Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Wer hat Wilhelm von Humboldt abgemurkst?

Rektor Professor Ernst Schmachtenberg, Dr. argenteus Wolfgang Stock; Aachen, im Juni 2010

Vor einem guten Jahr war ich mal wieder zu Besuch an meiner Alma Mater. Die RWTH Aachen lädt ein zum silbernen Doktorjubiläum. Bei solchen Anlässen merkt man, wie schnell die Zeit vergeht.

An diesem festlichen Abend erhält man vom Rektor nochmals die Doktor-Urkunde, diesmal in feines Silber gerahmt, und zusammen mit den anderen 80 ehemaligen Doctores des Jahrgangs 1984 wird gefeiert. Promotion in Aachen, man lässt eine tolle, längst versunkene Zeit Revue passieren.

Vor 25 Jahren sah die Bildungswelt in Deutschland noch ganz anders aus. Die RWTH Aachen, die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, heißt zwar immer noch so, denn die vier Versalien sind ein starkes Markenzeichen in akademischen Gefilden. Doch man kann in letzter Zeit auch vermehrt das internationale RWTH University of Technology erspähen.

Der Blick geht in die weite Welt, was erfreut. Doch auch nach innen erfolgte über die Zeit ein Paradigmenwechsel. Dem Humboldt’sche Bildungsideal wurde der Garaus gemacht. Dies ist zu beklagen. Wilhelm von Humboldt, der preußische Bildungsreformer, hat seit dem 19. Jahrhundert die Grundlagen der Bildung in Deutschland definiert: das eigenverantwortliche, freie Lernen, keinen Obrigkeiten oder Wirtschaftsinteressen verpflichtet. Die Gelehrsamkeit sollte der Entwicklung von Geist und Seele dienen.

Von Humboldt war für die Bildung das, was die Staatsminister Freiherr vom Stein für die Innenpolitik und Fürst von Hardenberg für die Aussenpolitik waren. Nachhaltige Reformer im Sinne der bürgerlichen Aufklärung und des Liberalismus. In der Tradition der Französische Revolution sah Humboldt in einer umfassenden Bildung das Freiheitsideal des mündigen Bürgers verwirklicht. Wissen und Bildung seien die Voraussetzungen von Tugend und Würde. Ziel blieb der ganzheitlich gebildete Mensch im sozialen Verband, der Individuum und Weltbürger zugleich war.

Bologna hingegen, das aktuelle Bildungsmaß, ist kleines Karo. Fachwissen, Skills, Berufsfähigkeit in einer international gefassten Arbeitswelt. Ausbildung statt Bildung. Die Hochschule wird zur Schule. Am Ende des Bildungslebens steht, es sei beklagt, der anti-intellektuelle Schmalspur-Akademiker.

Schade. Meine Generation war noch den Idealen Humboldts verpflichtet, die Studenten von heute praktizieren das meist sinnfreie Bulimie-Lernen der Bologna-Reformer. So wie sich die klassische Volkswirtschaftslehre hin zu einer quantitativen oder mathematischen Volkswirtschaftslehre entwickelt hat, so sind die meisten Disziplinen heute an gewerblich Verwertbarem interessiert. Modernität wird auf eine eindimensionale Praxistauglichkeit reduziert.

Wo also steckt Wilhelm von Humboldt? In der Mülltonne, so bleibt betrübt festzustellen, in der Mülltonne der modernen Bildungspolitik.

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The Barça-Touch

  1. apple

    Bildungspolitik??? Eher schon Ausbildungspolitik, aber die scheint auch nicht so recht zu funktionieren, denn inzwischen sollen nicht nur IT-Experten, sondern auch Facharbeiter nach Deutschland „importiert“ werden.

    Hier wäre sicherlich Ursachenforschung angesagt (und nach deren Erkenntnis entsprechendes Handeln). Wissensdurst scheint bei den „Kids“ durchaus vorhanden zu sein. Aber dieser Wissensdurst – und der ist im Vorschulalter am ausgeprägtesten zu sein – wird nicht mehr gestillt und auch nicht weiter gefördert. Und sage mir niemand, die Lehrer/innen trügen allein die Schuld daran.

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