Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Kategorie: Brasilien

‚Running Out of Luck‘ – in den Tropen hat Mick Jagger wenig Glück, aber viel Humor

Hier nimmt sich einer wunderbar auf den Arm: Mick Jagger in Running Out of Luck.

Mickey Jaggero? Wer zum Teufel ist Mickey Jaggero? Im Jahr 1985 dreht Mick Jagger einen Spielfilm in Brasilien. Der Engländer Julien Temple, bekannt für seine Dokumentarfilme und Videoclips, führt in dem Film von 80 Minuten die Regie. Running Out of Luck heißt das Werk, das heute fast vergessen ist. Das Drehbuch stammt aus der Feder von Mick Jagger himself und von Julien Temple. Neben Mick spielt der große Dennis Hopper eine Hauptrolle. 

Der Film, wenn man ihn heute betrachtet, kommt ein wenig eigenwillig daher. Die Handlung ist schnell erzählt: Mick Jagger, er spielt sich selber, weilt in Rio, um ein Musikvideo zu drehen. Und vieles geht schief. Trunkenheit, Eifersucht, Raub, Herumirren – es geht rasant bergab auf der Leinwand. Zu guter Letzt wird Mick dann noch ins Gefängnis geworfen. Das Geschehen ist ziemlich irre, so wie das ganze Vorhaben. 

Etwas anderes weckt meine Aufmerksamkeit. Vier Jahre zuvor ist Mick Jagger schon einmal länger in Südamerika gewesen. Im Januar 1981 hat er den Wilbur gespielt in Werner Herzogs Filmepos Fitzcarraldo. Diese erste Version von Fitzcarraldo ist wegen schwerer Krankheit des Hauptdarstellers Jason Robards vorzeitig abgebrochen und erst in einer zweiten Version mit Klaus Kinski zu Ende gebracht worden. Dies ist eine abenteuerliche Geschichte, die ich damals als Zaungast in Peru beobachten durfte.

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Mick Jagger in Iquitos, Peru, Januar 1981. Foto: Wolfgang Stock.

Denn ich hatte das Glück, den Dreharbeiten beizuwohnen und auch Mick Jagger kennenzulernen. In Iquitos, mitten im peruanischen Amazonas, haben die Filmcrew und eine namhafte Garde an Schauspielern wie Jason Robards, Claudia Cardinale, Mario Adorf und eben Mick Jagger ihr Quartier aufgeschlagen. Alle sind voller Erwartung, mit dem Kult-Regisseur Werner Herzog zu drehen.

Die Linie von Herzogs Fitzcarraldo zu Jaggers Running Out of Luck bleibt augenfällig. Beide Filme spielen in den Tropen. Mit Grande Otelo, einem brasilianischen Comedian, hat Jagger einen Schauspieler engagiert, der auch schon bei Fitzcarraldo dabei gewesen ist. Ebenso ist Ehefrau Jerry Hall damals in Iquitos gewesen, hat allerdings in Fitzcarraldo nicht mitgespielt.

Auch wenn Mick Jagger auf der Bühne wie ein Feuerberg auftritt, im wirklichen Leben ist er ein angenehmer und zurückhaltender Zeitgenosse. Ein freundlicher Kerl, ohne Allüren und bar jeder Affektiertheit. Bei den Dreharbeiten von Fitzcarraldo ist aufgefallen, dass Mick durch Iquitos bummeln konnte, ohne groß beachtet zu werden. In Südamerika besitzt der Frontmann der Rolling Stones nicht unbedingt jenen Nimbus als Weltstar, den er in Europa und Nordamerika innehat. Jedenfalls ist dies Anfang der 1980er Jahre so gewesen.

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Mick Jagger während einer Drehpause zu Fitzcarraldo. Iquitos im Januar 1981. Rechts: Wolfgang Stock. Foto by René Pinedo/Archiv Dr. Stock.

In Running Out of Luck kokettiert Mick Jagger mit dieser vergleichsweisen Namenlosigkeit in Südamerika. Es gibt eine wunderbare Szene in dem Film. In einem verschlafenen Dorf betritt Mick, ohne Geld, einen Krämerladen auf der Suche nach einem Telefon. Doch die beiden brasilianischen Ladenbesitzer, ein Ehepaar, kennen ihn nicht. 

Ich bin Mick Jagger, Mickey Jaggero, versucht er die Händler zu überzeugen. Schulterzucken. Er geht zur Schachtel mit den Langspielplatten und blättert durch. Doch er findet einzig und allein Julio Iglesias, alles im Dutzendpack, den Schmalzkönig aus Madrid hört

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Mein Südamerika

Dies ist ein Auszug aus dem Buch von Wolfgang Stock Schneefall in den Tropen:

Wer sich in den weichen Knäuel frisch gepflückter Baumwolle wälzt, wer die fröhliche Unbekümmertheit der Menschen erlebt und wer das ultramarinblaue Wasser des Pazifiks vor Augen sieht – der kommt so schnell nicht mehr los von diesem Kontinent. Wenn man mit dem Flugzeug das ach so polierte Europa hinter sich lässt, so taucht man urplötzlich ein in eine merkwürdige Welt: in eine ansteckende Ausgelassenheit des Daseins ebenso wie auch in ein durch den Überlebenskampf gezeichnetes nacktes Elend.

Der Reisende erlebt einen Kosmos von beeindruckender Schönheit und beispielloser Bedürftigkeit zugleich. Die Wirklichkeit Lateinamerikas stellt sich ihm so facettenreich dar wie seine Landschaftszonen: das kalte, karge Hochgebirge, die berauschende Schwüle im Regenwald, das erdrückende Gedröhn in den Großstädten oder der laszive Charme pittoresker Fischerdörfer.

Und auch die volkswirtschaftlichen Entwicklungsstufen erlebt dieser Halbkontinent nicht schlüssig und in historischer Abfolge, sondern zeitgleich als eine Art chaotischer Mischzustand. Verarmte Kleinbauern, feiste Industriebarone und entrückte Internet-Yuppies laufen da nebeneinander her wie drei ungleiche Rivalen, die nichts von einander wissen möchten und sich eigentlich auch nichts zu sagen haben.

Darüber hinaus lassen sich

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Im Land des Lasters

Schneefall in den TropenAuszug aus Wolfgang Stock Schneefall in den Tropen:

Es sind nicht die vielen Dollars, die man da lassen muss, welche diesem Platz seine Magie verleihen. Es ist wohl eher umgekehrt: Weil der Platz eine solche Magie besitzt, muss man ihn sich teuer erkaufen. Nein, Geld macht irgendwie nicht den Kitzel dieses Ortes aus.

Wenn man jedoch ein paar Dollar sein eigen nennen kann, dann lässt es sich gut leben in Brasilien. Und viele kamen und kommen. Ende der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts war dieses Rio de Janeiro einer der Fluchthäfen für europäische Juden und andere Verfolgte.

Der prominenteste von ihnen war der Wiener Schriftsteller Stefan Zweig. Er mochte Brasilien und verzweifelte doch: 1942 nahm er sich in Petrópolis, in der Nähe Rios, das Leben.

Brasilien ist ein Land, in dem von vier Bewohnern drei katholischen Glaubens sind. Der Erlöser-Christus auf dem Buckelberg kontrastiert jedoch mit jenem Christus, den die Portugiesen nach Brasilien brachten. Der Christus der Kolonisten war ein

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Rio de Janeiro schreit und brüllt

Schneefall in den TropenAuszug aus Wolfgang Stock Schneefall in den Tropen:

Die Rezeption des Hotels strahlt in gediegener Eleganz. Wohl richtig gehört man nur dazu, wenn man beim Verlangen des Schlüssels nicht seine Zimmernummer nennen muss, sondern wortlos den richtigen Schlüssel ausgehändigt bekommt. Boa tarde, doctor, oder ein um dia lindo, profesor, hört man hier so diskret, das außer dem Angesprochenen kein Umstehender davon Kenntnis genommen haben dürfte.

Am meisten Spaß macht es, des Morgens direkt neben dem breiten Pool sein opulentes Frühstück einzunehmen. Nein, wer einmal hier in der Avenida Atlantica 1702 war, und wenn er seine fünf Sinne noch einigermaßen beisammen hat, der muss dem Charme dieses Ortes erliegen. Und wer als junger Mensch hier war, der wird das alles bis an sein Lebensende nicht mehr aus der Birne rauskriegen. You can’t take that out of the boy.

Egal, was im Leben noch passieren mag. Rio de Janeiro ist eine jener

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Rio de Janeiro – reich an Musik und Träumen

Rio de Janeiro, im Februar 1991

Ipanema, das ist der snobistische und gekünstelte Strand, eine Hohe Messe der narzistischen Huldigung. Aber Ipanema ist auch das schmauchende Tenorsaxophon eines Stan Getz, der Liebreiz einer Astrud Gilberto und die Poesie eines Antonio Carlos Jobim.

Brasilien ist ein Land, das vor Musikalität nur so sprüht. Wenn die Menschen gehen, meint man, sie tänzeln. Wenn sie reden, so glaubt man, sie sängen. Und wenn sie singen, so denkt man, irgendwo hier sei das Paradies auf Erden zu finden.

Die Musikalität und damit eine Leichtigkeit des Lebens sitzt tief drin in der Seele der Cariocas. Die Samba ist dieser brasilianischer Rhythmus, der dem ganzen Volk innewohnt. Und er passt wunderbar zur leichten Körperlichkeit der Menschen in Rio.

Ohne die einzigartige und auch widersprüchliche Wirklichkeit ist die Samba-Musik nicht zu verstehen. Denn wenn man in Rio de Janeiro ankommt, über die breiten Avenidas am Strand fährt, dann sieht man zunächst einen Zipfel vom Garten Eden.

Ipanema und Leblon teilen sich

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Astrud Gilberto singt den Bossa Nova

Photo by Volker Wagner

The Girl from Ipanema. Die zierlichen Töne dieser gut verträglichen Melodie erzählen von dem Strandmädchen aus dem schwülen Rio de Janeiro. Und die Musik klingt denn auch nach Tropenhitze, nach dem Meer und wohl auch ein wenig nach feiner Erotik.

An einem hübschen Julitag, irgendwann Ende der 70er Jahre, irgendwo in einer Stadt am Meer, treffe ich die Sängerin Astrud Gilberto. Sie ist the Girl from Ipanema.

Tom Jobim komponierte dieses Lied und es hat Astrud Gilberto zu einem Weltstar gemacht. Das war 1964 und noch heute hört man das Lied aus den Radios und in den Pianostuben von Seattle bis Monaco. Tom hatte sich in ein Mädchen verliebt, das jeden Tag auf dem Weg zum Strand wiegenden Schrittes an der Bar Garota de Ipanema vorbei schlenderte.

Astrud Gilberto kommt noch immer mit ein paar Tönen aus. Das ist nicht weiter schlimm, weil ihr zartes Timbre so wunderbar zur spielerischen Abgeklärtheit passt, die diesen Rhythmus aus Samba und Cool Jazz so auszeichnet. Hier sei eine Stimme ohne Stimme am Werke, haben damals viele gelästert, hier singe eine Hausfrau. Das waren hässliche Kommentare, und törichte obendrein. Denn man muss einwerfen, Astrud und der Bossa, Widerspruch ist nicht erlaubt, it’s a perfect match.

Nachdem sich solch eine Sichtweise durchgesetzt hatte, war die Karriere von Astrud Gilberto nicht mehr aufzuhalten. Den Grammy hat sie damals für The Girl from Ipanema bekommen, für jene legendäre Aufnahme mit Stan Getz und Joao Gilberto, ihrem damaligen Ehemann und einem der Väter des Bossa Nova.

Jener Bossa Nova, die neue Welle, ist ein bekömmliches Mixgetränk aus brasilianischer Lebensfreude und amerikanischer Reflektiertheit. Der Bossa, ein populärer Musikstil in den 60er Jahren, kommt so als eine Stilmischung aus brasilianischer Rhythmik, der samba do brasil, und cool jazz-beeinflusster Melodieführung daher. Gerade die Intellektuellen und die akademische Mittelschicht mögen diese Musik, die sowohl auf’s Herz als auch auf’s Hirn zielt.

In all ihren Liedern hat sich die Gilberto immer innerhalb einer Oktave bewegt und manchmal meint man, sie könne gar nur drei Töne singen. Und trotzdem hat niemand so bezaubernd die kühle Sinnlichkeit des Bossa Nova darreichen können, wie diese kleine, aparte Frau.

Trotz aller gesanglicher Limitation gehören ihre Schallplatten zu den musikalischen Höhepunkten des Jazz im letzten Jahrhundert. Besonders wenn das Tenorsaxophon von Stan Getz ihr zur Seite stand. Überhaupt Stan Getz. Jener Stan Getz, der wohl der beste Tenorist von allen war, und der zu früh gestorben ist, weil er viel zu viele Zigaretten geraucht hat.

In meiner Hand einen Martini, in der anderen eine John Player stehe ich nun vor Astrud Gilberto, die mich offen anblickt. Ich sehe Astrud an, ringe nach Worten, und weiß nicht so recht, was ich sagen soll. Wenn Du singst, bekommt deine Stimme Flügel und entschwebt, sage ich, und wundere mich noch, dass ich solch Sonderbares verzapfe. Vielen Dank, erwidert Astrud, das haben Sie schön gesagt. Und ein Lächeln hellt das Gesicht dieser zarten Frau auf.

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Der Palast des Luxus

Dies ist ein Auszug aus dem Buch von Wolfgang Stock Schneefall in den Tropen:

Wenn man dann wieder die Avenida aufwärts schlendert, so bleibt der Blick wieder und immer wieder an diesem hellen Palast mit der Nummer 1702 hängen. Luxus in the big blue, vorne blau und oben blau. Über den Palast senkt sich langsam eine Abendsonne, die kurze Schatten wirft.

Diese Adresse Avenida Atlantica 1702 ist eine magische Adresse. In den Hotelbüchern der Welt steht einfach Copacabana Palace. Der weiße Bau ist dem Negresco in Nizza nachempfunden und irgendwie sieht ein solcher Koloss vor dem Strand und vor den zierlichen Männern und anmutigen Frauen merkwürdig und wohl auch eine Spur zu wuchtig aus.

Hier logierte schon die Queen Elizabeth II, auch Marlene Dietrich war schon da. Und irgendwie bewahrt dieser weiße Riese in den Tropen noch ein Hauch von Belle Epoque, die ja bekanntlich in Europa schon vor hundert Jahren altersschwach dahingerafft wurde.

Es gibt Orte in Südamerika, die sogleich eine eigentümliche, ureigene Magie entfachen. Wer durch Feuerland gewandert ist, vermag zu erahnen wie klein der Mensch und wie kurz doch sein Dasein bemessen ist. Machu Picchu, die geheimnisvolle Inkastadt in den Andengipfeln, Iquitos, die Kautschukstadt im Amazonasdschungel, gehören dazu. La Tierra del Fuego, Feuerland, das Ende der Welt, natürlich auch.

Aber kein kommerziell gefasster Ort wie dieser Copacabana Palace besitzt diese Ausstrahlung, kein anderes Hotel der Welt jene Attraktivität, den dieses Puppenhaus der Belle Epoque am Rande des Meeres so auszeichnet.

Gibt es einen schöneren Ort, um zu sterben? Für Jorginho Guinle kaum vorstellbar. Sein Vater hatte das Copacabana Palace 1923 erbaut und Jorginho konnte sich mit den vielen Millionen Dollars, die der Verkauf an die Orient Express Hotel Group 1989 erbrachten, in vollen Zügen seinem ruhmreichen Playboy-Leben widmen. Jane Mansfield, Marilyn Monroe, Kim Novak, Anita Ekberg – die Liste in Jorginhos Notizbuch ist lang.

An einem schönen Märztag im Jahr 2004 sagten ihm die Ärzte des Ipanema Hospitals, dass es nicht gut um ihn stehe, die Bauchschlagader. Der 88-Jährige packte seine Sachen, fuhr ins Copacabana und bezog eine Suite. Er ließ sich wie immer ein Himbeersorbet auf silbernem Geschirr servieren. Das war am Donnerstag. Am Freitag ist Jorginho Guinle gestorben.

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