Schneefall in den TropenAuszug aus Wolfgang Stock Schneefall in den Tropen:

Mit jedem Tag werden es mehr Männer, die von Hoffnung und Verzweiflung getrieben, sich in die Täler und Flussläufe von Madre de Dios aufmachen. Madre de Dios heißt ins Deutsche übersetzt Muttergottes, was für einen Landstrich voller Gold in der Erde eigentlich kein schlechter Name ist.

Und so hegen hier viele den Glauben, in den unwegsamen Goldfeldern ihrem geschundenen Leben eine Wende zum guten geben zu können. Dreißigtausend, vielleicht auch vierzigtausend Goldwäscher durchkämmen die steinigen Flussläufe dieser Einöde zwischen Peru und Brasilien.

Laberinto, ein verregnetes Fleckchen am Flussufer des Rio Inambari, sieht aus wie die baufällige Kulissenstadt eines drittklassigen Western, die man vor vielen Jahren vergessen hat, abzubauen. Das Dorf, 60 Kilometer westlich der Provinzhauptstadt Puerto Maldonado, ist der letzte Außenposten der Zivilisation, bevor es zu den Goldfeldern geht. Ab Laberinto gilt das Gesetz des Goldes

Nicht mehr als zweihundert Bewohner zählt Laberinto. Goldwäscher, Schmuggler, Händler, Prostituierte, ein paar zwielichtige Bankiers, die alle auf den Hauptgewinn in dieser Lotterie der Natur hoffen.

Der Stadt, mit ihren verlausten Hunden und den grunzenden Schweinen, die sich in Schlammpfützen suhlen, haftet allerdings so gar nichts Glänzendes an. Wer nach Laberinto kommt und nicht dem Golde nachjagt, der spürt wenig vom Glamour des Edelmetalls. Vielmehr erkennt er schnell jene Trostlosigkeit und Traurigkeit beim Blick in die Gesichter der Männer, die ihren Rausch ausschlafen im Halbdunkel der nach Bier und Kotze stinkenden Kneipen.

Das Hotel Lira – wobei jeder rechtschaffenen Schreibmaschine der Dienst versagen müsste, wollte man dieses Gebäude als Hotel bezeichnen – ist ein muffiges zweigeschossiges Bretterhaus ohne jede zivilisatorische Grundannehmlichkeit, für die man ansonsten auch in den billigen Hotels dieser Welt sein Geld hinterlässt. Der Schuppen ohne fließend Wasser und mit seinen verlausten Matratzen ist mehr Treffpunkt und Nachrichtenbörse der Mineros als Schlafplatz.

Die Goldsucher erliegen der herben Kargheit des Lira mit seinen Zimmern voller Schmutz, den harten Schlafpritschen und der verdreckten Gemeinschaftstoilette im Hof nicht nur, weil es die einzige Unterkunft am Platze ist, sondern weil all die düstere Spärlichkeit des Lira der schiere Luxus erscheint im Vergleich zur Mühsal der Dschungeltrips, von denen die Goldwäscher müde und ungewaschen zurückkommen.

Auch das elektrische Licht im Lira, das über einen Generator erzeugt wird, tut seinen Dienst nur bei gutem Zureden und an hohen Feiertagen. Bei unserem Besuch ist es ab 7 Uhr abends so dunkel, dass man den Gestalten auf dem Flur fragend zurufen muss, wer denn der Gegenüber sei.

In der ersten Nacht im Lira hämmern zwei Betrunkene an unsere Zimmertür und drohen sie einzutreten. Wir sollen unser Gold herausrücken, brüllen sie, weil sie uns wohl für Goldsucher halten. Prensa alemana, brülle ich laut in schlechtem Spanisch durch die Türe, deutsche Presse. Hoffend, dass Deutsch und Presse für die Betrunkenen abschreckend genug klingen. Es wirkt, die beiden Saufkumpane lassen von ihrem Bubenstück ab.

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