In der Clemensstrasse in Schwabing findet Ret Marut Unterkunft. Foto: W. Stock, Mai 2021.

Die Clemensstrasse 84, ein viergeschossiges Haus mitten in München, ist die ehemalige Adresse eines Großen der deutschen Literatur. Auf dem dritten Stockwerk, in einer 3-Zimmer-Wohnung, hat der Schriftsteller Ret Marut von 1915 bis 1919 gewohnt und gearbeitet. Dieser rätselhafte Ret Marut, es ist ein Pseudonym, zeichnet in jenen Jahren als Verleger und Hauptautor einer sozial-radikalen Zeitschrift mit dem Titel Der Ziegelbrenner. Von Düsseldorf kommend hat sich Ret Marut, von Beruf Schauspieler und Autor, in der Clemensstrasse eingemietet.

Die Polizeidirektion München verfasst mit Datum 19. 11. 1917 ein Dossier über die suspekte Person: Marut, Ret, geb. 25. Februar 1882 in San Franzisko, amerikanischer Staatsangehöriger, Schauspieler, Schriftsteller, ist seit 3. 7. 1917 hier im Aufenthalt und z. Zt. Clemensstrasse 84/3, in Wohnung gemeldet. Was die Polizei allerdings nicht weiß: Der Name ist falsch, die Nationalität ebenfalls, der Geburtsort ist frei erfunden. So gut wie alle Angaben, die Ret Marut den Behörden mitteilt, sind geschwindelt und gelogen.

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Clemensstrasse 84 in München-Schwabing. Foto: W. Stock, Mai 2021.

An Ret Marut erinnert heute eine Gedenktafel am Wohnhaus in der Clemensstraße 84 in Schwabing. Seine Stieftochter Malú Montes de Oca Luján ist im Mai 2019 eigens zur Enthüllung aus Mexiko nach Deutschland gekommen, tatkräftig unterstützt von der Internationalen B. Traven Gesellschaft. Es ist vor allem das Verdienst der beiden Stieftöchter und deren Ehemänner, die in Vorträgen und auf Internet-Portalen das Andenken an den Schriftsteller wach halten. 

In der Parallelstrasse, der Herzogstrasse mit der Hausnummer 45, wohnt in jenen Jahren Irene Mermet, Maruts Lebensgefährtin und zugleich seine Verlegerin. Das Haus gibt es nicht mehr, es wurde schon vor Jahrzehnten abgerissen. Als Tochter eines Kölner Kohlehändlers besitzt Irene Mermet finanzielle Mittel, mit deren Hilfe sie die Publikationen ihres Freundes unterstützt. 

Nach Kriegsende und Proklamation der Münchner Räterepublik am 7. April 1919 arbeitet Ret Marut als Zensor der bürgerlichen Tageszeitungen und fungiert bis zum 13. April als Leiter des Presseausschusses im revolutionären Zentralrat. Nach der Niederschlagung der nur einen Monat dauernden Räterepublik muss Marut – nun steckbrieflich gesucht – rasch abtauchen. Kurz vor seiner standrechtlichen Erschießung durch ein Feldgericht der Weißgardisten fliehen Marut und Mermet ins Rheinland. Kurz danach ist Ret Marut dann ganz von der Bildfläche verschwunden. 

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Eine Gedenktafel ziert seit 2019 das Wohnhaus von Ret Marut, alias B. Traven, in der Clemensstrasse. Foto: W. Stock, Mai 2021.

Jahre später, im Juli 1924, taucht er dann wieder auf. Im fernen Mexiko. Mit ganz anderem Namen. Wieder ein Phantasiename. Aus Ret Marut wird B. Traven. In Acapulco hält sich dieser B. Traven ab 1930 versteckt, wo er ein kleines Landhaus mit einen großen Obstgarten außerhalb des Zentrums bewohnt. El Parque Cachú an der Avenida Costa Grande 901 ist ein durch viel Gestrüpp bewuchertes Anwesen mit einer bescheidenen Gastwirtschaft an der Strasse nach Pie de La Cuesta.

In Acapulco erhält Traven seinen ersten mexikanischen Personalausweis. Gastwirt trägt er in manchen Lebenslauf als Berufsbezeichnung ein, im Jahr 1951 wird er mit dem falschen Namen Traven Torsvan eingebürgert. Der geheimnisvolle Autor arbeitet viel im Obstgarten, ansonsten schreibt er in an seinen Romanen. Und B. Traven wird in Mexiko ein Schriftsteller von Weltruf.

El Tesoro de la Sierra Madre – Der Schatz der Sierra Madre – lautet sein bekanntester Roman. Er wird von John Huston mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle großartig für Hollywood verfilmt. Der Filmerfolg macht die Welt neugierig auf diesen mysteriösen B. Traven. Dieser versteckt sich währenddessen weiterhin in seiner Huerta in Acapulco am Meer und schreibt ein halbes Dutzend detailreicher Romane. Sein Herz schlägt für die Abgehängten und Entrechteten, für die Tagelöhner und mittellosen Campesinos, für die unterdrückten Indios und die vogelfreien Wanderarbeiter. Er schreibt über Mexiko, die Mexikaner verehren den Deutschen wie kaum einen Zweiten.

Nach zwei Jahrzehnten an der Pazifikküste zieht es ihn nach Mexiko-Stadt, dort heiratet er seine Übersetzerin Rosa Elena Luján. Da sich B. Traven nach wie vor zurückgezogen in seinem Haus im Zentrum der Hauptstadt verkriecht und rar macht, gewinnen die Flunkereien um den geheimnisvollen Schriftsteller an Eigenleben. B. Traven nutzt im Laufe seines Lebens nicht weniger als 27 verschiedene Namen, seinen richtigen aber nie. Der Autor von 13 erfolgreichen Romanen schirmt sich in Mexiko vor der Neugier der Journalisten ab, er bleibt bis zuletzt ein scheuer und misstrauischer Mann.

Das Phantom namens B. Traven stirbt am 26. März 1969 in Mexiko-Stadt. Seine Witwe, Rosa Elena Luján, erklärt auf einer internationalen Pressekonferenz, dass sich hinter B. Traven der deutsche Schriftsteller Ret Marut verbirgt. Die ganze Wahrheit kommt erst ein Jahrzehnt später ans Licht. Der Journalist Will Wyatt macht 1978 in der BBC-Dokumentation The man who was B. Traven in englischen und amerikanischen Archiven erhellende Funde. Protokolle der Polizei und der Einwanderungsbehörden lassen wenig Zweifel. B. Travens/Ret Maruts echter Name lautet Hermann Otto Albert Maximilian Feige, im Februar 1882 in Schwiebus, im heutigen Polen geboren. Er bleibt als B. Traven unsterblich, in Mexiko, in Schwabing, auf der ganzen Welt.

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