Dies ist ein Auszug aus dem Buch von Wolfgang Stock Schneefall in den Tropen:

Mexico City, im Jahr 1982

Der Eintritt in das Land gleicht einem Lotteriespiel. Nachdem die sichtlich gelangweilten Einwanderungsbeamten den länglichen, kaum lesbaren Einreisestempel in den Reisepass gedrückt haben, wird man freundlich gebeten, sich in die Menschenschlange vor der Zollkontrolle einzureihen.

Sobald man nun vor einem dicklichen Zollbeamten steht, führt dieser den Einreisenden zu einem einer Jahrmarktattraktion nicht unähnlichen Maschine. Die Apparatur besteht aus einem faustgroßen, farbigen Presskopf, auf den man kräftig drücken soll, was einer milden Variante des Hau-den-Lukas entspricht. Der Knopf wiederum löst eine Art elektrische Ampel aus, die dann nach dem Zufallsprinzip grün oder rot anzeigt. Springt die Ampel auf rot, so wird der Einreisende einer peniblen Kofferkontrolle unterzogen, bei grün wird man zum Durchgehen aufgefordert.

Ich habe mich schon Dutzende Male dieser drolligen Prozedur unterzogen, wobei die Ampel stets in saftigem Grün blinkte. Und ein jedes Mal bin ich von neuem amüsiert, mit welcher Nonchalance die Mexikaner bei der Einreise an Stelle des Verdachts den Zufall treten lassen.

Nach grün kommt grau. Die alte Tenochtitlan-Hauptstadt der Azteken ist jeden morgen verregnet. Oder – sie schaut zumindest so aus. Über den grauen Strassen mit ihren grauen Häusern liegt der Tau des kühlen Morgens und erst am späten Vormittag lugt die Sonne hervor, die dann jedoch schnell wieder verschwindet. Abends weht ein kräftiger Wind den stinkenden Industriedreck durch das Tal.

Der Smog klebt wie gelbgraue Spinnweben über dem nahen Himmel. Die Hochebene im Tal des Anáhuac ist platt wie ein Schüsselboden, auf den sich die welken Häuser wie eine dicke Schicht verhärteter Bodensatz eingebrannt haben.

 

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