Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Schlagwort: Swing

Teddy Stauffer erklärt den Swing

Teddy Stauffer im mexikanischen Acapulco, November 1982; Photo by W. Stock

Verächtlich wurden sie in den Nazi-Jahren Swingheinis genannt, um zu zeigen, dass sich hier nicht das Gute, Schöne und Wahre der deutschen Kultur manifestiere. Und der beste Swingheini in Deutschland ist der Schweizer Teddy Stauffer gewesen. Über 300 Schallplatten haben Teddy Stauffer und seine Original Teddies in den 1930er Jahren aufgenommen. Das ist Rekord.

In den Hitlisten stehen sie in dieser freudlosen Zeit immer ganz oben. In Berlin und Leipzig sind Teddy und seine Mannen in jenen Jahren so bekannt wie heute Lady Gaga und Madonna zusammen. Die Stauffer Band ist smooth gewesen, swinging und vor allem hot. The hottest Band in Town. Und hot bedeutet in jener Zeit sehr amerikanisch. Als ich Teddy Stauffer im November 1982 zuhause in Acapulco besuche, unterhalten wir uns auch über die Swing-Musik in der Weimarer Republik.

Als Quartett – Willi Mussi, Walo Linder, Pole Guggisberg und Ernest Stauffer – verlassen die Jungjazzer 1929 ihre heimatliche Berner Provinz in Richtung Berlin. Vier übergeschnappte Jungs auf der Suche nach dem Abenteuer. „Wir waren damals drei Schlagzeuger und ein Pianist, als wir in Berlin ankamen“, sagt Teddy Stauffer und lacht über sein braungegerbtes, faltiges Gesicht. Nach und nach bauen sie die Band bis zum Orchester aus. 

Als Bandleader zelebriert Teddy Stauffer den großen Auftritt, er gefällt sich in der Rolle

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Teddy Stauffer kann das braune Pack nicht ausstehen

Teddy Stauffer auf der Terrasse seines Apartments im mexikanischen Acapulco, im November 1982;
Photo by W. Stock

Einige Zeit haben die Nazis die Swing-Musiker in Ruhe gelassen. Eine trügerische Ruhe. Denn die Braunhemden haben die synkopierte Musik als entartete Kunst gehasst und bekämpft. Doch Teddy Stauffer war Schweizer und bei ihm hätte man diplomatische Verwicklungen riskiert. Zudem wollten die Nazis vor den Olympischen Spiele 1936 der Welt ein freundliches und sauberes Idyll vorgaukeln.

Teddy Stauffer und seine Original Teddies, damals Deutschlands bekannteste Swing-Band, befinden sich im Berlin der 30er Jahre auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. Doch nach 1936 nimmt die Pression zu. Die Nazis verachten die Musik aus Amerika, seit 1935 darf Jazz nicht mehr im deutschen Rundfunk gespielt werden und nun werden auch öffentliche Auftritte schwieriger.

Der 73-Jährige führt mich auf die Veranda seiner Turmvilla in Acapulco, so als müsste er nach frischer Luft schnappen. Im November 1982 bin ich zu Besuch bei Teddy Stauffer in Mexiko, seiner neuen Heimat, und der berühmte Orchesterchef erzählt aus seinem bewegten Leben.

Wir spielten 1938 in Leipzig, im Felsenkeller, wo auf der Bühne und vor der Tanzfläche große Plakate hingen: Swing tanzen und Swingmusik verboten – Reichsmusikkammer. Zwischen zwei Musikstücken kam plötzlich die Gestapo auf die Bühne und stoppte das Konzert. Der Gestapoleiter sagte ganz formell: ‚Man hat reklamiert, dass Sie Swingmusik spielen.‘ Da meinte ich: ‚Ja, was ist denn das, Swingmusik?‘ Er konnte es natürlich nicht erklären.

Über das Gesicht des betagten Mannes huscht ein verschmitztes und zufriedenes Lächeln, während seine Augen zu dem blauen, sanften Meer vor Acapulco schweifen. Dann verdunkelt sich seine Miene und er versucht im nächsten Satz den melodiösen Klang seines Schweizerspanischs mit dem ruppigen Tonfall des Nazideutschs zu überspielen.

‘Spielen Sie keine deutschen Schlager?‘, fragte der Gestapomann hart. Da habe ich zu meinen Musikern gesagt, Nummer 43, das war ‚Bei mir bist Du schön‘. Das hört sich schön deutsch an, ist aber ein hundertprozentig jüdisches Lied. Das haben wir dann gespielt, aber die Gestapo sagte, dies sei immer noch amerikanische Negermusik. Daraufhin spielten wir den ‚Bugle Call Rag‘, aber im Marschrhythmus. In seinem Klarinettensolo hat Ernst Höllerhagen dann über das Horst-Wessel-Lied, die inoffizielle Nazi-Hymne, improvisiert. Das war so der Anfang von meinem Ende in Deutschland.

Der Völkische Beobachter, die Tageszeitung der Nazis, und ein Musikfachblatt griffen Stauffer und die Band dann an und schrieben: Raus mit diesen Ausländern und der Judenmusik. Das Ende der Schweizer Swing-Band in Deutschland war dann abzusehen. Die Teddies spielten auf der Schweizer Landesausstellung, als der Geisteskranke aus der Berliner Reichskanzlei 1939 den Überfall auf Polen befahl.

Der Krieg, vor dem so viele gewarnt haben, ist da. Es wird ein Krieg, an dessen Ende halb Europa in Schutt und Asche liegen wird und Millionen von Müttern, Vätern und Kindern in Konzentrationslagern um ihr Leben gebracht sein werden.

Doch Deutschland befindet sich im Kriegstaumel. Es herrscht Mobilmachung, die deutschen Musiker der Teddies werden eingezogen. Das Orchester zerbricht. Nein, nein, Widerstandskämpfer sei er nicht gewesen, meint Teddy Stauffer, das sei zu viel der Ehre. Er habe einfach dieses braune Pack mit seiner bornierten und freudlosen Auffassung vom Leben nicht ausstehen können.

Und im Jahr 1941 packt Teddy Stauffer dann seinen Koffer, fährt mit einem Dampfer über den Atlantik nach New York, geht nach Hollywood und wird viele Monate später hier in Acapulco stranden. Es wird für Teddy eine Vertreibung ins Paradies.

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Teddy Stauffer: Der Swing-König im Paradies

Teddy Stauffer
Teddy Stauffer, im November 1982, in Acapulco, am mexikanischen Pazifik. Foto: W. Stock

Acapulco, im November 1982

Stauffer, Teddy 41161, steht im Telefonbuch von Acapulco, Av. Villa Vera S/N. Dieses S/N Sin Número – ohne Hausnummer – in der Avenida Villa Vera mag in Mexiko zweierlei bedeuten. Zum einen kann sich die Adresse in einer solch elenden Gegend befinden, dass die Stadtverwaltung bislang nicht von ihr Notiz nehmen mochte. Zum anderen freilich kann das Stadtviertel so fein und exklusiv sein, dass man den Prachtvillen eine profane Hausnummer nur ungern zumuten mag. „Kommen Sie morgen um zehn!“, lässt uns freundlich eine Männerstimme am Telefon in schweizerspanischem Tonfall wissen.

Wenn Teddy Stauffer Besuch empfängt, so lässt er eine schmale, zwei Meter lange Zugbrücke aus Holz herunter, die seinen Wohnturm von der Strasse trennt. Die Villa Vera ist oberhalb des Stadtzentrums in den Hang gebaut und gilt mit seinem luxuriösen Swimmingpool und dem Racquet Club als die mondäne Luxusherberge der Stadt. Von Teddys Hotelturm aus erhält man einen atemberaubenden Blick auf die Bucht von Icacos und den kilometerlangen Strand, der wie eine Sichel den mexikanischen Badeort umläuft. In etwa so, denke ich bei mir, muss der liebe Gott sich das Paradies vorgestellt haben. 

Ins Paradies vertrieben, aus Nazi-Deutschland. In den späten 30ern ist der Schweizer Teddy Stauffer der Swing-König von Berlin, gefeiert und bejubelt. Die Stadt ist in jenen Jahren die europäische Metropole schlechthin, ein Schmelztiegel, in dem Künstler und Halbkünstler, Seidene und Halbseidene das turbulente Leben bei Tag und insbesondere bei Nacht bestimmten. Innerhalb von fünf Jahren können sich die Teddies in der Berliner Szene einen beachtlichen Ruf erwerben und man sieht sich in der Lage, die kleine Swing-Band nach und nach durch junge, talentierte Musiker zum Orchester zu erweitern. 

Nach braunen Schikanen und Kriegsausbruch, längst wieder in Bern, packt Teddy Stauffer im Jahr 1941 seinen Koffer, lässt die Heimat, auch Band und Musik hinter sich, und fährt mit dem Dampfer über den Atlantik nach New York. Dann nach Hollywood, er versucht sich als Filmkomponist, und nach abenteuerlichen Wirrungen und Fügungen wird der hochgewachsene Schweizer viele Monate später in Mexiko, in Acapulco, stranden.

Neben dem früheren Staatspräsidenten Miguel Alemán, dessen Einsatz Ende der 40er Jahre die touristische Erschließung Acapulcos voranbringt, hat Teddy Stauffer am meisten dafür getan, dass heute alle Welt diese Stadt am Pazifik kennt. Folgerichtig bezeichnen ihn die Amerikaner als Mister Acapulco, während er von den Einheimischen liebevoll Señor Teddy genannt wird.

Und Teddy Stauffer sorgt dafür, dass all die Leinwandgrößen, Troubadoure und dralle Divas hinab ins Acapulco Dorado – ins vergoldete Acapulco – pilgern und froh sind, ohne Schlips und Kragen ins richtige Leben springen zu dürfen. Nach und nach kommt die ganze Hautevolee ins sonnenverwöhnte Aca, wie man das unbekümmerte Seebad bald zu nennen pflegt.

Und der mexikanisierte Schweizer Teddy Stauffer spielt den Gastgeber all dieser Käsegesichter, die sich nun blicken lassen. John Wayne rückt an und kauft gleich ein Haus, die superblonde Kim Novak überstrahlt alles, Tarzan Johnny Weissmuller kommt und sollte bis an sein Lebensende bleiben, Liza Minnelli wird Dauergast und ohne den alten Kumpel Frank Sinatra läuft natürlich gar nichts.

Es wird eben dieser Francis Albert Sinatra aus Hoboken/New Jersey sein, dem im Jahr 1958 das Privileg zufallen wird, die swingende Hymne auf diese Stadt singen zu dürfen. Und dann singt der Crooner so ungestüm wie nie, zugegeben, unter kräftiger Mithilfe der Herren Sammy Cahn, Jimmy Van Heusen und Jack Daniels:

Weather wise it’s such a lovely day
You just say those words, and we’ll beat the birds
Down to Acapulco Bay
It’s perfect for a flying honeymoon – they do say
Come fly with me, we’ll fly, we’ll fly away…

In den letzten Jahren ist ihm, der noch das kleine Fischerdorf von 8.000 Bewohnern kannte, Acapulco ein wenig fremd geworden. Meine wunderschöne Bucht von Acapulco ist verschwunden, meint Teddy Stauffer ein wenig bitter. Statt dessen erblicke er aus seinem Turm am Berghang die wuchtigen Condominiums und Hotelbauten, die den Blick auf das azurblaue Wasser verstellen.

Bei aller Melancholie mag Teddy das süße Leben, die Frauen, die wilde Jazzmusik, er kennt alle Großen der Glitzerwelt, und alle kennen ihn. Der Mann ist ein Träumer, vielleicht ein Traumtänzer, bisweilen möglicherweise gar ein Hallodri. Ein Romantiker jedenfalls, jemand, der die Geige streicheln kann, das Saxophon spielt, jemand, der weiß, wer Jimmie Lunceford ist, und wie man eine Rita Hayworth rumkriegt. Als ob das nicht schon reichen würde.

Ob er denn nicht ab und an Heimweh nach der Schweiz, nach dem ruhigen Bern und dem beschaulichen Murtensee verspüre, frage ich ihn. „Ach, wissen Sie“, antwortet der 73-jährige Musiker, „seit vierzig Jahren laufe ich hier in Acapulco barfuss herum. Ich glaube, an richtige Straßenschuhe könnte ich mich gar nicht mehr gewöhnen.“ Also, wenn das kein überzeugendes Argument ist. Nicht zuletzt aus einem solchen Grund passt Teddy so gut zu Acapulco. Aber wohl auch Acapulco zu Teddy, möchte man rasch hinzufügen.

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