Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Schlagwort: biographie

Wie Erwin Barth von Wehrenalp „Mister Sachbuch“ wurde

Erwin Barth von Wehrenalp, Frankfurt am Main, im Juni 1990, Photo by W. Stock

Frankfurt am Main, den 7. Juni 1990

Er war schon ein alter und auch arg gebrechlicher Mann, als ich Erwin Barth von Wehrenalp kennen lernte. Auch wenn er sich körperlich schnell erschöpfte, ganz oben, in den grauen Zellen, da zeigte er sich noch hellwach. Und seinen Charme und diesen österreichischen Schmäh, den hatte er sich sowie so noch erhalten.

Leider habe ich nie unter diesem Verleger arbeiten dürfen, da lagen die Jahre dazwischen, im Grunde trennten uns ja zwei Generationen. Als ich zu ECON nach Düsseldorf kam, da war von Wehrenalp schon sieben Jahre aus dem Verlag.

Wohin man jedoch auch ging, der Geist und die Aura des Erwin Barth von Wehrenalp schwebten scheinbar mit. Schriftsteller, Politiker und Wissenschaftler fragten nach ihm, erzählten bunte Anekdoten, gaben beste Grüsse mit auf den Weg. Kein Zweifel, das merkte der junge Lektor, von Wehrenalp, einer der großen Verleger Deutschlands, hatte Spuren hinterlassen.

Im November 1950 gründete Erwin Barth von Wehrenalp einen Verlag im Pressehaus am Düsseldorfer Martin-Luther-Platz. Das Baby wurde ECON getauft – als Abkürzung von Economia – und der Name sollte Programm sein. Die Marke sollte kurz sein, einprägsam und international. Und auf das verlegerische Kernstück – die Wirtschaft – hinweisen.

Die ganze Breite des Sachbuchs sollte dieser Verlag in den nächsten Jahren einem großen Publikum vorstellen: John F. Kennedy, Gerhard Herm, Martin Luther King, Walter Henkels, Amitai Etzioni, Vance Packard, Erich von Däniken, Rudolf Pörtner, Norbert Wiener, ich könnte ein kleines Telefonbuch herunter beten, die großen Denker und Akteure jener Jahre haben bei ECON ihre verlegerische Heimat gefunden.

Wer einen Verlag betreibt, wer seine Themen aus dem prallen Leben greift, der hat am Ende des Tages vielerlei in Händen: seltene Pretiosen, viel Dutzendware und wohl auch einiges, worüber der Chronist taktvoll den Mantel des Schweigens legt.

Er war ein ziemliches Schlitzohr, der erste ECON-Verleger, und zugleich ein charmanter Grandseigneur, wie ihn so nur felix Austria hinkriegt. In Dresden geboren und in Wien als Sohn eines österreichischen Arztes aufgewachsen, verfügte von Wehrenalp über jenen ondulierten Plauderton, der in Deutschland Herz und Hirn schmelzen lässt. Von Erwin Barth wird kolportiert, er habe jeden, aber auch wirklich jeden halbwegs bekannten Zeitgenossen mit seinem Standardsatz „Sie müssen unbedingt ein Buch schreiben!“ kräftig gebauchpinselt. Manch einer hat dann tatsächlich zur Feder gegriffen.

Der muntere Bonvivant besaß ein verläßliches Gespür für Themen und Titel. Er hat es über Jahrzehnte geschafft, eigentlich trockene Stoffe aus Historie, Forschung oder Wirtschaft auf unterhaltsame Art und Weise zu popularisieren. So lautete wohl auch der verlegerische Auftrag jener Jahre: Spezialwissen einem breiten Publikum verständlich dar zu reichen.

Und die ECON-Titel von damals summen noch heute im Ohr: Und die Bibel hat doch recht. Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit. Wohlstand für alle. Wenn das alte Schwarzweiß-Foto von Ludwig Erhard mit seiner schmauchenden Zigarre veröffentlicht wird, dann hält der Vater des deutschen Wirtschaftswunders noch immer sein berühmtes ECON-Buch in der Hand. Von Kanzler Konrad Adenauer wird die Anekdote überliefert, er habe seinen Wirtschaftsminister Erhard gefragt, ob der Titeltexter seiner ECON-Bücher nicht auch die CDU-Wahlkampfslogans schreiben könne.

Von Wehrenalp, Jahrgang 1911, war ein Verleger der alten Schule. Mit allen Vorzügen und auch mit allen Grenzen. Sein riesiger Erfolg erklärt sich vor allem aus der wissensdurstigen Nachkriegszeit. Ende der 70er Jahre war Mister Sachbuch dann aus der Zeit gefallen. Konkurrenz, Konzerne, Fernsehen und Medienboom verlangten mehr als nur Charme und Chuzpe. Die moderne Medienwelt war nicht mehr sein Ding.

Der Österreicher verkaufte 1981 seinen angeschlagenen Verlag, er ging zurück in seine Heimat nach Anif bei Salzburg und verbrachte schließlich den Lebensabend in Paris. Im April 1996 ist er dort verstorben. Auf Père Lachaise hat seine Frau ihn begraben.

siehe auch: Hero Kind, der letzte ECON-Verleger
siehe auch: Erwin Barths Geheimnis

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B. Traven versteckt sich in Acapulco

Ein sonniges Plätzchen für schattige Winkelzüge. In Acapulco hält sich B. Traven ab 1930 versteckt, wo er ein kleines Landhaus mit einen großen Obstgarten außerhalb des Zentrums bewohnt. El Parque Cachú an der Avenida Costa Grande 901 ist ein mit vielen Bäumen und Gestrüpp bewuchertes Landhaus an der Strasse nach Pie de La Cuesta.

Die heute heruntergekommene Obstplantage liegt an einer vielbefahrenen Ausfallstrasse Acapulcos, weit weg von den imposanten Hotels und der azurblauen Bucht. Eine Holzgittertüre, vom Staub der Strasse und der schwülen Tropenhitze angefressen, verdeckt den Blick auf das einfache Ziegelhaus.

Es ist, wie in diesen Breiten üblich, ein bescheidenes eingeschossiges Bauwerk mit einem flachen Dach und einfachen Klappfenstern. Das Haus wurde ohne jeden Schnörkel symmetrisch auf einer kleinen Anhöhe gebaut, zu der die Dutzend Steinstufen einer kleinen Treppe führen. Um das Gebäude herum gruppiert sind Mangobäume und vor allem zahlreiche Nussbäume, die der Huerta den Namen geben.

Der Autor von El Tesoro de la Sierra Madre – Der Schatz der Sierra Madre – lebt im Parque Cachú mit einer jungen indianischen Frau zusammen, Maria de la Luz Martínez, die Besitzerin der Obstplantage ist. Maria und ihre Schwester Elva betreiben im Parque ein kleines Gartenrestaurant, das den Geschwistern und ihrem Mitbewohner Traven, insbesondere in den Kriegsjahren, als aus Europa nur geringe Tantiemezahlungen fließen, den Lebensunterhalt garantiert.

In Acapulco erhält Traven auch seinen ersten mexikanischen Personalausweis. Gastwirt trägt Traven in manchen Lebenslauf als Berufsbezeichnung ein, und in diesen Jahren sollte dies ausnahmsweise dann annähernd den Tatsache entsprechen.

Traven arbeitet viel im Obstgarten, ansonsten schreibt er in seiner oficina an seinen Romanen. Wie ein Einsiedler ohne jeden tieferen Kontakt lebt der kauzige Mann in diesem sonnigen, verfallen wirkenden Gartenhaus in Acapulco und die Nachbarn nennen den drahtigen, kleinen grauen Mann El Gringo.

Acapulco ist damals noch lange nicht der mondäne Badeort späterer Jahre, keine Jetset-Destination, sondern ein armes, verlassenes Fischernest am Pazifik mit gerade mal 8.000 Einwohnern. Und im heiteren Acapulco kann man sich höchst angenehm verstecken.

Der geheimnisumwitterte Schriftsteller lebt in Acapulco unter dem Namen Berick Traven Torsvan, was einerseits seine Identität ausreichend camoufliert, ihn anderseits noch in die Lage versetzt, Honorare für einen B. Traven anzunehmen. Postfach 49, Acapulco, Guerrero, México – das bleibt seine einzige Verbindung zur Welt nach draußen.

Auch während der Zeit des Zweiten Weltkriegs bleibt er in dem idyllischen Pazifikstädtchen untergetaucht. Dies besitzt den charmanten Nebeneffekt, dass er den nun zahlreichen deutschen Emigranten, die es nach Mexiko City verschlägt, nicht über den Wege laufen muss. Egon Erwin Kisch, der rasende Reporter, beispielsweise macht sich auf die Suche nach seinem schreibenden Kollegen, von dem er weiß, dass er der frühere Münchner Revolutionär Ret Marut sein muss.

Ein Flüchtiger auf der Flucht vor Flüchtlingen, merkt der Traven-Biograf Karl Guthke spitz an. Aber B. Traven versteckt sich unbeirrbar viele, viele Jahre in seiner Huerta und in diesen beiden Jahrzehnten hier in Acapulco schreibt der deutsche Autor ein halbes Dutzend detailreicher Romane über tapfere Campesinos, darbende Indios und feiste Hacendados. Also, über Mexiko.

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Johannes Gross, der Aphoristiker der Überlegenheit

Johannes Gross

mit Johannes Gross in Köln, den 3. Dezember 1993;  Foto by Hasso von Bülow

Johannes Gross, dies sollte man als Autor eigentlich nicht zu laut sagen, ist schreiberisch ein Vorbild. Eigentlich sollte man solch einen Satz schnell wieder vergessen, denn man legt die Latte für Eigenes viel zu hoch. Man kann noch so viel trainieren, man wird die Latte stets reißen.

Der kleine Westerwälder mit der Denkerstirn war ein Mann, der einen unglaublichen sprachlichen Reichtum besaß und einige andere Eigenschaften, auf die man als Journalist stolz sein darf: Er war unabhängig, er hatte keine Furcht vor den Mächtigen, er war hellwach, witzig auf die intelligente Art, er hatte Esprit.

Johannes Gross muß als ein homme de lettres umschrieben werden, er beherrschte die feine politische Ironie ebenso wie den philosophischen Diskurs, er war stilsicher, hochbelesen, und er war – heute würde man sagen – politisch inkorrekt.

Er schrieb Sentenzen mit Biss, hintersinnige Aperçus, Bonmots mit Esprit. Er veröffentlichte seine wöchentlichen Tagebuchnotizen im FAZ-Magazin und jedes Mal waren seine Anmerkungen ein Schmaus für alle Hirnzellen, die das Arbeiten noch nicht aufgegeben hatten. Johannes Gross erreichte eine stilistische Fertigkeit, die in seinen Tagen sonst niemand erreichte. Seine Anmerkungen fielen so herrlich aus dem Zeitgeist heraus, und es war diese störrische Unangepassheit, dieses arrogante Besserwissen, das für Lesefreude sorgte.

Protest ist heute eine der bemerkenswertesten Formen der Anpassung. Das ist so ein überlegener Johannes-Gross-Satz aus seinen Tagebüchern. Touché. Ein Stich im Luftpolster des aufgeplusterten Zeitgeistes. Dampfplauderer, Schablonendenker, Flachwasserschwimmer – all sie bekammen von Johannes Gross ein gepfeffertes Bonmot entgegen geschleudert.

Vielen galt er als eitler Pfau. Vielleicht war er das, aber es war nur der eine Teil von ihm. Das war eher sein Panzer. Arroganz, so hätte er wohl formuliert, ist der Schutz vor dem Mittelmäßigen. Und eigentlich war es ja auch keine Arroganz, es war Überlegenheit.

Der andere Teil von Johannes Gross kam zu vorschein, wenn man sein Interesse geweckt hatte. Dann wurde der öffentlich zelebrierte Zynismus plötzlich abgelöst von intellektueller Neugier. Da zeigte er sich wißbegierig, als ein aufmerksamer Zuhörer, als Anekdotensammler.

Darüber hinaus blieb er in seinen privaten Momenten ein ganz normaler Mensch: Er mochte seine Familie, die gepflegte Konversation, gutes Essen, er trank gerne einen Rotwein, er tanzte, er liebte Frankreich, er wußte das Leben zu genießen.

Im September 1999 ist er in Köln gestorben. Ein solcher Mensch fehlt uns heute. Kein Publizist vermochte in seine Fußstapfen zu treten. Die Fußstapfen sind einfach zu groß. Viel zu groß!

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Wo Hemingway knapp dem Tode entging

Photo by W. Stock

Fossalta di Piave, im September 2009

Um Haaresbreite wäre an dieser Stelle, eine knappe Autostunde nördlich von Venedig, Hemingways jungem Leben ein brutales Ende gesetzt worden. Hier an diesem lieblichen Fluss ist Ernest Hemingway nur knapp, und zwar ziemlich knapp, dem Tode entronnen.

Daran erinnert ein Denkmal, das am Ende der Via Ragazzi del ‘99, auf einem Damm steht, der das Städtchen Fossalta von der Piave trennt. Hier wird noch heute, fast hundert Jahre nach dem Vorfall, die Erinnerung an Hemingways schwere Verwundung wach gehalten

Su questo argine, Ernest Hemingway volontario della croce americana veniva ferito la notte dell‘ 8 Luglio 1918. An diesem Deich wurde Ernest Hemingway, Freiwilliger des amerikanischen Roten Kreuzes, in der Nacht des 8. Juli 1918 verwundet.

Der junge Draufgänger Ernest Hemingway hatte sich 1918 freiwillig als Fahrer des Red Cross Ambulance Corps gemeldet, nachdem die USA im April 1917 den Kriegseintritt beschlossen hatten. Nach seiner Ankunft in Europa wurde er als Fahrer bei Verpflegungstouren und im Ambulanzservice an der norditalienischen Front eingesetzt.

Ernest stand kurz vor seinem 19. Geburtstag, eigentlich war er noch ein Junge, aber schon ein Kerl wie ein Baum. Mit 18 sieht man die Welt noch bunt und sicherlich war er noch gehörig grün hinter den Ohren.

In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1918 ist Hemingway auf Versorgungsfahrt entlang der Piave an einer Stelle, die die Einheimischen Buso de Burato bezeichnen. Per Fahrrad soll er den in den Schützengräben liegenden italienischen Soldaten Lebensmittel, Brot und ein paar Bildchen zur Ermunterung überbringen.

Als Hemingway gegen ein Uhr diesen Damm am Westufer der Piave erreicht, explodiert zwei Meter von ihm entfernt eine Mörsergranate. Die Granate, von österreichischen Truppen am Ostufer abgefeuert, ist mit Eisenkugeln, Stahl und Metallschrott gefüllt. Über 200 Splitter bohren sich in Hemingways rechtes Bein.

Kurz darauf gerät der junge Amerikaner in eine Maschinengewehr-Salve. Die Patronen treffen seinen rechten Fuß und die Kniescheibe. Trotz seiner brennenden Splitter- und Schuss-Verletzungen erreicht Hemingway mit letzter Kraft den rettenden Kommandoposten hinter dem Damm.

Hemingway hat hier an der sanften Piave dem Tod ins Angesicht geblickt. In einem Brief an seine Familie prahlt er mit dem Geschehnis: Leute, das hat vielleicht einen netten Wirbel gegeben, dass ich angeschossen wurde! Es ist fast so gut wie getötet werden und den eigenen Nachruf lesen. Während der sechs Tage, die ich vorn in den Frontgräben verbracht habe, nur 45 Meter von den Österreichern entfernt, stand ich in dem Ruf unverwundbar zu sein. So ein Ruf allein bedeutet nicht viel, aber es zu sein, schon.

Fosslta bildet einen Wendepunkt in seinem Leben. Auch wenn er der Verwundung mit bekannter Wurstigkeit begegnet, schnell gar damit zu Prahlen pflegt, ein solcher Anschlag nimmt einem jugendlichen Leben die Leichtigkeit. Hinter all  dem Trotz und all der Koketterie hat Fossalta irgendetwas in ihm zerstört. Und die schlimmste Verletzung passiert nicht an Bein und Knie, sondern im Kopf. Die Granate hat die behütete Welt des Jugendlichen in Stücke gerissen.

Was als Abenteuer angelegt ist, endet in einer großen Ernüchterung. Der Krieg ist nicht Versteckspiel und Rauferei, das wird ihm jetzt klar, der Krieg ist Rotz und Blut, der Krieg ist Sterben und Tod. Schmerzlich wird dem Jungen die Fragilität und die Endlichkeit des Lebens eingebombt. Der Tod sollte nie mehr aus seinem Leben schwinden.

Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.

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Teddy Stauffer: Der Swing-König im Paradies

Teddy Stauffer
Teddy Stauffer, im November 1982, in Acapulco, am mexikanischen Pazifik. Foto: W. Stock

Acapulco, im November 1982

Stauffer, Teddy 41161, steht im Telefonbuch von Acapulco, Av. Villa Vera S/N. Dieses S/N Sin Número – ohne Hausnummer – in der Avenida Villa Vera mag in Mexiko zweierlei bedeuten. Zum einen kann sich die Adresse in einer solch elenden Gegend befinden, dass die Stadtverwaltung bislang nicht von ihr Notiz nehmen mochte. Zum anderen freilich kann das Stadtviertel so fein und exklusiv sein, dass man den Prachtvillen eine profane Hausnummer nur ungern zumuten mag. „Kommen Sie morgen um zehn!“, lässt uns freundlich eine Männerstimme am Telefon in schweizerspanischem Tonfall wissen.

Wenn Teddy Stauffer Besuch empfängt, so lässt er eine schmale, zwei Meter lange Zugbrücke aus Holz herunter, die seinen Wohnturm von der Strasse trennt. Die Villa Vera ist oberhalb des Stadtzentrums in den Hang gebaut und gilt mit seinem luxuriösen Swimmingpool und dem Racquet Club als die mondäne Luxusherberge der Stadt. Von Teddys Hotelturm aus erhält man einen atemberaubenden Blick auf die Bucht von Icacos und den kilometerlangen Strand, der wie eine Sichel den mexikanischen Badeort umläuft. In etwa so, denke ich bei mir, muss der liebe Gott sich das Paradies vorgestellt haben. 

Ins Paradies vertrieben, aus Nazi-Deutschland. In den späten 30ern ist der Schweizer Teddy Stauffer der Swing-König von Berlin, gefeiert und bejubelt. Die Stadt ist in jenen Jahren die europäische Metropole schlechthin, ein Schmelztiegel, in dem Künstler und Halbkünstler, Seidene und Halbseidene das turbulente Leben bei Tag und insbesondere bei Nacht bestimmten. Innerhalb von fünf Jahren können sich die Teddies in der Berliner Szene einen beachtlichen Ruf erwerben und man sieht sich in der Lage, die kleine Swing-Band nach und nach durch junge, talentierte Musiker zum Orchester zu erweitern. 

Nach braunen Schikanen und Kriegsausbruch, längst wieder in Bern, packt Teddy Stauffer im Jahr 1941 seinen Koffer, lässt die Heimat, auch Band und Musik hinter sich, und fährt mit dem Dampfer über den Atlantik nach New York. Dann nach Hollywood, er versucht sich als Filmkomponist, und nach abenteuerlichen Wirrungen und Fügungen wird der hochgewachsene Schweizer viele Monate später in Mexiko, in Acapulco, stranden.

Neben dem früheren Staatspräsidenten Miguel Alemán, dessen Einsatz Ende der 40er Jahre die touristische Erschließung Acapulcos voranbringt, hat Teddy Stauffer am meisten dafür getan, dass heute alle Welt diese Stadt am Pazifik kennt. Folgerichtig bezeichnen ihn die Amerikaner als Mister Acapulco, während er von den Einheimischen liebevoll Señor Teddy genannt wird.

Und Teddy Stauffer sorgt dafür, dass all die Leinwandgrößen, Troubadoure und dralle Divas hinab ins Acapulco Dorado – ins vergoldete Acapulco – pilgern und froh sind, ohne Schlips und Kragen ins richtige Leben springen zu dürfen. Nach und nach kommt die ganze Hautevolee ins sonnenverwöhnte Aca, wie man das unbekümmerte Seebad bald zu nennen pflegt.

Und der mexikanisierte Schweizer Teddy Stauffer spielt den Gastgeber all dieser Käsegesichter, die sich nun blicken lassen. John Wayne rückt an und kauft gleich ein Haus, die superblonde Kim Novak überstrahlt alles, Tarzan Johnny Weissmuller kommt und sollte bis an sein Lebensende bleiben, Liza Minnelli wird Dauergast und ohne den alten Kumpel Frank Sinatra läuft natürlich gar nichts.

Es wird eben dieser Francis Albert Sinatra aus Hoboken/New Jersey sein, dem im Jahr 1958 das Privileg zufallen wird, die swingende Hymne auf diese Stadt singen zu dürfen. Und dann singt der Crooner so ungestüm wie nie, zugegeben, unter kräftiger Mithilfe der Herren Sammy Cahn, Jimmy Van Heusen und Jack Daniels:

Weather wise it’s such a lovely day
You just say those words, and we’ll beat the birds
Down to Acapulco Bay
It’s perfect for a flying honeymoon – they do say
Come fly with me, we’ll fly, we’ll fly away…

In den letzten Jahren ist ihm, der noch das kleine Fischerdorf von 8.000 Bewohnern kannte, Acapulco ein wenig fremd geworden. Meine wunderschöne Bucht von Acapulco ist verschwunden, meint Teddy Stauffer ein wenig bitter. Statt dessen erblicke er aus seinem Turm am Berghang die wuchtigen Condominiums und Hotelbauten, die den Blick auf das azurblaue Wasser verstellen.

Bei aller Melancholie mag Teddy das süße Leben, die Frauen, die wilde Jazzmusik, er kennt alle Großen der Glitzerwelt, und alle kennen ihn. Der Mann ist ein Träumer, vielleicht ein Traumtänzer, bisweilen möglicherweise gar ein Hallodri. Ein Romantiker jedenfalls, jemand, der die Geige streicheln kann, das Saxophon spielt, jemand, der weiß, wer Jimmie Lunceford ist, und wie man eine Rita Hayworth rumkriegt. Als ob das nicht schon reichen würde.

Ob er denn nicht ab und an Heimweh nach der Schweiz, nach dem ruhigen Bern und dem beschaulichen Murtensee verspüre, frage ich ihn. „Ach, wissen Sie“, antwortet der 73-jährige Musiker, „seit vierzig Jahren laufe ich hier in Acapulco barfuss herum. Ich glaube, an richtige Straßenschuhe könnte ich mich gar nicht mehr gewöhnen.“ Also, wenn das kein überzeugendes Argument ist. Nicht zuletzt aus einem solchen Grund passt Teddy so gut zu Acapulco. Aber wohl auch Acapulco zu Teddy, möchte man rasch hinzufügen.

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