Gottfried Heller

Gottfried Heller, München, Mitte Juni 2013

Schwertfisch auf mediterranem Gemüse. Es mundet. Der Aktien-Altmeister Gottfried Heller besitzt einen wachen Geist und erfreut mit klarer Analyse.

Als elder statesman der Börse sieht er über den Tellerrand und kann die Ereignisse, über die Tagesaktualität hinweg, einordnen. Die köstliche Nachspeise – Aprikosen-Panna Cotta und Himbeer-Sorbet – wird uns fast vermiest durch unser Gesprächsthema.

Stock: Der Euro macht ja seit Jahren große Sorge.

Heller: Der Euro besitzt von Anfang an einen riesigen Konstruktionsfehler.

Stock: Wohl wahr, er ist eigentlich ein politisches Projekt gewesen – und kein wirtschaftliches.

Heller: Schlimmer noch, alle wirtschaftlichen Daten wurden bewußt ignoriert. Man hat hier gänzlich unterschiedliche Kandidaten in ein Korsett gezwängt. Länder, die nicht zusammen passen. Von der Voraussetzung, von der Mentalität, von der Leistungskraft.

Stock: Es wurde ja kräftig geschummelt…

Heller: Wobei zum Schummeln immer zwei gehören. In den Euro hat man die Seriösen und die Hallodris gepackt, die Starken und die Schwachen. Die Fleißigen und die von Sonne verwöhnten…

Stock: Wobei der Club Méditerranée ja zunächst einen Vorteil erhielt. Die Länder konnten sich zu niedrigsten Zinsen noch weiter verschulden.

Heller: Vorher mussten die südlichen Länder zwölf, vierzehn Prozent Zinsen zahlen, auf einmal erhielten sie die Euro-Bonität, und sie bekamen die Kredite für ein Drittel oder für noch weniger. Aber das Geld wurde nicht investiert, in die Infrastruktur, in die Bildung, leichtsinnigerweise wurde das Geld verjuxt.

Stock: Und die Rechnung kam alsbald. Die Wettbewerbsfähigkeit der überschuldeten Staaten ging perdu.

Heller: Vor dem Euro wurde die Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertung der nationalen Währung aufrecht erhalten. Nun geht das nicht mehr. Und die nötigen Strukturreformen hat man in der Konsum-Euphorie auch versäumt.

Stock: Da hat Deutschland zum Glück seine Hausaufgaben in den Schröder-Jahren erledigt, unter großem Protest seiner Partei.

Heller: Das muss man Kanzler Schröder hoch anrechnen. Er hat das Land über die Partei gestellt. Andere Staaten haben die Strukturreformen versäumt. Nehmen Sie Frankreich. Als die heutige IWF-Chefin Christine Lagarde noch Wirtschafts- und Finanzministerin in Paris war, kam von ihr der bemerkenswerte Vorschlag, die Deutschen sollten weniger arbeiten und mehr konsumieren.

Stock: Oha, wie im Tollhaus.

Heller: Das ist so, als würde man zu Bayern München sagen, ihr dürft nicht immer so gut spielen, ihr müsst auch mal den VfB Stuttgart gewinnen lassen.

Stock: Da Währungsabwertung nicht mehr möglich ist, können jetzt nur binnenwirtschaftliche Abwertungen die Wettbewerbsfähigkeit der Südstaaten verbessern. Das ist ein schmerzhafter Prozess.

Heller: Es führt kein Weg daran vorbei, die Produktionskosten müssen runter. Die Löhne und Gehälter, die Renten, die Sozialleistungen. Und die Strukturreformen – Entbürokratisierung, Öffnung der Arbeitsmärkte, Deregulierung – müssen nun angepackt werden.

Stock: In Europa haben sich viele an Sozialausgaben gewöhnt, die weit über die Hilfe im Notfall hinausgehen.

Heller: Wenn die Eurokrise ein Gutes hat, dann dieses: Wir werden gezwungen, unseren riesigen Sozialhilfeapparat zu hinterfragen. Europa hat 7 Prozent der Weltbevölkerung, verbucht aber 50 Prozent der globalen Sozialhilfe.

Stock: Und was bedeutet die Eurokrise für die Aktienmärkte?

Heller: Nun, die Zinsen werden auf ein nicht-marktkonformes Niveau künstlich unten gehalten, Anleihen rentieren mickrig und die Inflationsgefahr wächst.

Stock: Also alles gute Treiber für die Börse.

Heller: Allein durch die Dividendenrendite eines guten Substanzwertes können Sie heute 3 bis 6 Prozent erwirtschaften. Mit welcher Anleihe schaffen Sie das?

Stock: Wie lange wird die Eurokrise denn noch dauern? Frau Merkel sprach von zehn Jahren.

Heller: Das wird nicht reichen. Die Eurokrise scheint fast permanent. Europa kommt mir vor wie ein schwer übergewichtiger Patient, den man für ein Jahr auf Diät gesetzt hat. Der Übergewichtige zählt doch die Tage seiner Diät herunter, um dann nach Ende des Abspeckens wieder in alte Muster zu verfallen.

Stock: Das Umdenken muss im Kopf stattfinden…

Heller: Wir in Europa müssen unsere Ansprüche und Prioritäten ändern. Das erfordert ein tiefes Umdenken. Und das kann Generationen dauern. Ich fürchte, die Eurokrise wird uns noch Jahrzehnte begleiten.

Stock: Herr Heller, zerbricht der Euro?

Heller: Ich glaube, der Euro zerbricht nicht. Vielleicht wird der Euro in zwei unterschiedliche Eurozonen aufgeteilt. In einen Nord-Euro und einen Süd-Euro. Das kann man heute schwer abschätzen. Wie auch immer, der Euro bleibt ein Pflegefall.

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