Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Schlagwort: Music

Miles Davis – Trompeter, Genie, Kotzbrocken

Miles Davis: Time After Time, Montreal 1985.

Der amerikanische Trompeter Miles Davis war für die moderne Musik das, was Pablo Picasso für die Malerei und Charles Chaplin für den Spielfilm waren – ein über Jahrzehnte eigensinniger Innovator und intelligenter Stilpräger.

Miles Davis gilt als Gründer des Cool Jazz, er trieb den Bebop voran und spielte dann im Fusion, jenen Mix aus Jazz und Rock, eine tragende Rolle. Und dann zum Schluss kam der Electric Jazz. Plus populäre Songs. Wenn er mit seiner gestopften Trompete Pop-Balladen wie Time after time zelebrierte, entströmte da die ganze Herrlichkeit und zugleich auch der ganze Schmerz einer suchenden Generation aus seinem goldenen Instrument. Miles ist mehr als ein Musiker, er ist unser Master, der Champion, ein Genius der sperrigen Virtuosität.

Sicher, Miles war kein einfacher Mensch, aber man zeige ein Genie, das einfach wäre. Ein ziemlicher Kotzbrocken soll er gewesen sein. Es gab auch Kritiker, nicht an der Musik, natürlich, aber am Charakter. Wieder einmal hat der liebe Gott, wie schon bei Wagner und Karajan, in einem Anfall von Zerstreutheit eine große Begabung an ein großes Arschloch vergeben, das schrieb beispielsweise der Jazzjournalist Werner Burkhardt über Miles Davis.

Dieser Jazzmusiker war ein Star, jemand der Hallen und ein Festivalgelände locker füllen konnte. Es war schon seltsam, wie Miles Davis da auf der Bühne stand, der Rumpf vornüber gekrümmt, den – naja – verlängerten Rücken dem Publikum zu gewandt. Aber Miles war kein Mann der Kompromisse. Er blieb kompromisslos der Musik verfallen.

Die Musik des Künstlers nimmt das Lebensgefühl einer ganzen Generation auf. Seine surreal hauchende Trompete dient den Pariser Existenzialisten zur Inspiration. Sein brillanter Ton trifft die kühle Leidenschaft der an Gott und an der Welt verzweifelnden jungen Intellektuellen vom Montmartre bis Berkeley .

Er selbst nennt sich Prince of the Darkness. Und er ist von einer beeindruckenden Kreativität. Bitches Brew, We Want Miles, Kind of Blue und Some day my prince will come – mindestens vier Platten plaziert Miles Davis auf der ewigen Bestenliste des Jazz. Konservativ gerechnet.

Man kann Miles Davis zehn Mal, man kann ihn hunderte Male hören, stets entdeckt man etwas Neues, etwas Überraschendes. Die Musik von Miles Davis scheint – so wie eine schöne Liebe – ewig jung zu bleiben und alterslos zu sein. Wenn ich Miles höre, so denke ich, wie kann einem einfachen Stück Blech nur ein solcher Liebreiz und eine solche Schönheit entströmen?

Miles Davis, eigentlich ein Mann für die Ewigkeit. Irgendwann hat es den schwarzen Prinzen dann doch erwischt. 1991 stirbt er in Santa Monica. Er konnte nicht mehr spielen. Lungenembolie sagen die einen, Aids, die anderen. Alles Unsinn, die Wahrheit ist diese: Erst stirbt die Trompete, dann der Mensch.

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Mick Jagger im Dschungel – und noch einer

mit Mick Jagger im Amazonas; Iquitos, im Januar 1981; Foto by René Pinedo/Archiv Dr. Stock

Er setzt seinen einfachen Strohhut auf, schlendert durch die Menge und durchstreift die schwüle Welt des Amazonas. Er fällt nicht weiter auf, hier in der Amazonasstadt Iquitos. Mit seinem karierten Hemd, der grauen Hose. Eigentlich bewegt er sich wie du und ich. Er ist zu Dreharbeiten hier nach Peru gekommen, zu dem Film Fitzcarraldo, in dem er eine Nebenrolle spielt.

So war es bei Mick Jagger immer, die Musik ist seine grosse Passion, der Film seine kleine. Und Fitzcarraldo im Dschungel, auch das ist so ganz nach seinem Geschmack. Nun ja, 1981 hat gerade sonnig begonnen, und in diesen Jahren wird noch nicht soviel Aufhebens gemacht um Stars und Superstars wie heutzutage. Keine Leibwächter, keine Absperrung, keine Akkreditierung.

Der Musiker kann sich frei bewegen wie es ihm beliebt, er wird nicht angesprochen, nicht behelligt, keiner geht ihm auf die Nerven. Die Stadt ist eh voll von Filmprominenz. Jason Robards aus Hollywood, Claudia Cardinale aus Italien, Mario Adorf aus Deutschland. Und Werner Herzog, der Regisseur. Abends kann man sie in der Pizzeria am Malecón treffen.

Mick wohnt im Holiday Inn, dem feinsten Haus am Platze, etwas außerhalb der Stadt. Das Holiday Inn verfügt über einen hübschen Swimmingpool, was bei Temperaturen um die 40 Grad ein Genuß ist. Dort sieht man dann den Boss der besten Band der Welt sich auf der Pool-Liege sonnen, die Freundin Jerry Hall daneben. Und zwischendrin huscht er auf’s Zimmer und werkelt an neuen Songs der neuen Platte. The Rolling Stones Tattoo You soll sie heißen.

Da keiner Mick kennt, kann man auf ihn zugehen, ihn ganz einfach begleiten. Mick Jagger ist hier in den fernen Tropen so ganz anders als auf der Bühne, wo er als Vulkan an Extrovertiertheit auftritt. Hier zeigt er sich von einer ruhigen, unauffälligen Seite, ja, bisweilen mag man ihn schüchtern nennen. Ein Rolling Stone in Perus grüner Hölle, die in Wahrheit ein Paradies ist. Man reibt sich die Augen.

Schön auch, dass ich mehr oder weniger der einzige Journalist vor Ort bin. Da ist nur noch Tomás d’Ornellas von der Tageszeitung Expreso aus Lima. Und auch der Fotograf René Pinedo, der Jahre später unter tragischen Umständen ums Leben kommen sollte, als er auf der Landstrasse von einem LKW erfasst werden sollte und er tagelang im Leichenhaus lag und niemand um seine Identität wusste. Ich bitte René Pinedo, einige Fotos von Mick und mir zu schießen, die ich dann Tage später bei ihm in der Redaktion in Lima abhole.

Mick Jagger im Dschungel und dieser Schreiber auch. Das glaubt zu Hause doch keiner, Seemannsgarn aus dem Urwald, eine nette Flunkerei. Nein, nein, es ist die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Für den jungen Journalisten ist die Begegnung in den Tropen ein Scoop, seine Berichte über Jagger in the Jungle werden in mehr als einem Dutzend Länder veröffentlicht.

Heute ist Sonntag und wir stehen am prächtigen Malecón, der steil abgehenden Uferböschung zum Amazonas, und schauen den Dreharbeiten zu. Mick fotografiert alles mit seiner schwarzen 8mm-Kamera. Und René Pinedo fotografiert Mick und – Mich.

siehe auch: Mick Jagger als Schauspieler in dem Film ‚Fitzcarraldo‘

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Frank Sinatra fliegt zum Mond

Bart Howard hatte Fly me to the Moon 1954 komponiert und getextet. Zahlreiche Interpreten haben den Song aufgenommen. Johnny Mathis, Ella Fitzgerald, Mel Tormé, Sarah Vaughan, Tony Bennett. Alles nett bis obernett. Jedoch kommen sie alle an die Version Frank Sinatras nicht heran, weil er wie kein anderer dieses perfekte, swingende Taktgefühl besitzt.

Ein Erfolgsgeheimnis Sinatras war, dass er sich immer mit den allerbesten seines Faches umgeben hat, musikalisch zumindest. Mit den besten Solisten, den besten Arrangeuren, den besten Orchestern. Da er schon früh Erfolg errang, besaß er auch das nötige Kleingeld immer Spitzenleute zu verpflichten. Und sobald Sinatra die Basie Big Band im Nacken spürte, dann lief er zur Hochform auf. Frankieboy vermochte bei Count Basie seine retardierende Phrasierungen einzubauen, die einen ungewöhnlichen Kontrast zur explosiven Dynamik der Basie-Musiker bildeten.

Sinatra hatte den Song erstmals 1964 für das Album It Might as Well Be Swing aufgenommen. Zwei Jahre später singt er das Lied meisterhaft bei seinem Live-Auftritt im Sands von Las Vegas. Oder er tritt, wie im Youtube-Video zu sehen, auch mal vor ziemlich schweren Jungs auf.

Bei Sinatras Fly me to the Moon schrieb das Arrangement, das darf nicht vergessen werden, der geniale Quincy Jones. Der rhythmische Spannungsbogen, eine lockere Melodie, die knallenden Blechbläser, Quincy Jones hat alles perfekt zusammengeführt.

Fly me to the moon
Let me play among the stars
Let me see what spring is like
On Jupiter and Mars

Am 20. Juli 1969 wird der Song endgültig unsterblich. Neil Armstrong und Edwin Buzz Aldrin stehen als erste Menschen auf der Mondoberfläche, Michael Collins bleibt an Bord der Apollo 11. Buzz Aldrin spielt auf einem Kassettenrekorder die Sinatra/Basie-Version von Fly me to the Moon.

Es ist das erste Lied, das je im Orbit zu hören ist. Ein Traum der Menschheit ist Wirklichkeit geworden. Der Mann im Mond ist angekommen. Fly me to the Moon. Und Frank Sinatra schickt seine besten Grüsse aus dem Weltall auf die Erde.

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Der Jazz ist tot!

Eubie Blake, 1978; Photo by W. Stock

Wenn man sich die Programme der sommerlichen Jazz Festivals von Montreux über Nizza bis Los Angeles anschaut, dann kommen einem schnell die Tränen. Und auch wenn man in die Programmhefte der in Ehren ergrauten Jazzclubs blickt, dann überfällt den Jazzfan das Grausen.

Die Clubs leeren sich, das Programm dünnt sich aus. Da ist kein Jazz mehr, weil die Jazzer fehlen. Dem Jazz – Musiker wie Publikum – fehlt ganz einfach der Nachwuchs. Ist der Jazz ein Generationen-Projekt, das in diesen Jahren zu enden droht?

Was in unserer Zeit unter dem Label Jazz läuft, entpuppt sich meist als Etikettenschwindel. Da hört man vielleicht ein bisschen Fusion, Rockjazz oder Weltmusik. Und wenn es dann doch richtiger Jazz ist, dann spielt die Epigone der Jazz-Epigone. Aber das sind noch die guten Fälle.

Oft hören wir bloss musikalische Hochstapelei oder Heiratsschwindel, der sich dann ganz frech Jazz nennt. Man erkennt die Roßtäuscher ganz schnell, denn die neue Musik zeichnet eine stilistische Beliebigkeit aus , es fehlt dieser neuen Musik an Substanz, an Vorbildern und an Tradition, aus der sie schöpfen könnte. Und, möchte man anfügen, es fehlt ganz einfach an Wettbewerb. An Wettbewerb, an dem sich die neue Musik messen lassen kann.

Kein Wunder, wenn das Publikum  nicht nachwächst, sondern nur älter wird. Kein Wunder, wenn Jazzmusiker nicht nachrücken, sondern aussterben. Und vielleicht war diese prächtige Musik ja auch nur eine Musik, die nicht älter als 80 Jahre werden durfte.

Das sind die Tatsachen, so sehen die Fakten aus. Und leider müssen wir uns dieser Wirklichkeit stellen, so schmerzlich sie auch sein mag. Es ist traurig. Chet Baker ist tot. Charlie Parker ist tot. Miles Davis ist tot. Stan Getz ist tot. Und dann, liebe Leute, ist ja wohl auch der Jazz tot!

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Teddy Stauffer: Der Swing-König im Paradies

Teddy Stauffer
Teddy Stauffer, im November 1982, in Acapulco, am mexikanischen Pazifik. Foto: W. Stock

Acapulco, im November 1982

Stauffer, Teddy 41161, steht im Telefonbuch von Acapulco, Av. Villa Vera S/N. Dieses S/N Sin Número – ohne Hausnummer – in der Avenida Villa Vera mag in Mexiko zweierlei bedeuten. Zum einen kann sich die Adresse in einer solch elenden Gegend befinden, dass die Stadtverwaltung bislang nicht von ihr Notiz nehmen mochte. Zum anderen freilich kann das Stadtviertel so fein und exklusiv sein, dass man den Prachtvillen eine profane Hausnummer nur ungern zumuten mag. „Kommen Sie morgen um zehn!“, lässt uns freundlich eine Männerstimme am Telefon in schweizerspanischem Tonfall wissen.

Wenn Teddy Stauffer Besuch empfängt, so lässt er eine schmale, zwei Meter lange Zugbrücke aus Holz herunter, die seinen Wohnturm von der Strasse trennt. Die Villa Vera ist oberhalb des Stadtzentrums in den Hang gebaut und gilt mit seinem luxuriösen Swimmingpool und dem Racquet Club als die mondäne Luxusherberge der Stadt. Von Teddys Hotelturm aus erhält man einen atemberaubenden Blick auf die Bucht von Icacos und den kilometerlangen Strand, der wie eine Sichel den mexikanischen Badeort umläuft. In etwa so, denke ich bei mir, muss der liebe Gott sich das Paradies vorgestellt haben. 

Ins Paradies vertrieben, aus Nazi-Deutschland. In den späten 30ern ist der Schweizer Teddy Stauffer der Swing-König von Berlin, gefeiert und bejubelt. Die Stadt ist in jenen Jahren die europäische Metropole schlechthin, ein Schmelztiegel, in dem Künstler und Halbkünstler, Seidene und Halbseidene das turbulente Leben bei Tag und insbesondere bei Nacht bestimmten. Innerhalb von fünf Jahren können sich die Teddies in der Berliner Szene einen beachtlichen Ruf erwerben und man sieht sich in der Lage, die kleine Swing-Band nach und nach durch junge, talentierte Musiker zum Orchester zu erweitern. 

Nach braunen Schikanen und Kriegsausbruch, längst wieder in Bern, packt Teddy Stauffer im Jahr 1941 seinen Koffer, lässt die Heimat, auch Band und Musik hinter sich, und fährt mit dem Dampfer über den Atlantik nach New York. Dann nach Hollywood, er versucht sich als Filmkomponist, und nach abenteuerlichen Wirrungen und Fügungen wird der hochgewachsene Schweizer viele Monate später in Mexiko, in Acapulco, stranden.

Neben dem früheren Staatspräsidenten Miguel Alemán, dessen Einsatz Ende der 40er Jahre die touristische Erschließung Acapulcos voranbringt, hat Teddy Stauffer am meisten dafür getan, dass heute alle Welt diese Stadt am Pazifik kennt. Folgerichtig bezeichnen ihn die Amerikaner als Mister Acapulco, während er von den Einheimischen liebevoll Señor Teddy genannt wird.

Und Teddy Stauffer sorgt dafür, dass all die Leinwandgrößen, Troubadoure und dralle Divas hinab ins Acapulco Dorado – ins vergoldete Acapulco – pilgern und froh sind, ohne Schlips und Kragen ins richtige Leben springen zu dürfen. Nach und nach kommt die ganze Hautevolee ins sonnenverwöhnte Aca, wie man das unbekümmerte Seebad bald zu nennen pflegt.

Und der mexikanisierte Schweizer Teddy Stauffer spielt den Gastgeber all dieser Käsegesichter, die sich nun blicken lassen. John Wayne rückt an und kauft gleich ein Haus, die superblonde Kim Novak überstrahlt alles, Tarzan Johnny Weissmuller kommt und sollte bis an sein Lebensende bleiben, Liza Minnelli wird Dauergast und ohne den alten Kumpel Frank Sinatra läuft natürlich gar nichts.

Es wird eben dieser Francis Albert Sinatra aus Hoboken/New Jersey sein, dem im Jahr 1958 das Privileg zufallen wird, die swingende Hymne auf diese Stadt singen zu dürfen. Und dann singt der Crooner so ungestüm wie nie, zugegeben, unter kräftiger Mithilfe der Herren Sammy Cahn, Jimmy Van Heusen und Jack Daniels:

Weather wise it’s such a lovely day
You just say those words, and we’ll beat the birds
Down to Acapulco Bay
It’s perfect for a flying honeymoon – they do say
Come fly with me, we’ll fly, we’ll fly away…

In den letzten Jahren ist ihm, der noch das kleine Fischerdorf von 8.000 Bewohnern kannte, Acapulco ein wenig fremd geworden. Meine wunderschöne Bucht von Acapulco ist verschwunden, meint Teddy Stauffer ein wenig bitter. Statt dessen erblicke er aus seinem Turm am Berghang die wuchtigen Condominiums und Hotelbauten, die den Blick auf das azurblaue Wasser verstellen.

Bei aller Melancholie mag Teddy das süße Leben, die Frauen, die wilde Jazzmusik, er kennt alle Großen der Glitzerwelt, und alle kennen ihn. Der Mann ist ein Träumer, vielleicht ein Traumtänzer, bisweilen möglicherweise gar ein Hallodri. Ein Romantiker jedenfalls, jemand, der die Geige streicheln kann, das Saxophon spielt, jemand, der weiß, wer Jimmie Lunceford ist, und wie man eine Rita Hayworth rumkriegt. Als ob das nicht schon reichen würde.

Ob er denn nicht ab und an Heimweh nach der Schweiz, nach dem ruhigen Bern und dem beschaulichen Murtensee verspüre, frage ich ihn. „Ach, wissen Sie“, antwortet der 73-jährige Musiker, „seit vierzig Jahren laufe ich hier in Acapulco barfuss herum. Ich glaube, an richtige Straßenschuhe könnte ich mich gar nicht mehr gewöhnen.“ Also, wenn das kein überzeugendes Argument ist. Nicht zuletzt aus einem solchen Grund passt Teddy so gut zu Acapulco. Aber wohl auch Acapulco zu Teddy, möchte man rasch hinzufügen.

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Northsea Jazz Festival

Das Konzept war für die 70er Jahre revolutionär. Jazz, nicht mehr als Einzelkonzert, sondern parallel in einem Dutzend verschiedener Säle zur Auswahl. Und so konnte der Besucher sich sein ganz eigenes Festival zusammenstellen, indem er von Saal zu Saal wechselte.

Das Northsea Jazz Festival, seit 1976 im Kongressgebäude von Den Haag, hat sich mit diesem innovativen Konzept schnell zu einem der besten Sommerfestivals in Europa gemausert.

Und Northsea Jazz bedeutet Gigantomanie: Der größte Saal bot mehreren tausend Leuten Platz, die kleineren einigen wenigen hundert. Und auch im Garten hatte man ein Riesenzelt aufgebaut, in dem dann Miles Davis tausende Musikbegeisterte anzog.

Dieses Mammut-Festival geht zurück auf einen älteren Herrn namens Paul Acket. Diesen sympathischen, etwas zerstreut wirkenden Jazzfreund sah man mit grauem wehenden Haar durch das Kongressgebäude von Saal zu Saal eilen. Acket, ein ehemaliger Verleger von Musikzeitschriften, verbuchte mit seiner Festivalidee einen vollen Erfolg: Schnell besuchten alljährlich 30.000 bis 40.000 Liebhaber das dreitägige Festival Mitte Juli.

In Den Haag habe ich Musiker gehört und gesehen, das will man heute kaum mehr glauben: Clark Terry, Dave Brubeck, Dizzy Gillespie, Ella Fitzgerald, George Shearing, Kai Winding, Grover Washington jr, Herb Ellis, Jim Hall, Joe Pass, Tony Williams, Jay McShann, die Lionel Hampton All Stars, Ken Colyer’s Jazzmen, Monty Alexander, Milt Jackson, Sonny Stitt, Taj Mahal, Woody Herman and the Young Thundering Herd, Tete Montoliu, Wild Bill Davis, Archie Shepp, Muddy Waters, Buck Clayton, Oscar Peterson, B.B. King, Ruby Braff, Bob Wilber, Count Basie and his Orchestra, den großen Chet Baker, Spyro Gyra, Chick Corea, Sun Ra Arkestra – und die Liste ist noch nicht vollständig.

Und all dies sind nicht die Musiker aus 34 Jahren Northsea Jazz Festival.  Nein, nein, das sind nur Musiker, die alleine in den drei Julitagen des Jahres 1979 den Weg nach den Haag gefunden haben.

Keine Frage, das ist beeindruckend, das wird so nicht wiederkommen. In Den Haag erlebte man das Who’s who der Jazzhistorie.

Ich war von 1977, dem zweiten Festival, dann viele Jahre regelmäßig in Den Haag. Und habe dort alle Großen des Jazz gesehen. In den letzten Jahren zog es mich nicht mehr zu North Sea Jazz, das nun alljährlich in Rotterdam stattfindet.

Denn, was haben all diese aufgeführten Musiker gemein? Nun, die Allermeisten weilen nicht mehr unter uns. Das ist ein herber Verlust für uns und natürlich auch für den Jazz. Ja, es gibt keinen Dizzy Gillespie mehr. Und genauso schlimm, es gibt keine Dizzy Gillespie-Musik mehr.

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