Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Die ewige Bodeguita

Photo by W. Stock

Havanna, im April 1983

Wir bestellen Mojito. Der Barmann füllt uns das Rumglas zur Hälfte mit Carta Blanca, presst eine halbe Limone aus, steckt ins Glas einen frischen Pfefferminzstängel, die yerba buena, dazu Eiswürfel und schießt dann noch etwas Soda hinzu.

Links hinter der Kathedrale in der schmalen Seitengasse Calle Empedrado hinter der Nummer 206 liegt ganz unscheinbar und äußerlich verfallen die Bodeguita del Medio. Vorne der kleine quadratische Barraum mit der dunklen Theke. Dahinter das leicht schmuddelige, weißverputzte andalusische Speisegewölbe, wo an meist überfüllten Tischen das Beste der einfachen kubanischen Küche angeboten wird.

Gerichte, die so poetische Namen wie Moros y cristianos tragen, was übersetzt soviel wie Mauren und Christen heißt und auf dem Teller wie schwarze Bohnen mit weißem Reis daher kommt.

Angel Martínez eröffnet die Bodeguita 1942 und da sie inmitten eines langen Häuserzugs liegt und ihm kein gescheiter Name einfällt, nennt er sie kurzerhand Kneipe in der Mitte. Innen verzieren Hunderte von Namen bekritzelte Wände. Wahre Prominenz verewigt sich in eingerahmten Signaturen und Poemen. Julio Cortázar dichtet einen hübschen Vers und Mister Errol Flynn dankt. Auch der Tramp Charlie Chaplin schaut vorbei und der blonde Engel Marlene Dietrich lässt sein samtenes Haar wehen. Nat Cole, der Sänger, zeichnet mit King. Es ist Sommer in Havanna.

Castro, Havanna, Mojito. Der revolutionäre Dreiklang für Romantiker. Für den vor zehn Jahren bei einem Putsch ums Leben gekommenen chilenischen Präsidenten Salvador Allende wird noch immer ein Tisch freigehalten, so als ob der kleine schnauzbärtige Chilene mit der dicken Hornbrille just am heutigen Abend in die Bodeguita hineinschlendern würde.

Photo by W. Stock

Unter dünnem braunen Glasrahmen, direkt über dem Schanktisch, umgeben von Martini– und Cinzano-Flaschen, hängt ein Satz, den man langsam herunter beten muss und der noch lange im Ohr bleibt. My mojito in La Bodeguita, My daiquiri in El Floridita. Darunter dann, beschwingt, die Unterschrift: Ernest Hemingway.

Ja, so kann nur einer schreiben, so schreibt nur El gran Maestro himself. Diese Poesie kann nur der Feder Ernest Hemingways entstammen. Solch eine wuchtige Ansage – so einfach, so präzise, so wahr.

Noch einen Mojito. Ich hole mir beim Barkeeper eine Fonseca und zünde sie an. Die Zigarre schmeckt hart und streng, die Fonseca aus der Bodeguita ist offenbar zu jung gerollt und zu kurz gelagert worden. Von ihren großen Havanna-Marken wie die Montecristo, eine Romeo y Julieta oder eine Quintero können die Kubaner nur träumen, es gibt sie nicht im freien Verkauf, die Edelmarken gehen allesamt in den Export.

Tabak und Rum tun so langsam ihren Dienst. La Bodeguita del Medio. Die unsterbliche La B del M. Wer in der Bodeguita trinkt, der spürt den Hauch des Ewigen. Bodeguita, du bleibst, ich gehe!, schrieb der kubanische Autor Leandro García an die weiße Wand. Du bleibst, ich gehe.

Als wir nach vielen Mojitos die B del M verlassen, scheint aller Trübsinn des Daseins wie weggeblasen und die Welt leuchtet warm und farbenfroh. Der eisige Winter war weit weg.

Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.

siehe auch: Hemingway trinkt sechs oder acht Daiquirís in El Floridita

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  1. muskelaufbau

    Super, endlich ein guter Beitrag, mein Dank! Generell finde ich die Seite gut zu lesen.

  2. E. Wirth

    „Der eisige Winter war weit weg“. Sehr schön.
    Aber ist das nicht weniger eine Alliteration, sondern ein Stabreim?

  3. apple

    Egal wie viele Mojitos. Mit jedem Mojito wurde das Stimmungsbild schöner. Es müssen verdammt viele gewesen sein. Ja, und die Alliteration mit W hätte auch eine mit M sein können – und nicht nur vierfach.

  4. Udo Dotsis

    „Der eisige Winter war weit weg.“
    Perfekt! Eine vierfache W-Alliteration. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen…
    Udo

  5. Kashu

    @Tobias:

    „Als wir nach vielen Mojitos die B del M verlassen…“

    Das bedeutet nicht zwei Mojitos oder drei, wie du dich richtig verzählt hast, sondern „viele“. Steht doch da. Eine Handlung verläuft gerade nachdem eine andere abgeschlossen war… Ein Erzählstil, nichts weiter, und ein schöner dazu. Es begann mit dem ersten Mojito, so machen es die meisten, dann kam ein zweiter, und am Ende waren es viele… Typisch engstirnig deutsch, wenn hier jemand anfinge, die einzelnen Mojitos nachzuzählen. Das Lob danach, es wäre „schön geschrieben“ reißt es dann auch nicht mehr heraus. Die Stimmung ist sofort dahin, besser, nie wirklich angekommen.

  6. T. Schneider

    wie viele Mojitos waren denn das?? Ich zähle drei. Oder?
    Aber schön geschrieben. Der eisige Winter war weit weg. Sehr schön.
    Tobias

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