Lima, im Januar 1986; Photo by Norbert Böer

Im Rathaus zu Lima empfängt uns, Anfang Januar 1986, der Bürgermeister der peruanischen Metropole. Doch der barocke, angestaubte Pomp des Rathauses, durch das noch ein Hauch spanischer Großmannssucht weht, mag zu diesem Oberbürgermeister irgendwie nicht so recht passen.

Obwohl er der marxistischen Linkspartei angehört, ist Alfonso Barrantes ein Pragmatiker, dem die kruden Ideen und das üblichen Revoluzzer-Pathos so ganz abgehen. Im Gegenteil, sein Name ist verbunden mit einem menschenfreundlichen Lebenswerk: Er war und ist der Vater des Vaso de leche.

Alfonso Barrantes hat dafür gesorgt, dass jedes Kind in Lima täglich ein Glas Milch, ein vaso de leche, kostenlos erhält. Über eine Million Gläser lässt der Oberbürgermeister jeden Tag an seine kleinsten und hilflosesten Bürger verteilen. Und für manche Kinder in dieser vom Elend geschundenen Stadt bleibt dieses Glas Milch die einzige Mahlzeit am Tag.

Von Holland über Australien bis nach Deutschland hat sich der Bürgermeister Alfonso Barrantes die Hacken abgelaufen, um das viele Geld für sein umfängliches Milchprogramm locker zu machen. Ehrenamtliche Bezirkskomitees verteilen dann die Milchration an die kleinen Empfänger in Schulen und Kinderhorte.

Wissen Sie, meint er im Gespräch, das Schlimmste an der Unterentwicklung ist, dass wir als Menschen den Respekt voreinander verlieren und man nicht gewillt ist, gegenseitig Verantwortung zu übernehmen. Hier fährt jedes Auto auch bei Rot über die Kreuzung, manchmal ist es die reine Anarchie.

Über diesen seltsamen Satz mit der roten Ampel musste ich damals staunen und habe ihn erst Jahre später richtig begriffen. Entwicklung und Prosperität, will er sagen, ist ohne einen zivilen Ordnungsrahmen nicht möglich. In Chaos und Anarchie kann es kein Fortkommen geben.

Übrigens, das Glas Milch für die Kinder Limas wird noch heute verteilt. Auch wenn im kolonialen Rathaus von Lima heute andere Bürgermeister sitzen als der Humanist Alfonso Barrantes. Doch die Limeños haben nicht vergessen, wem die Kinder dieser Stadt das Glas Milch zu verdanken haben.

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