Ein Abendbummel durch das kleine venetianische Fischerdorf Caorle. Hier an der adriatischen Küste, eine gute Stunde östlich von Venedig, wartet in der pittoresken Altstadt eine seltsame Überraschung auf mich.
In die Ecke der Fensterscheibe eines dieser typischen farbenfrohen Häuser hat jemand liebevoll und ohne triftigen Anlass das schwarz-weiße Portrait eines älteren, bärtigen Mannes geklebt. Nein, nein, kein Christusbild, und auch nicht den Baghwan, alles ganz falsch, es ist ein anderer. Das Foto zeigt den Schriftsteller Ernest Hemingway.
Es bleibt ein bemerkenswerter Umstand, dass dieser Nobelpreisträger seine Spuren hinterlassen hat und gerade auch von einfachen Menschen mit großer Passion gelesen wird. Selbst Leute, die sonst selten ein Buch in die Hand nehmen, erliegen der Faszination seiner Stories und Romane.
Hemingway beherrscht wie kein anderer die Kunst des knappen Satzes. Jene schnörkellose Prosa, die sich kurz und flott erliest, jedoch in jeder Zeile auch die Muskeln spielen lässt. Diese Kühle der Sprache passt nicht nur zu Hemingways Helden, sondern drückt zugleich das Lebensgefühl vieler Generationen aus.
Hemingways Themen und Sprache sind wirklich und wahrhaftig. Der Autor greift voll rein ins richtige Leben. Hemingway spricht vor allem Männer an, jene Mannskerle, die von Misserfolg, zerplatzten Träumen und Niederlagen desillusioniert sind. Männer, die etwas riskieren im Leben, jedoch mühselig auf dem schmalen Grat zwischen Triumph und Absturz balancieren.
Und so mögen ihn die Leute, meist Männer, mit denen ich gesprochen habe. Einfache Fischer, Kellner, Farmer und Besitzer von Restaurants und Kiosken. Wenn man nur den Namen Hemingway erwähnte, dann sprudelte es nur so aus ihnen heraus. Warum nur? Wohl weil Hemingways menschliche Helden nahe der Wirklichkeit laufen. Ihre Gefühlswelt ist dem Leser nicht fremd. Es ist das tatsächliche Leben, über das geschrieben wird. Die Suche nach Männlichkeit, das Streben nach Glück, der Versuch des Sieges und dann doch die Pleite. Hemingways Thema besitzt eine fast religiöse Konnotation: die Sehnsucht nach dem Absoluten, das sich in dieser Welt nicht finden lässt.
Solches spricht den Leser an, ein tiefes Inneres wird berührt. Kein anderer Schriftsteller hat diese Verzagtheit und diese Bedrängtheit des Menschen prägnanter geschildert als Hemingway. Aber auch die Verlockung, die Träume und die Hoffnung des Menschen vermochte kein Autor eindringlicher in Worte fassen als dieser bärtige Amerikaner Ernest Hemingway, dem dafür noch heute Verehrung gezollt wird. In Venedig, in Paris, in den Bergen Idahos, am Pazifik in Cabo Blanco, auf Kuba. Wo auch immer. Und, das ist das eigentliche Phänomen, nicht nur von Literaturkennern, sondern ebenso von einfachen Menschen.
Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.
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Zwar kenne ich nicht alle Bücher Hemingways, aber so wie Sie IHN schildern, so scheinen die Protagonisten in seinen Büchern autobiografische Züge zu zeigen. Richtig? Niemand kann so „echt“ schreiben, wenn er nicht selbst so ist, wie er Menschen charakterisiert. Schließlich muss er es ja wissen, wie es in den von ihm beschriebenen Menschen aussieht.
Ansonsten: Vielleicht sind sie wirklich so – die Männer. Auf irgendeine Weise Grenzgänger.