Halb Iquitos findet sich Anfang Januar 1981 zu den Dreharbeiten von Fitzcarraldo ein. Foto: W. Stock.

Wie so oft beginnt die Geschichte zunächst ganz harmlos. Bei den Dreharbeiten zu seinem Meisterwerk Aguirre, der Zorn Gottes im Amazonasurwald und in der Andenhochebene bei Cusco stößt der deutsche Regisseur Werner Herzog 1972 auf die Lebensgeschichte des aus Irland stämmigen Cauchero Charles Fermin Fitzgerald, eines Kautschukbarons, dessen Name im Spanischen zu Carlos Fitzcarraldo verballhornt wird.

Dieser Fitzcarraldo, der Ende des 19. Jahrhunderts durch den südamerikanischen Kautschukboom zu etwas Reichtum gelangt, ist von einer grotesken Idee beseelt: Er will der amazonischen Wildnis europäische Kultur schenken, Fitzcarraldo träumt von einer bombastischen Gran opera im tiefsten Urwald. Als 1978 Herzogs Murnau-Remake des Nosferatu einen hübschen Gewinn abwirft, beginnt Produzent Walter Saxer mit der Verwirklichung des ehrgeizigen Fitzcarraldo-Projektes. 

Werner Herzog, durch seinen Aguirre in Peru ein Filmemacher mit Renommee, wird im Museo del Arte in Lima eine Werkschau gewidmet, der Maestro gibt sich die Ehre und die peruanische La Prensa jubelt über „das Ereignis des Jahrzehnts“. Produzent Saxer spricht derweil beim Minister für Agrarwirtschaft vor – einen Minister für Kultur kennt die abgewirtschaftete Militärjunta des General Morales Bermudez nicht – und stößt beim obersten Bauern des Landes auf in höfliche Worte gepackte Gleichgültigkeit. „Die wollen uns nicht helfen“, so Walter Saxer.

Überdies wachsen an den ausgesuchten Drehorten Iquitos und Wawaim erste Widerstände. Zwar bewilligen die autonomen Indio-Behörden dem Team die nötige Drehgenehmigung, verweigern letzten Endes jedoch die unerlässliche Mitarbeit als Statisten. Das in Norden an der Grenze zu Ecuador gelegene 200-Seelen-Dorf Wawaim, das vom Stamme der Aguarunas bewohnt und von westlichen Zivilisationseinflüssen nicht mehr unberührt ist, spaltet sich in eine Fraktion Pro-Herzog und in eine, die gegen das Projekt agitiert.

Für den Münchner und seinen Schweizer Produzenten Saxer beginnt eine lange Zeit des Überzeugens. Beide leben drei Monate in Wawaim und versuchen das Vertrauen der Aguarunas zu gewinnen. Walter Saxer führt den Indios kurze Privatfilme vor, weil Filme und Kameras den Aguarunas unbekannt sind. Der schnauzbärtige Schweizer mit der drolligen Lockenfrisur erläutert bis in kleinste Details die technische Ausrüstung, versucht zu erklären, wie es denn sein kann, dass Menschen plötzlich auf der Leinwand auftauchen und herumwandern. Polaroidfotos werden von den Indios bestaunt und sorgsam gesammelt. Das Verhältnis zwischen Indios und den Filmemacher scheint sich zu entspannen.

Doch in Wirklichkeit ist zu diesem Zeitpunkt alles schon zu spät. Pishtaco, pishtaco, flüstern sich die Eingeborenen zu, sobald Herzog und die Filmcrew aufkreuzen. Denn findige Gegenspieler der Filmemacher haben streuen lassen, die weißen Männer aus Alemania seien Pishtacos, jene Menschentöter aus der Glaubenswelt der Anden, die die Indios umbringen und ihnen dann das Fett aussaugen, um damit ihre Bauwerke zu befestigen. Es seien die Filmkameras dieser Pishtacos, die die Kraft hätten, den Indios und ihren Kindern das Fett abzusaugen und damit Körper und Seele auslöschen.

Vor dieser bedrohlichen mythologischen Macht können Herzogs und Saxers vertrauensbildende Maßnahmen keine Früchte tragen. Die verdeckte Spannung entlädt sich Ende November, als Saxer und Herzog sich im Ausland befinden. José Rodriguez Navarro, ein gut vierzigjähriger, schmächtiger Kreole mit von der Sonne zerfurchten Gesichtszügen, arbeitet als Aufbauingenieur für das deutsche Filmteam.

Er schildert den Überfall auf das Drehcamp: „Herzog und die anderen waren weg zu Verhandlungen im Ausland. Plötzlich kamen bewaffnete Indios in meine Hütte, mir war sofort klar, was das zu bedeuten hatte. Ich hob die Hände und versuchte sie zu beschwichtigen. Die waren aber nicht zu beruhigen. Die Aguarunas legten unsere Ausrüstung und Gerätschaft im Wert von 60.000 Dollar in Schutt und Asche.“

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Die Vision des Unmöglichen: Ein Amazonasdampfer muss über einen Berg gezogen werden. Foto: Wolfgang Stock, Iquitos, Januar 1981.

Ein Großteil der Aguarunas ist zur Zusammenarbeit nicht bereit, obwohl der Münchner Regisseur in Peru ziemlich deutsch vorgegangen ist: er verfügt über Drehgenehmigungen und akribisch ausgehandelte Arbeitsverträge. Bei einem für peruanische Verhältnisse nicht üblen Tageslohn von knapp drei Dollar inklusive freier Verpflegung stehen dem schwer zugänglichen Indiodorf die Vorzüge eines von den Filmer bezahlten Entwicklungsplans auch über das Drehende zur Verfügung: Medikamente, ärztliche Versorgung, zwei Boote, Nähmaschinen und Nähkurse sowie Unterstützung beim landwirtschaftlichen Anbau.

Wird der Film im Januar 1981 von der harten Realität Perus eingeholt? Kann man Herzog, dem Sensibelsten unter den Filmemachern, einen Mangel an Sensibilität vorwerfen? Mag sein, doch die kulturelle Identität der Indio-Völker zerstört nicht er, dazu erscheint Herzogs Projekt nun doch zu klein und zu machtlos. Die Lebensgrundlage der Indios verwüsten seit geraumer Zeit andere.

Fragwürdige Missionarssekten, Repressionen der abgewirtschafteten Militärjunta, das nicht zimperliche Vordringen PetroPerus zur Ausbeutung der neuentdeckten Ölvorkommen im Amazonasbecken – all dies zerstörte und zerstört die menschliche und kulturelle Identität der Amazonasindianer. Es sind jene moderne Desperados, die Öl, Gold, Holz oder gleich das Leben rauben, und das Militär sowieso. Ohne es zu wollen, gerät Werner Herzog in Peru zwischen die Fronten.

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