In Iquitos finden Anfang Januar 1981 die Dreharbeiten zu Fitzcarraldo statt. Foto: W. Stock

Das Filmprojekt scheint schon vor Drehbeginn in einer Sackgasse zu stecken. In Wawaim mit den Aguarunas zu drehen, ist für Werner Herzog nicht mehr möglich, einen neuen geeigneten Drehort zu finden, gestaltet sich schwierig. Produzent Walter Saxer, der weiterhin außerhalb von Iquitos die Konstruktion zweier historisch getreuer Amazonasdampfer leitet und dabei 300.000 Dollar ausgibt und bis zu 30 Männern zu Arbeit verhilft, gibt sich resigniert: „Wir alle wollen den Film drehen, doch ich sehe schwarz. Schon eine halbe Million Dollar haben wir in das Projekt gesteckt, die wären dann weg.“

Dass man die Hoffnung nicht ganz aufgegeben hat, erkennt man schnell an der Werft von Santa Clothilde, die Schweißer und Schreiner arbeiten weiter, das Filmprojekt ist zumindest nicht abgebrochen. Doch die Hiobsbotschaften häufen sich. Werner Herzog und Walter Saxer harren in Peru der Dinge. Irgendwie scheint ein dunkler Stern über diesem merkwürdigen Film über den Opernfreund Fitzcarraldo zu stehen. 

Nach mühseligem Suchen finden die Filmer dann doch einen anderen geeigneten Drehort im Süden Perus, im Distrikt Madre de Dios. Die hier ansässigen Indio-Stämme willigen in die Zusammenarbeit ein, Verträge werden geschlossen. Das Verhältnis zwischen den dortigen Indigenen der Machiguenga und den Gringos stellt sich als leidlich bis gut heraus, zumindest kann hier gedreht werden. Am Rio Camisea werden die Urwaldsequenzen gedreht, in Iquitos die Stadtszenen. Im Januar 1981 geht es los.

Die Vision ist größer als alle Hindernisse: Ein Amazonasdampfer muss per Manneskraft über eine Anhöhe geschleppt werden, um eine unpassierbare Stromschnellen zu umgehen. Die Schlüsselszene des Films erscheint wie ein pompöses Gemälde, man betrachtet es, als befände sich der Akteur in einem phantastischen Traum. Ein wuchtiger Amazonasdampfer muss über einen steilen Berg gezogen werden. Als ob jemand beweisen wolle, dass der Wille stärker ist als die Schwerkraft.

Schüchtern, verlegen, bisweilen ungelenk leitet Werner Herzog in Iquitos die Dreharbeiten in der Amazonas-Metropole. Manchmal scheint es, als lebe der Münchner Regisseur einzig und allein in seiner Filmwelt. „Mich interessiert es herzlich wenig, was die deutschen Zeitungen über mich schreiben. Mir ist auch egal, ob die Leute dann in meine Filme gehen, das ist nur ökonomisch relevant. Mich interessiert nur, dass ich den Fitzcarraldo-Film zu Ende bringe.“

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Werner Herzog und Kameramann Thomas Mauch leiten die Dreharbeiten in Iquitos. Foto: W. Stock, 1981

Von der Vision seinen Films ist Herzog mit allen Sinnen elektrisiert. Je größer die Schwierigkeiten, desto stärker sein Wille, dieses Projekt zu Ende zu bringen. Der drahtige Regisseur springt von haushohen Bäumen, der Produzent schlägt sich ohne eine Miene zu verziehen die Hand blutig und der Produktionsleiter George Sluizer durchschwimmt den Amazonas, der hier so breit ist wie zwanzig Fußballfelder. Filmarbeit sieht Herzog in erster Linie als eine körperliche Herausforderung. „Für meine Arbeit wäre es schlimmer, wenn ich ein Bein, als wenn ich ein Auge verlieren würde“, meint er im Gespräch auf seinem hohen Stelzenhaus in den Bäumen, in das er sich nach Drehende zurückzieht.

Für die Komparsen sind die Dreharbeiten in diesem doch verschlafenen Landstrich ein Jahrhundertereignis. Und neben dem Spaß kommt auch etwas Zählbares dabei rum: Die tausend Soles Lohn am Tag, jene drei Dollar, die dem halben Salär eines Lehrers entsprechen, werden nach eigener Entscheidung jeder Indio-Kommune projektgebunden ausgezahlt. Und so manches Gemeinde- oder Schulhaus, so manche Krankenstation, manches Lernmittel oder Saatgut finanziert sich aus vielen, vielen Tausenden Soles der Filmemacher.

Der Ton zwischen den Filmer und den Gefilmten ist herzlich, die Komparsen agieren mit spürbarem Elan und augenscheinlicher Freude. Bei der heutigen sonntäglichen Massenszene am Malecón von Iquitos kommen 1.500 Statisten zum Einsatz. Per Megaphon erklären Saxer und Herzog die Szene, erläutern, warum man die helle Farbe der Kleider aufnehmen, warum Kameramann Thomas Mauch die Mütter mit Kindern im Vordergrund filmen möchte. Die ganze Szenerie gleicht einem fröhlichen Volksfest, und jeder der über tausend Menschen sieht sich am heutigen Sonntag als ein kleiner Filmstar. 

Halb Iquitos schaut den Dreharbeiten zu, wie Fitzcarraldo und seine Kumpanen auf der Molly Aida zum entlegenen Kautschukfeld aufbrechen. Hunderte von Bürgern aus Iquitos hat man in feine Kostüme aus der Jahrhundertwende gesteckt, die eigens für den Film in hiesigen Schneidereien angefertigt wurden. Die steil abfallendende Uferpromenade des Malecón bietet mit ihren vielen bunt kostümierten Frauen und Männern ein herausgeputztes und heiteres Bild. 

Politisch ziehen allerdings dunkle Wolken auf, es liegt nicht in der Hand der Filmer. Der Präsident der Republik Peru, der Architekt Fernando Belaúnde Terry, ist nach Iquitos gekommen, um Schlimmeres zu verhindern. Durch neuen Ölreichtum selbstbewusst geworden, fordert die Amazonasprovinz Loreto von der Hauptstadt Lima weitgehende Autonomie und ihren Anteil an den Petrodollars. Auf der Balustrade der Casa Municipal kündet der grauhaarige Präsident mit Pathos vom Zusammenstehen aller aufrechten Peruaner, von nationaler Solidarität, die doch erst die Größe dieses Volkes ausmache.

Doch die Aufsässigkeit der Amazonier ist nicht zu bändigen. Bürgermeister Lozano schreit die Forderungen in die rasende Menge: für Iquitos, Autonomie und den Status einer Freihandelszone. Sonst, Señor Presidente, wird hier der Generalstreik ausgerufen. Der Präsident zuckt resignierend die Schultern, wendet sich ab und fliegt zurück in seinen dunklen Präsidentenpalast nach Lima. Ab morgen wird ein unbefristeter Generalstreik in Kraft gesetzt. Wir ergattern die letzte Abendmaschine nach Lima vor Schließung des Flughafens.

 

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