Regisseur Werner Herzog am ersten Drehtag im peruanischen Iquitos, im Januar 1981.
Foto: René Pinedo/Collection W. Stock.

Der deutsche Regisseur brüllt seinen Satz hinein in die drückende Hitze Amazoniens. Fitzcarraldo, Werner Herzog Filmproduktion, 1a, die erste, Klappe! Dieser Tag bleibt in meinem Gedächtnis, ich bin der einzige europäische Journalist vor Ort in Südamerika, warum auch immer. Der Kalender zeigt den 4. Januar 1981. Es ist ein wunderbarer Sonntagvormittag.

Kurz vor Mittag steht die Sonne hoch, bei der Massenszene am Malecón von Iquitos. Hier, mitten im Dschungel Perus, in einer Stadt, die von wucherndem Dschungel umgeben ist. Keine Strasse führt zu ihr, keine aus ihr heraus. Die Hitze mit ihrer hohen Luftfeuchtigkeit klebt am Körper als sei man in einer asiatischen Waschküche. Mehr als 1.500 Statisten kommen heute zum Einsatz. Verlegen, fast schüchtern leitet Werner Herzog die Dreharbeiten.

Der Film handelt vom Irrsinn. Fitzcarraldo, ein mittelloser Cauchero, will große italienische Oper in das Amazonaskaff bringen. Dazu muss er einen Flussdampfer über einen Berg hieven. Eine ziemlich durchgeknallte Idee im glühenden Urwald, dem Wahn und der Tollheit nahe. Oder vielleicht auch eine himmliche Träumerei. Und irgendwie ist dieser Werner Herzog aus München ja auch ein Fitzcarraldo.

Je größer die Schwierigkeiten, desto stärker sein Wille, dieses Projekt zu Ende zu bringen. Ein wenig ist Herzog, dessen Thema immer die Obsession war, zu seiner eigenen Filmfigur geworden. Mich interessiert es herzlich wenig, was die deutschen Zeitungen über mich schreiben. Mir ist auch egal, ob die Leute dann in meine Filme gehen, das ist nur ökonomisch relevant. Mich interessiert nur, dass ich den Fitzcarraldo-Film zu Ende bringe.

Der Film ist für das eingeschlossene Iquitos ein Großereignis. Werner Herzog bringt Arbeit in den Amazonas, irgendwo wollen die acht Millionen Dollar auch bleiben: Dolmetscher, Koch, Arzt, Kostümschneider, Fahrer, Klempner, Bootsführer, Mechaniker. In der Calle Putumayo wurde eine geräumige Schneiderei und der Kostümkontor eingerichtet. Für einige Wochen ist Herzog nach dem Militär der größte Arbeitgeber in ganz Amazonien.

Wenn man sich in Iquitos ein wenig umhört, so spürt man schnell die Begeisterung und den Überschwang der Peruaner. Die Filmer seien macho – für einen Mann in diesen Breiten gilt dies als großes Kompliment. Der drahtige Regisseur springt von haushohen Bäumen, der Produzent schlägt sich ohne eine Miene zu verziehen die Hand blutig und der Produktionsleiter George Sluizer durchschwimmt den Amazonas, der hier bei Iquitos so breit ist wie zwanzig Fußballfelder.

Filmarbeit sieht der Bayer Werner Herzog in erster Linie als eine körperliche Herausforderung. Für meine Arbeit wäre es schlimmer, wenn ich ein Bein, als wenn ich ein Auge verlieren würde, verrät er, als wir auf sein Baumhaus steigen, das er in die Gartenanlage hinter der Villa Mercedes außerhalb der Stadt bei Bellavista aufgebaut hat. Ein merkwürdiger Satz für einen Regisseur.

Die Komparsen sind die Dreharbeiten mit vollem Herzen dabei. Die tausend Soles Komparsenlohn am Tag, jene drei Dollar, die dem halben Tageslohn eines Lehrers entsprechen, werden gerne genommen in einem Land, das nach 12 Jahren Militärdiktatur hoffnungslos verarmt ist. Per Megaphon erklären Produzent Walter Saxer und Regisseur Herzog die Szene, erläutern, warum man die helle Farbe der Kleider aufnehmen, warum Kameramann Thomas Mauch die Mütter mit Kindern im Vordergrund filmen möchte.

Der Ton zwischen den Filmern und den Gefilmten ist herzlich, die Komparsen agieren mit spürbarem Elan. Halb Iquitos schaut Fitzcarraldo zu, der einen Amazonas-Dampfer besteigt und mit seinen Kumpanen zum entlegenen Kautschukfeld aufbricht. Die Kumpanen, das sind Mick Jagger und Mario Adorf. Hunderte von Bürgern aus Iquitos, die meisten wohlsituierter Mittelstand, hat man in feine Kostüme aus der Jahrhundertwende gesteckt, die eigens für den Film in hiesigen Schneidereien angefertigt wurden.

Die steil abfallende Uferpromenade bietet mit ihren vielen bunt kostümierten Frauen und Männern ein herausgeputztes, heiteres Bild. Die Molly Aida wird gleich ablegen und die Musikkapelle am Steilufer beginnt, einen zackigen kreolischen Abschiedsmarsch zu spielen. Werner Herzog bittet um Ruhe im Regenwald. Jason Robards, der den Fitzcarraldo spielt, und Claudia Cardinale winken herzlich in die Menge.

Als der Nachmittag so langsam heraufzieht, sind die Szenen des Tages im Kasten. Thomas Mauch schaltet seine Kamera aus und wird von den Einheimischen enthusiastisch beklatscht. Werner Herzog klatscht ebenfalls, den Komparsen zugewandt. Dieser Drehtag gleicht einem fröhlichen Volksfest, und jeder der über tausend Menschen sieht sich an diesem Sonntag als ein kleiner Filmstar. Die Verabschiedung der umstehenden Komparsen erfolgt durch Werner Herzog per Handschlag. Neben mir steht Mick Jagger und auch er gerät ins Schwärmen.

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