Bisweilen, vor allem bei richtigem Timing, reicht zum Ruhme ein einziger Satz. So geschehen bei Cyril Northcote Parkinson. Nur ein kurzer spöttischer Satz hat diesen Mann mit einem Schlag weltberühmt gemacht. Work expands so as to fill the time available for its completion. Im deutschen Sinne: Arbeit wird so in die Länge gezogen, wie Zeit für sie zur Verfügung steht.
So lautet Parkinsons Gesetz. Mit diesem Satz, verpackt in ein hübsches Buch, hat der Brite Cyril Northcote Parkinson, in Ost und West, in Süd und Nord, ziemlichen Weltruhm erlangt. In Parkinsons Gesetz und andere Studien über die Verwaltung beschrieb der englische Historiker, was er bei der britischen Kolonialbürokratie in Asien beobachtet hatte. An Hand von Beispielen weist der C. N. Parkinson nach, warum Verwaltungen wachsen, obwohl die Arbeit gleich bleibt oder sogar abnimmt.
Damit wird Parkinson, der in Singapur und Kuala Lumpur als Hochschullehrer lehrte, einer der populären Kritiker von westlicher Bürokratie und sozialistischer Misswirtschaft. Das war Ende der 50er Jahre ein großes Thema und Professor Parkinson spielte weltweit den Bürokratenschreck. Ich besuche den Historiker in seinem Haus auf der Isle of Man.
Onchan ist ein kleines Dorf fünfzehn Autominuten von der Hauptstadt Douglas entfernt. Hier auf der Isle of Man, in der kargen Landschaft des Irischen Meeres, wo mehr Schafe als Menschen leben, spürt man wenig von der Hektik und dem Radau der Metropole London, die nur eine Flugstunde entfernt liegt. Man hat viel Zeit, viel Muße – und dass die Isle of Man ein Steuerparadies ist, mag für die Tantiemen des Bestseller-Autors als angenehmer Nebeneffekt gelten.
Professor Parkinson ist ein freundlicher älterer Herr von 78 Jahren mit einem trockenen englischen Humor, der ihn jung hält und auf Abstand zu den Dingen. Mit seiner Frau Ingrid lebt er in einem flachen Bungalow unweit der Klippen. In der Bibliothek, inmitten unzähliger Bücher, wird dem Gast Tee serviert.
Wie er auf seine listigen Formulierungen komme, frage ich den Autor von über 60 Büchern. Ich pflege einen paradoxen Schreibstil. Wenn ich etwas schreibe, dann am liebsten das, was die Leute von mir nicht erwarten. “Das Dumme bei der Eile ist, dass man so lange braucht.” Das nenne ich eine spitze Feder.
Als Historiker vermag er die Entwicklung in ihrer geschichtlichen Perspektive zu ergründen. Bei der Navy beispielsweise, sieht er eine paradoxe Entwicklung: immer weniger Fregatten, aber immer mehr Kapitäne. Oder: Geben sie einer Baufirma 8 Monate für den Bau einer Brücke oder 6 Monate. Die Firma, darauf wettet er, wird jeweils genau am letzten Tag mit der Arbeit fertig werden.
Parkinsons Gesetz hat er totgeritten. Pakinsons neues Gesetz oder Mrs. Parkinsons Gesetz, so ging das, über ein gutes Jahrzehnt. Vielleicht hätte er – scharfzüngig wie er war – daraus auch ein Gesetz gemacht: Ein Thema wird solange durch den Fleischwolf gedreht, wie sich Geld damit verdienen lässt. Wie auch immer, Parkinsons Gesetz, ist heute sprachliches Allgemeingut, es ist – leider, leider – noch immer aktuell.
Welche Zeit seines Lebens er nie bereut habe, ist Ernest Hemingway einmal gefragt worden. Venedig, antwortete er nach kurzem Zögern. Venedig im Winter, ohne Touristen. Dieser Stadt galt seine große Sehnsucht.
Sie liegt nicht nur am Meer, das er über alles liebt. Mehr noch, wie selbstverständlich ist sie ein Teil dieses Meeres und alles, was in dieser Stadt geschieht, ist ohne das Meer nicht zu denken.
In der Tat ist Venedig am schönsten in den grauen Tagen nach dem Karnevalsrummel, wenn sie im späten Februar leise und still zwischen den Wasserkanälen liegt und die klirrende Kälte so langsam dem Frühling weichen möchte.
Am besten nähert man sich dieser Stadt vom Wasser her. Nicht über die staubige Landstrasse von Mestre und auch nicht von der dunklen Piazza Roma her. Am schönsten erobert man das Herz Venedigs, wenn man mit dem Vaporetto in die Lagune einfährt und im Osten der Piazza San Marco anlegt. Dann kann es passieren, dass man augenblicklich vom geheimnisvollen Charme dieser Stadt eingefangen wird.
Wie kann ein Mensch in New York leben, wenn es Venedig gibt?, schwärmte Ernest Hemingway, Venedig sei doch die schönste Stadt der Welt. Die Stadt besitzt von jeher etwas Magisches, einen Hauch Unergründlichkeit, wohl auch etwas Morbides. All das faszinierte Hemingway, ihn, für den der Gedanke an Tod und Vergänglichkeit ein Anziehungspunkt des Lebens und Schreibens war.
La Serenissima, die Erhabene unter den Städten, nennen die Bewohner diese einst reiche Handelsmetropole. Der Blick dieser Stadt ging hinaus auf’s Meer, in die Ferne, nach Afrika und Amerika, Venezia war Europas Arm in die weite Welt.
Als Hemingway auf Kuba lebte, kam er einige Male nach Europa, oft nach Italien, und zweimal war er in dieser Zeit in Venedig. Die Ambivalenz der Lagunenstadt zog ihn an. Einerseits spürte er hier das Vergängliche, die Endlichkeit, aber andererseits weckte die Stadt in ihm auch die Erinnerung an wilde, unbeschwerte Jahre.
In Venedig fühlte er sich jung. Auch in den späten Jahren, 1948, merklich gealtert, als er in Venedig einer amour fou nachjagte. Stets suchte er in dieser Stadt auch den Jungbrunnen, den Traum nach dem ewigem Leben, das Gesicht der Unsterblichkeit.
Er liebte es, durch die engen Gassen dieser einfachen und irgendwie doch aristokratischen Stadt zu streunern und sein Dreieck waren Harry’s Bar an der Piazza San Marco, das Gritti Palace Hotel und Cortina, die Bar, die in jenen Tagen en vogue war. Dort in der Cortina saß er mit Freunden, ein Glas Amarone oder Veronese-Wein vor sich, und er ließ seiner Phantasie freien Lauf. Wie meist gab er kleinere und größere Aufschneidereien zum Besten und notierte diese dann fleißig in sein Moleskine-Büchlein.
Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.
Wendell Armbruster jr. – ein Spießer, der alle Klischees über Amerikas Spießer ausfüllt – muss Hals über Kopf vom heimischen Golfplatz nach Ischia: Sein Vater, ein bigotter Multimillionär, ist während seines Kuraufenthaltes auf der Insel bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Die Kur stellt sich jedoch als Techtelmechtel heraus: Der Vater hat über Jahrzehnte mit seinem Kurschatten, einer Britin, Zimmer und Bett geteilt. Er hat sich nicht gesund gepflegt, sondern gesund gestossen, wie Sohnemann bald treffend feststellt.
Auf Ischia lernt Wendell dann die zickige Pamela Piggott kennen, die Tochter der Geliebten seines Vaters, die ihrerseits die tote Mutter, ebenfalls in dem Auto umgekommen, überführen will. Und jetzt nimmt die sympathische Komödie ihren Lauf.
Denn Armbruster jr. wird nicht nur mit dem Sittenverfall konfrontiert, sondern auch mit Italien. Mal sind keine Zinksärge aufzutreiben, dann fehlen Papiere, dann wird am Wochenende nicht gearbeitet und schließlich werden die Leichen entführt.
Trotz dieser irrwitzigen Wendungen, die Witwe und das Begräbnis warten in den USA, erliegt Wendell Armbruster junior dem Charme Italiens und wohl auch dem Pamelas. Und der verheiratete Wendell scheint ganz die erotischen Eskapaden des Vaters fortsetzen zu wollen – mit Pamela.
Jack Lemmon spielt diesen amerikanischen Spießer und der Film ist bis in die kleinen Nebenrollen wunderbar besetzt. Kein Klischee wird ausgelassen, kein Stereotyp ist zu billig.
Bei diesem Hollywood-Film zeigt sich Regisseur Billy Wilder auf dem Höhepunkt der Kreativität. Er karikiert Amerika und er karikiert Italien. Aber nie ohne die alte Welt gegen die neue Welt ausspielen zu wollen, ohne Partei zu ergreifen, so als wolle er seine alte mit seiner neuen Heimat aussöhnen. Eine menschliche Komödie, ein Plädoyer für Verständnis und Toleranz.
Meine Lieblingsszene findet sich gleich zu Anfang des Films, als Lemmon, noch im Golfer-Outfit, auf der Toilette mit seinem dezenten Flugnachbarn die Kleidung tauscht und dabei versehentlich wohl auch die Papiere. Beim italienischen Zoll wird Armbruster dann für den anderen gehalten. “Doktor, Fleischmann, hallo Doktor Fleischmann, sagen Sie, dass ich nicht Doktor Fleischmann bin.”
Der Journalist muss reinspringen ins Geschehen, er muss das Blut spritzen sehen, den Staub riechen und das Geschrei hören können. Der Reporter sollte erzählen und eine Geschichten schreiben. Aber nicht mehr wie der General auf seinem Feldherrnhügel, sondern er sollte hinab laufen ins Getümmel.
Die neue Schule des Journalismus. Der New Journalism geht nah ran, nah wie ein Paparazzo. Das war die Revolution, ausgerufen von jungen Journalisten in den 60er Jahren in den USA.
Das war natürlich nichts für das ehrpusselige Deutschland. Da gab es wenig neuen Journalismus, keine New Journalists von Bedeutung. Keinen wirklichen Star.
Erich Wiedemann hätte sicherlich das Zeug dazu gehabt. Vielleicht hätte er gewollt, aber Der Spiegel nicht. Jörg Fauser und Axel Arens, die wohl grössten Talente, beide zu früh gestorben. Marie Luise Kaltenegger, eine Österreicherin, hat’s gekonnt, ist aber nicht richtig dran geblieben. Jürgen Ploog, der hätte was werden können, wenn er gefördert worden wäre und nicht immer überdrehen würde.
Heute bleibt eigentlich nur einer über. Helge Timmerberg, der ist richtig gut, der kann’s. Auch, weil er sich kompromisslos hinter seine Sache stellt. Als brillanter Stilist überzeugt er obendrein. Eine Stadt-Reportage über Dublin fängt Timmerberg so an: Das Wetter: Beschissen wäre geprahlt. Die Preise: balla-balla. Der Nichtraucherschutz: total durchgeknallt.
Da merkt man bei den ersten Sätzen Leidenschaft, da spürt man Tempo und Humor. Der richtig gute Reporter ist ein streunender Strassenköter und kein parfümierter Pudel. Und Timmerberg gibt den ganz wilden Streuner, einen, der an jeder Ecke schnüffelt.
Nun ist Helge Timmerberg in der Mitte der Gesellschafts angekommen, er schreibt für die BILD am SONNTAG, aus Afrika, was schön und exotisch und ziemlich weit weg ist. Man würde Timmerberg einen Gefallen tun, ihn über sturzlangweilige deutsche Themen schreiben zu lassen, über eine Vorstandssitzung eines Versicherungskonzern meinetwegen, oder über einen Arbeitersportverein in Ostthüringen. Afrika, möchte man sagen, ist einfach. Ob einer wirklich was drauf hat, merkt man bei Ostthüringen. Und Timmerberg hat wirklich eine Menge drauf.
Nach Timmerberg kommt zunächst einmal nichts. Dann vielleicht die heutige Ärmelschoner-Generation der Fichtners, Büschers, Schnibben, Schreps. Dort herrscht allerdings publizistischer Stillstand, denn diese Reporter schreiben seit Jahren genau jenes, was ihr Publikum von ihnen erwartet. Nach dem ersten Satz weiß man, wie es weitergeht, die Perspektive ist immer die gleiche. Inhalte langweilig, Stil gut, aber Timing lau.
Es finden sich in Deutschland nicht solch mutige unideologische Magazine wie in den USA, die den New Journalists eine Plattform eingeräumt haben: The New Yorker, Atlantic Monthly, Esquire oder Rolling Stone. Wahrscheinlich ist der New Journalism in Deutschland auch an der Armseligkeit seiner Magazine gescheitert.
Das sagenhafte Iquitos in Peru, Photo by Norbert Böer
Falls man einige Jahre auf dem Buckel, ein paar Kontinente und noch mehr Länder gesehen hat, dann mag man in einer stillen Stunde und bei einem guten trockenen Rotwein schon einmal seine Hitliste der Destinationen erstellen. Welches denn die interessanteste Stadt ist, in die ein Flugzeug unsereinen fliegen kann? Was ist wohl das Topziel für Traveller auf diesem ganzen runden Globus?
Nein, nein, gemeint ist kein Wüstenloch mit Holperpiste und auch kein Südseeeiland, in das uns eine propellernde Cessna bringt. Nein, ich meine eine große Stadt mit großem Flughafen, eine richtige City mit richtigem City-Airport. Und dann mag man am Barolo nippen und seine Liste durchgehen, wer da auf vorderen Plätzen zu finden sein muss: CDG, sicherlich, weil in Paris noch immer die Liebe wohnt. NYC, wo das Leben pulsiert, man aber tunlichst reich sein sollte. In GOI braucht man nicht unbedingt reich sein, der Goa-Besucher sollte aber zumindest jung sein. Und bei SFO sollte man am besten beides sein, jung und reich.
Meine Nummer Eins ist allerdings eine ganz andere Stadt. Ein Ziel, das so viele noch nicht angesteuert haben, und das manchem gänzlich unbekannt ist: IQT. Mitten im Amazonaswald. Bei Iquitos muss man zuallererst einen Blick auf die Landkarte werfen, um zu erkennen, dass der liebe Gott sich hier eine unglaubliche Albernheit erlaubt hat. 3.646 Kilometer fern dem Atlantik und 1.859 Kilometer abseits der Hauptstadt Lima am Stillen Ozean liegt diese Großstadt – 03°47´17´´ Süd, 73°14´59´´ West – eingefangen und eingesperrt inmitten des Amazonasgestrüpps. Die Stadt lässt sich bequem eigentlich nur auf dem Luftweg erreichen, jedenfalls gibt es keine Straße, die zu dieser Stadt führt. Außer durch die Luft bietet sich nur das Wasser an: ein tagelanger Umweg über Pucallpa am Rio Ucayali, der dann in den Amazonas mündet, bleibt die einzige Alternative zum Flugzeug..
Und spätestens hier wird einem klar, dass IQT sich des Spitzenplatzes würdig zeigt: Aus dem Flieger erkennt man rasch die Faszination, die von dieser Stadt ausgeht: Hunderte Quadratkilometer sieht man nur diesen gleichmäßigen grünen Vegetationsteppich. Dann taucht urplötzlich dieses wilde Knäuel von Häusern, zerzausten Straßen und Plätzen auf. Und dann wieder dieser unendliche grüne Teppich, der nirgends aufzuhören scheint.
Obacht, gerade bei dieser Stadt. Sie verlangt dem Körper des kleinen Menschen einiges ab. Wenn man dann aus dem Flieger steigt, kommt es einem vor, als ob man gegen eine Wand läuft. Die Hitze und Schwüle des Regenwaldes, diese Urkraft der Natur, diese Bemächtigung über jedes Leibliche, zeigt sich als erste Warnung von Natur an Mensch.
Die Jahreszeiten bleiben in Iquitos ein nicht weiter auffallendes Ereignis. Der Frühling findet an einem Septembernachmittag statt, dann ist Hochsommer bis nächstes Jahr. Die Menschen dieser Stadt bleiben lange wach, ihr Rhythmus retardiert, er zieht nach, selbst nach Mitternacht lärmt es aus den Restaurants und Juguerías zwischen Hafenpromenade und Hauptstrasse. Und wenn sich die Stadt gegen zwei, drei Uhr morgens schließlich zur Ruhe bettet, dann machen schon die ersten Vorboten der amazonischen Fauna Anstalten, ihr Tagewerk zu beginnen.
Als ich das erste Mal in den 1970er Jahren nach Iquitos kam, da gab es in der Stadt kein Fernsehen, weil die Sendemasten für den Empfang nicht bis zur Hauptstadt Lima reichten. Das Radioprogramm kam aus einem winzigen Studio in der Calle Arica gegenüber vom Kino. Die einzige lokale Tageszeitung Oriente bestand lediglich aus vier wirr bedruckten holzhaltigen Seiten, von denen die dick aufgetragene Druckerschwärze stets an den Fingern des Lesers haften blieb.
Sicherlich waren es auch diese Rückständigkeit und diese Verlassenheit, die einen Reiz dieser Stadt ausmachten. Später als Mitte der 1980er Jahre das Satellitenfernsehen seinen Einzug in die Dschungelstadt halten sollte und aus den Bars und Hotellobbys das MTV-Musikprogramm und die endlosen peruanischen und brasilianischen Telenovelas dröhnten, da hat Iquitos zugleich ein Stück seiner Unschuld verloren. Medial zumindest.
Zeitweise steigt Iquitos zur reichsten Stadt des Kontinents auf. Zwischen 1890 und 1910 erlebt Iquitos einen märchenhaft anmutenden Wirtschaftsboom. Charles Goodyear hat in den USA gerade mit einem neuartigen Verfahren zur Kautschukvulkanisierung die Epoche des Automobils eingeläutet. Cahuchu nennen die Amazonasindios den weißen Saft, den sie aus den schräg angeritzten Bäumen zapfen, und der nun ein Grundstoff für Autoreifen werden soll.
Auf den Kautschukplantagen nahe Iquitos bricht die Hölle aus: Glücksritter, Desperados und zwielichtige Gestalten zieht der Gummirausch in seinen Bann. Indios werden versklavt und Fronarbeiter aus Barbados verfrachtet, um den wertvollen Rohstoff, den es einzig im Amazonasbecken gibt, abzubauen. Kautschukbarone wie Julio C. Araña, die Familie Del Aguilar, die Cahn, der Cauchero Cohen, die Morey und Familie Barcía leben in Saus und Braus. Sie schlüpfen in feinste italienische Seide, trinken erlesenen französischen Cognac, kaufen Wiener Pianos und venezianische Violinen für das Teatro Alhambra.
Werner Herzog, der Münchener Filmregisseur, hat seinen Film Fitzcarraldo in der Zeit des Kautschukbooms spielen lassen. Herzog meint, diese Stadt habe für ihn etwas „ungemein Erotisches“, und auch der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa spürt in dieser Landschaft die Urgewalt der Natur, die letztendlich doch die Macht der Erotik in all ihrer natürlichen Üppigkeit ist. In der Tat wissen Intimkenner der Szene zu berichten, dass hier die heißblütigsten Señoritas ganz Perus zu Hause sind. Frauen mit solch klangvollen Namen wie Maria de los Angeles oder Adriana, prächtige Siege über Magersucht und Feminismus.
Heute lebt Iquitos von Holzwirtschaft, Petroleum und vielerlei Handel. Böse Zungen verbreiten allerdings die Kunde, der neue Reichtum von Iquitos rieche bedenklich nach Kokain. In der Tat sind die Schneekönige im Wirtschaftsleben Amazoniens so allgegenwärtig wie der Liebe Gott im Vatikan. Doch wen man auch fragt, keiner weiß Genaues. Matrosen, Flugzeugpiloten, Anwälte stehen auf den Gehaltslisten der Kokainmafia. Politiker und Polizisten sowieso.
Wohnen sollte man in der Casa Morey, einem Hotel in der Calle Loreto, das früher das Anwesen eines Kautschukbaron gewesen ist. Viel verändert hat sich nicht in den letzten hundert Jahren. Den Tag ausklingen lassen kann man in der La Casa de Jaime auf der Flussbalustrade am Malecón Maldonado und sich einen paiche a la loretana, das Filet dieses langen, würzigen Paichefisches servieren lassen. Im Jaime lässt sich dieser unverwechselbare Geruch des Flusses, die derbe Macht von Klima und Vegetation und das allabendliche Getriller der Papageien und anderer Amazonasvögel am besten erspüren. Wer erleben möchte, wie die Einheimischen essen, der sollte Sonntagmittags zu Long Fung an der 28 de Julio gehen, wo in einem riesigen Saal eine einfache und herzhafte chinesische Küche aufgetischt wird.
Ein skurriles Fleckchen Erde ist dieses Iquitos, jener schillernde Denkzettel des Kautschukwahns und der Maßlosigkeit. Man muss lange nach Adjektiven für diese Stadt suchen und kann doch im Grunde nur den Widersinn beschreiben. Diese Stadt scheint wolllüstern und doch unbefleckt, brünstig jedoch leicht verwelkt, maßlos obgleich begrenzt, bedauernswert aber stets sonnig im Gemüt. Im Grunde genommen symbolisiert sie die in Stein gemeißelte Leidensgeschichte des Menschen: zu Anfang leise, dann lebhaft, wohl ordentlich, später wahnsinnig, erst bettelarm, dann unermesslich reich, und ganz zuletzt wiederum ohne nichts.
Chet. Der Jazz-Trompeter. Der Sänger. Der Mensch. Das Wrack. Wie kein anderer weißer Musiker steht er für den Cool Jazz. Er lebt ihn.
Er liebte die Frauen und er liebte das Heroin. Und vor allem liebte er die Musik. Der amerikanische Trompeter Chet Baker war so etwa wie der James Dean des Jazz. Gut aussehend, rebellisch, aber auch einsam, suchend, verzweifelt, ein Steppenwolf.
Sein Spiel zeichnet sich durch eine sanfte und weiche Fragilität aus. Jeder Ton, den er spielt, klingt als sei es sein letzter. Und jeder Ton hätte ja auch leicht sein letzter sein können. Nun ist Chet eine Legende, wobei der Begriff Legende nicht einfach nur meint, dass er viel zu früh gestorben ist.
Am 23. Dezember 1929 wurde Chesney Henry Baker jr. in Yale in Oklahoma geboren. Und in Amsterdam hat er sich am 13. Mai 1988 aus einem Hotelfenster geworfen. Aus Verzweiflung, im Drogenwahn, am Ende – wer weiß das schon.
Ich habe Chet Baker zwei, drei Mal im Konzert erlebt. Mal in kleinen Clubs wie dem Malteserkeller in Aachen vor einem Dutzend Zuhörer, mal auf großen Jazzfestivals. Das war in den späten 70er Jahren, da deutete sich schon das Ende seines Weges an. Die Zähne kaputt, das Gesicht verschrumpelt, der Geist verwirrt.
Chet spielte mit Charlie Parker, mit Gerry Mulligan, Stan Getz, Bud Shank, Ron Carter und mit Art Pepper. Dieser merkwürdige Bursche blies My funny Valentine wie kein zweiter auf diesem Globus.
Er war der Trompeter der Existentialisten. Ein kühler, unnahbarer und vielleicht auch verlorener Ton entströmt seiner Trompete. Er war der Bläser einer zerbrechlichen und waidwunden Melodik. Er blieb das Reh, das von eigenen Hyänen gejagt wurde. Er ist in Kalifornien begraben.
Eigentlich ist das Internet so eine Art riesige Wundertüte, ein digitales Überraschungsei, wo am Ende viel Elend, jedoch auch manche Perle zu uns findet. Beim Stöbern entdecke ich nun, dass die kalifornische Claremont Universität den Nachlass von Peter F. Drucker digitalisiert und online der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.
In dieser Digital Library des Claremont College, das eine Stunde östlich von Los Angeles liegt, finden sich Briefe, Manuskripte und Aufzeichnungen des berühmten Management-Vordenkers, der an Claremont gelehrt hat. Es lohnt sich, in die Briefe einen Blick zu werfen.
Und welches Schreiben entdecke ich da? Einen Glückwunsch zum Achtzigsten aus dem Jahr 1989!
An diesen Brief kann ich mich nicht mehr recht erinnern, über die Jahre habe ich ihn vergessen. Er ist ein Gemeinschaftsschreiben von Hero Kind, Frank-Lothar Hinz und mir. Der Brief lief über unsere New Yorker Bürochefin Christina McInerney.
Christiana, eine elegante New Yorkerin besten Alters, repräsentierte ECON aus der Mitte Manhattans an der 23rd Street in den USA. Sie hielt den Kontakt zu Verlagen, zur Presse, zu Lektoren, zu Autoren und war als Scout für uns tätig.
Zur Aufgabe eines literarischen Scouts gehört es, Themen, Autoren und Bücher für den deutschen Markt aufzuspüren. Und Christina McInerney war eine großartige Trüffelsucherin. Später – als ECON nicht mehr ECON sein wollte -, da hörte auch Christina auf und übergab das Geschäft an ihre langjährige Assistentin Jane Starr.
Drucker zum Achtzigsten. Schöne Erinnerung an diesen großen Wirtschafts-Philosophen kommen auf, wenn ich heute diesen Brief lese. 1989. Da sollte Peter Drucker noch mehr als 15 Jahre leben. Kurz vor seinem 96. Geburtstag ist er gestorben, in Claremont.
gefunden in Westerland/Sylt im Mai 2008; Photo by W. Stock
Manchmal lohnt es sich, die Augen offen zu halten. Besonders an Tagen, wenn man einen Parkplatz sucht.
Nehmen wir einmal an, Sie fahren am Sonntag in der Früh Brötchen kaufen, befinden sich vor dem Bäckerladen und wollen Ihr Auto abstellen. Plötzlich erblicken Sie ein Schild: Bäckerei – Parken auf eigene Gefahr.
Seltsam, denken Sie, was hat das alles mit der Bäckerei zu tun? Geparkt wird doch eigentlich immer auf eigene Gefahr. Wer soll denn sonst dafür gerade stehen, wenn Sie Ihr Auto an die Mauer donnern? Ein Hotel klebt doch vor den Waschzimmerspiegel auch keinen Hinweis, Zähneputzen auf eigene Gefahr.
Denn man parkt überall auf eigene Gefahr. Ob vor dem Metzgerladen, der Apotheke oder vor dem Kirchenhaus.
Aber vielleicht liegen die Erwartungen bei der Kirche ja höher. Motorisierte Gläubige könnten mitunter den höheren Beistand selbst auf dem Parkplatz erwarten.
Ob der Gefahrenschutz nicht nur beim Parken verweigert wird, sondern im Kirchenhaus seine Fortsetzung findet? Beten. Auf eigene Gefahr?
Merkwürdig mutet auch diese Abkürzung Kath. Kirche an, dieser gepresste Hinweis auf die katholische Kirche. Hätte das neutral-ökumenische Schild Kirche – Parken auf eigene Gefahr nicht genügt? Oder meint dies, bei der evangelischen Kirche, da parkt man auf fremde Gefahr.
Wie dem auch sei. Da haben wir wieder mitten ins deutsche Leben gegriffen – und erneut eine Fussnote entdeckt aus dem Kapitel: Schilder, die eine Gefahr darstellen. Eine Gefahr, wohlgemerkt, für die deutsche Sprache.
Tom Wolfe gilt als einer der ganz Großen der anspruchsvollen Unterhaltungsliteratur. Der schlanke und stets dandyhaft gekleidete Autor, ist der bekannteste Protagonist jener neuen Schreibart, die man New Journalism nennt. Die Fakten werden in eine packende fiktionale Erzählung eingebaut. Fortan gilt es Szenen zu beschreiben, nicht mehr so sehr Handlungen.
Im Jahr 1990 hatte ich die Ehre, ein Buch von Tom Wolfe zu verlegen: Die neue Welt des Robert Noyce – Eine Pioniergeschichte aus dem Silicon Valley. Ursprunglich war dies 1983 ein langer Aufsatz in Esquire unter dem Titel The Tinkerings of Robert Noyce, und mir kam die Idee, für Deutschland daraus ein kleines Buch zu machen.
Ich hatte Tom Wolfe auf der Buchmesse getroffen und der bestens verdrahtete Literaturagent Michael Meller aus München besorgte nun das Copyright beim Autor auf Long Island. Stolz hielt ich nach einigen Wochen den Lizenzvertrag mit der geschwungenen Unterschrift von Tom Wolfe in Händen.
Bei der Story geht es um die Gründerjahre im Silicon Valley, als Intel-Ingenieur Robert Noyce den integrierten Schaltkreis erfand. Im Halbleitergeschäft hatte die Forschung den Stellenwert, den das Werfen beim Baseball hat; sie macht 60 Prozent des Spiels aus. Sauber, so geht dieser Tom Wolfe an eine Geschichte heran und hält wunderbar den Spannungsbogen bis zur letzten Seite.
Genial wie Wolfe in dieser kleinen Story die knisternde Atmosphäre der Anfangsjahre in der kalifornischen Computerindustrie rund um San Francisco einfängt. Er beschreibt eine kleine, heute weitgehend vergessene Episode mit grosser Wirkung, ein Anfang, der die ganze Welt revolutionieren sollte. Wie detailgenau, kenntnisreich und anschaulich Wolfe die eigentlich trockene Materie angeht, das macht ihm so schnell keiner nach. Wer wissen möchte, welche Aufbruchstimmung und welche Begeisterungsfähigkeit die Anfänge des Silicon Valley bestimmten, der sollte sich in dieses Buch fallen lassen.
Tom Wolfe besitzt einen eleganten, sehr präzisen Stil, seine Stücke sind immer genau recherchiert und er verfügt über einen sehr gleichmäßigen Satzrhythmus. Während ein Hunter S. Thompson schreibt wie Charlie Parker sein Saxophon spielt, wild, rebellisch, ohne Konvention, so ist Tom Wolfe ein George Gershwin des Schreibens: große Symphonie, genaue Taktung, präzise, auf Effekte und Pointen zugeschnitten, ein Donnerwetter – gewaltig, krachend, aber doch immer von einer gewissen Lieblichkeit. Und, man darf es nicht vergessen, höchst unterhaltsam.
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