Dies ist ein Auszug aus dem Buch von Wolfgang Stock Schneefall in den Tropen:
Wenn man dann wieder die Avenida aufwärts schlendert, so bleibt der Blick wieder und immer wieder an diesem hellen Palast mit der Nummer 1702 hängen. Luxus in the big blue, vorne blau und oben blau. Über den Palast senkt sich langsam eine Abendsonne, die kurze Schatten wirft.
Diese Adresse Avenida Atlantica 1702 ist eine magische Adresse. In den Hotelbüchern der Welt steht einfach Copacabana Palace. Der weiße Bau ist dem Negresco in Nizza nachempfunden und irgendwie sieht ein solcher Koloss vor dem Strand und vor den zierlichen Männern und anmutigen Frauen merkwürdig und wohl auch eine Spur zu wuchtig aus.
Hier logierte schon die Queen Elizabeth II, auch Marlene Dietrich war schon da. Und irgendwie bewahrt dieser weiße Riese in den Tropen noch ein Hauch von Belle Epoque, die ja bekanntlich in Europa schon vor hundert Jahren altersschwach dahingerafft wurde.
Es gibt Orte in Südamerika, die sogleich eine eigentümliche, ureigene Magie entfachen. Wer durch Feuerland gewandert ist, vermag zu erahnen wie klein der Mensch und wie kurz doch sein Dasein bemessen ist. Machu Picchu, die geheimnisvolle Inkastadt in den Andengipfeln, Iquitos, die Kautschukstadt im Amazonasdschungel, gehören dazu. La Tierra del Fuego, Feuerland, das Ende der Welt, natürlich auch.
Aber kein kommerziell gefasster Ort wie dieser Copacabana Palace besitzt diese Ausstrahlung, kein anderes Hotel der Welt jene Attraktivität, den dieses Puppenhaus der Belle Epoque am Rande des Meeres so auszeichnet.
Gibt es einen schöneren Ort, um zu sterben? Für Jorginho Guinle kaum vorstellbar. Sein Vater hatte das Copacabana Palace 1923 erbaut und Jorginho konnte sich mit den vielen Millionen Dollars, die der Verkauf an die Orient Express Hotel Group 1989 erbrachten, in vollen Zügen seinem ruhmreichen Playboy-Leben widmen. Jane Mansfield, Marilyn Monroe, Kim Novak, Anita Ekberg – die Liste in Jorginhos Notizbuch ist lang.
An einem schönen Märztag im Jahr 2004 sagten ihm die Ärzte des Ipanema Hospitals, dass es nicht gut um ihn stehe, die Bauchschlagader. Der 88-Jährige packte seine Sachen, fuhr ins Copacabana und bezog eine Suite. Er ließ sich wie immer ein Himbeersorbet auf silbernem Geschirr servieren. Das war am Donnerstag. Am Freitag ist Jorginho Guinle gestorben.