Reisen & Begegnungen

Autor: Wolfgang Stock Seite 11 von 22

Zuck – der Mann des Jahres

In dieser Woche hat das amerikanische Nachrichtenmagazin TIME Mark Zuckerberg, den Gründer von Facebook, zur Person of the Year gewählt. Zu recht, den kein anderer hat in diesen Tagen unser Leben so revolutioniert wie der Internetpionier aus White Plains im Staate New York.

Der heute 26-Jährige hat mit Facebook ein Netzwerk erfunden, das digitales Lagerfeuer, elektronische Informationsbörse, Telefonersatz und Laufsteg der Eitelkeiten zugleich ist. Also, ein geniales Produkt. Fast 600 Millionen Menschen tauschen sich auf Facebook aus, das ist mehr als jeder zehnte Erdenbürger. In der Geschichte der Menschheit hat niemand so viele Menschen wie dieser Mark Zuckerberg zusammen gebracht und kommunizieren lassen.

Im Oktober 2009 erhielt ich die Einladung, die Firmenzentrale von Facebook in Palo Alto besuchen zu dürfen. Die Regeln für Besucher sind überaus streng. Man darf nicht fotografieren, keine Geheimnisse ausplaudern und überhaupt, man sollte nicht allzu neugierig auftreten. All das muss man dann glaubhaft, nicht zuletzt mit seiner Unterschrift unter ein Formular von etlichen Seiten, versichern.

Facebook sitzt nur ein paar Autominuten von der Stanford University entfernt, und auf dem Campus wie auch im Unternehmen denkt man amerikanisch und handelt asiatisch. Produkte, die von der Westküste kommen, werden rasant entwickelt und mit Verve vermarktet. Das Silicon Valley besitzt heute zwei, drei Jahre Vorsprung vor New York und vor Europa sowieso.

Hier am Pazifik sitzen die coolen Firmen wie Apple, Google, Oracle, im Zentrum die Stanford University, jene intellektuelle High-Tech-Schmiede des Valley, und hier sitzen auch die Risikokapitalgeber, die so manches Start-up zu einem Millionengeschäft befördert haben. So auch Facebook.

Was soll man groß über Facebook schreiben, wenn man eigentlich nichts schreiben darf? Dass hier in dem weitläufigen flachen Bürogebäude an der California Avenue 1601 viele junge Leute in riesigen Büros arbeiten? Dass in den Gängen und Ecken große Obstkörbe stehen, Teller mit Müsliriegel, Kühlschränke mit Erfrischungen? Da sind die Vorträge der Executives dann doch interessanter.

Man arbeite ständig an Verbesserungen, an neuen Produkten rund um das Netzwerk. Facebook, so hört man zwischen den Zeilen, sei nicht profitabel, eigentlich suche man noch nach dem goldenen Geschäftsmodell, getrackte Werbung vielleicht, aber zunächst setze man voll auf Wachstum.

Das Netzwerk Facebook definiert auch unseren  Umgang mit Informationen und unserer Privatsphäre neu. Der Mensch wird gläsern, nachvollziehbar,  er präsentiert sich auf dem Tablett. Ein solch offener Umgang mit dem eigenen Ego lässt sich aus der ungezwungenen Mentalität der amerikanischen Westküste erklären. Kalifornien zieht gewitzte Menschen an, mit frischen Ideen, Asiaten, Europäer und Amerikaner, hier wirkt das Denken pragmatisch und jung, hier zählt nicht die Konvention, das Gestern, sondern der Spirit, die Leidenschaft, die Zukunft. The sky is the limit.

Wenn man bei Facebook mal kurz austritt und einen vorwitzigen Blick in die akkuraten Baderäume wirft, dann sieht man, dass hier an den Waschbecken eine Menge Zahnputzbecher und Zahnbürsten stehen. In Palo Alto wird lange gearbeitet und wohl auch mal über Nacht.

Die jungen Leute schuften bis zum Umfallen, aber sie fallen nicht um. Ich frage ich eine Mitarbeiterin, wie lange denn ihr Arbeitstag dauere. So 12 bis 14 Stunden, kriege ich zur Antwort. Ich schaue wohl ein wenig skeptisch. Ich weiß, fügt sie lächelnd an, dies sei zu lang, aber es sei die beste Zeit ihres Lebens.

Nach einem Besuch bei Facebook lässt man sich von der heiteren Stimmung Kaliforniens anstecken. Man verflucht das Geburtsdatum im Reisepass, man ärgert sich, dass man so eine Durchschnittstype ist und wirft dann zumindest den BOSS-Anzug in den Koffer und packt die Jeans und das Polo-Shirt aus.

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gehauchtes Lied gegen braun

Der amerikanische Songwriter Pete Seeger hat Where have all the flowers gone? 1955 komponiert. Ein Anti-Kriegs-Lied. Es ist ein Refrainsong mit einem einfachen Text.

Marlene Dietrich hat das Lied auf Englisch, Französisch und Deutsch gesungen. Wobei die große Schauspielerin Dietrich – man muss es offen sagen – null Stimme gehabt hat. Bei ihrem Live-Konzert in London aus dem Jahr 1972 wird dies bei Titeln wie Honeysuckle Rose oder I get a kick out of you. Vom rein musikalischen Standpunkt hören sich diese Lieder grauselig an.

Auch die deutsche Fassung des Liedes haucht sie mit ihrem Sprechgesang dahin. Aber Sag mir wo die Blumen sind, Text Max Colpet, geht unter die Haut. Denn die Dietrich macht die fehlende Stimme durch Ausstrahlung wett. Und vor allem durch Glaubwürdigkeit.

So trat Marlene Dietrich in Israel auf und sang dieses Lied – auf Deutsch. Ein Skandal. Beinahe. Denn die Dietrich durfte dies. Dieser Song war Teil ihrer Biografie. Marlene stand für das anständige Deutschland. Sie hat gegen die braunen Diktatoren gekämpft, wo es nur ging, mit ihren Mitteln. Dieser Kampf ist in diesem Lied drin.

Max Colpets Sag mir wo die Blumen sind klingt von der Textführung noch eingängiger als das amerikanische Original. Und, noch ein Stück glaubwürdiger.

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Wörter mit Migrationshintergrund

Photo by W. Stock

Was hört man nicht alles in diesen Tagen! Man möge die hehre deutsche Sprache von Anglizismen sauber halten, das Deutsch solle gar im Grundgesetz als Nationalsprache festgeschrieben werden.

Alles nette Initiativen, die etwa so sinnvoll sind, ins BGB zu schreiben, des sommers solle gefälligst die Sonne scheinen. Also, solche Forderungen schaden nicht, zeugen allerdings auch nicht gerade von ausgeprägtem Scharfsinn.

Was Sprachpuristen häufig vergessen: Die deutsche Sprache ist keine reine Sprache und hat Zeit ihres Bestehens Anleihen in fremden Sprachen getätigt. Nur merkt man dies den Wörtern heute nicht mehr an.

Bank beispielsweise ist kein deutsches Wort, sondern kommt aus dem Italienischen. Ein Ursprung, der klar wird, wenn man sich den Bankrott ansieht, das führt sich nämlich zurück auf die banca rotta, den zerbrochenen Wechseltisch, auf die kaputte Bank.

Aus dem Griechischen, dem Lateinischen, dem Französischen oder dem Englischen sind Wörter eingewandert und bei uns geblieben. Ketchup oder Computer sind erst kürzlich eingewanderte Wörter, aber wir haben uns so an sie gewöhnt, dass wir sie schon als halb deutsch ansehen.

Denn oft haben wir für manches migrante Wort keine gescheite deutsche Entsprechung. Oder blicken Sie eher durch, wenn von einem Prallsack die Rede ist statt von einem Airbag?

Um die Jahrhundertwende – um 1900 -, als das Französische noch stark war, hat man dafür gekämpft, dass es gefälligst Geldbörse und nicht Portemonnaie zu heißen habe. Heute hat man mit dem Portemonnaie seinen Frieden geschlossen, und die gute alte Geldbörse gibt es auch noch.

Schokolade? Urdeutsch, sollte man meinen. Weit gefehlt! Bei Schoko wird es richtig exotisch. Obwohl die allermeisten von uns Schokolade für ein deutsches Wort halten würden, hat der Begriff eine weite Reise hinter sich. Die Aztekten nannte die dunkle Kakaobohne xocolatl und daraus wurde dann das deutsche Wort Schokolade.

Was also tun gegen eingewanderte Wörter? Die Antwort ist simpel: Nichts! Rein gar nichts! Eingewanderte Wörter bleiben ein Gewinn für die deutsche Sprache. Sie bereichern die deutsche Sprache und mehren die Wahlmöglichkeiten. Der Kunde – der Sprachnutzer – entscheidet, welches Wort sich durchsetzt und welches nicht.

Eine Sprache ohne ausländische Einflüsse ist nicht vorstellbar, kann nicht funktionieren. Eine solche Sprache wäre tot.

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Wie ich einmal mit Fitzcarraldos Kapitän aneinander gerasselt bin

Fitzcarraldo Paul Hittscher

Fitzcarraldo – ein Filmepos, das Geschichte schrieb.

Seit jeher besitze ich eine fragwürdige Angewohnheit, von der manch einer jedoch auch sagen könnte, sie sei durchaus sympathisch. Ich bin nämlich gewohnt, mit wenig Bargeld durch den Tag zu ziehen.

Hier kommt die Nonchalance des beachcomber zum Zuge, denn mit leeren Taschen läuft es sich leichter durch die Strassen. Für ärgste Fälle steckt eine Kreditkarte im Jackett. Mein leeres Portemonnaie ist mir einige Male zum Verhängnis geworden, einmal gar in den tiefen Tropen des Amazonas.

Es muss wohl Ende der 1970er Jahre gewesen sein, ich bin, wie so oft, im peruanischen Amazonasdschungel, und dort in der Großstadt Iquitos. Es ist ein Sonntag, das Bargeld alle, die Banken sind geschlossen, kein Bargeld in meiner Hosentasche. Aber zum Glück gibt es da ja noch die kleine grüne Kreditkarte von American Express.

An einer Ausfallstrasse der Stadt, in Richtung Flughafen, entdecke ich ein kleines, feines Restaurant. Hübsche Veranda mit kleinen Esstischen, gegen die grelle Sonne überdacht, das blaue American Express-Schildchen klebt an der Eingangstür.

Da ich Kohldampf schiebe, lasse ich ordentlich was auftischen. Ein üppiges Fleischgericht, Kartoffeln, Gemüse, Getränke, Nachtisch. Eine einheimische Frau bedient mich zuvorkommend. Den Abend über bleibe ich der einzige Gast.

Als die Rechnung kommt, reiche ich der Bedienung meine grüne Kreditkarte. Sie schaut mich mit großen Augen an. Wir nehmen keine Kreditkarte, sagt sie. Ich deute auf das American Express-Schild, auf dem groß steht We accept American Express Cards.

Nein, sagt sie, keine Kreditkarten. Doch, sage ich, und zeige nochmals auf das Schild.

Sie holt den Besitzer, von dem ich annehme, dass er ihr Ehemann ist. Ein großer korpulenter, europäisch aussehender Mann kommt heraus und auch er sagt, wir nehmen keine Kreditkarte. Ich erwidere auf Spanisch, genau das aber steht an der Restauranttüre. Ist abgelaufen, sagt der Hüne, ein Mann von vielleicht Mitte 50. Ich bestehe auf Kreditkarte, sage ich, ich habe kein Bargeld, anders kann ich nicht zahlen.

Nun gibt ein Wort, das andere. Der Disput, alles in gepflegtem Spanisch, wird lauter und lauter. Es fehlt nicht viel, und die Fäuste wären geflogen. Bis der Besitzer dann schließlich doch entnervt die Kreditkarte nimmt und sie widerwillig durch das Abrechnungsgerät der Kartenfirma zieht.

Einige Jahre später sehe ich dann meinen rabiaten Wirt wieder, diesmal auf der Leinwand, 1982 in dem Film Fitzcarraldo von Regisseur Werner Herzog. In Fitzcarraldo spielt der Gastwirt die Rolle des Orinoco Paul, des Kapitäns des Amazonasdampfers Molly Aida, einen Part, der ursprünglich mit Mario Adorf besetzt war. Nun erfahre ich, mein Restaurantbesitzer ist ein Seemann aus Hamburg, mit Namen Paul Hittscher. Paul hat über 20 Jahre alle Meere durchpflügt und sich Mitte der 70er Jahren als Gastronom in Iquitos niedergelassen und hat dort eine Einheimische geheiratet.

Mit einem ollen norddeutschen Seebär bin ich aneinander geraten, mitten im Urwald Perus! Wir hätten uns also auch auf Deutsch streiten können. Übrigens, der Betrag meines Essens bei Paul Hittscher ist von American Express nie bei mir abgebucht worden.

siehe auch: Mario Adorf, der unvollendete Amazonas-Kapitän

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Die Post vom Papst

Staat Vatikanstadt, im Juni 2008; Photo by W. Stock

Der Vatikan. Dies ist der kleinste souveräne Staat der Welt. Wenn man ihn strammen Schrittes durchquert, dann ist man nach drei Minuten durch. Ganze 0,44 Quadratkilometer misst das nationale Territorium. Kleiner ist keiner.

Über diesen Staat Vatikanstadt, so die offizielle Bezeichnung, gibt es einige bemerkenswerte Besonderheiten und Kennzahlen zu berichten. Dieser Staat hat beispielsweise die höchste Alphabetisierungsquote der Welt. Genau 100 Prozent. Es können nämlich alle ihrer circa 900 Bewohner Lesen und Schreiben. Die meisten davon gleich in mehreren Sprachen.

Auch hat dieser Staat eine eigene Bank. Wenn man zum Geldautomaten des Istituto per le Opere di Religione geht, wird man im Display in lateinischer Sprache begrüsst. Das ist einzigartig auf der Welt. Und reich ist dieser Staat, so reich an Immobilien und an Kunstschätzen, dass keiner eine genaue Summe nennen mag.

Eine Mehrwertsteuer ist schier unbekannt in dieser von Rom umschlossenen Enklave. Reklame gibt es auch nicht, jedenfalls keine für Firmen und weltliche Produkte. Ein Friseurgeschäft wird man auch nicht finden.

Aber eine Post, die existiert, und sie funktioniert sehr gut. Und vatikanische Briefmarken kann man auch kaufen. Das Postamt ist immer voller Menschen, fast alle sind Touristen.

Jetzt wird es kurios. Zwar hat dieser Mini-Staat eine Fussball-Nationalmannschaft, aber keinen Rasenfussballplatz. Deshalb wird das Team von der FIFA nicht anerkannt. Das letzte Ergebnis, ein Freundschaftsspiel, war ein 0 zu 0 gegen Monaco, einen anderen Zwergenstaat.

In diesem Staat erscheint eine eigene Zeitung, der L’Osservatore Romano, der an sieben Tagen in der Woche von Montag bis Sonntag veröffentlicht wird. Und der eine interessante Internetseite betreibt, und das gleich in mehreren Sprachen.

Es gibt allerdings kein Hotel in diesem Staat, dafür aber ein Gefängnis. Es bietet Platz für zwei Gefangene, der Knast wird aber seit Jahrzehnten als Lagerraum genutzt.

Proportional zur Einwohnerschaft verzeichnet dieser eigentlich friedfertige Staat die höchste Kriminalitätsrate der Welt. Doch die Taschendiebe und Kleinkriminelle auf dem Petersplatz kennen einen netten Trick, sich der vatikanischen Justiz zu entziehen. Die Spitzbuben schlendern 50 Meter nach links oder rechts und haben sich damit aus dem Staub gemacht – über die Staatsgrenze hinweg auf italienisches Territorium.

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Champions League hui, Bundesliga pfui!

Photo by W. Stock

Am Mittwochabend das Champions League-Spiel FC Bayern München gegen den FC Basel in der Allianz Arena. Ein flottes, unterhaltsames Match, das mit einem souveränen 3 zu 0 für die Bayern endete.

Die Münchner spielten gefällig, flott und ansehnlich. Insbesondere Spieler, die sonst nicht so im Mittelpunkt stehen, lieferten eine ansprechende Leistung ab. So Thomas Kraft, Anatoly Tymoshchuk und Diego Contento. Und endlich trat der FC Bayern als geschlossene Mannschaft auf.

Denn daran hapert es in dieser Saison. Die Mannschaft präsentiert sich nicht als Mannschaft. Und eine Ansammlung von exzellenten Solisten macht eben noch kein erfolgreiches Team. Die Mannschaften, die in der Bundesliga ganz oben stehen – Dortmund, Mainz, Leverkusen, Freiburg – überzeugen vor allem durch kompaktes Mannschaftsspiel.

Sicher besitzen Mannschaften wie Schalke, Wolfsburg, der HSV und auch Bayern die besseren Einzelspieler, aber es ist diesen Teams nicht gelungen, daraus eine Einheit zu formen. Nur wenn dies gelingt, wird der FCB aus dem Niemandsland der Bundesliga-Tabelle wieder ganz nach oben vorstossen können.

Diese Analyse soll die Verdienste in der Champions League nicht schmälern. Die europäische Bilanz der Bayern liest sich beeindruckend: Von sechs Gruppenspielen wurden fünf gewonnen. Am Mittwoch wurde der siebte CL-Heimsieg in Folge verbucht, die Torausbeute von 16 Treffern bedeutet einen neuen Vereinsrekord in einer Gruppenphase der Champions League.

Man darf sich also auf das Achtelfinale freuen, mit hohen Erwartungen. Nicht auszuschließen, dass die Champions League auf ein kurioses Finale zusteuert: Schalke 04 gegen FC Bayern München. Dann würde nämlich Europas bester Verein zwischen dem Mittelfeld und dem Abstiegskandidaten der Bundesliga ausgespielt.

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Kaffee aus Togo?

gefunden in Westerland/Sylt, im Mai 2008; Photo by W. Stock

Woher kommt der Kaffee? Kaffee aus Togo? Oder vielleicht doch aus Brasilien?

Wir wollen nicht kleinlich sein, von mir aus also: Coffeetogo. Klingt überaus apart.

Doch selbst wenn das Kaffeehaus auf Sylt die beiden Leerstellen beachtet hätte, so bleibt diese Werbung von Allegretto ein ziemlicher Kokolores.

Denn falls dieses Werbedisplay einen Coffee to go anbieten sollte, so wissen wir noch aus der Physik, dass ein Kaffee nicht gehen kann. Denn eine heiße, schwarze Brühe hat bekanntlich keine Beine und vermag sich folglich nicht selbstständig fortzubewegen.

In korrektem Englisch heißt dies natürlich – Lernstoff 6. Klasse – Coffee to take away.

Wie dem auch sei. To go, to take away. Hauptsache, es klingt Englisch und es klingt hübsch!

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Die Clavadistas von Acapulco

In Acapulco gelingt es mir, hinter der Quebrada, oberhalb des schon reichlich angejahrten Hotels El Mirador, einen kleinen Bungalow zu mieten. Ich wohne nun direkt über dem Meer, auf der Felsklippe, und des nachts höre ich das sanfte Rauschen der Brandung. Das ockerfarbene Dach meines Bungalow bildet eine erfrischende Beimischung zum Azurblau des Pazifik und auch zum saftigen Grün der Palmen. Habe ich schon einmal schöner gewohnt?

Abends, auf dem Weg vom Zócalo zu meiner neuen Bleibe, komme ich an dem Schauspiel vorbei, welches die Quebrada und damit auch Acapulco in der ganzen Welt berühmt gemacht hat.

Vier, fünf Jugendliche klettern eine steile Felswand empor, bekreuzigen sich oben angekommen vor einem kleinen Marienaltar, steigen auf einen Felsvorsprung, warten auf günstigen Wind und die richtige Welle, um sich dann, die Arme weit ausgebreitet, mit einem tollkühnen Kopfsprung 35 Meter tief in den gerade mal fünf Meter schmalen, tosenden Spalt des Pazifiks zu stürzen. Und das mit über hundert Stundenkilometern.

Ist das Supermann, fragt ein kleiner Junge seine Mutter, die beide neben mir stehen. Nein, antwortet die Frau, das sind die Clavadistas von Acapulco. Die Felsspringer von Acapulco. Dieses Ritual vor staunendem Publikum wiederholt sich einige Male am Abend, mal springen die Halbwüchsigen alleine, dann zu dritt und zum Abschluss mit brennenden Fackeln in der Hand.

Angefangen hat das Ganze in den 50er Jahren, zunächst als übermütige Tollheit einiger Jugendlicher aus den Slums. Zwei Männern verdankt das Felsspringen seinen späteren weltweiten Glanz. Da ist zum einen der Veteran der Clavadistas, Raúl García Bravo, das  Idol aller jungen Springer. Über 37.000 Mal ist er in die Tiefe gehechtet, beim letzten Sprung war er schon Mitte 60. Und dann muss man Teddy Stauffer nennen, den hierhin emigrierten Schweizer Swingmusiker und Mister Acapulco, der das touristische Potential des Spektakels erkannte und der die Clavadistas als Manager des in den Fels gebauten La Perla Nightclubs zum Markenzeichen dieser Stadt machte.

Ich habe vor dreißig Jahren die Felsspringer zum ersten Mal bestaunt, als das Gelände noch nicht abgeriegelt war und man sich noch keine Eintrittskarte ziehen musste. Bei meinen späteren Besuchen war das Schauspiel dann schon, leider, leider, als kalte Touristenfalle angelegt. Vollgestellt mit Bussen, die Menschen von den Kreuzfahrtschiffen oder sonstwoher herankarrten, alles straff durchorganisiert, auf Effekt gepolt, ganz ohne Herzblut.

Das scheint die Logik der Zeit, so wie die Schönheit mit den Jahren ihre Unschuld verliert. Darauf nun wirklich einen Johnnie Walker.

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Hemingways „La Finca Vigía“

San Francisco de Paula/Kuba, im April 1983; Photo by W. Stock

Eine halbe Autostunde von Havanna entfernt hat Ernest Hemingway über zwanzig gute Jahre gelebt. In dem Nest San Francisco de Paula war er weit weg vom oberflächlichen Leben der Intellektuellen in New York, von dem Partygegacker in London und dem aufgeblasenem Getue seiner Altersgenossen in den literarischen Salons von Paris.

Wenn man die Landstrasse hinter San Francisco de Paula nach links abbiegt, so erhebt sich auf einem Hügel hinter dichtem Waldgestrüpp ein milchweißes Landhaus. Auf Finca Vigía war Ernest Hemingway der Natur nahe. Ich empfinde eine große Zärtlichkeit und Bewunderung für die Erde und keine Spur davon für meine Generation.

Martha Gellhorn, seine Ehefrau Numero drei, hatte La Vigia ausfindig gemacht, und 1939 war das Paar zur Miete eingezogen. Später kaufte der Dichter die Finca für 18.500 kubanische Pesos. In La Vigia verbrachte Hemingway das letzte Drittel seines turbulenten Lebens, es sollten heitere und angenehme Jahre werden.

Aus seiner besten Manneszeit heraus, kapselte sich Hemingway mehr und mehr von der Welt ab. Aus dem Abenteurer wurde ein Familienmensch, der mit seinen Söhnen gerne auf dem türkisblauen Wasser der Karibik segelte.

Von 1939 bis 1960 lebte Hemingway in der eingeschossigen Finca La Vigia, die im 19. Jahrhundert als spanische Zitadelle erbaut worden war. Hinter dem Wald aus Caña-Bäumen und durch eine üppige Vegetation aus Palmen, Avocadobäumen, grünen Farnsträuchern und Bougainvilleen befindet sich das flache Herrenhaus mit dem aufrechten Turmbau.

Im Wohnzimmer hängt das imposante Stierkampfposter Roberto Domingos an der weißen Wand, daneben zwei Hirschgeweihe. In der Ecke steht eine Zeitschriftenbox mit vergilbten Newsweek– und Spectator-Ausgaben. Whisky- und Ginflaschen, Campari, Tequila und Tom Collins recken auf dem Wohnzimmertisch die Hälse.

Der Stil des Hauses verbindet lässig karibische Lebensfreude mit amerikanischer Weltläufigkeit. Der Tisch inmitten des Esszimmers ist mit Tellern und Gläsern fertig gedeckt. So, als erwarte man jeden Augenblick die Rückkehr des Hausherrn. Verlassen steht auf dem kargen Bücherbord im Schlafzimmer eine schwarze, verrostete Royal-Reiseschreibmaschine. Sein ehemaliger Benutzer bevorzugte im Stehen, aufrecht, zu schreiben. Autoren sollten stehend an einem Pult schreiben, meint er, dann würden ihnen ganz von selbst kurze Sätze einfallen.

Dem Haus angeschlossen ist der dreistöckiger Turm. Er war 1947 angebaut worden, damit der Autor dort in aller Ruhe Schreiben konnte. Ich lebe gerne hier, pries Hemingway in einem Holiday-Artikel 1949 sein kubanisches Refugium, weil ich im frischen Morgenklima besser und bequemer schreibe und weil man hinter die Telefonklingel ein Stückchen Papier klemmen kann.

Auf Kuba suchte er Harmonie und Ruhe. Hier schloß er Frieden mit seiner Kühnheit und der Virilität des Lebens, hier war er ein Mensch in Shorts und ohne grosses Brimborium, hier war er der Vater der Kinder und der Mann der Frau. Hier war Ernest Hemingway nicht der gefeierte Autor, auch nicht der Nobelpreisträger, sondern der Mann, den man Papa rief und den die Bewohner schlicht und einfach Don Ernesto nennen.

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Arnett Cobb – der Saxophonist, der nicht gehen kann

Den Haag, im Juli 1978; Photo by Volker Wagner

In der Rückschau fragt man sich, welches denn der schönste Jazz-Song war, den man je im Konzertsaal erleben durfte. Da könnte ich einige aufzählen. Der allerschönste Jazz-Moment, live und heftig, jedoch fällt mir sofort ein. Es ist Sommer, ein Juli im Jahr 1978.

Arnett Cobb, ein Tenorist mit einem dunklen, erdigen und vollen Ton, der auch The wild man from Texas genannt wird. Ein Autounfall hat ihm in den 50er Jahren beide Beine zertrümmert, so dass er sich nur noch auf Krücken fortbewegen kann.

Nun steht dieser Mann, von Krankheit gezeichnet, fröhlich auf der breiten Bühne, zwischen zwei Krückstöcken eingehängt. Er hebt das wuchtige Tenorsaxophon, und bläst so, als ob der Teufel hinter ihm her sei. Und wahrscheinlich ist der Teufel ja wirklich hinter ihm her.

Man spürt, dieser Arnett Cobb bläst um sein Leben, er bläst gegen die verdammte Krankheit, gegen die Krücken und er bläst gegen den Tod. Da kommt eine Menge zusammen.

Arnett Cobb is back nennt er trotzig seine Schallplatte aus dem Jahr 1978. Und das ist er jeden Abend, bei jedem Konzert. Er ist zurück, oder besser, er ist noch da, dieser lyrische Tenor mit seinem ruppigen Ton.

Ihm zur Seite an diesem Abend, Lionel Hampton, der Meister des Vibraphons, einer der ganz Großen der Swing Ära. Schon seit 1942 musizieren sie zusammen. Sie spielen einen langsamen Song, eine Ballade, ich glaube es war Misty von Erroll Garner.

Nur die beiden. Tenorsaxophon und Vibraphon. Alleine auf der Bühne. Misty. Unerreicht. Es ist ganz still im Saal. Der Song vollendet ein Leben. Arnett Cobb ist jetzt ganz nahe bei Gott.

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