Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Schlagwort: London

Im 100 Club wird die Musik ganz leise


Da hat so manch einer große Augen gemacht. Der Hit-Gigant Paul McCartney spielt in einem kleinen Musikclub. So geschehen. Am 17. Dezember 2010, vor 300 Fans.

In solch kleinen Clubs tritt der Ex-Beatle selten auf. Für den 100 Club machte er die Ausnahme. Aus purer Dankbarkeit. Und aus Hilfsbereitschaft.

Denn der 100 Club steht auf der Kippe. Der heimelige Kellerclub an Londons exklusiver Oxford Street rechnet sich einfach nicht. Vor allem die zu hohe Miete macht dem Eigentümer zu schaffen, vielleicht aber auch die über die Jahre etwas zerfranste Programmpolitik.

Irgendwie wirkt dieser karge Kellerklub auch unter all den feinen Kaufhallen, den Schnickschnack-Boutiquen und den Touristenfallen ein wenig fehl am Platze. Wie ein Relikt, einst ansehnlich, das heute verloren in der Trödelbude von besseren Tagen kündet.

Seinen Namen hat der 100 Club, weil der Musikklub in der geschäftigen Oxford Street Hausnummer 100 residiert. Von einer unscheinbaren Nische am Eingang geht man den schmalen Gang hinunter in den dunklen Keller. Auf halbem Weg entrichtet man am Counter seinen Eintritt und findet sich als bald in einem weiten schummrigen Kellergeschoss wieder.

Ich war in den 70er Jahren oft im 100 Club gewesen. Auf einfachen Holzstühlen saß man direkt vor der kleinen Bühne, rechte Hand fand sich eine lang gezogene Schanktheke und links war der quirlige Chinese Mister Chan in einer Ein-Raum-Küche, der schnelle, preiswerte Gerichte zaubern konnte. Das Publikum saß an kleinen Holztischen, das Glas Pint Lager oder Guinness war an der Theke zu holen, eine Bedienung gab es nicht.

Der Club sah in den letzten 40 Jahren gleich aus, nur die Musiker wechselten. Zuerst kamen die Jazzer, in den 80ern dann die Punker. Roger Horton als Manager lenkte die Geschicke des Klubs durch die bewegten Zeitläufte. Man konnte für einen bescheidenen Obolus Mitglied werden und bekam dafür das Programm nach Hause geschickt.

Seit 1942 gab es den 100 Club und sein Ruf schallte weit über England hinaus. Der 100 Club war in den 60er und 70er Jahren so etwas wie die Wohnstube des traditionellen britischen Jazz. Gruppen wie jene von Ken Colyer, Humphrey Lyttleton, Acker Bilk, Kenny Ball, Chris Barber oder Monty Sunshine traten hier auf. Die Akustik im Keller war deftig, es durfte so richtig Krach gemacht werden. Und an so manchen Abenden ging hier richtig die Post ab. Meist war der Club war bis kurz nach Mitternacht rappelvoll, ausser Montags, da war Ruhetag, wenn ich mich recht entsinne.

Prächtige Musiker jazzten über die Jahre im 100 Club. Der kleine Billy Butterfield schaute mit seiner großen Trompete vorbei, der schüchterne Teddy Wilson streichelte die Klaviertasten und auch Teufelsgeiger Stephane Grappelli legte hier Station ein. Immer wenn es irgendwie ging, war ich im 100 Club zu finden. Ein solcher Club gefiel einem Zwanzigjährigen aus dem grauen Deutschland. Der Frühling warf zarte Sonnenstrahlen. Der Sommer schien noch weit hin.

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Londons bester Swingerclub

Photo by W. Stock

Ronnie Scott’s in Soho. Photo by W. Stock

Sie sind fast alle verschwunden, entweder von der Bildfläche oder in die Bedeutungslosigkeit. Ich meine die Jazzclubs, dort wo sich in den 60er und 70er Jahren des abends die Anhänger der swingenden Musik trafen, bei einem Bier oder zweien, und den Musikern lauschten.

Wohin man auch blickt, traurig genug, die Jazzclubs spielen keine Rolle mehr. Mit einer Ausnahme, möchte man hoffnungsvoll anfügen, Ronnie Scott’s Jazzclub in London. Der zeigt sich fidel wie in alten Tagen.

Zwar ist sein Gründer, der Londoner Tenorsaxophonist Ronnie Scott, vor einigen Jahren gestorben. Doch es geschah dann etwas, was als großer Glücksfall zu bezeichnen ist. Auf den Gründer folgte mit der Theaterunternehmerin Sally Greene eine neue Generation, die den Laden übernahm, eine Person, die sowohl betriebswirtschaftliches Denken als auch musikalischen Sachverstand in sich vereinigt. Und wohl auch die Liebe zum Jazz.

Ronnie Scott’s Club liegt ein bisschen unscheinbar da in der Frith Street Nummer 47. Zwischen all den trendy Vineshops und Restaurants, den kleinen Trödelläden und den camouflierten Massagesalons. Hier zwischen Piccadilly und der Shaftesbury Avenue schlägt das Herz von London. nicht gerade im feinen und eleganten Takt, aber heftig pulsierend und dem Neuen zugeneigt.

Es fällt auf, dass im Club nicht nur kleine Hausgruppen oder der Nachwuchs spielt, sondern veritable Weltstars. Wenn ein Großer nach Europa kommt, dann ist die Chance groß, dass er hier in London in der Frith Street auftritt. Das lässt sich wegen der hohen Kosten allerdings nur amerikanisch darstellen. Die Auftritte des Stars erfolgen über zwei oder gar Auftritte pro Abend verteilt, wobei das Publikum dann immer ausgewechselt wird.

Zur Musik gibt es Essen, Getränke von der langen Bar links neben der kleinen Bühne. Eine Ronnie’s Bar, eine Lounge im Obergeschoss, rundet das Konzept ab. Dazu Merchandising. Nur in einer solchen Mischkalkulation wird man ein solch anspruchsvollen Programm finanziell stemmen können.

Und so geben sich die Stars von Jazz und Pop in Ronnie Scott’s die Klinke in die Hand: Tania Maria, José Feliciano, Nigel Kennedy, Monty Alexander, Manu Dibango – das sind Namen nur der letzten Wochen.

Was mir am neuen Ronnie Scott’s zudem auffällt, ist die Qualität des Marketing. Sonst oft nicht gerade die Stärke der Jazz-Freunde, zeigt sich die Werbung für den Club und die Konzerte auf der Höhe der Zeit. Website, Mitgliederkonzept, Thementage, Events, ein informativer Newsletter – alles vom Feinsten. Und all das, obwohl man mittlerweile über 50 Jahre auf dem Buckel trägt. Solches macht Hoffnung, nicht nur für den Jazz, sondern auch für den Live-Jazz.

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Wong Kei – Londons Kaiser von China

Photo by W. Stock

Wenn ich in London bin, versuche ich, wenn es irgend geht, meinen Weg hier hin zu lenken. Schnurstracks nach Chinatown, am besten um die Mittagzeit, zu Wong Kei. Seit ich das erste Mal – noch als junger Student – dieses chinesische Restaurant entdeckte, komme ich regelmäßig wieder. Denn Wong Kei ist für mich der Kaiser von China – natürlich kulinarisch gesprochen.

Dabei glänzt Wong Kei nicht unbedingt als Edelgastronom. Im Gegenteil. Schon Adresse und Äußeres genügen nicht gerade großbürgerlichen Ansprüchen. Wong Kei residiert am westlichen Ende von Chinatown in der Wardour Street, dort wo schwere Jungs und leichte Mädchen nicht fern sind. Die Fassade, nun ja, ein wenig in die Jahre gekommen. Die Pariser Schauspielerin Sarah Bernhardt hat den Grundstein des Hauses gelegt. Man schrieb das Jahr 1904. So mag sich einiges erklären.

Etwas robust wird dem Hungrigen am Eingang bedeutet Cash only – no credit cards. Wenn man dann über die Schwelle tritt, wird man von einem ruppigen Keller angebafft, how many people und flugs an einen der eh schon vollen Tischen gesetzt.

Auf drei Etagen wird eingedeckt, in Parterre, wo der Ton am härtesten ist, dann im Keller und im ersten Stock. Das Restaurant ist einfach ausgestattet, vielleicht auch nicht das sauberste. Wenn man an einem Tisch Platz nimmt, bekommt man zuerst und ungefragt den heißen Haustee serviert. Ob es Cola gibt, ich vermag es nicht zu sagen. Bisher habe ich mich nie getraut, zu fragen.

Wenn jedoch nach dem obligaten Tee dann das Essen kommt, dann sind bröselnde Hausfassaden, bellende Kellner und unwirsche Kommandos wie ausradiert. Denn das Essen des Wong Kei schmeckt göttlich, es scheint von einem Kaiser der Küche gesandt.

Meist bestelle ich eine Wan Tan Soup und ein Lemon Chicken. Ein solches Lemon Chicken bleibt für jeden Koch weltweit eine Herausforderung, denn bei der Zitronensauce ist höchstes Geschick gefragt. Sie darf nicht übersäuert sein, auch nicht zu lau, dann muss die Konsistenz – nicht zu sämig, nicht zu flüssig – stimmen.

Die Wahrheit ist: Das Lemon Chicken bei Wong Kei muss als eine Offenbarung bezeichnet werden. Besser habe ich das bisher nirgends auf dem großen Globus gefunden. Und dass alles preiswert obendrein ist, mag man auch nicht als Nachteil auslegen.

Leicht verunsichert erscheint der regelmäßige Wong Kei-Besucher in letzter Zeit schon. Denn die Kellner, oh Wunder, scheinen in Wesen und Ton freundlicher geworden. Oder haben wir uns an den Feldwebelton über die Jahre nur gewöhnt?

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