
Mit Mario Vargas Llosa tritt der letzte Autor der lateinamerikanischen Boom-Generation ab. Vom politischen Gewicht war der Peruaner der mächtigste
Von Wolfgang Stock
Anfang der 1970er Jahre, als der Boom der lateinamerikanischen Literatur einem ersten Höhepunkt zusteuerte, hatten wir auf unseren Leselisten vier Namen dick unterstrichen: den des Kolumbianers Gabriel García Márquez, den Mexikaner Carlos Fuentes, den Argentinier Julio Cortázar und den Peruaner Mario Vargas Llosa. Glücklicherweise waren die Talente gleichmäßig verteilt, Schreiben wie die Götter konnten alle. Jeder jedoch marschierte in eine unterschiedliche Richtung. Gabo war der große Phantast, Carlos Fuentes machte Schlagzeilen durch seine Liebschaft mit der engelsgleichen Jean Seberg und Julio Cortázar beeindruckte als ideenreicher Kopf. Doch Mario Vargas Llosa blieb jener, der mit allen Sinnen in der Wirklichkeit stand.
Am Malecón Paul Harris wohnte Vargas Llosa in einer gigantischen weißen Villa mit Blick auf den Pazifik. Dort auf der Anhöhe über der Brandung des Meeres in Limas Stadtteil Barranco waren Don Mario und seine Ehefrau Patricia allerdings nur selten anzutreffen. Eher konnte man ihnen in London, Barcelona oder Madrid über den Weg laufen. Die spanische Hauptstadt wurde in den letzten Jahrzehnten das neue Zuhause, 1993 nahm der Schriftsteller zusätzlich die spanische Staatsbürgerschaft an.
Das erste Mal traf ich Mario Vargas Llosa Anfang der 1980er Jahre in Lima. In den Reichenviertel von Perus Hauptstadt, in Miraflores und San Isidro, hingen über Nacht in jenen Tagen Hunde mit den Hinterpfoten an Laternenpfähle und im Maul der toten Viecher steckte eine Stange Dynamit. Dazu erblickten um Mitternacht die Limeños auf den fernen Hügeln im Osten Feuerkränze aus glühenden Ölfässern, die Hammer und Sichel formten. Den Gruß schickte eine maoistische Terrorgruppe, die sich die Bezeichnung Sendero Luminoso zugelegt hatte. Poetisch war beim Leuchtenden Pfad nur der Name. Am Ende von 10 Jahren Terrorschrecken standen 70.000 Tote.
Im Januar 1983 waren acht Journalisten aus Lima in dem Andennest Uchuraccay von Indios brutal zu Tode gesteinigt worden. Der integre, aber schon etwas senile Präsident Fernando Belaúnde Terry musste eine aufgewühlte Öffentlichkeit beruhigen und berief eine Kommission, um den Schrecken zu verarbeiten. Als Vorsitzenden dieser Kommission berief Belaúnde einen Schriftsteller, der sich schon damals weit über die Grenzen seiner Heimat Respekt erworben hatte. Und so wurde der damals Mittvierziger Mario Vargas Llosa Vorsitzender der dreiköpfigen Untersuchungskommission, die den düsteren Fall aufhellen sollte.
Geboren wurde Jorge Mario Pedro Vargas Llosa im März 1936 in Arequipa, dem Zentrum im Süden Perus. Der Vater Ernest arbeitete als Telegraphist und Flugplatzfunker in Tacna, die Mutter Dora entstammte dem angesehenen Bildungsbürgertum, ihr Vater war Präfekt in Piura. Die weiße Stadt wird Arequipa genannt, weil viele ihrer Straßen und Wege mit dem hellen Stein des Vulkans El Misti gepflastert sind. Das koloniale Arequipa ist ein großes Dorf, in dem die Uhren gemächlich gehen. Mit Lima, dem hektischen Gedröhne und seinem flatterhaften Bürgertum, ist Vargas Llosa eigentlich nie so richtig warm geworden. Schon früh zog es ihn nach Europa, nach Paris und Barcelona.
Mario Vargas Llosa hat über zwei Dutzend Romane veröffentlicht. Kritiker und Leser loben vor allem sein Frühwerk. Die Stadt und die Hunde (La ciudad y los perros), Gespräch in der Kathedrale (Conversación en La Catedral) und Das grüne Haus führten weltweit zu seinem Durchbruch als Autor. Der Peruaner überzeugte als ein opulenter Geschichtenerzähler und als ein vollendeter Handwerker der Sprache. Dabei orientierte er sich am Konzept des totalen Romans und des komplexen Erzählens, deren Aufgabe darin liegt, ein umfassendes Abbild der Wirklichkeit in all seinen Facetten zu schaffen.
Besonders La casa verde ist ein Werk sprachlicher Genialität. Dieser virtuos verschachtelte Roman aus dem Jahr 1966 gehört zu den sprachstärksten hispanischen Werken überhaupt. Das grüne Haus versteht sich mit all seinen Handlungssträngen und zahlreichen Protagonisten als metaphorische Annäherung an das ganze Land. Es schildert die laszive Lebensfreude