Ende der 1980er Jahre in Mexico City schleppte mich eine hübsche Mexikanerin, in die ich mich ein wenig verguckt hatte, zu einem Popkonzert. Es war ein Dinner-Konzert in einem alten Theatergebäude nahe der Avenida General Prim und der Calle Versalles. Ein bekannter mexikanischer Pop-Sänger mit süßlichem Flair war angesagt.
Wir saßen oben auf Mezzanin an einem kleinen Tisch, erhielten ein einfaches Drei-Gänge-Menue serviert, während unter auf der großen Bühne die Show ablief. José José, so der Name des Sängers, war zu jener Zeit ein Star in seinem Lande, er saß unangefochten auf Mexikos Schnulzenthron. El Príncipe de la Canción, er sei der Prinz des Schlagerliedes, so umgab ihn die Fama, weil er wie kein anderer musikalischer Kitscheur jener Jahre solch Herzzerreißendes von Liebeslust und Liebesschmerz mit samtiger Stimme zu schmettern vermochte.
Ich kannte José José und einige seiner Lieder von meinen früheren Mexiko-Aufenthalten. Meinem Ohr blieb dieser Sänger nicht unangenehm. Hier sang zwar das Idol der mexikanischen Girlie-Generation, doch das Pathos bewegte sich in erträglichem Rahmen. José José besaß eine sonore, sehr seidige Stimme, die er bei seinen Balladen immer in dramatische Höhen zu hieven vermochte.
Zudem hatte dieser samtige Bariton immer ein gutes Orchester mit einem vollen Sound hinter sich. Man merkt an seiner Phrasierung, dass dieser Sänger zu Anfang seiner Laufbahn Jazz gesungen hat, so wie in Mexiko zahlreiche Sänger und Orchesterleiter vom Jazz herkommen. In seiner Heimat spielt José José eine ähnlich tragende Rolle wie in den USA Johnny Mathis, sein großes Vorbild.
Doch was ich an jenem Abend auf der Bühne in Mexiko Stadt sah, glich einem musikalischen und menschlichen Tiefpunkt. Der große José José schien betrunken, torkelte auf der Bühne von links nach rechts, fand den Beistand eines Helfers, der aus der Kulisse heran gelaufen kam, um ihn zu stützen, damit er überhaupt noch auf den Beinen gehalten werden konnte.
An jenem Abend im Delirium traf José José die Töne nicht, was auch sein Orchester mit um so bombastischer Intonation nicht zu überspielen vermochte. Der Sänger vergaß den Text, lallte mehr als er sang und torkelte mehr als er schritt. Das Ganze blieb ein Bild des Jammers.
Nun sehe ich per Zufall 30 Jahre später auf Youtube, dass sich der Niedergang dieses Sängers im Laufe der Jahre weiter fortgesetzt hat. In seiner Biografie schreibt José José in aller Offenheit darüber: exzessiver Alkohol, Drogen, Medikamente, wenig wird ausgelassen. Dazu persönliche Schicksalsschläge. Die Stimme, sein Kapital wird brüchig, er trinkt noch mehr. Irgendwann ist die Stimme dann ganz weg.
José José, nun ein alter Mann, gibt es immer noch. Auf Youtube sind Videos aktueller Auftritte zu sehen. Seine Stimme kann nur noch krächzen, heiser und kehlig knarzen, sie kriegt keinen Melodiebogen mehr hin. Jedoch mag ich diesen Mann in anderer Erinnerung behalten. Als den jungen pudergezuckerten José José der guten Jahre, vor den Drogen und vor dem Absturz. Als Mexikos Schnulzenkönig, in Acapulco, auf seinem Thron.
Schreibe einen Kommentar