Wer in den letzten Wochen in einem deutschen Fußballstadion ein Spiel besuchte, der erlebte Erstaunliches und auch Erschreckendes. Dort, wo sonst vor dem Spiel und während des Matches die Fans brüllten und sangen, war es nun mucksmäuschenstill.
Denn die Fans hatten einen stillen Protest verabredet. Die ersten 12 Minuten und 12 Sekunden des Spiels war aus den Fankurven nichts zu hören – nur Stille und Schweigen.
Dann, nach genau 12 Minuten und 12 Sekunden, die letzten 10 Sekunden werden heruntergezählt, bricht das übliche Gebrüll und Getöse aus, die Fans beider Seiten feuern ihre Mannschaften lautstark an. Wer dieses Wechselbad von Ruhe und Radau miterlebt hat, der kennt nun den Unterschied zwischen Oper und Rockkonzert.
Ohne die lautstarke Unterstützung durch die Fans ist lebendiger Fußball nicht zu denken. Der 12/12-Protest – kreativ und vollauf gelungen. Dieses 12/12 spielt auf den 12. Dezember an, der Tag, an dem die DFL Maßnahmen zum Sicheren Stadion erörtern will.
Der Protest der Fans richtet sich insbesondere gegen die Forderung nach Ganzkörperkontrollen, gegen Gruppenhaftung und Kollektivstrafen sowie gegen die pauschale Verdächtigungen von Fangruppen. Ein Horrorszenario für Fußballfans ist in der Diskussion: die Abschaffung der Stehplätze, Einlasskontrollen wie am Flughafen, digitale Gesichtserkennung, Stadionverbote.
Der Protest der Fans sollte als Gesprächsangebot gewertet werden. DFL und DFB sowie die Innenminister der Länder sollten auf die Fangruppen zugehen und versuchen, die Probleme gemeinsam zu lösen. Doch auch die Fangruppen müssen in die Pflicht genommen werden. Krach ja, aber Krawall nein! Keine gefährliche Pyrotechnik, keine Gewalt, kein Rassismus. Hier ist freilich mehr auf die Selbstreinigungskraft in der Fanszene statt auf Law and Order zu setzen.
Hinter den Fanprotesten steht wohl auch die Furcht, dass man sie – die Treuen der Treuen – ihres Sportvergnügens beraubt. Denn in der Tat haben die Fußballklubs in den letzten Jahren, nicht zuletzt mit Hilfe der modernen Stadien, die Gentrifizierung der Bundesliga kräftig voran getrieben. Es wurden Logen gebaut, Business Seats eingeführt und der Fussball – vor, während und nach dem Spiel – als kommerzielles Event positioniert.
Der Spagat zwischen Kommerz und Kultur muss auch beim Ballsport gelingen. In meinen Augen braucht es alle. Den Geschäftskunden, der das Geld bringt, ebenso wie den Stehplatz-Fan, der die Mannschaft anfeuert. Auch diese Bandbreite macht die Fußballkultur aus. Sie gilt es, mit Augenmaß, zu bewahren.
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