Wenn man Peter F. Drucker persönlich traf, dann merkte man nach wenigen Minuten, wie sehr er an seiner alten Heimat hing. Sicher, er fühlte sich wohl in Kalifornien, im beschaulichen Wüstenstädtchen Claremont, in seinem bescheidenen Flachbungalow am Wellesley Drive. Aber wenn er in Europa weilte, dann lebte er auf, und am liebsten erzählte der große Management-Theoretiker von Wien, seiner Heimatstadt.
Gerade in seinen späten Jahren schweiften seine Gedanken oft nach Wien, mit Wehmut und Sehnsucht. Wien, das waren für ihn die unbeschwerten Jugendjahren. Er erzählte mir von den Freunden, von seinen Touren durch die Stadt, den Streichen, und nicht zuletzt von den Mädchen, denen man kräftig nachstellte.
Der große Peter F. Drucker. Das F steht für Ferdinand. Und schon sind wir im k.u.k-Wien der 20er Jahre. Peter Ferdinand Drucker wurde am 19. November 1909 in Wien geboren. Wien, das darf man nicht vergessen, war bis 1918 eine Weltmacht. Das k.u.k. herrschte über Österreich-Ungarn, von den Alpen bis nach Russland.
Und Wien war das pulsierende Zentrum der Regionalmacht. Auch intellektuell. Ein österreichischer Arzt, der Doktor Sigmund Freud, hatte in den 20er Jahren ein paar gewagte Thesen veröffentlicht, der Neopositivismus um Karl Popper entstand, der Wiener Liberalismus setzte den tapferen Gegenpol zu aufkommenden Bolschewismus und Faschismus, es gab also genug zu debattieren.
Peter wurde in großbürgerliche Kreise hinein geboren. Seine Mutter Caroline war eine Ärztin, der Vater Adolph, ein Jurist, arbeitete als hochrangiger Beamter im Museumswesen. Auf Bildung wurde in der Familie Drucker, Peter besaß noch einen Bruder, großen Wert gelegt. Eine bildungsbeflissene Atmosphäre, diese typische Wiener Debattenkultur, die Soiree, das war das soziale Umfeld, in dem Peter Drucker groß wurde. Die Begegnungen zu Hause waren Grundlage meiner Erziehung, meinte Peter Drucker als Erwachsener.
Mehrmals in der Woche pflegte die Familie den literarischen Salon, wo über Musik, Literatur oder auch Naturwissenschaften debattiert wurde. In ihrem großen dreistöckigen Doppelhaus im noblen Wiener Vorort Döbling verkehrten die Denker des Wiener Kreises um Rudolf Carnap. Wirtschaftsthemen nahmen eine gewichtige Stellung ein, eigentlich versuchte man sich an dem Symbiose von Philosophie, Staatswissenschaft und Volkswirtschaft. Die großen Wirtschaftstheoretiker jener Tage wie Joseph Alois Schumpeter, Friedrich August von Hayek oder der große Ökonom Ludwig von Mises gingen im Haus der Druckers in der Kaasgrabengasse ein und aus.
Vielleicht lag in dieser Tradition der Grund dafür, dass Peter Drucker später nie zum eindimensionalen Fachidioten wurde, weshalb er manch akademischem Kollegen denn auch ein wenig suspekt erschien. Peter war vielmehr Universalgelehrter, mehr Historiker denn Ökonom, der interdisziplinär die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu sehr pragmatischen Ansätze verdichtete.
Im Jahr 1927 zog es Peter Drucker nach Deutschland, zuerst nach Hamburg, wo er eine Handelslehre absolvierte und an der Universität Jura studierte und mit 20 nach Frankfurt, wo er Finanz-Redakteur des Frankfurter General-Anzeigers wurde. An der Frankfurter Universität beendete er sein Jura-Studium und lernte die Mainzerin Doris Schmitz kennen, die Frau an seiner Seite für die nächsten 71 Jahre.
Als sich der Nazi-Terror abzuzeichnen begann, ging Peter Drucker nach England. Dort blieb er vier Jahre, als Finanzanalyst und studierte in Cambridge, unter anderem bei John Maynard Keynes. 1937 wanderte er dann in die USA aus. Im Jahr 1939 schrieb er sein erstes großes Werk The End of Economic Man. The Origins of Totalitarism. Und seine Karriere in den USA und weltweit nahm Gestalt an, als Hochschullehrer, Managementberater und Buchautor.
Er vermisste wohl auch die deutsche Sprache, deren rauen Akzent er in den USA merklich kultivierte. Als ich ihn eines Morgens in einem Düsseldorfer Hotel abhole, hat das Mädchen an der Rezeption eine Nachricht für ihn im Büro vergessen. Was man nicht im Kopf hat, das hat man in den Beinen, meint sie trocken und springt auf, den Brief zu holen. Peter amüsiert sich köstlich, ein wunderbares Sprichwort, das habe ich 60 Jahre nicht gehört. Und seine Augen glänzen.
siehe auch: Peter Drucker, der Große
siehe auch: Peter Drucker, der unprofessorale Professor
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