Reisen & Begegnungen

Autor: Wolfgang Stock Seite 9 von 22

Some day my Prince will come

Im Laufe der Jahrzehnte haben zahlreiche Musiker Some day my Prince will come eingespielt. Zwei Versionen des Liedes ragen aus den Hunderten heraus: Die von Miles Davis und jene von Chet Baker.

Mein Liebling? Chet, immer wieder Chet! Ich mag dieses ambivalente Spiel von Chet Baker über alles. Hören Sie einmal in den Anfang dieses Songs hinein und hören Sie sich das Ende dieser Einspielung genau an. Das ist genial! Chet mit dieser coolen und doch swingenden Trompete. So einen dezenten Monolog mit Bass und Gitarre, solch eine romantische Phrasierung, so etwas hört man nicht alle Tage, traurig, aber dann doch irgendwie voller Vitalität.

Zuerst war Some day my prince will come das Wiegenlied in einem Zeichentrickfilm von Walt Disney. In Schneewittchen und die sieben Zwerge konnte das Publikum zum ersten Mal 1937 diesen Song hören. Das propere Schneewittchen singt es den Zwergen als Schlaflied vor.

Some day my prince will come
Some day we’ll meet again
And away to his castle we’ll go
Some day when my dreams come true

Frank Churchill, Disneys Hauskomponist, hat Some day my prince will come geschrieben und der Song wird zu einem beliebten Standard im modernen Jazz. Dave Brubeck, Keith Jarrett, Oscar Peterson, das Sun Ra Arkestra und viele andere haben den Song gespielt. Die Trompeten von Chet und Miles haben diesen Song für alle Zeiten geadelt. Von Schneewittchen und ihren sieben Zwergen zu Miles Davis und Chet Baker. Irre und aberwitzig. Aber letztendlich großartig, so ist halt Amerika!

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Erwin Barths Geheimnis

Frankfurt am Main, im Juni 1990

Der legendäre ECON-Gründer Erwin Barth von Wehrenalp und ECON-Lektor Wolfgang Stock, Frankfurt am Main, im Juni 1990

Von diesem älteren Herrn kann man eine Menge lernen. Erwin Barth von Wehrenalp. Der Gründer des ECON Verlages, ein Mann von ausgeprägtem Esprit, hat Buchgeschichte geschrieben.

Ich habe nie mit ihm bei ECON zu tun gehabt, zwei Generationen lagen zwischen uns, er hatte sich zu meiner ECON-Zeit schon aus dem Geschäft zurück gezogen. Obgleich es an manch trübem Tag in den Lektoraten an Düsseldorfs Kaiserswerther Strasse schien, als müsste man den Erfolgsgeist des Altverlegers ein wenig beschwören. So jedenfalls waren die Meriten damals verteilt: hier die Legende, dort die Grünschnäbel.

Im Juni 1990 bekomme ich die Einladung zu einem Festbankett von Kienbaum in Frankfurt, auf dem ich Erwin Barth von Wehrenalp nun auch von Angesicht zu Angesicht kennenlernen sollte. Einen ganzen Abend sitze ich neben ihm, bin als sein Tischnachbar gesetzt und wir reden über Gott und die Welt, über Bücher und über’s Büchermachen.

Ein liebenswerter und sympathischer Menschenfreund, so das Fazit des Festes, dieser Erwin Barth. Aber auch ein Schlaufuchs, ein richtiger Schlawiner, wenn es darauf an kommt. Besonders wie man mit Menschen umgeht, das kann man sich bei Erwin Barth ab schauen. Er war bei Adenauer, bei Ludwig Erhard, seinem Bestseller-Autor, und auch bei John F. Kennedy.

Barth hatte Kennedys The Strategy of Peace als deutsche Ausgabe Der Weg zum Frieden 1961 im ECON Verlag veröffentlicht. Nun empfing der amerikanische Präsident seinen deutschen Verleger im Weißen Haus zu Washington. Für die Audienz habe er genau 15 Minuten, wurde Erwin Barth streng beschieden, der Zeitplan des Präsidenten sei eng. Als später der präsidiale Assistent drängte, die Zeit sei um, fing Kennedy an zu gestikulieren, und meinte trocken ten minutes more. Auch ihn hatte Erwin Barth in seinen Bann gezogen.

Worin lag das Geheimnis Erwin Barths, Menschen zu fesseln? Nun, er ließ sein Gegenüber Interesse und Verbundenheit spüren. Und mehr noch, er nahm sich zurück und stellte seinen Gesprächspartner in den Mittelpunkt. Und dann überfiel Erwin Barth das arme Opfer vehement mit einer tour de charme. Das ganze Programm, rauf und runter: Bauchpinseln, in den Himmel heben, loben, schmeicheln – bis der Arzt kommt.

Wollte er einen Menschen endgültig auf seine Seite ziehen, dann sagte er irgendwann im Gespräch, Sie müssen über Ihr Leben ein Buch schreiben!, selbst wenn sein Gesprächspartner keinen geraden Satz heraus bekommen konnte. Und schon hatte der findige Verleger einen Gewogenen, einen Sympathisanten, einen Türöffner vielleicht.

Und noch etwas. Erwin Barth gab dem jungen Lektor einst den Ratschlag, bei der Autorenakquisition den Blumenstrauß für die Dame des Hauses nicht zu vergessen. Dieser Rat hat sich stets bewährt, er erwies sich als wirksamer Türöffner. Auch hier lag Erwin Barth von Wehrenalp richtig.

siehe auch: Wie Erwin Barth von Wehrenalp „Mister Sachbuch“ wurde

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Astrud Gilberto singt den Bossa Nova

Photo by Volker Wagner

The Girl from Ipanema. Die zierlichen Töne dieser gut verträglichen Melodie erzählen von dem Strandmädchen aus dem schwülen Rio de Janeiro. Und die Musik klingt denn auch nach Tropenhitze, nach dem Meer und wohl auch ein wenig nach feiner Erotik.

An einem hübschen Julitag, irgendwann Ende der 70er Jahre, irgendwo in einer Stadt am Meer, treffe ich die Sängerin Astrud Gilberto. Sie ist the Girl from Ipanema.

Tom Jobim komponierte dieses Lied und es hat Astrud Gilberto zu einem Weltstar gemacht. Das war 1964 und noch heute hört man das Lied aus den Radios und in den Pianostuben von Seattle bis Monaco. Tom hatte sich in ein Mädchen verliebt, das jeden Tag auf dem Weg zum Strand wiegenden Schrittes an der Bar Garota de Ipanema vorbei schlenderte.

Astrud Gilberto kommt noch immer mit ein paar Tönen aus. Das ist nicht weiter schlimm, weil ihr zartes Timbre so wunderbar zur spielerischen Abgeklärtheit passt, die diesen Rhythmus aus Samba und Cool Jazz so auszeichnet. Hier sei eine Stimme ohne Stimme am Werke, haben damals viele gelästert, hier singe eine Hausfrau. Das waren hässliche Kommentare, und törichte obendrein. Denn man muss einwerfen, Astrud und der Bossa, Widerspruch ist nicht erlaubt, it’s a perfect match.

Nachdem sich solch eine Sichtweise durchgesetzt hatte, war die Karriere von Astrud Gilberto nicht mehr aufzuhalten. Den Grammy hat sie damals für The Girl from Ipanema bekommen, für jene legendäre Aufnahme mit Stan Getz und Joao Gilberto, ihrem damaligen Ehemann und einem der Väter des Bossa Nova.

Jener Bossa Nova, die neue Welle, ist ein bekömmliches Mixgetränk aus brasilianischer Lebensfreude und amerikanischer Reflektiertheit. Der Bossa, ein populärer Musikstil in den 60er Jahren, kommt so als eine Stilmischung aus brasilianischer Rhythmik, der samba do brasil, und cool jazz-beeinflusster Melodieführung daher. Gerade die Intellektuellen und die akademische Mittelschicht mögen diese Musik, die sowohl auf’s Herz als auch auf’s Hirn zielt.

In all ihren Liedern hat sich die Gilberto immer innerhalb einer Oktave bewegt und manchmal meint man, sie könne gar nur drei Töne singen. Und trotzdem hat niemand so bezaubernd die kühle Sinnlichkeit des Bossa Nova darreichen können, wie diese kleine, aparte Frau.

Trotz aller gesanglicher Limitation gehören ihre Schallplatten zu den musikalischen Höhepunkten des Jazz im letzten Jahrhundert. Besonders wenn das Tenorsaxophon von Stan Getz ihr zur Seite stand. Überhaupt Stan Getz. Jener Stan Getz, der wohl der beste Tenorist von allen war, und der früh gestorben ist, weil er zu viel gesoffen und geraucht hat.

In meiner Hand einen Martini, in der anderen eine John Player stehe ich nun vor Astrud Gilberto, die mich offen anblickt. Ich sehe Astrud an, ringe nach Worten, und weiß nicht so recht, was ich sagen soll. Wenn Du singst, bekommt deine Stimme Flügel und entschwebt, sage ich, und wundere mich noch, dass ich solch Sonderbares verzapfe. Vielen Dank, erwidert Astrud, das haben Sie schön gesagt. Und ein Lächeln hellt das Gesicht dieser zarten Frau auf.

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Zufriedenheit

Happiness in intelligent people is the rarest thing I know.

Das Glücksgefühl bei klugen Leuten ist die seltenste Sache, die ich kenne.
Ernest Hemingway

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Der Palast des Luxus

Dies ist ein Auszug aus dem Buch von Wolfgang Stock Schneefall in den Tropen:

Wenn man dann wieder die Avenida aufwärts schlendert, so bleibt der Blick wieder und immer wieder an diesem hellen Palast mit der Nummer 1702 hängen. Luxus in the big blue, vorne blau und oben blau. Über den Palast senkt sich langsam eine Abendsonne, die kurze Schatten wirft.

Diese Adresse Avenida Atlantica 1702 ist eine magische Adresse. In den Hotelbüchern der Welt steht einfach Copacabana Palace. Der weiße Bau ist dem Negresco in Nizza nachempfunden und irgendwie sieht ein solcher Koloss vor dem Strand und vor den zierlichen Männern und anmutigen Frauen merkwürdig und wohl auch eine Spur zu wuchtig aus.

Hier logierte schon die Queen Elizabeth II, auch Marlene Dietrich war schon da. Und irgendwie bewahrt dieser weiße Riese in den Tropen noch ein Hauch von Belle Epoque, die ja bekanntlich in Europa schon vor hundert Jahren altersschwach dahingerafft wurde.

Es gibt Orte in Südamerika, die sogleich eine eigentümliche, ureigene Magie entfachen. Wer durch Feuerland gewandert ist, vermag zu erahnen wie klein der Mensch und wie kurz doch sein Dasein bemessen ist. Machu Picchu, die geheimnisvolle Inkastadt in den Andengipfeln, Iquitos, die Kautschukstadt im Amazonasdschungel, gehören dazu. La Tierra del Fuego, Feuerland, das Ende der Welt, natürlich auch.

Aber kein kommerziell gefasster Ort wie dieser Copacabana Palace besitzt diese Ausstrahlung, kein anderes Hotel der Welt jene Attraktivität, den dieses Puppenhaus der Belle Epoque am Rande des Meeres so auszeichnet.

Gibt es einen schöneren Ort, um zu sterben? Für Jorginho Guinle kaum vorstellbar. Sein Vater hatte das Copacabana Palace 1923 erbaut und Jorginho konnte sich mit den vielen Millionen Dollars, die der Verkauf an die Orient Express Hotel Group 1989 erbrachten, in vollen Zügen seinem ruhmreichen Playboy-Leben widmen. Jane Mansfield, Marilyn Monroe, Kim Novak, Anita Ekberg – die Liste in Jorginhos Notizbuch ist lang.

An einem schönen Märztag im Jahr 2004 sagten ihm die Ärzte des Ipanema Hospitals, dass es nicht gut um ihn stehe, die Bauchschlagader. Der 88-Jährige packte seine Sachen, fuhr ins Copacabana und bezog eine Suite. Er ließ sich wie immer ein Himbeersorbet auf silbernem Geschirr servieren. Das war am Donnerstag. Am Freitag ist Jorginho Guinle gestorben.

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Peter F. Drucker und sein Wien

Peter F. Drucker, im Juni 1990; Photo by W. Stock

Wenn man Peter F. Drucker persönlich traf, dann merkte man nach wenigen Minuten, wie sehr er an seiner alten Heimat hing. Sicher, er fühlte sich wohl in Kalifornien, im beschaulichen Wüstenstädtchen Claremont, in seinem bescheidenen Flachbungalow am Wellesley Drive. Aber wenn er in Europa weilte, dann lebte er auf, und am liebsten erzählte der große Management-Theoretiker von Wien, seiner Heimatstadt.

Gerade in seinen späten Jahren schweiften seine Gedanken oft nach Wien, mit Wehmut und Sehnsucht. Wien, das waren für ihn die unbeschwerten Jugendjahren. Er erzählte mir von den Freunden, von seinen Touren durch die Stadt, den Streichen, und nicht zuletzt von den Mädchen, denen man kräftig nachstellte.

Der große Peter F. Drucker. Das F steht für Ferdinand. Und schon sind wir im k.u.k-Wien der 20er Jahre. Peter Ferdinand Drucker wurde am 19. November 1909 in Wien geboren. Wien, das darf man nicht vergessen, war bis 1918 eine Weltmacht. Das k.u.k. herrschte über Österreich-Ungarn, von den Alpen bis nach Russland.

Und Wien war das pulsierende Zentrum der Regionalmacht. Auch intellektuell. Ein österreichischer Arzt, der Doktor Sigmund Freud, hatte in den 20er Jahren ein paar gewagte Thesen veröffentlicht, der Neopositivismus um Karl Popper entstand, der Wiener Liberalismus setzte den tapferen Gegenpol zu aufkommenden Bolschewismus und Faschismus, es gab also genug zu debattieren.

Peter wurde in großbürgerliche Kreise hinein geboren. Seine Mutter Caroline war eine Ärztin, der Vater Adolph, ein Jurist, arbeitete als hochrangiger Beamter im Museumswesen. Auf Bildung wurde in der Familie Drucker, Peter besaß noch einen Bruder, großen Wert gelegt. Eine bildungsbeflissene Atmosphäre, diese typische Wiener Debattenkultur, die Soiree, das war das soziale Umfeld, in dem Peter Drucker groß wurde. Die Begegnungen zu Hause waren Grundlage meiner Erziehung, meinte Peter Drucker als Erwachsener.

Mehrmals in der Woche pflegte die Familie den literarischen Salon, wo über Musik, Literatur oder auch Naturwissenschaften debattiert wurde. In ihrem großen dreistöckigen Doppelhaus im noblen Wiener Vorort Döbling verkehrten die Denker des Wiener Kreises um Rudolf Carnap. Wirtschaftsthemen nahmen eine gewichtige Stellung ein, eigentlich versuchte man sich an dem Symbiose von Philosophie, Staatswissenschaft und Volkswirtschaft. Die großen Wirtschaftstheoretiker jener Tage wie Joseph Alois Schumpeter, Friedrich August von Hayek oder der große Ökonom Ludwig von Mises gingen im Haus der Druckers in der Kaasgrabengasse ein und aus.

Vielleicht lag in dieser Tradition der Grund dafür, dass Peter Drucker später nie zum eindimensionalen Fachidioten wurde, weshalb er manch akademischem Kollegen denn auch ein wenig suspekt erschien. Peter war vielmehr Universalgelehrter, mehr Historiker denn Ökonom, der interdisziplinär die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu sehr pragmatischen Ansätze verdichtete.

Im Jahr 1927 zog es Peter Drucker nach Deutschland, zuerst nach Hamburg, wo er eine Handelslehre absolvierte und an der Universität Jura studierte und mit 20 nach Frankfurt, wo er Finanz-Redakteur des Frankfurter General-Anzeigers wurde. An der Frankfurter Universität beendete er sein Jura-Studium und lernte die Mainzerin Doris Schmitz kennen, die Frau an seiner Seite für die nächsten 71 Jahre.

Als sich der Nazi-Terror abzuzeichnen begann, ging Peter Drucker nach England. Dort blieb er vier Jahre, als Finanzanalyst und studierte in Cambridge, unter anderem bei John Maynard Keynes. 1937 wanderte er dann in die USA aus. Im Jahr 1939 schrieb er sein erstes großes Werk The End of Economic Man. The Origins of Totalitarism. Und seine Karriere in den USA und weltweit nahm Gestalt an, als Hochschullehrer, Managementberater und Buchautor.

Er vermisste wohl auch die deutsche Sprache, deren rauen Akzent er in den USA merklich kultivierte. Als ich ihn eines Morgens in einem Düsseldorfer Hotel abhole, hat das Mädchen an der Rezeption eine Nachricht für ihn im Büro vergessen. Was man nicht im Kopf hat, das hat man in den Beinen, meint sie trocken und springt auf, den Brief zu holen. Peter amüsiert sich köstlich, ein wunderbares Sprichwort, das habe ich 60 Jahre nicht gehört. Und seine Augen glänzen.

siehe auch: Peter Drucker, der Große
siehe auch: Peter Drucker, der unprofessorale Professor

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Over the Rainbow

Rund 200 internationale Musikexperten haben Over the Rainbow zum besten Song des 20. Jahrhunderts gewählt. I don’t agree, dies ist nicht meine Meinung, aber mit etwas Phantasie kann man das so sehen.

Seine Premiere hat das Lied im Jahr 1939 in einem der ersten farbigen Hollywood-Streifen überhaupt, The Wizard of Oz. Der Zauberer von Oz. Die blutjunge Judy Garland singt den Song, wobei sie ihren träumerischen Blick auf die weite, endlose Landschaft richtet. Ein Jahr später erhält Over the Rainbow den Oscar für die beste Filmmusik.

Der große Harold Arlen hat den Song geschrieben, ein sehr trauriges Lied, eine Art Märchenlied über die Sehnsucht nach der heilen Welt, nach dem Land hinter dem Regenbogen, wo der Himmel blau ist und die Träume wahr werden.

Somewhere over the rainbow
Way up high
There’s a land that I heard of
Once in a lullaby

Bei Over the Rainbow bleibt mir immer die junge Judy Garland und die Filmsequenz vor Augen. The Wizard of Oz ist ein lustig-sentimentales Hollywoodprodukt für die ganze Familie: das Waisenmädchen Dorothy und ihre Freunde – der Blechsoldat ohne Herz, der feige Löwe und die Vogelscheuche ohne Verstand – bestehen allerlei Abenteuer auf der Suche nach dem magischen Zauberer von Oz.

Es existieren unzählige Cover-Versionen von Over the Rainbow. In Pop, in Hawaiianisch, in Show, als Kitsch, bei Contest, ein Karaoke-Kracher. Bei Over the Rainbow gibt es alles – die ganze Palette, von dämlich bis stark, von mitreißend bis abenteuerlich.

Das Lied ist bis heute auch ein Jazzstandard. Glenn Miller und seine Big Band haben Over the Rainbow gespielt, auf dem Piano Art Tatum oder Keith Jarrett, in modernen Versionen. Der Song eignet sich wunderbar als Jazzarrangement, weil die einfache Melodie genügend Raum zur Improvisation bietet. Auch hier gilt wieder: Aus einem einfachen Liedchen lässt sich ein musikalisch ambitioniertes Werk schaffen. Wenn es von intelligentem Jazz veredelt wird.

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In der Hemingway Bar

Photo by W. Stock

Photo by W. Stock

Vor einiger Zeit in der Hotelbar des Vier Jahreszeiten in Starnberg. Eine offene, in dunklem Mobiliar gehaltene einladende Bar mit Tresen, ein schwarzer Flügel in der Ecke zur Fensterfront. Auf einmal sehe ich an der Wand über dem Kaminsims ein riesiges goldgerahmtes Foto des jungen Hemingway.

Warum hängt Hemingway hier, wende ich mich an die junge Barkeeperin. Die Bar heißt so, ist die verblüffend einleuchtende Antwort. Ob sie Hemingway gelesen habe, frage ich. Die Barkeeperin, vielleicht Mitte Zwanzig, kommt aus Dresden und meint, in der DDR habe man Hemingway nicht groß gekannt.

Für einen Augenblick versinke ich in der Vorstellung, was so ein linientreuer Kulturbonze der SED wohl von Ernest Hemingway gehalten haben könnte. Vermutlich hätte er gesagt, wenn er etwas Grips im Hirn gehabt hätte, der Kerl war schon auf der richtigen Seite. Im Spanischen Bürgerkrieg, auf Kuba, nicht aktiv, nicht als militanter Unterstützer, wohl aber intuitiv, aus dem Bauch heraus.

Andererseits war er ein bourgeoiser Lebemensch, der den Genüssen des Lebens zugetan war. Ein Alkoholiker, ein Weiberheld, politisch ein Naivling, also kurz, ein unsicherer Kantonist. Der Mann sei im Grunde genommen unzuverlässig und unberechenbar, hätte der kommunistische Politkommissar wohl in sein Dossier geschrieben, also gefährlich für die Sache des Sozialismus.

Zum Ende meint die ostdeutsche Barkeeperin im Vier Jahreszeiten noch, sie habe auch einen Hemingway Rum. Ob ich den mal sehen könnte, frage ich. Sie holt zwei Flaschen aus der Anrichte hinter ihr. Einen weißen und einen brauen extra viejo. 40 Prozent, Ron Hemingway steht auf der Flasche. Auf dem Etikett prangt ein Foto des bärtigen Literaten. Der 7 Jahre alte Rum hat ein ausgeprägtes, würziges Aroma. Der Ron Hemingway kommt allerdings nicht aus Kuba, sondern aus Kolumbien.

Schade. Denn die kubanischen Genossen haben sich ein entspanntes Verhältnis zum naiven und unsicheren Kantonisten bewahrt. Denn vielleicht zählt am Ende des Tages nicht, ob ein Mensch konservativ oder fortschrittlich, ob er reich oder arm ist. Vielleicht teilen sich die Menschen zu guter Letzt in sympathisch oder unsympathisch. Jedenfalls nach dem dritten Glas Rum.

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Teddy Stauffer mag die Frauen

Nun, man kennt das ja, ein wenig Fama mag bei einem Playboy schon dabei sein. Als ich Teddy Stauffer 1982 in Acapulco besuche, erblicke ich kein Starlet, das mir den Cocktail reicht, sehe ich keine Frau, die sich auf dem breiten Bett seines Schlafzimmers räkelt. Nein, im Herbst seiner Tage ist ihm nur der mexikanische Diener geblieben, der dem schon etwas gebrechlichen Playboy über den Tag hilft.

Aber, keine Frage, Frauen dominierten Teddys Leben. Wahrscheinlich haben wir es bei Teddy mit einem Mann zu tun, der einfach nicht erwachsen werden will. Mit einem Träumer, einem Traumtänzer mitunter. Jedenfalls mit einem von der Sorte Mensch, der die sonnigen Seiten des Lebens zu genießen weiß.

Am 28. April 1941 trifft Teddy Stauffer auf der Exeter via Lisabon in New York ein. Im Schlepptau seine Freundin Louise Munn. Dann geht es auch gleich los. Im Juli 1941 eine Affäre mit der Schauspielerin Lilian Harvey. Da ist er, Teddy, der Teflon-Lover. Hier lässt einer nichts anbrennen. Und immer auf Hochtemperatur.

Teddy muss sicherlich als Playboy bezeichnet werden, aber als einer in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes. Ein Weltenbummler, sprachgewandt, extrovertiert, einer der gut feiern kann, jemand, der das Feminine liebt und sich selbst wohl auch. Einer, der die Liebe spielerisch nimmt und an die Leichtigkeit des Momentes glaubt. Mach keine halben Sachen, meint er, und wahrscheinlich sind nicht nur die Frauen gemeint.

Im Januar 1946 Heirat mit Faith Domergue, und in den Klatschspalten sollte stehen, Faith sei die frühere Geliebte des mysteriösen Tycoons Howard Hughes. Das war so etwas wie die Silbermedaille.

Gold holt Teddy dann im Juni 1947. Eine Liebschaft mit Rita Hayworth. Das ist der Gipfel! Rita, die femme fatale jener Jahre, gilt in den späten 40ern als begehrenswerteste Frau der Welt. Hollywood verleiht dieser Schauspielerin den Beinamen The Love Goddess, die Göttin der Liebe, als Pin-up-Girl hängt sie im Spind von tausenden amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg.

Bei den Dreharbeiten zu dem Film Lady from Shanghai in Acapulco hat Teddy Stauffer jene Rita ihrem damaligen Gatten, dem genialen Orson Welles, kurzerhand ausgespannt. Dann fliegen die beiden Turteltäubchen in die Schweizer Berge und anschließend in die Stadt der Liebe, nach Paris, und die Weltpresse druckt fleißig die Fotos des Seitensprungs. Der gehörnte Orson Welles bleibt tobend zurück und wünschte Teddy Tod und Teufel an den Hals.

Doch auch die schöne Rita bleibt eine Episode. Im Oktober 1947 die Scheidung von Faith Domergue, die ein paar Stunden später den Regisseur Hugo Fregonese heiraten sollte. So ist das damals in diesen Kreisen, man sieht die Liebe eher sportlich.

Im Juni 1951 dann Heirat mit Hedy Lamarr. Hedy Lamarr, die zweite seiner fünf Ehefrauen, heißt in Wirklichkeit Hedwig Kiesler und hat es als Schauspielerin aus Österreich in Hollywood zu passablem Erfolg gebracht. Ihre Filme sind heute fast alle vergessen, aber sie bleibt in Erinnerung als die erste Leinwand-Diva, die sich – man zählt das Jahr 1933 – in einem Film, jenem mit dem verheißungsvollen Titel Extase, ganz und gar nackig zeigte. Teddys Ehe mit dem Nackedei hält ganze neun Monate.

Anfang der 50er sieht man Teddy dann öfter mit Gene Tierney in Acapulco. Im März 1955 heiratet er Ann Nekel Brown. Auch diese Ehe hält neun Monate. Ein Playboy zählt nicht die Jahre, sondern die Stunden. Die Hamburgerin Pan Am-Stewardess Ute Weller heiratet Teddy dann im Mai 1957, die Scheidung nach einem guten Jahr. Im Dezember 1958 eine Liebelei mit Schauspielerin Margaret Binns, einen Monat später dann mit Pat Gaston.

Im Jahr 1959 nochmals eine Heirat, diesmal mit Patricia Morgan, einem Modell. Am 19. April 1962 wird Tochter Melinda Morgan Stauffer in Los Angeles geboren. Die Ehe ist 1963 kaputt, Patricia stirbt 1988 in Kalifornien, 55 Jahre alt.

Worin liegt das Geheimnis dieses Mannes bei den Frauen? Teddy Stauffer ist hochgewachsen, schlank, blond, ein Typ, auf den die Frauen fliegen. Und Teddy himself ist ein ein Mann, der weiß, wo bei den Frauen der Knopf zum Anknipsen ist. Aber das ist noch mehr. Aca natürlich, der mexikanische Garten Eden eines Lebemannes, die Sonne, reichlich Hitze, Berge von Blumen, die Drinks natürlich. Aber der größte Schlüssel zum Herzen der Frauen, das weiß der Swingmusiker, ist die Musik. Wenn Teddy die Geige spielt, dann schmelzen die Frauenherzen nur so dahin. Denn Teddy lässt beim Tête-à-Tête immer seine Geige erklingen und er spielt, als spiele er nur für sie. Nur für diese eine Frau, und nur für diesen Abend. Wer würde da nicht schwach werden?

Aber nun, mit Mitte 70, zeigt sich Teddy als Playboy, den auch Zweifel und die Melancholie plagen. Wissen Sie, sagt er zu mir in Acapulco, ich war dumm. Fünfmal verheiratet, eine Tochter. Ich hätte es umgekehrt machen sollen, meint Teddy traurig, einmal verheiratet und fünf Töchter.

siehe auch: Teddy Stauffer: Der Swingkönig im Paradies

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The World’s Greatest Jazz Band

Yank Lawson; London, den 23. April 1977

Frech. Saufrech. Denn das klingt zunächst ja etwas aufgeblassen. The World’s Greatest Jazz Band. Die beste Jazzband der Welt. Ein of Yank Lawson and Bob Haggart hat man erklärend und halbironisch angehängt. Sei’s drum.

Vielleicht sollte man wissen, dass diese World’s Greatest Jazz Band of Yank Lawson and Bob Haggart einige der besten, feinsten und bekanntesten traditionellen Jazzer zusammenbringt. Sie alle kommen aus dem Umkreis der alten Bob Crosby Band. Bob Crosby, das war der Bruder von Bing, hat den Dixieland weiterentwickelt, und ihn stilistisch vom Combo Jazz hin zur Big Band getrieben.

Die WGJB klingt und swingt denn in der Tat so wie eine kleine Big Band. Erreicht wird dies, indem die Blechbläser doppelt besetzt werden. Dann findet sich beispielsweise neben dem dynamischen Trompeter Yank Lawson ein wunderbar lyrischer Trompeter wie Billy Butterfield. Da spielt ein Saxophonist wie Eddie Miller, Klarinettisten wie Bob Wilber und Joe Muranyi oder der einzigartige Tenorist Bud Freeman. Der großartige Ralph Sutton sitzt meist am Klavier und hält die Band zusammen.

Als Tournee-Band wird die WGJB 1968 gegründet, zehn Jahre später löst sie sich auf. Finito. Die alten Herren sind zu alt. Und die Jungen bringen es nicht so richtig. All die Solisten der World’s Greatest Jazz Band dürfen als Ausnahmemusiker des traditionellen Jazz gelten, jeder als ein Meister seines Faches.

Und der robuste Yank Lawson bildet den Mittelpunkt der Band. Yank ist bei Ben Pollack in die musikalische Lehre gegangen, das war in den frühen 30er Jahren. Der kraftvolle Trompeter hat später mit den Größten des alten Jazz gespielt, mit Benny Goodman, mit Tommy Dorsey, mit Eddie Condon.

Die meisten Solisten der WGJB musizieren heute im Jazz-Himmel da oben, aber als sie noch hernieder jazzten, da war diese Rentnercombo in der Tat die beste traditionelle Jazzband der Welt.

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