Notizen und Anmerkungen von unterwegs

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Over the Rainbow

Rund 200 internationale Musikexperten haben Over the Rainbow zum besten Song des 20. Jahrhunderts gewählt. I don’t agree, dies ist nicht meine Meinung, aber mit etwas Phantasie kann man das so sehen.

Seine Premiere hat das Lied im Jahr 1939 in einem der ersten farbigen Hollywood-Streifen überhaupt, The Wizard of Oz. Der Zauberer von Oz. Die blutjunge Judy Garland singt den Song, wobei sie ihren träumerischen Blick auf die weite, endlose Landschaft richtet. Ein Jahr später erhält Over the Rainbow den Oscar für die beste Filmmusik.

Der große Harold Arlen hat den Song geschrieben, ein sehr trauriges Lied, eine Art Märchenlied über die Sehnsucht nach der heilen Welt, nach dem Land hinter dem Regenbogen, wo der Himmel blau ist und die Träume wahr werden.

Somewhere over the rainbow
Way up high
There’s a land that I heard of
Once in a lullaby

Bei Over the Rainbow bleibt mir immer die junge Judy Garland und die Filmsequenz vor Augen. The Wizard of Oz ist ein lustig-sentimentales Hollywoodprodukt für die ganze Familie: das Waisenmädchen Dorothy und ihre Freunde – der Blechsoldat ohne Herz, der feige Löwe und die Vogelscheuche ohne Verstand – bestehen allerlei Abenteuer auf der Suche nach dem magischen Zauberer von Oz.

Es existieren unzählige Cover-Versionen von Over the Rainbow. In Pop, in Hawaiianisch, in Show, als Kitsch, bei Contest, ein Karaoke-Kracher. Bei Over the Rainbow gibt es alles – die ganze Palette, von dämlich bis stark, von mitreißend bis abenteuerlich.

Das Lied ist bis heute auch ein Jazzstandard. Glenn Miller und seine Big Band haben Over the Rainbow gespielt, auf dem Piano Art Tatum oder Keith Jarrett, in modernen Versionen. Der Song eignet sich wunderbar als Jazzarrangement, weil die einfache Melodie genügend Raum zur Improvisation bietet. Auch hier gilt wieder: Aus einem einfachen Liedchen lässt sich ein musikalisch ambitioniertes Werk schaffen. Wenn es von intelligentem Jazz veredelt wird.

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Miles Davis – Trompeter, Genie, Kotzbrocken

Miles Davis: Time After Time, Montreal 1985.

Der amerikanische Trompeter Miles Davis war für die moderne Musik das, was Pablo Picasso für die Malerei und Charles Chaplin für den Spielfilm waren – ein über Jahrzehnte eigensinniger Innovator und intelligenter Stilpräger.

Miles Davis gilt als Gründer des Cool Jazz, er trieb den Bebop voran und spielte dann im Fusion, jenen Mix aus Jazz und Rock, eine tragende Rolle. Und dann zum Schluss kam der Electric Jazz. Plus populäre Songs. Wenn er mit seiner gestopften Trompete Pop-Balladen wie Time after time zelebrierte, entströmte da die ganze Herrlichkeit und zugleich auch der ganze Schmerz einer suchenden Generation aus seinem goldenen Instrument. Miles ist mehr als ein Musiker, er ist unser Master, der Champion, ein Genius der sperrigen Virtuosität.

Sicher, Miles war kein einfacher Mensch, aber man zeige ein Genie, das einfach wäre. Ein ziemlicher Kotzbrocken soll er gewesen sein. Es gab auch Kritiker, nicht an der Musik, natürlich, aber am Charakter. Wieder einmal hat der liebe Gott, wie schon bei Wagner und Karajan, in einem Anfall von Zerstreutheit eine große Begabung an ein großes Arschloch vergeben, das schrieb beispielsweise der Jazzjournalist Werner Burkhardt über Miles Davis.

Dieser Jazzmusiker war ein Star, jemand der Hallen und ein Festivalgelände locker füllen konnte. Es war schon seltsam, wie Miles Davis da auf der Bühne stand, der Rumpf vornüber gekrümmt, den – naja – verlängerten Rücken dem Publikum zu gewandt. Aber Miles war kein Mann der Kompromisse. Er blieb kompromisslos der Musik verfallen.

Die Musik des Künstlers nimmt das Lebensgefühl einer ganzen Generation auf. Seine surreal hauchende Trompete dient den Pariser Existenzialisten zur Inspiration. Sein brillanter Ton trifft die kühle Leidenschaft der an Gott und an der Welt verzweifelnden jungen Intellektuellen vom Montmartre bis Berkeley .

Er selbst nennt sich Prince of the Darkness. Und er ist von einer beeindruckenden Kreativität. Bitches Brew, We Want Miles, Kind of Blue und Some day my prince will come – mindestens vier Platten plaziert Miles Davis auf der ewigen Bestenliste des Jazz. Konservativ gerechnet.

Man kann Miles Davis zehn Mal, man kann ihn hunderte Male hören, stets entdeckt man etwas Neues, etwas Überraschendes. Die Musik von Miles Davis scheint – so wie eine schöne Liebe – ewig jung zu bleiben und alterslos zu sein. Wenn ich Miles höre, so denke ich, wie kann einem einfachen Stück Blech nur ein solcher Liebreiz und eine solche Schönheit entströmen?

Miles Davis, eigentlich ein Mann für die Ewigkeit. Irgendwann hat es den schwarzen Prinzen dann doch erwischt. 1991 stirbt er in Santa Monica. Er konnte nicht mehr spielen. Lungenembolie sagen die einen, Aids, die anderen. Alles Unsinn, die Wahrheit ist diese: Erst stirbt die Trompete, dann der Mensch.

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