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Winfried Böttcher: Ein 360-Grad-Blick auf eine Welt in Turbulenzen

Winfried Böttcher
Winfried Böttcher: Zu Europa und zum Frieden in weltbürgerlicher Absicht, Oktober 2025.

Krieg und Frieden. Leo Tolstois Meisterwerk bringt die essentielle Frage der Menschheit prägnant auf den Punkt. Nun leben wir nicht mehr in Zeiten der napoleonischen Kriege des Zarenreiches, sondern 220 Jahre später. Die Brisanz ist geblieben. Unstreitig ist, dass kriegerische Auseinandersetzungen einen wesentlichen Teil der Kulturgeschichte in der Vergangenheit ausgemacht haben, die Gegenwart beherrschen und wohl auch in Zukunft die Menschheit plagen werden.

Winfried Böttcher – Professor emeritus an der RWTH Aachen – befasst sich seit Jahrzehnten mit der Fragestellung, wie Krieg und Frieden Länder und Gesellschaften prägen und verändern. Sein besonderer Blickwinkel gilt dabei der Rolle Europas. Gleich zu Beginn seines neuen Buches erinnert Professor Böttcher daran, dass spätestens nach Entstehung der Nationalstaaten, sich der Nationalismus epidemisch ausgebreitet hat. Der Nationen-Begriff ist historisch und kulturell allerdings komplex. Die Hingabe eines Individuums an die Gemeinschaft ist für die Funktionsfähigkeit eines Staates wichtig, kann aber auch ausgenutzt und missbraucht werden. 

Insofern ist es ein missbrauchter Nationalismus, der die eigentliche Ursache für die heutigen Krisenherde ist. Deshalb gilt: Wer den Krieg ausmerzen will, der muss den Nationalismus als Störenfried des Friedens ausschalten. Das Projekt Europa, nach den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, ist in diesem Sinne angelegt worden. Die europäischen Integrationsversuche sieht Böttcher allerdings zwiespältig, mit Erfolgen und Defiziten.

Der Bedeutungsverlust Europas in der Welt ist in der Tat erschreckend. Wenn man als vielgereister Beobachter auf das heutige Europa schaut, wird es einem angst und bange. Strategie und Fokus fehlen völlig. In Peru baut Deutschland Radwege, die Chinesen See- und Flughäfen. Ob es in Gaza Frieden gibt, entscheidet nicht Europas Diplomatie, sondern amerikanische Immobilien-Milliardäre und Katar, Ägypten und die Türkei. Europa – in punkto Wettbewerbsfähigkeit, Ansehen und Erfolg – darf Platz nehmen am Katzentisch des Weltgeschehens.

Vielerorts – von Ungarn bis in die USA – finden sich heute Populisten an den Schalthebeln. Die Sehnsucht nach starker Führung wächst besonders in Krisenzeiten. Europa hingegen ist – bestenfalls – ein wirtschaftlich orientiertes Europa geblieben. Die Idee „Europa“ sei nicht zu Ende gedacht und gebracht, so der Aachener Wissenschaftler. Konkret bietet Winfried Böttcher die Vision eines „Europas der Regionen“ an, mit Bürgerentscheiden als höchster Instanz.

Trotz Krieg und Säbelrasseln ist die Sehnsucht nach Frieden groß. Wie ein besseres Europa aussehen könnte  beschreibt Böttcher in Kapitel vier. Er plädiert in Bezug auf die Integration für einen pragmatischen Möglichkeitssinn, um den erstarkenden Nationalismus zu überwinden. Europa kann in der Außen- und Sicherheitspolitik nur auf Geschlossenheit setzen, mit Frankreich und Deutschland als Treiber. „Kriegstüchtig“ zu werden sei ein Irrweg, schüre nur die Angst der Nachbarn und trage nicht zur Befriedung bei.

Ohne „Europafähigkeit“ sieht Böttcher – ein Schüler von Klaus Mehnert – für die Staaten keine Weltfähigkeit. Frieden sei nur dann möglich, wenn er sich weltweit durchsetze. Doch Frieden an sich ist noch kein absoluter Wert. Nur eine Einbettung in humanistische Ideale verleiht ihm Kraft und Beständigkeit.

Vom Verständnis für eine weltbürgerliche Koexistenz hängt der Frieden ab, so Böttcher in seiner anspruchsvollen und detailreichen Abhandlung. Zunächst müsse sich Europa ändern, denn nur die Europafähigkeit mündet in einer Weltfähigkeit. Insofern ist Böttchers Argumentationskette nachvollziehbar. Seine zentrale Botschaft:

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Winfried Böttcher: Europas Zukunft liegt in der Regionalisierung

Winfried Böttcher: Europas Zukunft – Eine europäische Republik der vereinten Regionen.

Das wunderbare Friedensprojekt Europa, hervorgebracht durch den Schmerz zweier schrecklicher Kriege, hat in unseren Tagen kräftig an Glanz verloren. Zum einen bedrohen Nationalismus, Rechtsextremismus und Populismus das europäische Demokratiemodell. Dazu kommen hausgemachte Irrwege wie zu viel Bürokratie und ein paternalistischer Zentralismus. Diese Entwicklung stimmt traurig. In der Diagnose der europäischen Misere wird man wohl schnell auf einen Nenner kommen, doch wie lautet die Therapie?

Winfried Böttcher zeigt in seinem neuen Buch auf, dass es keinen Sinn macht, das Machtgefüge des überlebten Nationalstaates auf ein übergeordnetes europäisches Konstrukt zu übertragen. Denn Zentralinstanzen engen ein, gewähren ihren Subsystemen zu spät und nur eingeschränkt selbstbestimmte Freiräume. Jedoch hat die Idee Europas immer die Anerkennung der ethnischen, historischen und kulturellen Eigenarten einbezogen.  

Um aus dem Notstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit herauszufinden, schlägt der Aachener Wissenschaftler vor, ein oder zwei Schritte zurückgehen, um die Sicht auf die Utopie wieder freizulegen. Winfried Böttchers Grundannahme lautet, dass der Nationalstaat seine historische Funktion erfüllt hat und einem wirklichen europäischen Integrationsprozess im Wege steht. Als Gegenentwurf skizziert der Politikwissenschaftler die Idee eines Europa der Regionen, in der eine kraftvolle regionale Identität als Antrieb eines lebendigen Gemeinwesens dient.

Aus der kleinräumigen Unverwechselbarkeit, man darf sie populär ruhig Heimat nennen, sollte sich eine Dynamik entwickeln, die nach innen festigt und nach außen hin öffnet. Die Selbstorganisation der Regionen mit am Wohl des Gemeinwesens orientierter vielfältiger Mitwirkung der Bürgerschaft an allen sie direkt betreffenden Angelegenheiten entwickelt so auf Grundlage der Subsidiarität eine neue Vision: die Demokratie als Lebensform.

Subsidiarität bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings auch, die regionalen Systeme im Sinne autonomer Partizipation zu pflegen, auch unter Hinnahme des eigenen Machtverlustes der Europäischen Union. Schwer genug. Doch es gibt keinen anderen Weg: In einem System der Regionen in Form eines europäischen Föderalismus kann der Schutz von Minderheiten, der Respekt ihrer kulturellen Identität und ihre politische Teilhabe am besten gewährleistet werden.

Die Zukunft Europas liegt insofern in einer Kombination aus Regionalisierung und Internationalisierung. Ein Europa der vereinten Regionen wirkt mit seinem lebendigen Regionalismus nahe am Alltag der Menschen. Demokratische Partizipation und Solidarität vermögen, die anfallenden Probleme zu lösen und die europäischen Werte zu leben. Das Europa der Zukunft – so der Professor emeritus der RWTH Aachen – wird regional, föderal und humanistisch sein, oder es wird gar nicht sein.

Der Gegenentwurf des Aachener Wissenschaftlers für ein anderes Europa möchte den Menschen und seine Identität ins Zentrum aller Politik rücken. Dazu allerdings muss das europäische Haus in seinen Grundfesten neu angelegt werden, hierbei kommen Deutschland und Frankreich aus historischer Verantwortung die Rolle des Vorreiters zu.

Beim Lesen des neuen Buches von Winfried Böttcher überfällt den Leser ein Hauch von Wehmut. Denn die pointiert geschriebenen Einsichten zeigen, wie

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Skizze eines anderen Europa

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Winfried Böttcher: Europa 2020 – Von der Krise zur Utopie. Tectum Verlag, 240 Seiten, 24 €, ISBN 978-3-8288-4462-9

Die alte Welt ist in den letzten Jahren von Krisen und Rückschlägen durchschüttelt.  Die Flüchtlingskrise, der Ukraine-Konflikt, Brexit, ein aufkommender Nationalismus, Umwelt- und Klimakrise, jetzt auch Corona. Europa und Brüssel als Lösungsmotor fallen in erschreckender Weise aus, es sind nach wie vor die Nationalstaaten, die sich um Schadensbegrenzung bemühen oder die Scherben aufsammeln. Der Aachener Politologe Winfried Böttcher sieht solche Krisen jedoch auch als Chance. Krisen seien mehrdimensionale historische Erschütterungen, die mit ihrem Veränderungsdruck für den gesellschaftlichen Wandels durchaus notwendig sind.

Der Krisendruck wird in den nächsten Jahren hoch bleiben oder noch steigen. Die Europäische Union bietet allerdings in ihrer derzeitigen Verfassung und Aufstellung keine echte Zukunftsperspektive. Ein Neustart sei das Gebot der Stunde. Der Gegner für eine solche Neuordnung bleibt der Nationalstaat, er ist die eigentliche Ursache für die Systemkrise, in der sich die EU befindet.

Den Herausforderungen der Digital-Epoche sind die Nationalstaaten nicht gewachsen. Die Märkte agieren global, sind schnell und wendig, optimieren ohne Rücksicht über alle Grenzen ihre Absatzchancen. Die Staaten hingegen sind nach wie vor schwerfällig und gelähmt, erweisen sich im Hase und Igel-Duell zu oft als Verlierer. In diesem ungleichen Wettbewerb steht Europa hilflos da, ohne Orientierung, ohne Perspektive und ohne Zuversicht.

Die Europäische Union mit ihren immer noch mächtigen Nationalstaaten befindet sich in einer systemischen Existenzkrise, sie droht institutionell, ökonomisch, sozial und wertorientiert zu scheitern. Die Defizite wurden, so lässt Winfried Böttcher anklingen, bereits bei der Gründung des europäischen Projekts gelegt. Vor allem bei der Fehlkonstruktion unzureichender Gewaltenteilung und der damit einhergehenden Dis-Balance und der ungenügenden Kontrolle.

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