Ost-Berlin, den 19. Juni 1975

Visum zur Reise durch die Deutsche Demokratische Republik, Stempel, Einreise, Ausreise. Nun gibt es bekanntlich die Deutsche Demokratische Republik schon seit 22 Jahren nicht mehr und je länger ihr Ableben zurück liegt, desto besser wird sie für viele.

Denn immer häufiger melden sich Demagogen und Nebelwerfer: Es war nicht alles schlecht, wird da gesungen und das mit der DDR sei doch eigentlich eine gute Idee gewesen. Gute Idee, Umsetzung, so la la.

Man darf sich erinnern, wie man in diesen ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden hinein gelangte. Übrigens, heraus kam man gar nicht. Da stand eine hohe Mauer, lagen Minenfelder und der Schießbefehl dazwischen.

Aber selbst freiwillig von West nach Ost zu kommen, war so einfach nicht. Wer von BRD nach DDR wollte, musste sich zunächst der sozialistischen Bürokratie anheim geben: Ein Tagesvisum beantragen, seine Einreisegebühr entrichten und dann den Mindestumtausch von 6,50 DM in Ostgeld abführen. 1 zu 1, selbstredend.

Die Einreise in die DDR erfolgte über den S-Bahnhof Friedrichstrasse. An dieser sogenannten Grenzübergangsstelle musste man in einem grauen Warteraum ausharren bis man an die Reihe kam. Dann durfte der Besucher, gefälligst alleine, in einen mit kaltem Neonlicht beleuchten körperengen Schleusenraum eintreten, Papiere wurden geprüft, der Besucher argwöhnig in Augenschein genommen, ein Zollbeamter durchsuchte die Taschen.

Dann gab es ein Papier mit Personaldaten, Tag und Uhrzeit des Übertritts. Und mit allerlei beeindruckenden Stempel. Der Wisch wurde bei der Ausreise wieder einkassiert. Für einen Jungen aus der behüteten Welt der westdeutschen Provinz war ein solcher Vorgang aus der düsteren Welt eines John Le Carré nicht ohne Charme. Dass ein Staat eine Gruppe von Jugendlichen wie Schwerverbrecher behandelte, geschenkt, halb wahr, ulkig.

Für dumme Jungs, die durch das sozialistische Ost-Berlin bummelten, war es dann schon ein Erlebnis, dass die Straßenbahn 10 Ost-Pfennige kostete und das Mittagessen 1,65 Ost-Mark. Dass diese Straßenbahn dann marode und das Essen speiübel schmeckte, ein Spaß, man musste es ja nicht jeden Tag essen.

Die Gebäude schienen trist, die Stimmung selbst im Hochsommer herbstlich, und dieses zu wenig an Freiheit, diese Einengung der Individualität war an jeder Straßenecke zu spüren. Zweieinhalb Jahrzehnte Sozialismus hatten jede Kreativität, jede Ungezwungenheit und jede Lebensfreude ausradiert. Ratzfatz, aus und weg. Statt dessen Tristesse und Trostlosigkeit.

Das Gespräch mit Ost-Bewohnern, mit Gleichaltrigen, es fand nicht statt. Eine unheimliche Wand war zwischen einem Deutschen und einem Deutschen geschoben. Nach einem Tag war der Spuk für mich – nicht ohne Amüsement – vorüber. Für die Bewohner der DDR hat er noch fünfzehn Jahre gehalten. Ohne Amüsement.

Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf, dichtete Erich Honecker noch kurz vor dem Zerfall blumig. Nun denn, wir wissen, wie die Geschichte ausging. Ochs und Esel haben gewonnen.

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