Caorle, Ende August 2011
Irgendwie scheint der Mann noch da zu sein. An der Piazza, im Restaurant, in dem er gesessen hat, weist ein reifengroßes Schild daraufhin und im Hafen liegt ein Motorboot, das seinen Spuren folgt. Im Fremdenverkehrsbüro hängt ein riesiges Pappposter, das ihn und seinen Freund Nanuk Franchetti bei einem Jagdausflug in der Lagune von Caorle zeigt.
Caorle, 60 Kilometer östlich von Venedig, ein pittoreskes Fleckchen Erde mit vielen bunten Häusern, hält die Erinnerung an diesen Ernest Hemingway lebendig. Ein billiger Werbetrick mit einer Person, die sich nicht mehr wehren kann, weil sie schon seit über 50 Jahren tot ist?
Nein, nein, die Sache liegt hier anders. Hemingway kannte Caorle, und er mag den Ort. Der Amerikaner gerät ins Schwärmen über diese Landschaft am Meer, er ist betört von ihrer Vegetation, von ihrem Duft. Diese Gegend hier bedeutete ihm sehr viel, mehr als er je irgendwem sagen würde und konnte.
Hemingway mag die Menschen hier. Und die Menschen hier mögen ihn. I’m an old Veneto’s fanatic, schreibt Ernest Hemingway 1948 in einem Brief an Bernard Berenson, ich bin verrückt nach dem Veneto. Er denkt immer wieder an das Veneto, an Venedig, einen Landstrich, den er über alles liebt.
Here people know how to live, schreibt er. Italien, Veneto, Caorle – das ist ein tägliches Fest der Heiterkeit, der Dreiklang steht für die Freude am Dasein. Vielleicht ist es gerade die Leichtigkeit und Unbeschwertheit, diese Un-Intellektualität, diese ehrliche und unkomplizierte Freude am Leben. Die Freude am Leben, mit dem er sich so schwer tut, weil er so viel nachdenken muss.
Die Leidenschaft, die er für diesen Landstrich empfindet, kann man nachzulesen. Über den Fluss und in die Wälder ist ein Buch über die Pracht und Kraft der Natur, über die Freundschaft und die Liebe, aber auch über diesen verdammten Krieg, der den Menschen kaputt macht, auch wenn er überlebt.
Veneto hat Ernest Hemingway immer in seinem Herzen getragen, bis zuletzt. In der Nacht vor seinem Selbstmord am 1. Juli 1961 hat er in Ketchum, in den Bergen Idahos, das alte italienische Volkslied Tutti mi chiamano bionda gesungen, berichtet seine Witwe Mary.
Bionda, o bella bionda
non farmi morir d’amor.
Blondes Mädchen, oh blondes Mädchen,
lass mich nicht vor Liebe sterben.
Eines werden die Menschen aus Caorle ihrem Ernest Hemingway nie vergessen. Einen kleinen, einfachen Satz. They came from a little place up the coast called Caorle. Sie kamen aus einem kleinen Ort weiter oben an der Küste, der Caorle heißt. Dieser Satz steht in Über den Fluss und in die Wälder.
Ja, er hat es getan. Der große Ernest Hemingway hat das kleine Fischerdorf von ein paar hundert Einwohnern verewigt. Bingo, Caorle, da steht es, schwarz auf weiß, auf alle Zeiten, nicht ausradierbar. Caorle, unsterblich. Das kleine Dorf in einem großen Werk über das Veneto, über das Leben und, natürlich, über die Liebe.
Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.
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Das ist aber eine Überraschung!
Nein, Hemingways Verbindung mit Caorle kannte ich nicht, aber „ein Vögelchen“ erzählte mir, Dr. Stock sei in Venedig. Ich erwartete eine einfühlsame Geschichte, eine über Palazzi an Canali, über das Venedig abseits des Canale Grande, vielleicht eine Geschichte über einen Gondoliere oder eine, die den Zauber dieser Stadt beschreibt, dem ich schon mehrfach erlegen bin (und hoffentlich Gelegenheit haben werde, ihm noch einige Male zu erliegen).
Die Überraschung: Dr. Stock scheint sich immer wieder, wo er sich auch immer „rumtreiben“ mag, auf den Spuren von Ernest Hemingway zu befinden. Doch andererseits ist es keine Überraschung, denn dort, wo das Meer ist, wo das Leben einfach ist, wo es „echt“ ist, fühlte sich offenbar auch Hemingway zuhause. Nicht im ehemals so glamourösen Venezia, sondern außerhalb, in einem „kleinen Ort weiter oben an der Küste, der Caorle heißt“, an einem Ort, an dem man „diese ehrliche und unkomplizierte Freude am Leben“ fast schon mit den Händen greifen kann. Ich kenne sie, denn ich war auch schon dort.
Wunderschön! 🙂