Notizen und Anmerkungen von unterwegs

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B. Traven versteckt sich in Acapulco

Ein sonniges Plätzchen für schattige Winkelzüge. In Acapulco hält sich B. Traven ab 1930 versteckt, wo er ein kleines Landhaus mit einen großen Obstgarten außerhalb des Zentrums bewohnt. El Parque Cachú an der Avenida Costa Grande 901 ist ein mit vielen Bäumen und Gestrüpp bewuchertes Landhaus an der Strasse nach Pie de La Cuesta.

Die heute heruntergekommene Obstplantage liegt an einer vielbefahrenen Ausfallstrasse Acapulcos, weit weg von den imposanten Hotels und der azurblauen Bucht. Eine Holzgittertüre, vom Staub der Strasse und der schwülen Tropenhitze angefressen, verdeckt den Blick auf das einfache Ziegelhaus.

Es ist, wie in diesen Breiten üblich, ein bescheidenes eingeschossiges Bauwerk mit einem flachen Dach und einfachen Klappfenstern. Das Haus wurde ohne jeden Schnörkel symmetrisch auf einer kleinen Anhöhe gebaut, zu der die Dutzend Steinstufen einer kleinen Treppe führen. Um das Gebäude herum gruppiert sind Mangobäume und vor allem zahlreiche Nussbäume, die der Huerta den Namen geben.

Der Autor von El Tesoro de la Sierra Madre – Der Schatz der Sierra Madre – lebt im Parque Cachú mit einer jungen indianischen Frau zusammen, Maria de la Luz Martínez, die Besitzerin der Obstplantage ist. Maria und ihre Schwester Elva betreiben im Parque ein kleines Gartenrestaurant, das den Geschwistern und ihrem Mitbewohner Traven, insbesondere in den Kriegsjahren, als aus Europa nur geringe Tantiemezahlungen fließen, den Lebensunterhalt garantiert.

In Acapulco erhält Traven auch seinen ersten mexikanischen Personalausweis. Gastwirt trägt Traven in manchen Lebenslauf als Berufsbezeichnung ein, und in diesen Jahren sollte dies ausnahmsweise dann annähernd den Tatsache entsprechen.

Traven arbeitet viel im Obstgarten, ansonsten schreibt er in seiner oficina an seinen Romanen. Wie ein Einsiedler ohne jeden tieferen Kontakt lebt der kauzige Mann in diesem sonnigen, verfallen wirkenden Gartenhaus in Acapulco und die Nachbarn nennen den drahtigen, kleinen grauen Mann El Gringo.

Acapulco ist damals noch lange nicht der mondäne Badeort späterer Jahre, keine Jetset-Destination, sondern ein armes, verlassenes Fischernest am Pazifik mit gerade mal 8.000 Einwohnern. Und im heiteren Acapulco kann man sich höchst angenehm verstecken.

Der geheimnisumwitterte Schriftsteller lebt in Acapulco unter dem Namen Berick Traven Torsvan, was einerseits seine Identität ausreichend camoufliert, ihn anderseits noch in die Lage versetzt, Honorare für einen B. Traven anzunehmen. Postfach 49, Acapulco, Guerrero, México – das bleibt seine einzige Verbindung zur Welt nach draußen.

Auch während der Zeit des Zweiten Weltkriegs bleibt er in dem idyllischen Pazifikstädtchen untergetaucht. Dies besitzt den charmanten Nebeneffekt, dass er den nun zahlreichen deutschen Emigranten, die es nach Mexiko City verschlägt, nicht über den Wege laufen muss. Egon Erwin Kisch, der rasende Reporter, beispielsweise macht sich auf die Suche nach seinem schreibenden Kollegen, von dem er weiß, dass er der frühere Münchner Revolutionär Ret Marut sein muss.

Ein Flüchtiger auf der Flucht vor Flüchtlingen, merkt der Traven-Biograf Karl Guthke spitz an. Aber B. Traven versteckt sich unbeirrbar viele, viele Jahre in seiner Huerta und in diesen beiden Jahrzehnten hier in Acapulco schreibt der deutsche Autor ein halbes Dutzend detailreicher Romane über tapfere Campesinos, darbende Indios und feiste Hacendados. Also, über Mexiko.

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Günter Wallraff, der Schmutzwühler

Günter Wallraff, Wolfgang Stock; Bergisches Land, den 5. Juni 1979

Unter konspirativen Umständen, man kann es nicht anders sagen, kam ich zu Günter Wallraff. Denn Wallraff musste für ein paar Wochen von der Bildfläche verschwinden.

Ich traf Günter Wallraff im Sommer 1979. Er hatte über drei Monate unerkannt in der BILD-Lokalredaktion in Hannover gearbeitet und enthüllt, mit welchen Methoden Deutschlands führende Zeitung zu arbeiten pflegt. Sein Buch Der Aufmacher – Der Mann, der bei ‘Bild’ Hans Esser war erklomm rasch die Bestsellerlisten und wurde heftig diskutiert.

Neben reichlich Lob und Bewunderung über diesen Scoop hagelte es Widerspruch, Klagen, Drohungen und Wallraff zog sich für einige Tage in das Haus eines Freundes zurück, weit ab der Großstadt und der medialen Aufmerksamkeit.

Seine Assistentin lotste uns per Telefon wie in einem Krininalfilm zu seinem geheimen Refugium. “Fahren Sie nach Bergisch-Gladbach, dann Richtung Kleinkleckersdorf, auf halbem Weg sehen Sie eine hohe Eiche, biegen Sie dort in den Waldweg…” Und so weiter, und so fort. Man kam sich vor, wie in einem Thriller von John le Carré. Wir waren, zumindest für einen Tag, Teil des System Günter Wallraff geworden.

In dem Sommerhaus im Bergischen empfing uns Wallraff freundlich, neugierig und doch stets auf der Hut. Er war eigentlich immer auf der Lauer, und manchmal wusste man nicht so recht, ob man nun Günter Wallraff oder doch Hans Esser vor sich hatte.

Ich mag Wallraffs subjektive Annäherung an das Schreiben. Das hat eine lange Tradition, denn schon Upton Sinclair hatte 1905 mit The Jungle einen inkognito recherchierten Roman veröffentlicht, der die Zustände in den Schlachthäusern von Chicago anprangerte. Muckraker, nennen die Amerikaner diese Form des Journalismus verächtlich, Schmutzwühler, Nestbeschmutzer. Bisweilen hört es sich wie eine Auszeichnung an.

Und Muckraker Wallraff enthüllte Mißstände wie kein anderer: Er war der Türke Ali bei Thyssen und – mein Liebling – er deckte Putschpläne und Waffenschiebereien des sinistren früheren portugiesischen Staatspräsidenten General António de Spinola auf. Manchmal vernahm man eine übermütige Spöttelei in seiner Recherche. Beispielsweise, wenn er sich bei Gerling auf den Chefschreibtisch breit machte.

In der schwedischen Sprache hat sich der Begriff wallraffa eingebürgert, das Verb bezeichnet einen verdeckten Recherchestil. Wallraff hat den Journalismus um eine Dimension bereichert. Überraschend angreifen, unerkannt beobachten, ganz nah rangehen. Das ist zwangsläufig höchst subjektiv und nicht mehr objektiv. So what? Das ist jedenfalls aufregender und spannender als das meiste Zeug, das die Sesselpupser so schreiben.

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Norbert Bolz, der elitäre Aufklärer

München, im September 1992; Foto: Hasso von Bülow

Große und klare Denker besitzt dieses Land ja nicht viele. Und insbesondere mangelt es an Philosophen, die sich nicht dem herrschenden Mainstream unterordnen, sondern die unkonventionell und auch politisch unkorrekt zu analysieren vermögen. Solche gibt es ganz wenige.

Einer, vielleicht der beste, ist Norbert Bolz. Im Herbst 1992 lernte ich ihn kennen, als er im Münchner Künstlerhaus einen rasanten Vortrag hielt und ich diese Veranstaltung moderieren durfte. Der studierte Philosoph, Germanist und Religionswissenschaftler Bolz überzeugt mit breitem Wissen und einer beeindruckenden Tiefenschärfe.

Den gebürtigen Ludwigshafener nur als ein Kommunikationstheoretiker abzutun, greift zu kurz. Eigentlich ist er ein Kulturphilosoph, der verwandte Disziplinen wie die Volkswirtschaftslehre oder die Soziologie in seine Überlegungen einfließen lässt.

Norbert Bolz, ein jugendlich und asketisch wirkender Mann des Jahrgangs 1953, arbeitet als Hochschullehrer, zuerst in Essen, jetzt an der TU Berlin. Der Vater von vier Kindern ist ein extrem fleißiger und produktiver Geistesarbeiter. Und er tritt als Kulturkritiker mit deutlicher Aussprache auf. Nicht wie andere seiner Spezies, die larmoyant ihre eigene Befindlichkeit in den Mittelpunkt rücken, sondern als jemand, der ungewöhnliche Fragen stellt, auch wenn diese unangenehm daher kommen mögen.

Wieso sind die Deutschen so nörgelig, wo sie doch die Freiheit haben? Warum wird Freiheit oft als Bürde aufgefasst? Wird der Wohlfahrtsstaat mehr und mehr zum Vormund? Woher kommt diese Sehnsucht nach der verwalteten Welt? Kann es Sinn der Emanzipation sein, nur wegen des Prinzips eine vernünftige Arbeitsteilung aufzuheben?

Mit solchen Fragen macht man sich heute keine Freunde, viele werden solche Gedanken als elitär empfinden. Gerade die Gutmenschen kriegen bei Bolz ihre Abreibung. Die Gutmeinenden wollen Gleichheit statt Freiheit – und zwar Ergebnisgleichheit statt Chancengleichheit. Touché. Hier sitzt ein Provocateur, der wahrscheinlich auch noch Spass an seiner Provokation hat.

Im Grunde genommen liegt das Hauptthema von Norbert Bolz im Spanungsverhältnis von Freiheit und Gerechtigkeit. Wenn beides in Balance steht, so mag eine Gesellschaft produktiv funktionieren. Doch Bolz erkennt, dass der Gleichheits- und Gerechtigkeitsfanatismus unserer Breiten zu Lasten der Freiheit geht. Wohlfahrt sei eine Droge, die den Menschen in Abhängigkeit hält.

Der Fürsorgestaat erzeuge Unmündigkeit, jene Geisteshaltung, gegen die die Aufklärung eigentlich kämpfe. Man gibt Freiheit zugunsten von Versorgungssicherheit auf. Diese Tyrannei der Wohltaten erzeuge im Grunde genommen eine Sklavenmentalität.

Als Gegenentwurf zu diesem Paternalismus, der die kreativen Kräfte einer Gesellschaft lähmt, stellt Bolz die liberalen Ideen der Aufklärung. Der Liberalismus besteht aus Marktwirtschaft, Eigentum, Freiheit des Einzelnen, Herrschaft des Rechts, staatlicher Sicherheit und Ordnung, formaler Chancengleichheit und Karrierechancen für jedes Talent. Der Liberale erkennt im Wettbewerb das Schicksal der Freiheit und im Recht das regulierende Supplement des Wettbewerbs. Mehr Ordnung ist für eine moderne Gesellschaft weder nötig noch sinnvoll möglich. Die offene Gesellschaft kann man nur offen halten – aber das ist den meisten zu wenig.

In die Nebensätzen des Liberalen Norbert Bolz schleicht sich so ein Hauch von Resignation ein. Sicher, heute ist der Liberalismus keine Volksbewegung, vielleicht ist er auch nicht mehr mehrheitsfähig. Jedenfalls, und auch dies ist ein Teil des globalen Wettbewerbs, jedenfalls nicht in Europa.

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B. Traven wohnt in München, Clemensstrasse 84

Photo by W. Stock; München, August 2010.

Hier kommt Schwabing daher wie aus dem hübschen Reiseführer. Kleine Ladengeschäfte und exotische Restaurants flankieren die ruhige Clemensstrasse, in der sich jeder Student wohl fühlen müsste. In Parterre des alten Hauses Clemensstrasse 84 findet sich ein kärglicher Getränkemarkt, der zugleich einen Pizza-Service und den Café-to-go anbietet. Gegenüber bietet ein peruanisches Restaurant seine köstlichen Gerichte an.

Das niedliche viergeschossige Haus, in dezentem laubgrün und weiß gestrichen, hat seinen Charme über die Jahrzehnte tapfer verteidigt. Und was die wenigsten wissen, dieses Haus Clemensstrasse 84 birgt ein Mysterium der deutschen Literaturgeschichte.

Von 1915 bis 1919 hat in diesem Eckhaus, auf dem dritten Stockwerk, in einer 3-Zimmer-Wohnung, der Schriftsteller Ret Marut gewohnt und gearbeitet. Dieser rätselhafte Ret Marut zeichnet in jenen Jahren als Verleger und Hauptautor der sozial-radikalen Zeitschrift Der Ziegelbrenner. Im Impressum des ersten Ziegelbrenner-Heftes vom 1. September 1917 kann man nachlesen: Geschäftsstelle des Verlages: München 23, Clemensstrasse. Ohne Hausnummer.

Das ist so diese typische Geheimniskrämerei, die das ganze Leben dieses Autors bestimmen soll. Im Impressum des Ziegelbrenner liest man dann folgende seltsamen Sätze: Besuche wolle man unterlassen, es ist nie Jemand anzutreffen. Fernsprecher haben wir nicht.

Ein kauziger Menschen dieser Marut – und ein geheimnisvoller Schreiber. Von Düsseldorf kommend hat sich Ret Marut, Schauspieler und Autor, in der Clemensstrasse 84 eingemietet. Die Polizeidirektion München verfasst mit Datum 19. 11. 1917 ein Dossier über die suspekte Person: Marut, Ret, geb. 25. Februar 1882 in San Franzisko, amerikanischer Staatsangehöriger, Schauspieler, Schriftsteller, ist seit 3. 7. 1917 hier im Aufenthalt und z. Zt. Clemensstrasse 84/3, in Wohnung gemeldet.

Name – falsch, Nationalität – auch falsch, Geburtsort – ebenso falsch. So gut wie alle Angaben, die Ret Marut den Behörden mitteilt, sind gelogen, alles ist eine ziemliche Räuberpistole, hier werden Nebelkerzen gezündet. Schon dieser merkwürdige Name Ret Marut bildet eine Täuschung, ist eine Erfindung, scheint mehr Phantom als Pseudonym. Vielleicht ist der Name ein Anagramm, ratet rum. Wie auch immer.

Wer die Person nun wirklich ist, die sich hinter dem Kunstnamen Ret Marut verbirgt, darüber gibt es bis heute nur Vermutungen und Spekulationen. Nach der Proklamation der Räterepublik am 7. April 1919 arbeitet Ret Marut als Zensor der bürgerlichen Tageszeitungen und fungiert vom 7. bis 13. April als Leiter des Presseausschusses im revolutionären Zentralrat. Nach der Niederschlagung der nur einen Monat dauernden Räterepublik muss Marut – nun steckbrieflich gesucht – rasch abtauchen.

Und er taucht fünf Jahre später, im Juli 1924, wieder auf. Im fernen Mexiko. Mit ganz anderem Namen. Wieder ein geheimnisvolles Pseudonym. Aus Ret Marut wird B. Traven.

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