Ein Gastarbeiter in Barcelona. Er war kein Katalane, auch kein Spanier, sondern ein Schweizer. Hans Gamper, katalanisiert als Joan Gamper, Gründungsmitglied und mehrmaliger Präsident der FC Barcelona.
Mit 20 Jahren geht Hans Gamper von Zürich nach Barcelona. Dort arbeitet er für die Crédit Lyonnais, später bei der Sarria Eisenbahngesellschaft als Chefbuchhalter.
Und weil sich die Gastarbeiter aus der Schweiz in ihrer Freizeit ein wenig langweilen, gründen sie als Hobby kurzerhand einen Fußballklub. Wir schreiben das Jahr 1899, und die Schweizer geben dem Verein den Namen Football Club Barcelona, die englische Bezeichnung. Als Farben werden blau-rot gewählt, blaugrana, wie es auf Katalanisch heißt.
Ein alter Mann mit wallender schlohweißer Mähne betritt die knapp hergerichtete Bühne des Teatre Grec in Barcelona. Grelle Scheinwerfer strahlen den Vortragenden an. Der sonore Baß des Dichters füllt die beängstigende Atmosphäre der einfallenden Nacht. Die zahlreichen Zuhörer verharren in ehrfürchtiger Stille.
Aire y Canto de la poesia a dos voces – Poetische Melodien und Lieder für zwei Stimmen ist in der antiken Arena der katalanischen Metropole angesagt. Wir schreiben den 10. August im Jahre 1979.
Rafael Alberti, der große alte Mann der spanischen Dichtkunst, und Núria Espert rezitieren ein Jahrhundert spanischer Poesie. Surrealismus, Dadaismus, Agitprop, Groteskgedichte. Es ist die Geschichte Spaniens und gleichzeitig die Geschichte Rafael Albertis.
Nach dem Tod Francos erlebte Spanien eine Renaissance der Poesie, eine Bewegung, an deren Spitze der Andalusier Alberti marschierte. Noch heute erzählt man sich bewundernd, wie er es schaffte, eine Madrider Stierkampfarena mit 40 000 Zuhörern zu füllen. Im Gespräch erinnert Alberti an seine Freunde und beschreibt die Aufbruchstimmung der spanischen Intellektuellen der 20er Jahre. Jene Generation der Dalí, Buñuel, Cernuda, Picasso, die das Gesicht der europäischen Kultur entscheidend bestimmt hat.
Alberti gedenkt seines Freundes und andalusischen Landsmanns García Lorca, der von den Franquisten ermordet wurde. Ein solcher Vortrag, wie wir ihn heute veranstaltet haben, wäre unter der erdrükkenden Zensur des Franquismus nicht möglich gewesen. Man hätte dies sicher verboten. Don Rafael weiß, wovon er redet. Die Hälfte seines achtzigjährigen Lebens hat er im Exil verbringen müssen.
Neben Vicente Aleixandre und Jorge Guillén ist Alberti der letzte Überlebende jener literarischen Generation von 1927. Die um die Jahrhundertwende geborenen Dichter suchten und fanden Anschluß an die literarischen Strömungen des modernen Europa, indem sie sich auf die eigene poetische Tradition eines Luis de Góngora besannen, dessen Todestag sich in jenem magischen Jahr zum dreihundertsten Mal jährte. Das war ein großartiges Jahr, 1927, sagt der Dichter, Stierkämpfer wollte ich werden.
Der 1902 in Puerto de Santa María geborene Rafael Alberti, seinen wenig andalusischen Nachnamen verdankt er den italienischen Großeltern, blieb stets ein Kind seiner Heimat. Die Farbe, das Licht, das Meer der Bucht von Cádiz haben den Rhythmus seiner Poesie immer begleitet. 1925 gelingt ihm ein erster Erfolg, für Marinero en Tierra erhält er den Nationalpreis für Poesie. Die 1.000 Peseten Preisgeld, so erzählt er verschmitzt, brachte er zum Schneider. Ein neuer Anzug, eine feine Krawatte, für den Rest ein paar Flaschen Vino. Ein vergrämter Elfenbeinturm-Poet ist Alberti nie gewesen.
Das Erscheinen seines wohl wichtigsten Werkes Über die Engel schlägt 1929 hohe Wellen. In surrealistischen Anklängen dichtet er seine schwer deutbaren Verse über Angst, Verzweiflung und Einsamkeit. Die toten Engel/sucht, sucht sie:/in der Schlaflosigkeit vergessener Röhren,/in den Leitungen, die vom Schweigen des Unrats verstopft sind./Unweit der Pfützen, die keine Wolke zu nalten vermögen.
1931 der KP beigetreten, beteiligt sich Alberti aktiv an der Verteidigung der jungen Republik. Im Bürgerkrieg 1936 kämpft er im V. Regiment, auch an der Front, und widmet sich daneben der aufmunternden Propagandalyrik. Nach der Machtübernahme Francos flieht er nach Paris, später ins ferne Argentinien. Erst nach vier Jahrzehnten bitteren Exils kann der Poeta en la Calle - der Dichter auf der Straße -, wie er eine seiner Gedichtsammlungen nannte, in seine geliebte Heimat zurückkehren.
Fand er bei seiner Rückkehr ein kulturelles Trümmerfeld vor?, frage ich ihn. Nein. Es gab doch immer Leute, die dem Franquismus tapfer die Stirn geboten hatten. Junge und alte Menschen. Während des Faschismus waren diese Leute natürlich wenig bekannt, weil sie jahrelang mit der Zensur zu kämpfen hatten. Doch schnell nach Francos Ableben löste sich die Situation auf. Alberti selbst kandidierte für seine eurokommunistische Partei um einen Senatssitz seiner Heimatregion Cádiz. Den Wahlkampf führte er mit Gedichten, wie ein Bänkelsänger zog er von Dorf zu Dorf. Strophe an Strophe, Lied für Lied brachte ich es zum Parlamentsabgeordneten. Alberti gewann fast doppelt so viele Stimmen, wie für seinen Parlamentssitz erforderlich gewesen waren.
Als Vicente Aleixandre - und nicht Alberti - 1977 den Nobelpreis für Literatur erhielt, hat man in Spanien - trotz des hohen Respekte für Aleixandres spröde Verse - verwundert den Kopf geschüttelt. Den wichtigsten spanischen Literaturpreis, dem der Nationaldichter Cervantes den Namen gab, hat man Alberti erst 1983 zuteil werden lassen. Ein politischer und poetischer Bruder Leichtfuß wie Alberti ist wohl Literaturjuroren von jeher suspekt.
Die spanische Jugend jedenfalls hat den alten Poeten herzlich in ihre Mitte genommen. Der populäre Ton seiner barocken Kunstpoesie, seine lyrisch liedhaften Verse und das ausgeprägte Rhythmusgefühl beschwören in technischer Meisterschaft auch die geheimnisvolle Enge der Welt der Jungen. Ich wünsche mir, daß man in aller Welt die Schriftsteller hört und versteht, sagt der verhinderte Stierkämpfer Alberti zum Abschied. Er braucht sich nicht zu beklagen. Dieser Poet erhält heute in den Arenen Spaniens kräftigere Ovationen als der beste aller Toreros.
Hotel Hemingway, gefunden in Caorle/Italien, im September 2005; Photo by W. Stock
Dieser Ernest Hemingway hat Spuren hinterlassen. Ohne Zweifel literarische Spuren, er hat aber auch Spuren hinterlassen in den zahlreichen Städten und Orten, die er besucht hat.
Museen sind für ihn eingerichtet worden, Stiftungen wurden gegründet, Zeitschriften mit seinem Namen werden verlegt, Kofferkollektionen, Schuhe und Füllfederhalter wurden nach ihm benannt, ein Hemingway-look-alike-Contest ist jedes Jahr in Florida ein Schenkelklopfer, Strassen tragen seinen Namen. Auch Schulen, Hotels, Angelwettbewerbe, Yachthäfen heißen so wie er. Bars und Kneipen sowieso.
Und Ernest Hemingway hielt sich mit Vorliebe dort auf, wo es etwas zu erleben gab: an der Frontlinie des Ersten Weltkriegs, im Spanischen Bürgerkrieg, im Paris, als die deutschen Besatzer verjagt wurden, in den Steppen Afrikas, bei Castros kubanischer Revolution.
Hemingway ging raus, dort hin, wo sich das Leben zutrug. Als Autor war er das schiere Gegenteil eines Schreibtischtäters. Du kannst eine Sache nicht richtig begreifen, wenn du sie nicht mit eigenen Augen gesehen hast, meinte er – und er musste die Welt mit eigenen Augen sehen.
Es gibt wohl keinen anderen Schriftsteller weltweit, der sich so ins öffentliche Bewußtsein hineingebohrt hat wie er. Einfache Leute, die sonst nie ein Buch in die Hand nehmen, haben seine Geschichten gelesen, weil sie sich darin wiederfinden. Es lässt sich wohl weit und breit kein Schriftsteller aufspüren, der sich so einprägsam in den Hirnen und Herzen der Menschen verewigt hat wie dieser bärtige Ernest Hemingway aus Oak Park, Illinois.
Oder Hand auf Herz: Ist ein Thomas Mann-Ähnlichkeits-Wettbewerb in Lübeck vorstellbar? Lächerlich! Ein Angelwettbewerb, der sich nach Goethe nennt? Ein schlechter Witz! Eine Kneipe, die man Annette von Droste-Hülshoff tauft? Hirnverbrannt! Nein, nein, all dies ist unvorstellbar, selbst bei lebhaftester Phantasie nicht von dieser Welt. Doch bei Hemingway ist alles möglich: kurioses, rummeliges, seriöses, literarisches.
Manchmal wird die Verehrung des Autors leicht übertrieben, mag sein, nach dem Kneipenmotto: Auf diese Treppenstufen hat Ernest Hemingway am 7. Juli 1934 gekotzt. Doch dann schlägt das Pendel ein wenig zurück. So ist mir auch schon einmal in einem Bistro das Schild Hier war Hemingway nie gewesen zu Augen gekommen.
Wie dem auch sei, Ernest Hemingway bleibt im Gespräch. Nicht schlecht für einen Mann, der seit fast 50 Jahren tot ist. Denn all das wird getragen von der Zuneigung der Menschen zu diesem amerikanischen Schriftsteller, der wie kein zweiter die Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts zu Papier brachte. Und der als Autor mitten im Leben stand.
Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.
Außerhalb der iberischen Halbinsel versteht man Sinn und Hintergrund des Stierkampfes nur unzureichend. Ernest Hemingway, der bärtige Amerikaner, hat die Philosophie der Corrida de Toros intuitiv erfasst.
Bei seinen Besuchen in Spanien erliegt Hemingway der Faszination des Stierkampfes. Einmal hat er sich sogar selbst als Torero versucht. Was aber mehr zu Belustigung seiner Umgebung beigetragen haben soll.
In seinem ersten Roman Fiesta von 1926 behandelt er das Thema erstmals. Und in Tod am Nachmittag, eigentlich ein reportageartiger Essay über den Stierkampf, hat Hemingway 1932 die Philosophie und das Ritual des Stierkampfes dargelegt und sich tief in das für Mitteleuropäer fremde Denken der Iberer zum Stierkampf eingefühlt.
Der größte Irrtum über den Stierkampf weithin: Die Corrida sei der Kampf „Mensch gegen Tier“. Das ist eine grundlegend falsche Sicht der Dinge. Der Stierkampf, und hier kommen wir zum Kern der Taurus-Philosophie, ist kein Wettkampf und auch kein Sport. Er ist vielmehr ein Schauspiel, eine Theaterinszenierung mit Publikum und Spielern. Neben dem schwarzen Bullen und dem bunten Torero spielt noch eine dritte Figur mit. Und dies ist die wichtigste Figur in dem Drama: der Tod.
Und die Plaza de Toros ist eine der wenigen Plätze, wo der ritualisierte Umgang mit dem Tod beobachtet werden kann. Bullfighting is the only art in which the artist is in danger of death. Hier in dieser Arena trifft der Tod auf das Leben und das Leben auf den Tod. In der Essenz ist der Stierkampf ein Kampf Mensch gegen Tod. Der Stierkampf symbolisiert die Konfrontation mit dem Tod aus, er ist zugleich eine Herausforderung des Todes. Der Mensch, in Gestalt des Torero, hänselt den Stier, den Tod, er spielt mit ihm, macht sich lustig, nicht ohne Respekt, aber doch überlegen.
Der eigentliche Kampf besteht aus drei Teilen. Tercios, jeweils einem Drittel, die durch Hornsignale voneinander getrennt werden und meist mit Paso Doble-Musik dynamisiert werden. Im Stierkampf tritt uns kein allegorischer oder metaphorischer Tod entgegen wie sonst im Theater. Nein, hier kommt der Tod ohne Maske, es ist der richtige Tod und am Ende des dritten Tercios wird jemand wirklich tot sein. Meist wohl der Stier.
Hemingways Faszination des Todes findet im Stierkampf Ventil und beschreibbare Ratio. Die Sympathien des Schriftstellers liegen überwiegend beim Matador, aber auch der Stier erhält Respekt und, ja, Zuneigung. Der einzige Ort, wo man Leben und Tod sehen konnte, und zwar gewaltsamen Tod, das war die Arena, da die Kriege vorbei waren, und ich wollte brennend gern nach Spanien, wo ich das studieren konnte, und dieser Tod ist eines der Themen, über die ein Mann schreiben kann.
Guter Stierkampf ist Kunst. Und der Star der Veranstaltung ist der Stier, nicht der Torero. Dem Stier gehört die Arena. Ihm bleiben 20 Minuten. Dann ist er tot. Ein solcher Stierkampf ist die einzige Kunstform, wo am Ende der Künstler stirbt, richtig stirbt.
Leben, Kampf und Tod sind für Hemingway die Eckpfeiler des Daseins und dieser Spannungsbogen gründet sein literarisches Grundmuster. Der Stierkampf bringt all das zusammen, was Ernest Hemingway wichtig ist: Die Kraft der Natur, die Auseinandersetzung, die Gefahr, der Mut, der Stolz, das Ehrgefühl, der Kampf und schließlich der Tod. Der Stierkampf als die allgegenwärtige Gefahr des Todes wird eines der Themen, denen sich Hemingway Zeit seines Lebens immer wieder in Geschichten und Artikeln widmet.
Im Sommer 1959 schickt die Illustierte Life Hemingway nach Spanien, auf seine letzte Reise, um über die Rivalität der beiden größten Stierkämpfer zu schreiben. Im August 1959 sieht sich Hemingway nochmals einen Höhepunkt des Stierkampfes an. In der Plaza de Toros de La Malaguetas in Málaga. Die beiden Könige der Toreros, Luis Miguel Dominguín und Antonio Ordóñez, kämpfen. Jeder gegen drei Stiere.
In seinem 1985 posthum veröffentlichten Werk Gefährlicher Sommer beschreibt Hemingway, die Endlichkeit erahnend, diese Stierkampfreise nach Spanien. Antonio zielte entlang der Degenklinge, beugte sein linkes Knie vor, schwang dem Stier die muleta entgegen und ließ ihn bis zu dem Punkt an sich herankommen, wo die Hörner ihn erwischen würden, dann drang die Spitze des Degens ein, der Stier stemmte sich dagegen, den Kopf gesenkt, dem roten Tuch folgend, während Antonio mit der flachen Hand gegen den Degenknauf drückte, glitt die Klinge langsam oben auf der höchsten Stelle zwischen den Schulterblättern hinein. Antonio hatte seine Füße nicht bewegt, und der Stier und er waren nun eins, als seine Handfläche das schwarze Fell berührte, war das Horn schon an seiner Brust vorbei, und der Stier unter seiner Hand war tot.
Der Stier und er sind nun eins. Für Hemingway ist der Stierkampf die Auseinandersetzung mit dem Tod, der Degen des Matador das Aufbäumen der männlichen Tugend, der Tapferkeit und der Leidenschaft, dem wuchtigen Stier entgegen. Aber eines bleibt: Der Respekt vor dem allmächtigen Gegner. Ihn zu bezwingen, in der Arena des Lebens, mag als Illusion des Menschen gelten.
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