Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Henry Kissinger: Die Macht verschiebt sich vom Atlantik zum Pazifik

Photo by W. Stock

Berlin, den 17. November 2011

Eine kurze, aber prägnante Rede von Henry Kissinger gestern Abend auf der Publishers‘ Night des VDZ. Die eine oder andere unangenehme Wahrheit sagte der von den Nazis vertriebene Heinz Alfred Kissinger aus Fürth seinen Zuhörern denn auch auf Deutsch.

Zunächst machte der ehemalige amerikanische Außenminister deutlich, wie brüchig es um das europäische Haus bestellt ist. Der Grundwiderspruch unserer Tage: Die Wirtschaft funktioniere heute nach globalen Regeln, während der Westen noch in den Denkmustern der Nationalstaaten verharre. Die EU sei ein technokratischer Torso.

Dies gehe einher mit einem Souveränitätsverlust der Staaten und der Politik. Deshalb seien andere davon gezogen, es mache keinen Sinn, sich über die Spielregeln zu beschweren. Die Gewinner des Wettbewerbes amüsiere dies nur.

Der Friedensnobelpreisträger von 1973 wies auf den Paradigmenwechsel hin: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei es um Sicherheit gegangen, hochgerüstete Weltmächte standen sich damals gegenüber.

Heute gebe es glücklicherweise kein Feindbild mehr. Die Herausforderung liege auf wirtschaftlichen Gebiet. Nun komme es darauf an, die Globalisierung zu einem Wohlstandsmotor zu machen.

Doch die Machtachse habe sich vom Atlantik hin zu Pazifik verschoben. Europa, so Professor Kissinger zwischen den Zeilen, verliere an Bedeutung. China und Indien haben sich besser auf diesen Umbruch eingestellt als der Westen, meint der Mann, der 1971 den Dialog zwischen den USA und China auf den Weg gebracht hat.

Gefragt seien nun Politiker, die diesen Wandel erkennen und positiv gestalten. Auch sei eine Revitalisierung der transatlantischen Freundschaft zwischen den USA und Europa vonnöten. Doch er sei zuversichtlich.

Da brauche er sich nur vor Augen halten, was er 1945 als amerikanischer Unteroffizier in Berlin gesehen habe, Trümmer statt Gebäude und Parks ohne Bäume, weil das Holz zum Brennen genutzt wurde. Oder wenn er in dieser Stadt an die amerikanische Luftbrücke denke. Die alte Welt habe bewiesen, dass sie schon schrecklichere Herausforderungen zu meistern gewußt habe, meinte der 88-Jährige optimistisch.

Oder wie ein anderer großer Europäer, der Pole Władysław Bartoszewski, auch ein ehemaliger Außenminister und sogar ein Jahr älter als Henry Kissinger, auf derselben Veranstaltung dem Publikum zurief: Die Lage ist nicht hoffnungslos, solange wir nicht hoffnungslos sind.

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Angela Merkel bleibt die Antwort schuldig

  1. Michael Sax

    Natürlich meinte ich die Wirtschaft, ich dachte nur nicht, dass ich das eplizit betonen müsste. An eine Eroberungspolitik eines dieser Länder hatte ich natürlich nicht gedacht. Genau aus dem von ihnen genannten Grund glaube ich auch nicht, dass wir alleine, jeder für sich, auch nur die geringste Chance haben werden, wirtschaftlich gegen sie anzukommen. Wenn ich schon aus dem Munde eines unserer Politiker das Wort „Wirtschaftskrieg“ oder „Wettbewerbsfähigkeit“ höre, frage ich mich ernsthaft, ob er tatsächlich selbst an das glaubt, was er da von sich gibt. Wie stellt sich unsere Politik das vor, wie wir bloß dieses Wettrennen, (ich mag den Ausdruck Wirtschaftskrieg nicht) gewinnen sollten? Das ginge nur mit Löhnen unter einem Euro die Stunde bei gleichbleibender Qualität, denn inzwischen steigt dieselbe bei den Wirtschaftsgütern der angesprochenen Länder mehr und mehr. Wir werden auf lange Sicht verlieren, wenn und nichts geniales einfällt, was wir dagegen halten können.

  2. apple

    Wenn es sonst niemand tut, dann „responde“ ich mir eben selbst und betone meinen Kommentar vom 18.11.
    „Die USA am finanziellen Abgrund: Die Gespräche zwischen den US-Parteien zum Abbau des Rekord-Schuldenbergs von mehr als 15 Billionen Dollar sind gescheitert. Präsident Obama warf den Republikanern mangelnde Kompromissbereitschaft vor.“ … „Es sei nicht möglich gewesen, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen, teilte das „Super-Komitee“ am Montagabend mit. Aufgabe des Komitees war es, sich auf Einsparungen von mindestens 1,2 Billionen Dollar (880 Milliarden Euro) für die kommenden zehn Jahre zu einigen.“ (KStA) Wie bitte? Lumpige 880 MRD €, auf zehn Jahre verteilt also 88 Mrd.€ schaffen die Amerikaner nicht einzusparen? Ich hätte da einige Vorschläge. Die US-Schulden belaufen sich derzeit auf rund 15 Billionen Dollar. Die dritte große Agentur Moody’s bewertet die USA mit der Bestnote AAA, jedoch mit negativen Ausblick. (In Richtung AA bis B?)

    Also lieber Herr Kissinger, geht es den Wohlstandsländern nicht gut genug? Können wir nicht zufrieden sein mit unserem Klagen auf hohem Niveau? Wenn sich die Machtachse (Wirtschaftskraft) zu Lasten der Umwelt vom Atlantik in den Pazifik verschiebt, dann können wir tatsächlich von einer bedauerlichen Globalisierung sprechen. Manchmal, lieber Herr Kissinger, kommen sie mir vor wie Peter Scholl-Latour. Der meint auch immer, etwas sagen zu müssen – und wiederholt sich ständig.

  3. apple

    Die von Ihnen genannten „rasant expandierenden“ bzw. wohl deren Wirtschaft, denn rein geographisch hat sich kaum was geändert. Länder haben Ihre Expansion (oder Explosion?) nur Preisdumping zu verdanken, ohne irgendeine Rücksicht auf Menschen und Umwelt. Während der olympischen Spiele in Peking wurden Stahlwerke reihenweise geschlossen, damit der Marathonlauf überhaupt durchgeführt werden konnte.

  4. Michael Sax

    In zwei Punkten hat Kissinger tatsächlich Recht. Es gibt keine Zukunft für Nationalstaaten, auch wenn dieser Gedanke für viele Menschen hierzulande immer noch extrem gewöhnungsbedürftig ist. Ob es gefällt oder nicht, aber so wie die Welt heute bis in die kleinsten Bereiche unseres Lebens vernetzt und verdrahtet ist, kann der Alleingang nunmal nicht mehr funktionieren und damit ist auch schon der zweite Aspekt angerissen. Was früher einmal abschätzig als dritte Welt bezeichnet wurde, ist im Begriff uns zu überholen und daran tragen wir auch noch selbst die Schuld. Weil wir nämlich immer noch glauben, wir verlören unsere Identität, wenn wir unsere nationalen Kleinkrämereien aufgeben. Doch nur ein geeintes Europa, ohne überflüssige Eifersüchteleien unter den Partnern, kann noch die Schlagkraft aufbringen um gegen rasant expandierende Länder wie China, Brasilien oder Indien auf Dauer zu bestehen. Man kann nur hoffen, dass dies so bald als möglich in den Köpfen der Europäer ankommt und hoffentlich bevor wieder mal die Rettung bei gefährlich populistischen Wirrköpfen und selbst ernannten Rettern der Nation, gesucht wird.

  5. apple

    Sagte Herr Kissinger auch etwa darüber, wie es finanziell um das amerikanische Haus bestellt ist? Im August sah es so aus, als stünde das Weiße Haus zum Verkauf. Und wenn Europa wirklich so sehr an Bedeutung verloren hat, weshalb will er eine deutsch-amerikanische Freundschaft revitalisieren? Angie und Obama verstehen sich doch prächtig. Nur die amerikanischen Rating-Agenturen haben Europa nicht so lieb.

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