Notizen und Anmerkungen von unterwegs

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Was gehört in ein gutes Buch-Exposé?

Eine subjektive Betrachtung von Wolfgang Stock; Ex-Cheflektor ECON-Verlag und BuchMarkt-Kolumnist. Foto: Daniel Biskup.

Ein Buchautor, der einen Verlag sucht, kann so viel falsch machen bei der Erstellung eines Exposé. Exposé bedeutet Übersicht, kurze Zusammenfassung, das Wichtigste auf einen Blick. Es bedeutet nicht: das ellenlange Nacherzählen des Manuskriptes oder die Diskussion, warum genau dieses Buch der neue Mega-Seller wird.

Es hilft ein wenig, sich in den Kopf eines Lektors zu versetzen. Was ist ihm wichtig? Worauf kommt es ihm an? Als ich bei einem großen Sachbuch-Verlag als Lektor gearbeitet habe, erhielten wir etwa 20 Buchvorschläge. Pro Tag. Unaufgeforderte Einsendungen, Vorschläge von Autoren, Lizenzen von Literaturagenten aus dem In- und Ausland. Alles in allem also ca. 7.000 Manuskripte pro Jahr. Von den unverlangten Manuskripten der Neulinge wurden vielleicht 2 oder 3 im Jahr genommen. So viel zu den Chancen.

Viele Großverlage teilen – offen oder mental – ihr Programm in A, B und C-Titel. A-Titel sind potentielle Bestseller. Also Bücher, die beispielsweise ein bekanntes Fernsehgesicht, eine Schauspielerin oder ein Schlagerstar geschrieben haben. B-Bücher sind Titel von bereits publizierten Autoren, die eine übersichtliche, aber doch treue Fan-Gemeinde besitzen. C-Titel füllen das Programm in der Hoffnung, einen Überraschungserfolg zu erzielen.

Ein Neuling sollte wissen, in welche Kategorie er fällt. Wenn jemand kommt und so auftritt, als gehöre sein Manuskript in die Kategorie A, dann fällt dies schon unter Größenwahn. Die Verlagsleute merken, dass ein Amateur am Werk ist. Für Newcomer geht es vielmehr darum, nachvollziehbar zu begründen, warum ein C-Manuskript zu einem unerwarteten Erfolg werden könnte. Diese (stimmige) Begründung gehört unbedingt in das Exposé.

Damit sind wir beim Marketing. Es ist das Herzstück des Exposé. Nicht der Inhalt, die Gliederung oder die Biografie des Autors (das kann ich woanders einsehen). Für das Marketing eines Debütanten möchte ich als Lektor solche Fragen beantwortet bekommen:

  • kennt man die Autorin oder den Autor auch außerhalb des Familien- und Freundeskreises?
  • geht er/sie einer öffentlichwirksamen Tätigkeit nach (Radiomoderator, TV, Firma)?
  • veranstaltet er Seminare oder tritt er als Referent auf Kongressen auf?
  • ist er gewichtig in den sozialen Medien präsent (eigenes Portal, YT-Kanal, Instagram etc.)?

Ein Verlagslektorat steht unter dem Druck, Bestseller zu entdecken. Geschieht selten genug. Mehr wird es zu einem Druck, Flops zu vermeiden und Risiken zu minimieren. Je mehr Indizien dafür vorhanden sind, dass man es mit einem steigerungsfähigen C-Buch zu tun hat, desto eher bekommt man in einem renommierten Verlagshaus eine Chance.

Nachstehend das Muster eines Exposé. Auf einer Seite. Mehr nicht. Ein Lektor ist immer im Stress. Mehr als ein paar Minuten Zeit hat ein Lektor bei der Vielzahl der Manuskripte nicht. Nach ein paar Sekunden weiß ein erfahrener Lektor bereits, wie der Hase läuft.

Als guter Autor sollte ich zudem die Fähigkeit besitzen, auf einer Seite für mein Projekt Neugierde zu wecken. Beim Lektor und später beim Leser. Sollte der Lektor anbeißen, folgt sein Blick in die weiteren Unterlagen (Manuskript, Arbeitsproben etc.) und er greift zum Telefonhörer.

Exposé für ein Sachbuch (fiktives Thema)

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Bierdeckel12.jpg

Über Vermarktung rede ich deshalb so viel, weil ein Verlag ein Wirtschaftsunternehmen ist, das Geld verdienen muss. Deshalb sollte sich der Autor immer auch ein paar schlaue Gedanken zum Marketing machen. Das gilt sowohl für das Sachbuch als auch für die Belletristik, auch wenn sich bei Fiction die Schwerpunkte etwas verschieben.

Übrigens, bisher habe ich kein Wort verloren über die Qualität des Manuskriptes. Über die tolle Umsetzung. Über den schlüssigen Aufbau. Über die stimmige Charaktere. Über

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Auch im Selfpublishing kann der Handel manche Perle finden

Wolfgang Stock mit seiner Hemingway-Biografie Cabo Blanco. Foto: Christian von Zittwitz.

Wolfgang Stock im Gespräch mit Christian von Zittwitz über das Verlegen auf eigene Faust, über den Buchhandel und das Marketing.

Der ehemalige Cheflektor ECON Wirtschaft befindet sich mit seiner Hemingway-Biografie Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru auf Lesereise. Nach einer Veranstaltung in der Kaiserswerther Buchhandlung Lesezeit schaute der ehemalige BuchMarkt-Kolumnist in der Redaktion vorbei.

Kann man mit Ernest Hemingway noch jemand hinter dem Ofen hervorlocken?
In Düsseldorf haben wir die Lesezeit voll bekommen.

Was macht den Mann aus, dass man noch heute über ihn redet…
Das Leben des Nobelpreisträgers von 1954 ist so wahnsinnig bunt. Er steht für alles, was so ein Menschenleben ausmacht. Im positiven wie im negativen.

Wo fängt man da an…
Ich habe eine wenig bekannte Episode aus seinem Leben herausgegriffen, eine fünfwöchige Reise nach Peru zu den Dreharbeiten zu Der alte Mann und das Meer. Vor Ort habe ich lange recherchiert und mein Material mit Rück- und Seitenblicken zu einem Psychogramm angereichert. Auf jeder Seite möchte man eigentlich mit der Diskussion beginnen. Dieser seltsame Kerl lässt niemanden kalt.

Sie haben das Buch bei BoD verlegt. Ihre Erfahrungen nach einigen Monaten?
Books on Demand nähert sich immer mehr den Standards der Verlage an. Durch Neuerungen im Druck und die Verzahnung mit Libri merkt der Händler als auch der Kunde fast keinen Unterschied. Druckqualität, Lieferfristen, Remissionsrecht oder Rabatt ­– all das unterscheidet sich wenig von den etablierten Verlagen.

Was war für Sie das stärkste Argument fürs Selfpublishing?
Zeit. Während ich bei den Verlagen an die Programmzyklen gebunden bin, oft mit Wartezeiten von zwei Jahren, kann ich bei BoD von jetzt auf gleich loslegen. Gerade bei Biografien ist Timing wichtig. Jahrestage und Jubiläen gilt es im Auge zu halten.

Und das schwierigste beim Selfpublishing?
Marketing. Das unterscheidet sich nicht von herkömmlichen Verlagen. Das Buch muss zum Leser.

Was funktioniert beim Marketing?
Jeder muss da seine eigene Strategie finden. Ich betreibe das Portal Hemingwayswelt.de mit 3.000 Besuchern jeden Monat. Das ist die Grundlage, die öffentliche Sichtbarkeit, hier trommle ich praktisch jeden Tag. Ansonsten habe ich gute Erfahrungen mit Facebook gemacht.

Was bedeutet das konkret?
Als Autor sollte man versuchen, mit redaktionellen Beiträgen in die geeigneten FB-Gruppen hineinzugehen. Zum Thema Hemingway beispielsweise gibt es ein halbes Dutzend Gruppen und Foren, oft mit Tausenden Mitgliedern. Darüber hinaus gilt es thematisch verwandte FB-Gruppen auszumachen, bei Hemingway beispielsweise amerikanische Literatur, Kuba oder Sportfischen. Das ist eigentlich typisches Mirco-Marketing. Mit bescheidenen Mitteln dorthin gehen, wo die Zielgruppe zu finden ist.

Welche Rolle spielt der Buchhandel?
Ganz besonders freue ich mich über den Zuspruch der Buchhändlerinnen und Buchhändler. Die Empfehlung des Handels ist für mich wie ein Adelsschlag. Lesungen funktionieren beim Thema Hemingway wunderbar. Wobei ich keine Lesung im herkömmlichen Sinn abhalte, sondern

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Norberto Fuentes verfolgt Ernest Hemingway

Norberto Fuentes, Mitte der 80er Jahre; Photo by W. Stock

Der kubanische Journalist Norberto Fuentes ist Ernest Hemingway schon seit jungen Jahren auf der Spur. Der ehemalige Prensa-LatinaReporter, Jahrgang 1943, ist in der Begegnung ein jovialer Mensch. Und ein großer Verehrer des bärtigen Schriftstellers aus dem Gringo-Land. Hemingway hat 20 Jahre auf Kuba gelebt, und dass die Welt viel über diese Jahre weiß, das verdanken wir Norberto Fuentes.

Norberto hat 1984 ein wunderbares Buch über Hemingway auf Kuba veröffentlicht. Ein dicker Schmöker, Hemingway en Cuba. Im Verlag Letras Cubanas herausgegeben, auf billigem Papier und zudem schlecht typografiert, jedoch eine einzige Liebeserklärung von Seite 1 bis 718. Eine Fleißarbeit, mit vielen seltenen Fotos.

Gabriel García Márquez hat das Vorwort dazu geschrieben. Norberto Fuentes hat in dem Buch alles zusammen getragen, was er über Hemingway auf Kuba finden konnte. Dokumente, Zeitzeugen, Aussagen alter Freunde und Weggefährten, und selbst den Comandante Fidel hat er ausführlich zu Hemingway befragt. Eine eifrige und engagierte Spurensuche, herausgekommen ist eines der schönsten Bücher zu Ernest Hemingway überhaupt.

Norberto Fuentes verneint meine Frage,

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John Naisbitt, Jäger und Sammler

München, den 17. Mai 1990; Photo by W. Stock

München, den 17. Mai 1990; Photo by W. Stock

Wie stellt man sich gemeinhin das Leben in der Beletage der Autorenwelt vor? Nun, First-Class-Reisen, Luxus-Hotels, Weiber, Schampus, Kohle bis zum Abwinken. Bisweilen mag das so sein. Doch der liebe Gott, man ahnt es schon, hat vor den Erfolg den Schweiß gesetzt.

John Naisbitt, der Autor von Millionenseller wie Megatrends, ist vor allem ein fleißiger Faktensucher. Zwar fließen die Sätze in seinen Bücher so flott dahin wie ein lieblicher Gebirgsbach. Was jedoch in seinen Büchern und Aufsätzen so leicht und locker daher kommt, bedeutet in Wirklichkeit monatelange mühevolle Kleinarbeit.

Wenn der bärtige Amerikaner recherchiert, dann lange und gründlich. Und John recherchiert nicht nur in Büchern oder anderen Veröffentlichungen, sondern er begibt sich am liebsten vor Ort, spricht mit den Protagonisten, will seine Kenntnis aus erster Quelle. Sicherlich ist es einfacher für einen Weltautoren wie ihn, um die halbe Welt zu jetten und Termine bei der ersten Riege zu bekommen. Bei Ministern, Präsidenten und Wissenschaftlern.

Ich erinnere mich, der Trendforscher sollte Anfang der 90er Jahre einen Artikel für das New York Times Magazine schreiben über Deutschland nach dem Mauerfall. In welche Richtung würde Deutschland sich entwickeln? Wie wird die Wiedervereinigung ausgehen? Was sind die Konsequenzen für Europa?

Viele Schreiber würden sich in solch einer Situation zu Hause an die Schreibmaschine setzen und los fabulieren. Nicht so John. Was nachher im Text so flott und kompakt erscheint, das ist richtig harte Arbeit von Tagen und Wochen.

Bei dem NYT-Artikel kann ich dies als Beobachter bestätigen. Ich half John und seinem Sohn John junior mit ein paar Terminen bei Politikern in Bonn und bot mich als Chauffeur an. Von morgens bis abends waren wir unterwegs. Termin auf Termin. Bei Regierungsmitgliedern, Politikern, Publizisten, Unternehmensberatern.

Naisbitt fragt im Gespräch nach der Einschätzung des Gesprächspartners, vor allem aber nach

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Peter Drucker wird achtzig

Ein Glückwunsch zum Geburtstag.

Eigentlich ist das Internet so eine Art riesige Wundertüte, ein digitales Überraschungsei, wo am Ende viel Elend, jedoch auch manche Perle zu uns findet. Beim Stöbern entdecke ich nun, dass die kalifornische Claremont Universität den Nachlass von Peter F. Drucker digitalisiert und online der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

In dieser Digital Library des Claremont College, das eine Stunde östlich von Los Angeles liegt, finden sich Briefe, Manuskripte und Aufzeichnungen des berühmten Management-Vordenkers, der an Claremont gelehrt hat. Es lohnt sich, in die Briefe einen Blick zu werfen.

Und welches Schreiben entdecke ich da? Einen Glückwunsch zum Achtzigsten aus dem Jahr 1989!

An diesen Brief kann ich mich nicht mehr recht erinnern, über die Jahre habe ich ihn vergessen. Er ist ein Gemeinschaftsschreiben von Hero Kind, Frank-Lothar Hinz und mir. Der Brief lief über unsere New Yorker Bürochefin Christina McInerney.

Christiana, eine elegante New Yorkerin besten Alters, repräsentierte ECON aus der Mitte Manhattans an der 23rd Street in den USA. Sie hielt den Kontakt zu Verlagen, zur Presse, zu Lektoren, zu Autoren und war als Scout für uns tätig.

Zur Aufgabe eines literarischen Scouts gehört es, Themen, Autoren und Bücher für den deutschen Markt aufzuspüren. Und Christina McInerney war eine großartige Trüffelsucherin. Später – als ECON nicht mehr ECON sein wollte -, da hörte auch Christina auf und übergab das Geschäft an ihre langjährige Assistentin Jane Starr.

Drucker zum Achtzigsten. Schöne Erinnerung an diesen großen Wirtschafts-Philosophen kommen auf, wenn ich heute diesen Brief lese. 1989. Da sollte Peter Drucker noch mehr als 15 Jahre leben. Kurz vor seinem 96. Geburtstag ist er gestorben, in Claremont.

siehe auch: Peter Drucker, der Große
siehe auch: Peter Drucker, der unprofessorale Professor

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Es rrrummst im New Journalism

Der New Journalism ist so etwas wie die Kulturrevolution des Schreibens. Subjektivität statt Objektivität, Nähe statt Distanz. Rrrumms statt Analyse. Die neue Reportage hat dann nur noch wenig von der vermeintlichen Sachlichkeit des traditionellen Journalismus.

Diese neue Art des Schreibens wird von der Beat Generation, vor allem von Jack Kerouac, beeinflusst. Der Kerl konnte wunderbare Sätze schreiben, die über eine volle Buchseite liefen und trotzdem fraß ihn das Heroin auf. Aber auch Ernest Hemingway oder Jack London mit ihrem erzählerischen Schreibstil prägen den New Journalism. Und wenn richtig gut geschrieben wird, dann ist diese neue Art der Reportage die Veredelung des Journalismus zur Kunstform.

Die Erzählweise des New Journalism benötigt intensive Recherche, manchmal muss man sich wochenlang an die Fersen einer Person hängen. Auch sollte man genau hinschauen und sehr detailverliebt schreiben. Wenn man dies beherzigt, dann muss der Leser aus den Zeilen den Duft riechen, die Farben sehen und den Rabatz hören können. Eine solche Reportage besitzt dann nicht nur Gefühl und Gespür, sondern auch Tempo und Temperament.

Der Autor darf sich selbst einbringen. Hier das rechte Maß zu finden, ist eines der Qualitätsmerkmale des New Journalism. Manche haben das übertrieben, anderen will es gar nur schwer gelingen, die Erzählperspektive abrupt zu ändern.

Der New Journalism erlebt seine Blütezeit in den 60er und 70er Jahren. Hunter S. Thompson schreibt für den Rolling Stone. Gay Talese und Tom Wolfe für Esquire. Truman Capote und Norman Mailer veröffentlichen eher Bücher.

Und da ist einer wie Michael Herr, wieder für Esquire, der Chronist der Dispatches aus dem Krieg in Vietnam. Wir waren alle in die Sitze der Chinook geschnallt, fünfzig waren wir, und irgendwas, irgend jemand schlug von draußen mit einem kolossalen Hammer drauf.

Gerade Sujets wie Kriege, Gewalt und Unterdrückung schrien nach der spürbaren Emotionalität des New Journalism. Ein Krieg musste nach Blut stinken, nach Angstschweiß und Tränen, nach vollgeschissenen Hosen – und nicht nach distinguierter Poetentinte.

Heute, man muss es so sagen, ist der New Journalism passé. Alle Schauplätze wurden besucht, alle dunklen Ecken sind ausgeleuchtet, jeder Nerv wurde gekitzelt. Und die neue Schreibergeneration kommt bei weitem nicht an die Qualität ihrer Vorbilder heran. Der New Journalism ist, seien wir aus Respekt höflich, der New Journalism ist alt geworden.

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Rafael Alberti, der Dichterfürst geht zum Volke

Ein alter Mann mit wallender schlohweißer Mähne betritt die knapp hergerichtete Bühne des Teatre Grec in Barcelona. Grelle Scheinwerfer strahlen den Vortragenden an. Der sonore Baß des Dichters füllt die beängstigende Atmosphäre der einfallenden Nacht. Die zahlreichen Zuhörer verharren in ehrfürchtiger Stille.

Aire y Canto de la poesia a dos voces – Poetische Melodien und Lieder für zwei Stimmen ist in der antiken Arena der katalanischen Metropole angesagt. Wir schreiben den 10. August im Jahre 1979.

Rafael Alberti, der große alte Mann der spanischen Dichtkunst, und Núria Espert rezitieren ein Jahrhundert spanischer Poesie. Surrealismus, Dadaismus, Agitprop, Groteskgedichte. Es ist die Geschichte Spaniens und gleichzeitig die Geschichte Rafael Albertis.

Nach dem Tod Francos erlebte Spanien eine Renaissance der Poesie, eine Bewegung, an deren Spitze der Andalusier Alberti marschierte. Noch heute erzählt man sich bewundernd, wie er es schaffte, eine Madrider Stierkampfarena mit 40 000 Zuhörern zu füllen. Im Gespräch erinnert Alberti an seine Freunde und beschreibt die Aufbruchstimmung der spanischen Intellektuellen der 20er Jahre. Jene Generation der Dalí, Buñuel, Cernuda, Picasso, die das Gesicht der europäischen Kultur entscheidend bestimmt hat.

Alberti gedenkt seines Freundes und andalusischen Landsmanns García Lorca, der von den Franquisten ermordet wurde. Ein solcher Vortrag, wie wir ihn heute veranstaltet haben, wäre unter der erdrükkenden Zensur des Franquismus nicht möglich gewesen. Man hätte dies sicher verboten. Don Rafael weiß, wovon er redet. Die Hälfte seines achtzigjährigen Lebens hat er im Exil verbringen müssen.

Neben Vicente Aleixandre und Jorge Guillén ist Alberti der letzte Überlebende jener literarischen Generation von 1927. Die um die Jahrhundertwende geborenen Dichter suchten und fanden Anschluß an die literarischen Strömungen des modernen Europa, indem sie sich auf die eigene poetische Tradition eines Luis de Góngora besannen, dessen Todestag sich in jenem magischen Jahr zum dreihundertsten Mal jährte. Das war ein großartiges Jahr, 1927, sagt der Dichter, Stierkämpfer wollte ich werden.

Der 1902 in Puerto de Santa María geborene Rafael Alberti, seinen wenig andalusischen Nachnamen verdankt er den italienischen Großeltern, blieb stets ein Kind seiner Heimat. Die Farbe, das Licht, das Meer der Bucht von Cádiz haben den Rhythmus seiner Poesie immer begleitet. 1925 gelingt ihm ein erster Erfolg, für Marinero en Tierra erhält er den Nationalpreis für Poesie. Die 1.000 Peseten Preisgeld, so erzählt er verschmitzt, brachte er zum Schneider. Ein neuer Anzug, eine feine Krawatte, für den Rest ein paar Flaschen Vino. Ein vergrämter Elfenbeinturm-Poet ist Alberti nie gewesen.

Das Erscheinen seines wohl wichtigsten Werkes Über die Engel schlägt 1929 hohe Wellen. In surrealistischen Anklängen dichtet er seine schwer deutbaren Verse über Angst, Verzweiflung und Einsamkeit. Die toten Engel/sucht, sucht sie:/in der Schlaflosigkeit vergessener Röhren,/in den Leitungen, die vom Schweigen des Unrats verstopft sind./Unweit der Pfützen, die keine Wolke zu nalten vermögen.

1931 der KP beigetreten, beteiligt sich Alberti aktiv an der Verteidigung der jungen Republik. Im Bürgerkrieg 1936 kämpft er im V. Regiment, auch an der Front, und widmet sich daneben der aufmunternden Propagandalyrik. Nach der Machtübernahme Francos flieht er nach Paris, später ins ferne Argentinien. Erst nach vier Jahrzehnten bitteren Exils kann der Poeta en la Calle - der Dichter auf der Straße -, wie er eine seiner Gedichtsammlungen nannte, in seine geliebte Heimat zurückkehren.

Fand er bei seiner Rückkehr ein kulturelles Trümmerfeld vor?, frage ich ihn. Nein. Es gab doch immer Leute, die dem Franquismus tapfer die Stirn geboten hatten. Junge und alte Menschen. Während des Faschismus waren diese Leute natürlich wenig bekannt, weil sie jahrelang mit der Zensur zu kämpfen hatten. Doch schnell nach Francos Ableben löste sich die Situation auf. Alberti selbst kandidierte für seine eurokommunistische Partei um einen Senatssitz seiner Heimatregion Cádiz. Den Wahlkampf führte er mit Gedichten, wie ein Bänkelsänger zog er von Dorf zu Dorf. Strophe an Strophe, Lied für Lied brachte ich es zum Parlamentsabgeordneten. Alberti gewann fast doppelt so viele Stimmen, wie für seinen Parlamentssitz erforderlich gewesen waren.

Als Vicente Aleixandre - und nicht Alberti - 1977 den Nobelpreis für Literatur erhielt, hat man in Spanien - trotz des hohen Respekte für Aleixandres spröde Verse - verwundert den Kopf geschüttelt. Den wichtigsten spanischen Literaturpreis, dem der Nationaldichter Cervantes den Namen gab, hat man Alberti erst 1983 zuteil werden lassen. Ein politischer und poetischer Bruder Leichtfuß wie Alberti ist wohl Literaturjuroren von jeher suspekt.

Die spanische Jugend jedenfalls hat den alten Poeten herzlich in ihre Mitte genommen. Der populäre Ton seiner barocken Kunstpoesie, seine lyrisch liedhaften Verse und das ausgeprägte Rhythmusgefühl beschwören in technischer Meisterschaft auch die geheimnisvolle Enge der Welt der Jungen. Ich wünsche mir, daß man in aller Welt die Schriftsteller hört und versteht, sagt der verhinderte Stierkämpfer Alberti zum Abschied. Er braucht sich nicht zu beklagen. Dieser Poet erhält heute in den Arenen Spaniens kräftigere Ovationen als der beste aller Toreros.

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Management by Objectives – der humane Unternehmenserfolg

mit Professor Peter Drucker, Düsseldorf im Juni 1993; Photo by Hasso von Bülow  

Wenn mich eine Managementtheorie mein Berufsleben begleitet hat, dann diese: Management by Objectives. Ich habe dies immer beherzigt, an jeder Arbeitsstelle, bei jedem Projekt, in jeder Teamleistung und zu jeder Zeit. Peter F. Drucker hat dieses Führungsverhalten beschrieben und den Begriff dazu erfunden.

Das Führungscredo des Management by Objectives machte den gebürtigen Wiener Peter Drucker unsterblich. Das war damals, wir sprechen vom Jahre 1954, revolutionär und ist heute Allgemeingut. Führen durch Zielvereinbarungen.

Der Vorgesetzte setzt sich mit Teammitgliedern, Abteilungsleitern und Führungskräften zusammen und es werden kollektive und individuelle Zielvereinbarungen getroffen. Diese können konkret sein, sich in Facts and Figures ausdrücken. Sie können allerdings auch abstrakt formuliert sein. Eine gute, publikumsnahe Zeitung zu machen, beispielsweise.

Der Weg, wie dieses Ziel zu erreichen ist, bleibt dann dem Mitarbeiter überlassen. Er kennt die Materie besser als sein Vorgesetzter, er ist nahe am Kunden, und er vermag wiederum seine eigenen Mitarbeiter bestmöglich einzusetzen. Gemessen wird an der Zielerreichung. Jeder weiß, woran er ist. Jeder weiß, welche Verantwortung er trägt.

Damit Management by Objectives nicht ins Unverbindliche abrutscht, muß die Zielvereinbarung in einen verbindlichen Rahmen gebunden werden. SMART schlägt Peter Drucker vor – Spezifisch, Messbar, Aktiv beeinflussbar, Realistisch, Terminiert. Jede Organisationseinheit und jeder Mitarbeiter weiß, woran er arbeiten muss und was von ihm verlangt wird. Und dazu: Welches strategische Ziel das Gesamtunternehmen verfolgt.

Peter Drucker hat MbO vor über einem halben Jahrhundert als praxistaugliches Rüstzeug entworfen. Wir müssen uns nur in die 1950er Jahre zurück versetzen. Damals regierte in den Unternehmen Befehl und Gehorsam, Betriebe wurden meist wie Militärkompanien geführt oder bestenfalls von einem Patriarchen dominiert. Management by Objectives gewährte nun erstmalig Entfaltungsmöglichkeit und Freiraum für eigene Ideen.

MbO setzt auf den mündigen und findigen Mitarbeiter und ist damit ein Gegenentwurf zum Typ Hallo Chef, Feuer im Betrieb, was soll ich tun? Weil Freiheit und Autonomie dieses Management by Objectives prägen, hat es noch heute seine Gültigkeit. Das mag etwas über die Substanz dieses Theorems aussagen, wenn es sich in der schnelllebigen Wirtschaft über ein halbes Jahrhundert zu halten vermag.

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Hier war Hemingway gewesen

Hotel Hemingway, gefunden in Caorle/Italien, im September 2005; Photo by W. Stock

Dieser Ernest Hemingway hat Spuren hinterlassen. Ohne Zweifel literarische Spuren, er hat aber auch Spuren hinterlassen in den zahlreichen Städten und Orten, die er besucht hat.

Museen sind für ihn eingerichtet worden, Stiftungen wurden gegründet, Zeitschriften mit seinem Namen werden verlegt, Kofferkollektionen, Schuhe und Füllfederhalter wurden nach ihm benannt, ein Hemingway-look-alike-Contest ist jedes Jahr in Florida ein Schenkelklopfer, Strassen tragen seinen Namen. Auch Schulen, Hotels, Angelwettbewerbe, Yachthäfen heißen so wie er. Bars und Kneipen sowieso.

Und Ernest Hemingway hielt sich mit Vorliebe dort auf, wo es etwas zu erleben gab: an der Frontlinie des Ersten Weltkriegs, im Spanischen Bürgerkrieg, im Paris, als die deutschen Besatzer verjagt wurden, in den Steppen Afrikas, bei Castros kubanischer Revolution.

Hemingway ging raus, dort hin, wo sich das Leben zutrug. Als Autor war er das schiere Gegenteil eines Schreibtischtäters. Du kannst eine Sache nicht richtig begreifen, wenn du sie nicht mit eigenen Augen gesehen hast, meinte er – und er musste die Welt mit eigenen Augen sehen.

Es gibt wohl keinen anderen Schriftsteller weltweit, der sich so ins öffentliche Bewußtsein hineingebohrt hat wie er. Einfache Leute, die sonst nie ein Buch in die Hand nehmen, haben seine Geschichten gelesen, weil sie sich darin wiederfinden. Es lässt sich wohl weit und breit kein Schriftsteller aufspüren, der sich so einprägsam in den Hirnen und Herzen der Menschen verewigt hat wie dieser bärtige Ernest Hemingway aus Oak Park, Illinois.

Oder Hand auf Herz: Ist ein Thomas Mann-Ähnlichkeits-Wettbewerb in Lübeck vorstellbar? Lächerlich! Ein Angelwettbewerb, der sich nach Goethe nennt? Ein schlechter Witz! Eine Kneipe, die man Annette von Droste-Hülshoff tauft? Hirnverbrannt! Nein, nein, all dies ist unvorstellbar, selbst bei lebhaftester Phantasie nicht von dieser Welt. Doch bei Hemingway ist alles möglich: kurioses, rummeliges, seriöses, literarisches.

Manchmal wird die Verehrung des Autors leicht übertrieben, mag sein, nach dem Kneipenmotto: Auf diese Treppenstufen hat Ernest Hemingway am 7. Juli 1934 gekotzt. Doch dann schlägt das Pendel ein wenig zurück. So ist mir auch schon einmal in einem Bistro das Schild Hier war Hemingway nie gewesen zu Augen gekommen.

Wie dem auch sei, Ernest Hemingway bleibt im Gespräch. Nicht schlecht für einen Mann, der seit fast 50 Jahren tot ist. Denn all das wird getragen von der Zuneigung der Menschen zu diesem amerikanischen Schriftsteller, der wie kein zweiter die Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts zu Papier brachte. Und der als Autor mitten im Leben stand.

Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.

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Frank Sinatra ist erkältet

Frank Sinatra, ein Glas Bourbon Whisky in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand, stand in einer dunklen Ecke der Bar, an seiner Seite zwei scharfe, aber langsam verblühende Blondinen, die darauf warteten, dass er etwas sagte. Er sagte aber nichts…

Mit diesen stimmungsvollen Sätzen beginnt die Reportage Frank Sinatra Has a Cold. Dieses Werk ist ein literarisches Kleinod, eines der besten Stücke Journalismus überhaupt. Nicht nur der damaligen Zeit, nein, wahrscheinlich ist dies die gelungenste Reportage aller Zeiten.

Diese grandiose Literatur hat der New Yorker Journalist und Schriftsteller Gay Talese zu Papier gebracht: Frank Sinatra ist erkältet, so der deutsche Titel.

Im April 1966 erschien Taleses buchlange Story im Magazin Esquire. Beim 70-jährigen Bestehen der Monatszeitschrift 2003 wurde sie als die beste Esquire-Geschichte aller Zeiten ausgezeichnet. Und dies zu recht!

Dabei war die Perspektive der Reportage eher aus der Not geboren. Bekanntlich war Sinatra der schreibenden Zunft nicht gerade in inniger Liebe zu getan und auch diesem Projekt verweigerte er die Unterstützung. So lehnte der Sänger ein Interview ab und mochte auch von einer Begegnung mit dem seltsamen Schreiberling nichts wissen.

Doch statt nun aufzugeben, hängte sich Gay Talese drei Monate an den Sinatra-Tross. Er interviewte Friseusen, die Maniküre, den Busfahrer, Musiker, Sinatras Butler, ja, eigentlich jeden, der nicht schnell genug weglaufen konnte. So entstand schließlich ein beeindruckendes Portrait, das um das Objekt schleicht, wie der hungrige Wolf um das scheue Reh.

Gay Talese, Jahrgang 1932, ist der herausragende Vertreter eines Schreibstils, der New Journalism genannt wird. Talese baut in seine Reportage gerne lange Dialogszenen ein, der Journalist – und somit auch der Leser – steht quasi neben Geschehen. Oder besser: er steht mitten drin. Große Ohren, offene Augen, gute Nase – alles selbstverständlich für den Journalismus. Und die jungen und wilden Schreiber des New Journalism haben dieses Prinzip auf die Spitze getrieben.

Talese, der auch viel für die New York Times schrieb, veränderte mit seinen Reportagen die Perspektive des Schreibens: Bei einem Boxkampf portraitierte er nicht den Boxer, sondern den Mann, der den Gong schlug. Solches Vorgehen besitzt System: Unbeachtete Dinge rücken in den Vordergrund. Das literarische Muster lässt sich leicht durchschauen: Pars pro toto. Das Einzelteil steht für das Gesamtbild.

Die Sinatra-Reportage ist eigentlich kein typisches Talese-Stück. Die Glamour-Welt war nicht sein Ding. Viel lieber beobachtet er Aussenseiter, Verlierer, Verzweifelte, Allerweltstypen. Das sei allemal besser als sich Stars und Sternchen zu nähern, die eh nur eine Maske und viel Fassade vor sich her tragen.

Heute gehört Frank Sinatra Has a Cold zur Pflichtlektüre an guten Journalisten-Schulen. Diese Reportage markiert eine Sternstunde des New Journalism und des Journalismus überhaupt.

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