, neben ihm mit blankem Oberkörper und Strohhut Mick Jagger, der den Wilbur spielt. Fotograf René Pinedo schießt einige Fotos. Sie werden Seltenheitswert erlangen, weil der Film, die erste Fitzcarraldo-Fassung, nicht fertig gedreht werden sollte.

Adorf gibt – in blauen Hosenträgern – einen wunderbar brummeligen Amazonas-Kapitän ab. Die Truppe bricht auf, den breiten Amazonas hinab zu fahren. Kapitän Mario Adorf läutet die Schiffsglocke zur Abfährt. Und im Übermut läutet er die Glocke nochmals. Lauter und lauter. Adorf hat sichtlich Spass an seiner Rolle. Schließlich legt das Schiff unter dem musikalischen Getöse einer kreolischen Musikkapelle ab.

Als wir Mario Adorf das nächste Mal treffen, hat sich seine Begeisterung gelegt. Vielleicht hat er unterschätzt, dass Herzog kein Studio-Regisseur ist, sondern jemand, der seinen Filmen, seinen Schauspielern und sich selber einiges abverlangt. Jemand, der bis an die Grenze geht. In Fitzcarraldo fließt nicht nur Schweiß, sondern auch Blut. Es ereignen sich Unfälle, man zählt Verletzte und Verwundete.

Fitzcarraldo, in diesem Film wird ein Schiff über einen Berg gezogen, kann auch als Hymne an die Willenskraft gesehen werden. Der Film wirkt auf melancholische Art kraftstrotzend und körperlich. Mario Adorf und Werner Herzog funken nicht auf gleicher Wellenlänge. Adorf nennt Herzogs Umgang mit seinen Schauspielern respektlos und Herzogs cineastische Waghalsigkeit bezeichnet er als Menschenschinderei.

Und der ganze Film steht unter keinem guten Stern. Die erste Fassung bleibt, weil Hauptdarsteller Jason Robards schwer erkrankt und aussteigt, unvollendet. Adorfs Rolle spielt in der zweiten Fassung dann ein anderer. Diesen Part übernimmt dann Paul Hittscher, der deutsche Besitzer eines kleines Restaurants außerhalb der Stadt. Jener Paul Hittscher, mit dem ich einmal kräftig aneinander gerasselt bin. Aber das ist eine andere Geschichte.

siehe auch: Wie ich einmal mit Fitzcarraldos Kapitän aneinander gerasselt bin

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Werner Herzog will ein Schiff über einen Berg ziehen

Werner Herzog
Werner Herzog dreht Fitzcarraldo im Dschungel des Amazonas; Iquitos, im Januar 1981;
Foto: W. Stock

Bellavista, im Januar 1981

Wenn man die Amazonasregion bereist, so begleitet einen stets das Gefühl der Überlegenheit dieser Natur, einer Übermacht, die in den Tropen in keiner Sekunde weichen will. Einerseits wirkt Mensch im Urwald so klein, so schutzlos, so unwichtig, andererseits spürt er aber auch, was Leben und Lebenslust denn so bedeuten kann. Es mag vielleicht diese Mischung aus Demut und Faszination sein, die der Amazonas uns beibringen will.

Die Tropen zeichnet etwas Unwirkliches aus, dieser Landstrich bewegt sich wie aus einer heißen Phantasiewelt, er kommt einem vor wie eine Fieberhalluzination, wie ein Traum, aus dem man plötzlich hoch zu schrecken droht. Man wird demütigt in diesen Breiten, wohl wahr, jedoch auch leicht übermütig.

An der staubigen Landstraße nach Bellavista am Rio Nanay hat in der von Urwaldvegetation umrankten Villa Mercedes ein Deutscher sein Quartier aufgeschlagen. Um genau zu sein, wohnt dieser Mann nicht direkt in der zweigeschossigen Tropenvilla. Der Künstler hat sich aus dem großzügig bemessenen, bequemen Haus ausquartiert und residiert nun auf einem baumhohen Haus auf Stelzen, das er eigenhändig mitten in die Üppigkeit des Dschungelgartens gebaut hat. Hier lebt er in luftiger Höhe inmitten von Bananen- und Yuccastauden.

Wer bloß ist dieser seltsame Mensch, fragen sich auch die Anwohner dieses Landstrichs, der so isoliert und entfernt liegt von jenen zivilisatorisch herausgeputzten Gegenden dieses Globus. Und der einen pompösen Film drehen will, Fitzcarraldo, über einen merkwürdigen Abenteurer am Amazonas. Der Mann im Baum ist der deutsche Regisseur Werner Herzog, el Gringo alemán, wie ihn die Loretaner hier nennen.

Gegen Mittag besuche ich Werner Herzog in der Villa Mercedes. Unten in Parterre hat die Filmcrew mit der Ausrüstung ihren Arbeitsbereich, im ersten Stock des Hauses, im riesigen Wohn- und Esszimmer, sitzen Regisseur, Schauspieler und Kameraleute um einen langen Tropenholztisch. Werner Herzog lädt mich in den Garten ein und zeigt mir sein Baumhaus. Und auch der Besuch muss sich der Mühe unterziehen, die lange Sprossenleiter ins mächtige Stelzenhaus hochzuklettern.

Oben entwirft Herzog die Vision des Films und erzählt, dass die körperliche Anstrengung in seinen Filmen eine zentrale Rolle spiele. Es wäre schlimmer für mich, ein Bein zu verlieren als ein Auge, sagt der Regisseur, der opulente Bilder schafft. Und Herzog will im peruanischen Amazonasdschungel einen pompösen Film drehen, ein Leinwandspektakel, wie es sein Heimatland Deutschland, ja, die ganze Welt und das armselige Peru sowieso noch nicht, gesehen haben. In dem Film muss etwas völlig Irrwitziges, etwas ganz und gar Phantastisches passieren. Etwas, das zeigt, dass Willenskraft stärker ist als Schwerkraft, dass Wollen größer ist als Sein.

Ein Schiff muss über einen Berg gezogen werden. Und Werner Herzog war in Hollywood und hat seine Idee vorgestellt. Wunderbar, sagten die Filmbosse, eine hübsche Idee. Wir gehen in den Botanischen Garten von San Diego und lassen vor der Trickkamera dort das Schiff über einen Berg ziehen. Nein, nein, hat Werner Herzog ärgerlich gesagt, ein Schiff muss über einen Berg gezogen werden. Ein richtiges Schiff über einen richtigen Berg.

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