Notizen und Anmerkungen von unterwegs

John Naisbitt, Jäger und Sammler

München, den 17. Mai 1990; Photo by W. Stock

München, den 17. Mai 1990; Photo by W. Stock

Wie stellt man sich gemeinhin das Leben in der Beletage der Autorenwelt vor? Nun, First-Class-Reisen, Luxus-Hotels, Weiber, Schampus, Kohle bis zum Abwinken. Bisweilen mag das so sein. Doch der liebe Gott, man ahnt es schon, hat vor den Erfolg den Schweiß gesetzt.

John Naisbitt, der Autor von Millionenseller wie Megatrends, ist vor allem ein fleißiger Faktensucher. Zwar fließen die Sätze in seinen Bücher so flott dahin wie ein lieblicher Gebirgsbach. Was jedoch in seinen Büchern und Aufsätzen so leicht und locker daher kommt, bedeutet in Wirklichkeit monatelange mühevolle Kleinarbeit.

Wenn der bärtige Amerikaner recherchiert, dann lange und gründlich. Und John recherchiert nicht nur in Büchern oder anderen Veröffentlichungen, sondern er begibt sich am liebsten vor Ort, spricht mit den Protagonisten, will seine Kenntnis aus erster Quelle. Sicherlich ist es einfacher für einen Weltautoren wie ihn, um die halbe Welt zu jetten und Termine bei der ersten Riege zu bekommen. Bei Ministern, Präsidenten und Wissenschaftlern.

Ich erinnere mich, der Trendforscher sollte Anfang der 90er Jahre einen Artikel für das New York Times Magazine schreiben über Deutschland nach dem Mauerfall. In welche Richtung würde Deutschland sich entwickeln? Wie wird die Wiedervereinigung ausgehen? Was sind die Konsequenzen für Europa?

Viele Schreiber würden sich in solch einer Situation zu Hause an die Schreibmaschine setzen und los fabulieren. Nicht so John. Was nachher im Text so flott und kompakt erscheint, das ist richtig harte Arbeit von Tagen und Wochen.

Bei dem NYT-Artikel kann ich dies als Beobachter bestätigen. Ich half John und seinem Sohn John junior mit ein paar Terminen bei Politikern in Bonn und bot mich als Chauffeur an. Von morgens bis abends waren wir unterwegs. Termin auf Termin. Bei Regierungsmitgliedern, Politikern, Publizisten, Unternehmensberatern.

Naisbitt fragt im Gespräch nach der Einschätzung des Gesprächspartners, vor allem aber nach Fakten. In einem Mindset, seinem Denkmuster, nennt John diese Arbeitsweise focus on the score of the game. Schau dir zuerst das Ergebnis eines Fussball-Spiels an. Das zählt!

Nach unserer Recherche-Tour flog John zurück nach Boston und setzte aus all seinen Gesprächs-Steinchen sein Fakten- und Meinungs-Mosaik zusammen. Am Ende steht bester amerikanischer Journalismus. Faktenreich, recherchestark, klar in der Analyse und elegant im Stil. Und sympathisch undogmatisch im Denken, pragmatisch im besten Sinne. Und damit lesenswert.

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  1. apple

    Ja, so ist das mit dem Schreiben – wenn man ernst genommen werden will. Dann zählen eben nur Fakten. Wilde Spekulationen vom heimischen Schreibtisch aus bringen nichts. Harte Fakten, und dann daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Die können dann vom geneigten Leser auch nachvollzogen werden. Deshalb liebe ich Sachbücher. Bei Biografien weiß ich nicht, ob da was übertrieben, zu glorreich dargestellt oder Missliebiges ganz einfach „vergessen“ wurde. Und wenn ich es wirklich wissen will, dann muss ich selbst suchen – nach Fakten.

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