Rio de Janeiro, im Februar 1991

Ipanema, das ist der snobistische und gekünstelte Strand, eine Hohe Messe der narzistischen Huldigung. Aber Ipanema ist auch das schmauchende Tenorsaxophon eines Stan Getz, der Liebreiz einer Astrud Gilberto und die Poesie eines Antonio Carlos Jobim.

Brasilien ist ein Land, das vor Musikalität nur so sprüht. Wenn die Menschen gehen, meint man, sie tänzeln. Wenn sie reden, so glaubt man, sie sängen. Und wenn sie singen, so denkt man, irgendwo hier sei das Paradies auf Erden zu finden.

Die Musikalität und damit eine Leichtigkeit des Lebens sitzt tief drin in der Seele der Cariocas. Die Samba ist dieser brasilianischer Rhythmus, der dem ganzen Volk innewohnt. Und er passt wunderbar zur leichten Körperlichkeit der Menschen in Rio.

Ohne die einzigartige und auch widersprüchliche Wirklichkeit ist die Samba-Musik nicht zu verstehen. Denn wenn man in Rio de Janeiro ankommt, über die breiten Avenidas am Strand fährt, dann sieht man zunächst einen Zipfel vom Garten Eden.

Ipanema und Leblon teilen sich den selben Strand, ebenso wie Leme und Copacabana. Baixo Leblon, Leblons Strassen zur Meerseite ist das Revier der Nachtschwärmer und Nimmermüden, wo man sich auch morgens um vier noch ein Bier und eine Pizza bestellen kann. Die Nachtschwärmer in der Rua General San Martin stehen draußen vor den Bars, weil es drinnen überfüllt ist, ihre Drinks in der Hand und die jungen Mädchen drehen zum Funk-Rhythmus ihre grazile Körper mit dem eindeutigen Hüftschwung und spielen mit den Blicken der Männer.

Der Jardim Botânico ist ein Park mit bis zu 30 Meter hohen Palmen, ein Paradies im Paradies von 140 Hektar mit exotischen Bäumen und Pflanzen. Ganz im Süden erblickt man den Morro dos Dois Irmaos, der die Grenze zu São Conrado bildet. São Conrados langgestreckte Praia do Pepino ist wohl der schönste Strand dieser Stadt.

Hinter dem Christus sind dann die hässlichen Antennen auf dem Soumaré zu sehen. Hier zwischen alten Fabrikgebäuden sind die Hallen versteckt, in denen die Samba-Schulen ihre Wagen für den abendlichen Karnevalsumzug herrichten. Der Karneval ist ein ausgelassenes Volksfest, das mit einem bitteren Ernst angegangen wird. Tagelang streifen die Züge durch die Stadt und die Lotsen mit dicken Kordonschnüren sammeln die Anhänger, die um den Wagen herum tanzen.

Die afrikanische Tradition der Menschen Brasiliens ist mit jedem Atemhauch zu spüren. Für eine lange Zeit noch wird das Sklaventum den nationalen Charakter Brasiliens ausmachen hat der Sänger Caetano Veloso, der Bob Dylan dieses Landes, in einem seiner Lieder gesungen. So bleibt Brasilien das Land, dessen Tradition entrechtete Sklaven aus Afrika und mittellose Einwanderer aus Europa begründet haben.

Ein Land, das auch heute noch elend arm ist an Chancen und unerschöpflich reich an Träumen. Cidade maravilhosa – die wunderbare Stadt – nennen die Cariocas ihr Rio, ein Ort reich an Musik, Zauberei und einem großen Traum. Jener, dass die Lieblichkeit der Musik in die harte Wirklichkeit des Alltags herab steigen möge.

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