Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Schlagwort: downbeat

Over the Rainbow

Rund 200 internationale Musikexperten haben Over the Rainbow zum besten Song des 20. Jahrhunderts gewählt. I don’t agree, dies ist nicht meine Meinung, aber mit etwas Phantasie kann man das so sehen.

Seine Premiere hat das Lied im Jahr 1939 in einem der ersten farbigen Hollywood-Streifen überhaupt, The Wizard of Oz. Der Zauberer von Oz. Die blutjunge Judy Garland singt den Song, wobei sie ihren träumerischen Blick auf die weite, endlose Landschaft richtet. Ein Jahr später erhält Over the Rainbow den Oscar für die beste Filmmusik.

Der große Harold Arlen hat den Song geschrieben, ein sehr trauriges Lied, eine Art Märchenlied über die Sehnsucht nach der heilen Welt, nach dem Land hinter dem Regenbogen, wo der Himmel blau ist und die Träume wahr werden.

Somewhere over the rainbow
Way up high
There’s a land that I heard of
Once in a lullaby

Bei Over the Rainbow bleibt mir immer die junge Judy Garland und die Filmsequenz vor Augen. The Wizard of Oz ist ein lustig-sentimentales Hollywoodprodukt für die ganze Familie: das Waisenmädchen Dorothy und ihre Freunde – der Blechsoldat ohne Herz, der feige Löwe und die Vogelscheuche ohne Verstand – bestehen allerlei Abenteuer auf der Suche nach dem magischen Zauberer von Oz.

Es existieren unzählige Cover-Versionen von Over the Rainbow. In Pop, in Hawaiianisch, in Show, als Kitsch, bei Contest, ein Karaoke-Kracher. Bei Over the Rainbow gibt es alles – die ganze Palette, von dämlich bis stark, von mitreißend bis abenteuerlich.

Das Lied ist bis heute auch ein Jazzstandard. Glenn Miller und seine Big Band haben Over the Rainbow gespielt, auf dem Piano Art Tatum oder Keith Jarrett, in modernen Versionen. Der Song eignet sich wunderbar als Jazzarrangement, weil die einfache Melodie genügend Raum zur Improvisation bietet. Auch hier gilt wieder: Aus einem einfachen Liedchen lässt sich ein musikalisch ambitioniertes Werk schaffen. Wenn es von intelligentem Jazz veredelt wird.

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Arnett Cobb – der Saxophonist, der nicht gehen kann

Den Haag, im Juli 1978; Photo by Volker Wagner

In der Rückschau fragt man sich, welches denn der schönste Jazz-Song war, den man je im Konzertsaal erleben durfte. Da könnte ich einige aufzählen. Der allerschönste Jazz-Moment, live und heftig, jedoch fällt mir sofort ein. Es ist Sommer, ein Juli im Jahr 1978.

Arnett Cobb, ein Tenorist mit einem dunklen, erdigen und vollen Ton, der auch The wild man from Texas genannt wird. Ein Autounfall hat ihm in den 50er Jahren beide Beine zertrümmert, so dass er sich nur noch auf Krücken fortbewegen kann.

Nun steht dieser Mann, von Krankheit gezeichnet, fröhlich auf der breiten Bühne, zwischen zwei Krückstöcken eingehängt. Er hebt das wuchtige Tenorsaxophon, und bläst so, als ob der Teufel hinter ihm her sei. Und wahrscheinlich ist der Teufel ja wirklich hinter ihm her.

Man spürt, dieser Arnett Cobb bläst um sein Leben, er bläst gegen die verdammte Krankheit, gegen die Krücken und er bläst gegen den Tod. Da kommt eine Menge zusammen.

Arnett Cobb is back nennt er trotzig seine Schallplatte aus dem Jahr 1978. Und das ist er jeden Abend, bei jedem Konzert. Er ist zurück, oder besser, er ist noch da, dieser lyrische Tenor mit seinem ruppigen Ton.

Ihm zur Seite an diesem Abend, Lionel Hampton, der Meister des Vibraphons, einer der ganz Großen der Swing Ära. Schon seit 1942 musizieren sie zusammen. Sie spielen einen langsamen Song, eine Ballade, ich glaube es war Misty von Erroll Garner.

Nur die beiden. Tenorsaxophon und Vibraphon. Alleine auf der Bühne. Misty. Unerreicht. Es ist ganz still im Saal. Der Song vollendet ein Leben. Arnett Cobb ist jetzt ganz nahe bei Gott.

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Teddy Stauffer kann das braune Pack nicht ausstehen

Teddy Stauffer auf der Terrasse seines Apartments im mexikanischen Acapulco, im November 1982;
Photo by W. Stock

Einige Zeit haben die Nazis die Swing-Musiker in Ruhe gelassen. Eine trügerische Ruhe. Denn die Braunhemden haben die synkopierte Musik als entartete Kunst gehasst und bekämpft. Doch Teddy Stauffer war Schweizer und bei ihm hätte man diplomatische Verwicklungen riskiert. Zudem wollten die Nazis vor den Olympischen Spiele 1936 der Welt ein freundliches und sauberes Idyll vorgaukeln.

Teddy Stauffer und seine Original Teddies, damals Deutschlands bekannteste Swing-Band, befinden sich im Berlin der 30er Jahre auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. Doch nach 1936 nimmt die Pression zu. Die Nazis verachten die Musik aus Amerika, seit 1935 darf Jazz nicht mehr im deutschen Rundfunk gespielt werden und nun werden auch öffentliche Auftritte schwieriger.

Der 73-Jährige führt mich auf die Veranda seiner Turmvilla in Acapulco, so als müsste er nach frischer Luft schnappen. Im November 1982 bin ich zu Besuch bei Teddy Stauffer in Mexiko, seiner neuen Heimat, und der berühmte Orchesterchef erzählt aus seinem bewegten Leben.

Wir spielten 1938 in Leipzig, im Felsenkeller, wo auf der Bühne und vor der Tanzfläche große Plakate hingen: Swing tanzen und Swingmusik verboten – Reichsmusikkammer. Zwischen zwei Musikstücken kam plötzlich die Gestapo auf die Bühne und stoppte das Konzert. Der Gestapoleiter sagte ganz formell: ‚Man hat reklamiert, dass Sie Swingmusik spielen.‘ Da meinte ich: ‚Ja, was ist denn das, Swingmusik?‘ Er konnte es natürlich nicht erklären.

Über das Gesicht des betagten Mannes huscht ein verschmitztes und zufriedenes Lächeln, während seine Augen zu dem blauen, sanften Meer vor Acapulco schweifen. Dann verdunkelt sich seine Miene und er versucht im nächsten Satz den melodiösen Klang seines Schweizerspanischs mit dem ruppigen Tonfall des Nazideutschs zu überspielen.

‘Spielen Sie keine deutschen Schlager?‘, fragte der Gestapomann hart. Da habe ich zu meinen Musikern gesagt, Nummer 43, das war ‚Bei mir bist Du schön‘. Das hört sich schön deutsch an, ist aber ein hundertprozentig jüdisches Lied. Das haben wir dann gespielt, aber die Gestapo sagte, dies sei immer noch amerikanische Negermusik. Daraufhin spielten wir den ‚Bugle Call Rag‘, aber im Marschrhythmus. In seinem Klarinettensolo hat Ernst Höllerhagen dann über das Horst-Wessel-Lied, die inoffizielle Nazi-Hymne, improvisiert. Das war so der Anfang von meinem Ende in Deutschland.

Der Völkische Beobachter, die Tageszeitung der Nazis, und ein Musikfachblatt griffen Stauffer und die Band dann an und schrieben: Raus mit diesen Ausländern und der Judenmusik. Das Ende der Schweizer Swing-Band in Deutschland war dann abzusehen. Die Teddies spielten auf der Schweizer Landesausstellung, als der Geisteskranke aus der Berliner Reichskanzlei 1939 den Überfall auf Polen befahl.

Der Krieg, vor dem so viele gewarnt haben, ist da. Es wird ein Krieg, an dessen Ende halb Europa in Schutt und Asche liegen wird und Millionen von Müttern, Vätern und Kindern in Konzentrationslagern um ihr Leben gebracht sein werden.

Doch Deutschland befindet sich im Kriegstaumel. Es herrscht Mobilmachung, die deutschen Musiker der Teddies werden eingezogen. Das Orchester zerbricht. Nein, nein, Widerstandskämpfer sei er nicht gewesen, meint Teddy Stauffer, das sei zu viel der Ehre. Er habe einfach dieses braune Pack mit seiner bornierten und freudlosen Auffassung vom Leben nicht ausstehen können.

Und im Jahr 1941 packt Teddy Stauffer dann seinen Koffer, fährt mit einem Dampfer über den Atlantik nach New York, geht nach Hollywood und wird viele Monate später hier in Acapulco stranden. Es wird für Teddy eine Vertreibung ins Paradies.

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Warum ist Cool Jazz so cool?

Miles ist cool. Chet ist cool. Und der Pianist Lennie Tristano ist der coolste überhaupt. Kein Wunder, bei dem Namen! Aber, liebe Leute, was ist das eigentlich, Cool Jazz?

Die Antwort darauf fällt nicht ganz leicht, eigentlich kann man sich der Antwort nur nähern. Versuchen wir es so: Während der Bebop extrovertiert, hektisch und zappelig war, so ist der Cool Jazz nun wieder mehr nach innen gekehrt und kontemplativ.

Diese Musik ist denn auch weniger bein-, sondern mehr kopfgesteuert. Sie ist europäischer, wenn man so will, konzertanter, reflektierter. Von den Ursprüngen des Jazz entfernt sich der Cool Jazz ein wenig, er ist nicht so schwarz und nicht so afroamerikanisch wie der pure Jazz. Blues-Elemente verlieren an Bedeutung. Ja, man kann sagen, der Cool Jazz zeigt sich eher als eine weiße Musik.

Beim Cool Jazz geht auch nicht die Post ab. Es dominieren eher die langsamen tempi. Jetzt kommen weit geschwungene und lang gezogene Melodiebögen. Dazu eher gehauchte und gedämpfte Töne, ganz ohne Vibrato. Der Ton der coolen Trompete beispielsweise wirkt wie eingefroren, er klingt kurz, durchdringend und harsch wie bei dem jungen Miles Davis. Trotz dieses rauen Charakters geht von dem coolen Ton zugleich auch etwas fragiles aus. Und wohl auch etwas liebliches.

Die Melodiebewegung scheint zu retardieren. Sie schleppt sich mühevoll durch den Song, irgendwie langsam, so als wolle sie eigentlich gar nicht zum Ende kommen. Die  ganze Tonführung wandelt auf dem Grat von Traurigkeit und Bitterkeit auf der einen und Zartheit und Zerbrechlichkeit auf der anderen Seite.

Cool Jazz ist nicht nur ein Musikstil, es ist auch eine Lebensauffassung. Sie passt beispielsweise zum Pariser Existenzialismus der 50er Jahre. Der Cool Jazz wird zur Musik der Verlorenheit, der Melancholie. Dieser merkwürdige Ton scheint traurig, und doch strahlt er eine gewisse Zartheit aus. Der Cool Jazz mag als kühle Musik daher kommen, aber nicht ohne Hoffnung.

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Frank Sinatra fliegt zum Mond

Bart Howard hatte Fly me to the Moon 1954 komponiert und getextet. Zahlreiche Interpreten haben den Song aufgenommen. Johnny Mathis, Ella Fitzgerald, Mel Tormé, Sarah Vaughan, Tony Bennett. Alles nett bis obernett. Jedoch kommen sie alle an die Version Frank Sinatras nicht heran, weil er wie kein anderer dieses perfekte, swingende Taktgefühl besitzt.

Ein Erfolgsgeheimnis Sinatras war, dass er sich immer mit den allerbesten seines Faches umgeben hat, musikalisch zumindest. Mit den besten Solisten, den besten Arrangeuren, den besten Orchestern. Da er schon früh Erfolg errang, besaß er auch das nötige Kleingeld immer Spitzenleute zu verpflichten. Und sobald Sinatra die Basie Big Band im Nacken spürte, dann lief er zur Hochform auf. Frankieboy vermochte bei Count Basie seine retardierende Phrasierungen einzubauen, die einen ungewöhnlichen Kontrast zur explosiven Dynamik der Basie-Musiker bildeten.

Sinatra hatte den Song erstmals 1964 für das Album It Might as Well Be Swing aufgenommen. Zwei Jahre später singt er das Lied meisterhaft bei seinem Live-Auftritt im Sands von Las Vegas. Oder er tritt, wie im Youtube-Video zu sehen, auch mal vor ziemlich schweren Jungs auf.

Bei Sinatras Fly me to the Moon schrieb das Arrangement, das darf nicht vergessen werden, der geniale Quincy Jones. Der rhythmische Spannungsbogen, eine lockere Melodie, die knallenden Blechbläser, Quincy Jones hat alles perfekt zusammengeführt.

Fly me to the moon
Let me play among the stars
Let me see what spring is like
On Jupiter and Mars

Am 20. Juli 1969 wird der Song endgültig unsterblich. Neil Armstrong und Edwin Buzz Aldrin stehen als erste Menschen auf der Mondoberfläche, Michael Collins bleibt an Bord der Apollo 11. Buzz Aldrin spielt auf einem Kassettenrekorder die Sinatra/Basie-Version von Fly me to the Moon.

Es ist das erste Lied, das je im Orbit zu hören ist. Ein Traum der Menschheit ist Wirklichkeit geworden. Der Mann im Mond ist angekommen. Fly me to the Moon. Und Frank Sinatra schickt seine besten Grüsse aus dem Weltall auf die Erde.

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