Es ist immer ein Gewinn, wenn man Bücher liest, die aus einer Adlerperspektive geschrieben werden. Denn unsere Welt verändert sich so rasant, dass man manchmal mit dem Einordnen nicht mehr nachkommt.
Das Autorenpaar John und Doris Naisbitt werfen in ihrem neuen Buch einen erhellenden Blick auf den Zustand der Welt von heute und versuchen die Trendlinie in die Zukunft zu ziehen. Die USA verlieren an Einfluss, Europa schwächelt bedenklich und die Gewinner im globalen Wettbewerb sind die Staaten des Südgürtels, jene sich entwickelnde Nationen, die man unter dem Begriff Schwellenländer zusammenfasst.
Die Stärke des Buches liegt in einem sympathischen Un-Dogma. Die Naisbitts berichten von ihren Gesprächen, sie analysieren Bücher und Artikel und lassen uns an ihren Beobachtungen teilhaben. Gerade in diese persönliche Beobachtungen erzeugen jene Aha-Effekte, von denen es in dem Buch einige gibt. So berichtet das in Wien wohnende Ehepaar, dass sie zu ihren Flügen in die weite Welt immer seltener die traditionellen Drehkreuze London, Paris oder Frankfurt nutzen, sondern vielmehr nun über Dubai oder Istanbul fliegen. Ein kleines, aber feines Indiz, wie sich die Entwicklung von der westlich zentrierten Welt hin zu einer multi-zentristischen Welt vollzogen hat.
Mit Europa und den USA gehen der Amerikaner John Naisbitt und die Österreicherin Doris Naisbitt hart ins Gericht. Der Westen scheint alles zu haben. Soziale Stabilität, wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt und Wohlstand. Und doch gewinnen viele den Eindruck, dass das, was über Jahrhunderte aufgebaut wurde, in ein oder zwei Generationen verspielt werden könnte. Der Westen befindet sich in der Gefahr, einem Klientelismus anheim zu fallen, wo die Bedienung von Partikular-Interessen die Kraft für Dynamik und Reformen raubt.
Und in der Tat sind viele Staaten des Südgürtels – von der Türkei über Singapur bis zu Chile – enorm weitergekommen, mit marktwirtschaftlichen Strukturreformen, mit beeindruckendem Wirtschaftswachstum und mit einem Anwachsen der Mittelschicht. Ob die Dynamik ausreicht und das Tempo durchgehalten wird, da lassen die Naisbitts hier und da ihre Zweifel anklingen.
Sympathisch ist der Ansatz der Autoren, die Qualität eines Staates insbesondere über den Zustand seiner Bildung zu beurteilen. Die Digitalisierung wird hier weiter die Chancen der einst Chancenlosen vermehren. Freies Unternehmertum, eine gute Bildung und freier Handel sehen die beiden Autoren als Grundlage der wirtschaftlichen Dynamik der Südländer.
Beide Autoren sind ausgewiesene China-Kenner, sie leben viele Monate jeden Jahres im Reich der Mitte, beide lehren an chinesischen Universitäten. Gerade China dient als Muster für den Aufstieg aus bitterer Armut hin zu einer Weltmacht und Mittelschichtsgesellschaft. Mit einer pragmatischen Freihandelspolitik bindet China die Schwellenstaaten Lateinamerikas und Afrikas in ihren Einflussbereich und füllt die Lücke, die Amerikaner und Europäer dort hinterlassen haben.
Sein Heimatland sieht John Naisbitt in einer Krise. Der einst notorische Optimismus der Amerikaner sei verflogen, der American Dream sei vielerorts ausgeträumt, selbst das Gehalt eines Hochschulprofessor reiche nicht mehr, eine Familie zu ernähren. Die unaufgeregte Handschrift von Doris Naisbitt merkt man dem Buch wohltuend an, die beiden Autoren legen den Finger in die vielen Wunden, jedoch wird die Kritik nicht als Klagelied gesungen, dem Autorenpaar ist vielmehr eine pragmatische und un-ideologische Sicht auf die Dinge gelungen.
Und überhaupt beanspruchen die Naisbitts, ich kenne beide seit vielen Jahren, keine Alleinvertretung auf Wahrheit. Sie sind keinem gram, der ihre Sicht der Dinge nicht teilt. Andererseits, wer das neue Buch von John und Doris Naisbitt unvoreingenommen liest, der wird schon ein wenig ins Grübeln kommen.
Das Buch Machtwende – Wie die Länder des Globalen Südgürtels unsere Welt verändern werden ist vor ein paar Tagen im Wiener Goldegg Verlag erschienen. Die Originalausgabe Global Game Change zuallererst in einem chinesischen Verlag. Auch dies ist so ein Aha-Effekt.
Der Süden, bei kluger Politik, ist dynamisiert und wächst. Der Westen scheint orientierungslos, wie gelähmt und stagniert seit Jahren. Noch sei Zeit, den Schalter umzulegen, es ist erst eine Halbzeit gespielt. Die Zukunft, da bleiben die beiden amerikanisch optimistisch, liegt in unseren Hände. Die rasante Neugestaltung der Weltordnung bietet Chancen. Chancen für jeden, dies ist vielleicht der große Unterschied zu früher.
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