Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Schlagwort: Europa

Winfried Böttcher: Europas Zukunft liegt in der Regionalisierung

Winfried Böttcher: Europas Zukunft – Eine europäische Republik der vereinten Regionen.

Das wunderbare Friedensprojekt Europa, hervorgebracht durch den Schmerz zweier schrecklicher Kriege, hat in unseren Tagen kräftig an Glanz verloren. Zum einen bedrohen Nationalismus, Rechtsextremismus und Populismus das europäische Demokratiemodell. Dazu kommen hausgemachte Irrwege wie zu viel Bürokratie und ein paternalistischer Zentralismus. Diese Entwicklung stimmt traurig. In der Diagnose der europäischen Misere wird man wohl schnell auf einen Nenner kommen, doch wie lautet die Therapie?

Winfried Böttcher zeigt in seinem neuen Buch auf, dass es keinen Sinn macht, das Machtgefüge des überlebten Nationalstaates auf ein übergeordnetes europäisches Konstrukt zu übertragen. Denn Zentralinstanzen engen ein, gewähren ihren Subsystemen zu spät und nur eingeschränkt selbstbestimmte Freiräume. Jedoch hat die Idee Europas immer die Anerkennung der ethnischen, historischen und kulturellen Eigenarten einbezogen.  

Um aus dem Notstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit herauszufinden, schlägt der Aachener Wissenschaftler vor, ein oder zwei Schritte zurückgehen, um die Sicht auf die Utopie wieder freizulegen. Winfried Böttchers Grundannahme lautet, dass der Nationalstaat seine historische Funktion erfüllt hat und einem wirklichen europäischen Integrationsprozess im Wege steht. Als Gegenentwurf skizziert der Politikwissenschaftler die Idee eines Europa der Regionen, in der eine kraftvolle regionale Identität als Antrieb eines lebendigen Gemeinwesens dient.

Aus der kleinräumigen Unverwechselbarkeit, man darf sie populär ruhig Heimat nennen, sollte sich eine Dynamik entwickeln, die nach innen festigt und nach außen hin öffnet. Die Selbstorganisation der Regionen mit am Wohl des Gemeinwesens orientierter vielfältiger Mitwirkung der Bürgerschaft an allen sie direkt betreffenden Angelegenheiten entwickelt so auf Grundlage der Subsidiarität eine neue Vision: die Demokratie als Lebensform.

Subsidiarität bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings auch, die regionalen Systeme im Sinne autonomer Partizipation zu pflegen, auch unter Hinnahme des eigenen Machtverlustes der Europäischen Union. Schwer genug. Doch es gibt keinen anderen Weg: In einem System der Regionen in Form eines europäischen Föderalismus kann der Schutz von Minderheiten, der Respekt ihrer kulturellen Identität und ihre politische Teilhabe am besten gewährleistet werden.

Die Zukunft Europas liegt insofern in einer Kombination aus Regionalisierung und Internationalisierung. Ein Europa der vereinten Regionen wirkt mit seinem lebendigen Regionalismus nahe am Alltag der Menschen. Demokratische Partizipation und Solidarität vermögen, die anfallenden Probleme zu lösen und die europäischen Werte zu leben. Das Europa der Zukunft – so der Professor emeritus der RWTH Aachen – wird regional, föderal und humanistisch sein, oder es wird gar nicht sein.

Der Gegenentwurf des Aachener Wissenschaftlers für ein anderes Europa möchte den Menschen und seine Identität ins Zentrum aller Politik rücken. Dazu allerdings muss das europäische Haus in seinen Grundfesten neu angelegt werden, hierbei kommen Deutschland und Frankreich aus historischer Verantwortung die Rolle des Vorreiters zu.

Beim Lesen des neuen Buches von Winfried Böttcher überfällt den Leser ein Hauch von Wehmut. Denn die pointiert geschriebenen Einsichten zeigen, wie

Loading

Der Ukraine-Krieg: Wege aus der Krise

Winfried Böttcher: Russland – Die Ukraine – Der
Westen, 184 Seiten, ISBN: 978-3-7562-5716-4; BoD-Verlag, 14.50 €.

Es herrscht Krieg in Europa. Zerstörung, Tote, unfassbares Leid. Eine solche Krise hat Europa nach dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt. Ein falscher Schritt, eine fehlgeleitete Rakete, ein dummer Befehl – und die größte Katastrophe könnte sich ihren Weg bahnen.

Bei einer solchen Zuspitzung ist kühler Kopf und professioneller Rat gefragt. Einer der besten Kenner des europäischen Einigungsprozesses und zugleich der russischen Welt ist der Aachener Politologe Winfried Böttcher. Der 85-jährige Wissenschaftler hat jahrzehntelang den Lehrstuhl für Politische Wissenschaft an der RWTH innegehabt, nach seiner Emeritierung gründete er das Europa-Institut Klaus Mehnert an der Staatlichen Technischen Universität Kaliningrad. Böttcher hielt zudem hinaus zahlreiche Gastprofessuren, so auch in Kiew und Moskau. Wer könnte die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen besser einordnen als der Aachener Politikwissenschaftler?

Russland und der Westen heißt sein aktuelles Buch, in dem Winfried Böttcher für Respekt und gegenseitiges Verstehen wirbt. Die zu beobachtende ideologische und publizistische Aufrüstung verschlimmert den Konflikt nur. Schuldzuweisungen oder Verteufelungen mögen menschlich verständlich sein, tragen jedoch kein Jota zur Problemlösung bei. Das Schicksal Westeuropas bleibt eng mit dem Schicksal Russlands verbunden. Die Vorherrschaft des einen über den anderen ist nicht denkbar, nur gute Nachbarschaft und konstruktive Zusammenarbeit können die Grundlage für ein friedliches Miteinander sein.

Winfried Böttcher zieht in seiner Analyse den großen historischen und philosophischen Bogen. Vor diesem Hintergrund gelingt es ihm, auch Fehlentwicklungen anzusprechen. So hat das selbstverliebte Westeuropa die Neugier und die Auseinandersetzung mit anderen politischen und kulturellen Traditionen vernachlässigt und sich zu sehr in einem kulturellen Überlegenheitsanspruch gesonnt. In den schwachen Stunden ist dieser intellektuelle Dünkel in gebrochenen Zusagen, Herabwürdigungen und Hochmut gemündet.

Dabei ist vergessen worden, all die reichen Traditionen in eine gesamteuropäische Kultur einzubringen, die keinen abseits stehen lässt. Man kann diesen Ansatz auf die Politik umlegen: Weil immer noch die Interessen der Nationalstaaten im Vordergrund stehen, ist es nicht gelungen, eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur zu bauen. Doch wie kann der Krieg in der Ukraine nun beendet werden? Wie wird sichergestellt, dass es

Loading

Skizze eines anderen Europa

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist BöttcherCover-664x1024.jpg

Winfried Böttcher: Europa 2020 – Von der Krise zur Utopie. Tectum Verlag, 240 Seiten, 24 €, ISBN 978-3-8288-4462-9

Die alte Welt ist in den letzten Jahren von Krisen und Rückschlägen durchschüttelt.  Die Flüchtlingskrise, der Ukraine-Konflikt, Brexit, ein aufkommender Nationalismus, Umwelt- und Klimakrise, jetzt auch Corona. Europa und Brüssel als Lösungsmotor fallen in erschreckender Weise aus, es sind nach wie vor die Nationalstaaten, die sich um Schadensbegrenzung bemühen oder die Scherben aufsammeln. Der Aachener Politologe Winfried Böttcher sieht solche Krisen jedoch auch als Chance. Krisen seien mehrdimensionale historische Erschütterungen, die mit ihrem Veränderungsdruck für den gesellschaftlichen Wandels durchaus notwendig sind.

Der Krisendruck wird in den nächsten Jahren hoch bleiben oder noch steigen. Die Europäische Union bietet allerdings in ihrer derzeitigen Verfassung und Aufstellung keine echte Zukunftsperspektive. Ein Neustart sei das Gebot der Stunde. Der Gegner für eine solche Neuordnung bleibt der Nationalstaat, er ist die eigentliche Ursache für die Systemkrise, in der sich die EU befindet.

Den Herausforderungen der Digital-Epoche sind die Nationalstaaten nicht gewachsen. Die Märkte agieren global, sind schnell und wendig, optimieren ohne Rücksicht über alle Grenzen ihre Absatzchancen. Die Staaten hingegen sind nach wie vor schwerfällig und gelähmt, erweisen sich im Hase und Igel-Duell zu oft als Verlierer. In diesem ungleichen Wettbewerb steht Europa hilflos da, ohne Orientierung, ohne Perspektive und ohne Zuversicht.

Die Europäische Union mit ihren immer noch mächtigen Nationalstaaten befindet sich in einer systemischen Existenzkrise, sie droht institutionell, ökonomisch, sozial und wertorientiert zu scheitern. Die Defizite wurden, so lässt Winfried Böttcher anklingen, bereits bei der Gründung des europäischen Projekts gelegt. Vor allem bei der Fehlkonstruktion unzureichender Gewaltenteilung und der damit einhergehenden Dis-Balance und der ungenügenden Kontrolle.

Loading

Warum ist die europäische Banane krumm?

Winfried Böttcher (Herausgeber)
Europas vergessene Visionäre
Rückbesinnung in Zeiten akuter Krisen
2019, 521 S., Gebunden; 58,- €

Ob mit Europas vergessenen Visionären nicht gleich auch deren Visionen perdu gegangen sind? Die Sorge scheint berechtigt im Jahr 2019. Hat Europa in der heutigen Verfassung überhaupt eine Zukunft? Der europäische Zusammenhalt ist brüchig wie nie: Absetzbewegungen wie der Brexit sind zu beklagen, durch Banken- und Etat-Krisen ist massiv Vertrauen verspielt worden, nationalistische Rollbacks sind allerorten zu beobachten. Ein Europa in Zeiten akuter Krisen braucht jedenfalls neue Schwungkraft, mindestens. 

In seinem aktuellen Werk Europas vergessene Visionäre erinnern Winfried Böttcher und seine Mitautoren aus welchen historischen und politischen Erwägungen einst die Vision Europa entstand. Wichtige, aber zu Unrecht in Vergessenheit geratene europäische Denker wie Ludwig Börne, Jean Jaurès oder Salvador de Madariaga zeigen, dass vor allem das Denken in fatalen Kategorien wie Freund/Feind überwunden werden sollte. Man liest in die zahlreichen Biografien dieses fein recherchierten Sammelbandes hinein, mit Neugier auf den Menschen, aber auch mit dem Blick auf jenes, was von der visionären Kraft als Vermächtnis im 21. Jahrhundert noch übrig geblieben ist.

Viel ist es nicht. Der Europa-Politik der letzten Jahre sind in meinen Augen vor allem zwei kapitale Fehler unterlaufen. Der erste: Statt die hehre Europa-Idee zum Leuchten zu bringen, hat man zu oft den EU-Amtsschimmel wiehern zu lassen. Für den schwerwiegenderen zweiten Fehler wird gerade von Italien über Ungarn bis Frankreich die Quittung erstellt: Politik und Medien haben die identitätsstiftende Kraft des Nationalstaates unterschätzt. Baustellen gibt es also zuhauf in Europa.

Fraglos vermag die Wissenschaft Lösungsoptionen bereithalten, wenn Politik und Öffentlichkeit bloß die Ohren spitzen würden. Mit seinen Veröffentlichungen und seiner über 50-jährigen Tätigkeit in Lehre und Forschung gehört Winfried Böttcher selbst zu den unermüdlichen Visionären Europas. Von den Anfängen an der London School of Economics bis hin zur RWTH Aachen, wo er den Lehrstuhl von Klaus Mehnert übernahm, hat Winfried Böttcher unentwegt als Impulsgeber für Europa gerackert. 

Es lohnt, sich mit Winfried Böttchers Ideen eines modernen Europas auseinander zu setzten. Böttcher sieht die Funktion des Nationalstaates als erfüllt an, er hat sich historisch überlebt. Der neue Organismus jedoch braucht ein neues Funktionsprinzip, Professor Böttcher bietet das ordnungspolitische Konzept der Subsidiarität an. Die Hoheit für staatliche Aufgaben und Verantwortlichkeit ist der jeweils untersten dafür geeigneten Ebene zu übertragen. Die übergeordnete Einheit kommt erst dann zum Zuge, wenn die untergeordnete ergebnismäßig überfordert ist.

In diesem Sinne plädiert Winfried Böttcher für ein vereintes Europa, das subsidiär aufgebaut ist, als eine politische Ordnung von unten mit einer weitgehenden Autonomie der Regionen. Diese Europa-Vision ist nicht nur erkenntnistheoretisch schlüssig, sondern zudem politisch und wirtschaftlich klug. Denn die Idee Europa kann funktionieren, wenn Subsidiarität als ein fester Rahmen dennoch die Entfaltung der individuellen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung ermöglicht.

Den Krümmungswinkel einer Banane sollten deshalb nicht

Loading

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén