Der Auftrag war klar, ich wollte Vera F. Birkenbihl als Autorin für den ECON Verlag gewinnen. Der gebürtigen Münchnerin ging eine legendäre Fama voraus: Dutzende erfolgreiche Bücher, Management-Kurse, Kassetten, Vorträge, Auslandslizenzen, sechsstellige Auflagen – Vera Felicitas Birkenbihl war ein hell leuchtender Stern in der Managementliteratur.
Damals war ich ein junger Cheflektor im Düsseldorfer ECON Verlag, keine schlechte Adresse für Autoren in jenen Tagen. Mitte Juli 1992 nahm ich einen zweimotorigen Propeller-Flieger der Gesellschaft Interot von Köln-Bonn nach Augsburg, eine Beechcraft King Air, ausgelegt für 7 Personen.
Am kleinen Augsburger Flughafen holte mich Michael Birkenbihl ab, Veras Vater, selbst ein erfolgreicher Autor und Trainer. Sein Train the Trainer galt als Standardwerk in der Ausbildungsbranche. Mit seinem Pick-up und einer bulligen schwarzen Dogge auf dem Rücksitz ging es zwanzig Minuten Richtung Süden, nach Odelzhausen.
Vor einem Einfamilienhaus, ihrem Elternanwesen, begrüsste mich Vera F. Birkenbihl herzlich. Von Statur war sie eher klein, ein paar Pfunde zuviel, eine knarzig-gepresste Stimmlage, zugleich von einer sympathischen Herzlichkeit. Zunächst machte sie eine kleine Hausführung. Im Schlafzimmer glich das schmale Bett einer Schreibzentrale. Das Bettlaken war übersät mit Büchern und VHS-Kassetten. Am Fuss des Betts befand sich ein TV-Gerät plus Videorekorder. Um das Bettgestell herum Bücherregale und Kassettenrekorder.
Im Garten stand ein weißes Wohnmobil, mit dem Vera Birkenbihl zu den Vorträgen fuhr. Sie übernachtete ungern im Hotel, sondern meist in ihrem Wohnwagen, der – wie bei Hollywood-Stars auf Dreharbeiten – zeitgleich als Einsatzzentrale und Rückzugsort diente.
Der Wirbelwind wirbelte uns durch den Tag: Auf dem Fahrradtrainer im Wohnzimmer drückte sie eine Viertelstunde kräftig in die Pedale. Dann setzte sie sich an die Heimorgel und spielte mir ein paar Melodien vor. Anschließend servierte sie für uns beide Kräutertee und zündete sich eine Zigarette an. Es sollte die erste von einem Dutzend an diesem Tag sein. Stark und selbstgedreht, der Tabak qualmte mehr als mein Schädel.
Aus der Autorin, Jahrgang 1946, sprudelte es nur so heraus. Stichwort genügte. Meine Aufgabe bestand darin, ab und an mit dem Kopf zu nicken oder ein anerkennendes großartig herauszulassen. Ich merkte schnell, wir funkten nicht immer auf gleicher Wellenlänge. Ihr Denken erschien mir eklektizistisch, ein zu wilder Mix, oft wenig stringent und ein Hauch zu esoterisch. Allerdings, das musste man zugeben, alles sehr originell und rasant. Mehr als einmal kam ich aus dem Staunen über die Kreativität und die Denkschnelligkeit der Vera F. Birkenbihl nicht heraus.
Wir besprachen das eine oder andere Projekt. Auch über die Konditionen waren wir uns unkompliziert einig. Die ersten zwei Buchprojekte wurden ins Auge gefasst. Später gestaltete sich die Zusammenarbeit ein wenig holprig. Vera F. Birkenbihl hatte ihren eigenen Kopf, die Beraterin war für Beratung unempfänglich. Änderungen und Verbesserungsvorschläge bügelte sie meist ab, sei’s drum, der Erfolg gab ihr recht.
Am Nachmittag taute sie ein wenig auf, erzählte aus ihrem Leben, von ihrer Zeit in den USA, sie war viel herumgekommen, unermüdlich in Bücher und Zeitschriften vertieft, nach neuen Lerntrends und Problemlösungen suchend. Hinter der Autorin flackerte kurz der Menschen auf, mit all seinen Stärken und Schwächen. Dieser überbordende Ideenreichtum, der Elan und der Tatendrang, der flinke Geist. Aber man spürte auch die Ruhelosigkeit, dieses intellektuell nirgends richtig angekommen sein, die ungesunde Lebensweise. Trotz aller Wuseligkeit, in der Tiefe ihres Herzens schien sie mir ein einsamer Mensch.
Am späten Nachmittag fuhr mich ihr freundlicher Vater von Odelzhausen zurück nach Augsburg. Bei ECON hat sie dann ein paar Bücher veröffentlicht. Im Frühjahr 2011 wurde bei dieser lebhaften Frau Krebs der Speiseröhre diagnostiziert. Vera Felicitas Birkenbihl starb am 3. Dezember 2011 im Alter von 65 Jahren an einer Lungenembolie. Noch heute wird sie viel gelesen und ist hoch verehrt.
Simone Lieberknecht
Frau Birkenbihl war auch, trotzdem und überhaupt, ihr eigener „Herr“ und es bedarf keiner Besserwisserei oder gar Vorwurf.
Urs W. Blauenstein
Weniger Rauchen wäre wohl gute Selbstberatung gewesen.