Notizen und Anmerkungen von unterwegs

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In der Hemingway Bar

Photo by W. Stock

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Vor einiger Zeit in der Hotelbar des Vier Jahreszeiten in Starnberg. Eine offene, in dunklem Mobiliar gehaltene einladende Bar mit Tresen, ein schwarzer Flügel in der Ecke zur Fensterfront. Auf einmal sehe ich an der Wand über dem Kaminsims ein riesiges goldgerahmtes Foto des jungen Hemingway.

Warum hängt Hemingway hier, wende ich mich an die junge Barkeeperin. Die Bar heißt so, ist die verblüffend einleuchtende Antwort. Ob sie Hemingway gelesen habe, frage ich. Die Barkeeperin, vielleicht Mitte Zwanzig, kommt aus Dresden und meint, in der DDR habe man Hemingway nicht groß gekannt.

Für einen Augenblick versinke ich in der Vorstellung, was so ein linientreuer Kulturbonze der SED wohl von Ernest Hemingway gehalten haben könnte. Vermutlich hätte er gesagt, wenn er etwas Grips im Hirn gehabt hätte, der Kerl war schon auf der richtigen Seite. Im Spanischen Bürgerkrieg, auf Kuba, nicht aktiv, nicht als militanter Unterstützer, wohl aber intuitiv, aus dem Bauch heraus.

Andererseits war er ein bourgeoiser Lebemensch, der den Genüssen des Lebens zugetan war. Ein Alkoholiker, ein Weiberheld, politisch ein Naivling, also kurz, ein unsicherer Kantonist. Der Mann sei im Grunde genommen unzuverlässig und unberechenbar, hätte der kommunistische Politkommissar wohl in sein Dossier geschrieben, also gefährlich für die Sache des Sozialismus.

Zum Ende meint die ostdeutsche Barkeeperin im Vier Jahreszeiten noch, sie habe auch einen Hemingway Rum. Ob ich den mal sehen könnte, frage ich. Sie holt zwei Flaschen aus der Anrichte hinter ihr. Einen weißen und einen brauen extra viejo. 40 Prozent, Ron Hemingway steht auf der Flasche. Auf dem Etikett prangt ein Foto des bärtigen Literaten. Der 7 Jahre alte Rum hat ein ausgeprägtes, würziges Aroma. Der Ron Hemingway kommt allerdings nicht aus Kuba, sondern aus Kolumbien.

Schade. Denn die kubanischen Genossen haben sich ein entspanntes Verhältnis zum naiven und unsicheren Kantonisten bewahrt. Denn vielleicht zählt am Ende des Tages nicht, ob ein Mensch konservativ oder fortschrittlich, ob er reich oder arm ist. Vielleicht teilen sich die Menschen zu guter Letzt in sympathisch oder unsympathisch. Jedenfalls nach dem dritten Glas Rum.

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Die Clavadistas von Acapulco

In Acapulco gelingt es mir, hinter der Quebrada, oberhalb des schon reichlich angejahrten Hotels El Mirador, einen kleinen Bungalow zu mieten. Ich wohne nun direkt über dem Meer, auf der Felsklippe, und des nachts höre ich das sanfte Rauschen der Brandung. Das ockerfarbene Dach meines Bungalow bildet eine erfrischende Beimischung zum Azurblau des Pazifik und auch zum saftigen Grün der Palmen. Habe ich schon einmal schöner gewohnt?

Abends, auf dem Weg vom Zócalo zu meiner neuen Bleibe, komme ich an dem Schauspiel vorbei, welches die Quebrada und damit auch Acapulco in der ganzen Welt berühmt gemacht hat.

Vier, fünf Jugendliche klettern eine steile Felswand empor, bekreuzigen sich oben angekommen vor einem kleinen Marienaltar, steigen auf einen Felsvorsprung, warten auf günstigen Wind und die richtige Welle, um sich dann, die Arme weit ausgebreitet, mit einem tollkühnen Kopfsprung 35 Meter tief in den gerade mal fünf Meter schmalen, tosenden Spalt des Pazifiks zu stürzen. Und das mit über hundert Stundenkilometern.

Ist das Supermann, fragt ein kleiner Junge seine Mutter, die beide neben mir stehen. Nein, antwortet die Frau, das sind die Clavadistas von Acapulco. Die Felsspringer von Acapulco. Dieses Ritual vor staunendem Publikum wiederholt sich einige Male am Abend, mal springen die Halbwüchsigen alleine, dann zu dritt und zum Abschluss mit brennenden Fackeln in der Hand.

Angefangen hat das Ganze in den 50er Jahren, zunächst als übermütige Tollheit einiger Jugendlicher aus den Slums. Zwei Männern verdankt das Felsspringen seinen späteren weltweiten Glanz. Da ist zum einen der Veteran der Clavadistas, Raúl García Bravo, das  Idol aller jungen Springer. Über 37.000 Mal ist er in die Tiefe gehechtet, beim letzten Sprung war er schon Mitte 60. Und dann muss man Teddy Stauffer nennen, den hierhin emigrierten Schweizer Swingmusiker und Mister Acapulco, der das touristische Potential des Spektakels erkannte und der die Clavadistas als Manager des in den Fels gebauten La Perla Nightclubs zum Markenzeichen dieser Stadt machte.

Ich habe vor dreißig Jahren die Felsspringer zum ersten Mal bestaunt, als das Gelände noch nicht abgeriegelt war und man sich noch keine Eintrittskarte ziehen musste. Bei meinen späteren Besuchen war das Schauspiel dann schon, leider, leider, als kalte Touristenfalle angelegt. Vollgestellt mit Bussen, die Menschen von den Kreuzfahrtschiffen oder sonstwoher herankarrten, alles straff durchorganisiert, auf Effekt gepolt, ganz ohne Herzblut.

Das scheint die Logik der Zeit, so wie die Schönheit mit den Jahren ihre Unschuld verliert. Darauf nun wirklich einen Johnnie Walker.

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Carlos Gardel singt jeden Tag besser

Photo by W. Stock

Buenos Aires, im Januar 1988

Der Gott der Porteños ist schon lange tot. Genauer gesagt, seit 1935, als er bei einem Flugzeugabsturz in Medellín ums Leben kam. Und doch scheint dieser Tote lebendiger zu sein als so mancher in dieser Stadt.

Man kann ihn nicht übersehen in Buenos Aires. Sein Foto baumelt wie eine Duftkerze in den Taxis, er klebt als Postkarte in der Kante des Friseurspiegels oder man betritt eine U-Bahn-Station, die seinen Namen trägt.

Und das riesige weiße Mausoleum des Tangosängers auf dem Chacarita-Friedhof ist eine Pilgerstätte, die mit allerlei Devotionalien der Ehrerbietung bestückt ist und stets von Bewunderern umlagert wird. Cada dia canta mejor, wohl wahr, mit jedem Tag singt er besser, steht als Losung auf einem goldenen Schild.

Carlos Gardel gilt in Buenos Aires als Gott des Tangos, was wahrscheinlich aber untertrieben ist. Denn eher ist er Gott, Jesus und Moses in einer Person. Wen sollte man hier sonst verehren? Die Politiker? Korrupt bis auf die Knochen. Manager? Schmierig und gierig. Schauspieler? Ziemlich bedeutungslos. Nein, nein, der Tango, diese traurige und doch irgendwie trotzige Musik eignet sich wunderbar, die unaufhörlich platzenden Träume des argentinischen Bürgers zu beklagen.

Der Tango, der um die Wende zum 20. Jahrhundert in den Matrosenkaschemmen des La Boca-Hafenviertels entstanden ist, beschreibt die melancholische, teils resignative, aber auch stolze Haltung der sozial Benachteiligten. Im Tango klagt der kleine Mann über seine Not und das Schicksal, das es nicht gerade gut mit ihm gemeint hat. Der Tango jammert über das fehlende Geld und den verbleichenden Glanz der Schönheit, über den Krach mit einer Frau, die Bitternis einer nicht erhörten Liebe.

Auf die Kernbotschaft verdichtet, beschreibt der Tango das erschreckte Aufwachen aus einem schönen Traum. Wie das Erwachen aus dem Traum vom Reichtum, der Illusion von Liebe und dem Traum, der zwischen Geburt und Tod liegt. Der bekannte Gardel-Tango Adios Muchachos ist so eine typische wehmütige und bockige Abrechnung mit dem hiesigen Leben, in der Botschaft ähnlich wie Frank Sinatra My Way singt. Und bei beiden könnte es auch heißen: Lebt wohl, Ihr Scheißkerle, ich mach mich davon, und Ihr dürft mich mal alle mal kräftig!

Sicherlich ist der Tango ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann. Noch mehr ist er aber ein stummer Dialog zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Mann und Frau, zwischen Nähe und Fremdheit. Für die Argentinier als Nation drückt der Tango den kollektiven Wunsch nach Geborgenheit und Heimat aus, eine Träumerei, die von der Wirklichkeit so schändlich hintertrieben wird. Und es ist der tote Carlitos, der von dieser Utopie singt. Mit jedem Tag besser.

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The Great Hall of the People

Peking, den 15. Mai 2007

Eine offizielle Einladung zum Galadinner in die Große Halle des Volkes. Das ist das Herz der chinesischen Herrschaft, die Volkskongresshalle, ein Panoptikum des chinesischen Kommunismus. Hier finden die Parteitage der Kommunistischen Partei Chinas statt, der nationale Volkskongress, hier werden ausländische Gäste empfangen.

In dieser Great Hall of the People findet heute Abend der Höhepunkt des Verlegertreffens der FIPP statt. Eine Polizeieskorte hat die Strassen abgesperrt und bringt unsere Busse zur Halle. Eigentlich ist die Große Halle des Volkes für das Volk schwer zugänglich und wir sind in gespannter Erwartung.

Die Halle, 1958 erbaut, befindet sich an der Westseite des Tiananmen-Platzes. The Great Hall of the People ist ein im klassizistischen Stil errichteter Monumentalbau, wie er dem Diktatoren-Geschmack weltweit so entspricht.

Auf dem Tiananmen-Platz proklamierte Mao am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China, und hier wurden am 4. Juni 1989 mehr als 2.600 studentische Protestanten von Soldaten nieder gemetzelt. Tor des Himmlichen Friedens heißt das Ganze auch manchmal. In der Mitte des Platzes darf man das Mao-Mausoleum bewundern und zugleich eine merkwürdige Eigenart von Diktatoren: sich für die Nachwelt ausstopfen zu lassen.

Um in die Halle des Großen Volkes zu gelangen, schreitet man eine wuchtige Außentreppe hinauf und gleich hinter dem schwarzen Eingangsportal erfolgt eine gründliche Sicherheitskontrolle wie am Flughafen. Metallische Gegenstände werden in eine Plastikbox gelegt und der Mensch geht durch den Detektorbogen. Taschen verboten, Fotokamera verboten, Tonband verboten.

Das innere des Monumentalbaus überzeugt, wie bei Mussolini und Stalin, durch diktatorische Einschüchterungsarchitektur. Hohe Decken, wuchtige Säulen, breit gezogene Treppen, monumentale Räume. Hier haben Mao, Zhou, Deng und Genossen das Auf und Ab des Milliardenvolkes beschlossen und beschließen lassen.

Das Bankett findet in einem riesigen Saal an gesetzten Tischen statt. Die 900 Verleger werden an jeweils 12-Personen-Tischen rund um eine breite Bühne verteilt. Auf der Bühne das übliche Potpourie Chinas: ein bisschen Peking-Oper, ein wenig Pop-Schmalz und etwas Akrobatik. Anschließend Grussworte, so wie Grussworte halt zu sein pflegen. Eine zierliche, hübsche Dame, die man vor ein paar Stunden noch in TV sehen durfte, moderiert perfekt in Englisch und Mandarin.

Jeder Tisch hat seine eigene Bedienung. Nach und nach bringen die Kellner Spitzengerichte chinesischer Provenienz: Muschelsalat, Garnelen, Rindfleisch, Huhn, alles dargereicht mit feinen Variationen delikater Saucen. Dazu besten Wein von in- und auswärtigen Reben. Die Verlegerkollegen an meinem Tisch, aus USA, Indien, Korea und Indonesien waren angetan. Hübsch die Zahnstocher, eigens für die Great Hall of the People konfektioniert. Ich habe einige davon mitgehen lassen, ebenso wie die Speisekarte.

Das ist das einzige was ich mitgenommen habe. Nun ja, auch einige luzide Eindrücke zu Architektur und Politik natürlich.

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B. Traven versteckt sich in Acapulco

Ein sonniges Plätzchen für schattige Winkelzüge. In Acapulco hält sich B. Traven ab 1930 versteckt, wo er ein kleines Landhaus mit einen großen Obstgarten außerhalb des Zentrums bewohnt. El Parque Cachú an der Avenida Costa Grande 901 ist ein mit vielen Bäumen und Gestrüpp bewuchertes Landhaus an der Strasse nach Pie de La Cuesta.

Die heute heruntergekommene Obstplantage liegt an einer vielbefahrenen Ausfallstrasse Acapulcos, weit weg von den imposanten Hotels und der azurblauen Bucht. Eine Holzgittertüre, vom Staub der Strasse und der schwülen Tropenhitze angefressen, verdeckt den Blick auf das einfache Ziegelhaus.

Es ist, wie in diesen Breiten üblich, ein bescheidenes eingeschossiges Bauwerk mit einem flachen Dach und einfachen Klappfenstern. Das Haus wurde ohne jeden Schnörkel symmetrisch auf einer kleinen Anhöhe gebaut, zu der die Dutzend Steinstufen einer kleinen Treppe führen. Um das Gebäude herum gruppiert sind Mangobäume und vor allem zahlreiche Nussbäume, die der Huerta den Namen geben.

Der Autor von El Tesoro de la Sierra Madre – Der Schatz der Sierra Madre – lebt im Parque Cachú mit einer jungen indianischen Frau zusammen, Maria de la Luz Martínez, die Besitzerin der Obstplantage ist. Maria und ihre Schwester Elva betreiben im Parque ein kleines Gartenrestaurant, das den Geschwistern und ihrem Mitbewohner Traven, insbesondere in den Kriegsjahren, als aus Europa nur geringe Tantiemezahlungen fließen, den Lebensunterhalt garantiert.

In Acapulco erhält Traven auch seinen ersten mexikanischen Personalausweis. Gastwirt trägt Traven in manchen Lebenslauf als Berufsbezeichnung ein, und in diesen Jahren sollte dies ausnahmsweise dann annähernd den Tatsache entsprechen.

Traven arbeitet viel im Obstgarten, ansonsten schreibt er in seiner oficina an seinen Romanen. Wie ein Einsiedler ohne jeden tieferen Kontakt lebt der kauzige Mann in diesem sonnigen, verfallen wirkenden Gartenhaus in Acapulco und die Nachbarn nennen den drahtigen, kleinen grauen Mann El Gringo.

Acapulco ist damals noch lange nicht der mondäne Badeort späterer Jahre, keine Jetset-Destination, sondern ein armes, verlassenes Fischernest am Pazifik mit gerade mal 8.000 Einwohnern. Und im heiteren Acapulco kann man sich höchst angenehm verstecken.

Der geheimnisumwitterte Schriftsteller lebt in Acapulco unter dem Namen Berick Traven Torsvan, was einerseits seine Identität ausreichend camoufliert, ihn anderseits noch in die Lage versetzt, Honorare für einen B. Traven anzunehmen. Postfach 49, Acapulco, Guerrero, México – das bleibt seine einzige Verbindung zur Welt nach draußen.

Auch während der Zeit des Zweiten Weltkriegs bleibt er in dem idyllischen Pazifikstädtchen untergetaucht. Dies besitzt den charmanten Nebeneffekt, dass er den nun zahlreichen deutschen Emigranten, die es nach Mexiko City verschlägt, nicht über den Wege laufen muss. Egon Erwin Kisch, der rasende Reporter, beispielsweise macht sich auf die Suche nach seinem schreibenden Kollegen, von dem er weiß, dass er der frühere Münchner Revolutionär Ret Marut sein muss.

Ein Flüchtiger auf der Flucht vor Flüchtlingen, merkt der Traven-Biograf Karl Guthke spitz an. Aber B. Traven versteckt sich unbeirrbar viele, viele Jahre in seiner Huerta und in diesen beiden Jahrzehnten hier in Acapulco schreibt der deutsche Autor ein halbes Dutzend detailreicher Romane über tapfere Campesinos, darbende Indios und feiste Hacendados. Also, über Mexiko.

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Jawoohl, Jahaaz Yatra

Jazz Yatra

Jazz Yatra, Mumbai/India, im Februar 1982; Photo by W. Stock

In Bombay, das heute Mumbai heißt, hole ich bei Niranjan Jhaveri die Pressekarten für das Jazz Yatra Festival ab. Niranjan bittet mich zu Tisch und so esse ich bei den Jhaveris zu Mittag. Yatra ist Sanskrit und beschreibt im Hinduismus die Wallfahrt an geheiligte Orte. Eine hübsche Metapher für den Jazz.

Die Familie wohnt in einem Condominium am Kher Marg etwas außerhalb der Stadt. Niranjan, Generalsekretär von Jazz India und Manager des Yatra Festivals, hat sich wie kein zweiter um den Jazz in Indien verdient gemacht. Gleichzeitig ist er auch ein hervorragender Journalist und Dozent in Sachen moderne westliche Musik.

Zwischen dem Jazz und Indien gibt es einige interessante Berührungspunkte. So wilderten beispielsweise Ravi Shankar und der Altsaxophonist Bud Shank und Don Ellis im jeweils anderen Revier. Dabei galt die einfache Devise: Der Rhythmus eint, die Melodie trennt.

Eine indisch-jazzige Fusion mit Erfolg gründeten John McLaughlin und der indische Violinist Laxminarayan Shankar. Der Name dieser Gruppe: Shakti. Auch sie tritt beim diesjährigen Jazz Yatra auf.

Am Abend dann auf dem Festivalgelände. Der legendäre Radiomann Willis Conover aus den USA hat als Master of Ceremony abgesagt und nun übernimmt der lustige Terry Isono den Part als M.C.. Wenn der Japaner John Coltranes A Love Supreme ansagt, dann sagt er A Love Supleme. Das Programm ist nett bis obernett und immer wenn es rockig wird, springt das Publikum von den Stühlen auf.

Der Pianist Billy Taylor, der Flötist Herbie Mann aus den USA. Dann der deutsche Saxophonist Ernst-Ludwig Petrowsky, das ist raubeiniger Free Jazz aus der DDR. Dazu Jazz plus Indien mit Shakti. Ein solches Festival in der Dritten Welt muss mit beschränkten Finanzmitteln arbeiten. Damit hängt eine solche Veranstaltung am Tropf des Auswärtigen Amtes, des Goethe-Instituts oder der amerikanischen Kulturförderung. Aber dies muss das schlechteste ja auch nicht sein.

Niranjan kümmert sich rührend um die Journalisten. Manche schreiben fleißig, andere rauchen ihr Pfeifchen. Das Festival findet im Mumbais Zentrum statt, direkt neben einer belebten Tangente. Was allerdings den Vorteil besitzt, dass man schnell über die Strassenbrücke in ein populäres Restaurant huschen kann, um ein Lamb Masala zu verdrücken.

An den vier Tagen des Festivals schwebt die Frage in der Luft, ob der Jazz in einem bitterarmen Land wie Indien denn seinen Sinn macht. Welch arroganter Gedanke! Mehr als 20.000 begeisterte Zuhörer geben auf diese abwegige Frage die gebührende Antwort. Übrigens, 20.000 im Beat kräftig mitgehende Besucher.

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Puerto Marqués – Acapulcos kleine Schwester

Photo by C. Stock

Puerto Marqués, im April 1992

La Bahia de Puerto Marqués, zwanzig Minuten südlich von Acapulco gelegen, ist nicht so hektisch und auch nicht so laut wie Acapulco. Hier zeigt sich der Strand auch nicht mit Hotels oder Hochhäusern zubetoniert, vielmehr genießt der Besucher, umgeben von einfachen Holzhütten, die freie Sicht auf die blaue Bucht.

Die Wirte der kleinen Restaurants bieten auf offenem Grill frische mariscos an, Meeresgetier, und ein kühles Corona-Bier. Besonders das Ceviche mundet, ein marinierter Fischsalat, der mit Limonensaft abgeschmeckt wird.

In Puerto Marqués, nicht durch hohe Palmen oder Bauten geschützt, brennt die Sonne stärker und intensiver als in der Stadt. Das Thermometer steigt schnell auf 40 Grad im Schatten, aber viel Schatten findet sich hier nicht.

Die Hitze des Tages droht einen förmlich umzuwerfen. Man schlafft ab, der Schweiß tritt aus und es scheint so, als ob das alte Leben wie in einem Saunarium den Körper hinunter gerinnt.

Diese Schwüle löst darüber hinaus einen erotisierenden Reflex aus mit einer spürbaren Allgewalt auf alle Körperlichkeit. Man wird schnell übermütig und draufgängerisch unter Mexikos Sonne.

Hier erwacht auch das Verlangen, den eigenen Körper zu spüren. Plötzlich zeigen Amerikaner, Europäer und andere Bleichgesichter jene elementare Lust, in Shorts zu schlüpfen, sich ein einfaches T-Shirt überzuziehen und den feinkörnigen, weißen Sand des Strandes an den nackten Füßen zu spüren. Es sind jene, die man in früheren Tagen beachcomber nannte, Menschen, die froh sind endlich ohne Schlips und Kragen ins richtige Leben springen zu dürfen.

Schlagartig erblickt so mancher im Geist Getrübter, der eigentlich nur der Kälte und der Beengtheit seiner Heimat weglaufen wollte, hier in Puerto Marqués diesen unglaublich blauen und erhabenen Himmel. Spätestens jetzt siegt die Bereitschaft, sich dem Leichtsinn dieses Fleckchens am Pazifik hinzugeben.

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Armes Glück in Anuradhapura

Photo by W. Stock

Anuradhapura, im Dezember 1981

Wenn man von Colombo in den Norden der Insel reist, so scheint des Weges die Zeit still zu stehen. Auf Sri Lanka läuft der Alltag einem einfachen, archaischen Rhythmus entlang. Bisweilen gewinnt man den Eindruck, die Uhr sei um einhundert Jahre zurück gedreht. Die Infrastruktur rührt zum großen Teil noch aus der britischen Kolonialzeit her, das Denken wird von einem noch wenig säkularisierten Buddhismus geprägt.

Die buddhistischen Tempelstätten von Anuradhapura, das lange Zeit Königsstadt gewesen war, dürfen nur ohne Schuhe besucht werden. Wie wahr, an den Schuhen klebt der Schmutz dieser Welt.

In meiner Stammkneipe streunt freudig vor meinen Füßen eine fette Ratte. Werde morgen wiederkommen, der Milo für zwei Rupien ist einfach köstlich. Am Nachmittag fragt mich ein Limoverkäufer, was ich in Germany so im Monat verdiene.  Ich sage, vielleicht so 30.000 Rupien. Er mag es nicht glauben. Er dürfte auf 300 Rupien kommen. So hoch ist auch der Betrag, den die konservative UNP-Regierung als Sterilisationsprämie zahlt.

Die United National Party ist an der Macht und die Sri Lankan Freedom Party SLFP von Frau Bandaraneike spielt die Opposition. Welche Berechtigung ein solcher Sozialdemokratismus in einem Land wie Sri Lanka haben kann? Als Nachhilfeunterricht für rosa Politiker empfehle ich, sich des Abends am Busbahnhof die endlosen Reihen ausgemergelter Bettler anzusehen.

Trotz allem, hier hegt man mehr Respekt vor dem Alter als in Westeuropa. Das Wort Altersheim existiert im Singhalesischen nicht. Auch die Kinder werden verehrt. Verrückte Welt. Sri Lanka hat eine hohe Kindersterblichkeit, aber ich habe selten so viele lachende Kinder gesehen wie hier.

Die Leute leben am Abgrund, so scheint es, pfeifen aber ihr fröhlich Lied. Vielleicht weil Armut und Reichtum nur relative Größen sind? Oder weil Reichtum, wie die Religion meint, nur beschwert? Bei der Heimkehr erwartet mich mein Vermieter, der Dorflehrer, an der Pforte. Wir haben uns schon Sorgen gemacht, so spät. Everything is allright, Sir – lache ich – good night.

Am Nachmittag nehme ich den Zug nach Talaimannar. Die Ceylonesen zelebrieren eine hohe Gastfreundschaft: Mein Teacher kommt eigens zur Verabschiedung an den Bahnsteig. Im Zug nach Talaimannar eine lankanesische Familie, deren 10jähriger Sohn in den USA aufgewachsen ist und dolmetscht. Was man denn in Deutschland so esse, will die Familie wissen, auch Reis, Curry und Mais? Nein, McDonald’s versuche ich es mit leiser, ironischer Kulturkritik. Oh, stöhnt mein kleiner Übersetzer voller Verzweiflung, das kennen die hier nicht.

Nach vier Stunden Bummelfahrt Ankunft in Talaimannar. Ein gottverlassenes Nest ohne Strom und fließend Wasser, umrahmt von ein paar holzverfaulten Fischerbuden. Das Schiff nach Indien wird erst morgen früh um 9 Uhr ablegen und so suche ich nach einer Unterkunft. Das Beherbergungsmonopol in diesem von Passagieren überlaufenen Fischerdorf haben ein paar Lodgen neben der Pier, wo das Doppelzimmer 38 Rupien kostet. Hier funktionieren weder das Licht noch die simpelsten Gesetze des Kapitalismus. In einer Fischerkneipe esse ich zu Abend ein scharfes Fisch-Curry, neben einer Petroleumfunzel.

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Acapulco: Die sonnige Bucht des Fidel Castro

Photo by W. Stock

Acapulco, im April 1992

Goin‘ loco down in Acapulco. Man wird schnell verrrückt hier, rasch schnappt man über vor lauter Sinnenfreude und Lebenslust. Der liebe Gott hat damals einen guten Tag erwischt, als er daran ging, der Natur die Reichtümer zu zuweisen. Und bei diesem Landstrich im Westen Mexikos zeigte er sich dann überaus großzügig.

An Mexikos blauer Pazifikküste herrscht ewiger Hochsommer. Herbst und Winter sind unbekannte Phänomene. Der Frühling findet an einem Märznachmittag statt. Um die 16 Kilometer langgezogene, sichelförmige Bucht hat man in den letzten Jahren riesige Hochhäuser und bombastische Luxushotels aufgestellt, die wie ein feines weißes Gebiss in den azurfarbenen Himmel ragen.

Entlang der Costera fallen vor allen von November bis Februar die Touristen aus aller Welt in Scharen ein und breiten sich tagsüber aus auf den feinkörnigen Sandstränden mit den Palmenbäumen, die auch nur wenig Schatten spenden mögen.

Am nördlichen Ende der sonnigen Bucht beginnt Acapulco tradicional, das Acapulco der Mexikaner, mit dem pittoresken Fischerhafen, den günstigen Restaurants und der kleinen Kathedrale Nuestra Señora de la Soledad. In der Gegend um den Zócalo, den Hauptplatz, herrscht wie jeden Tag ein reges Treiben.

Die Männer im Café neben dem Kirchenhaus stoßen lauthals mit ihren schlanken Coronaflaschen an, im Denny’s verdrücken die jungen Burschen der Stadt noch eine Hamburguesa, während sie mit ihren Freundinnen einen erwartungsvollen Blick in die Novedades auf die Seite mit dem Kinoprogramm werfen. Und kurze Zeit später sieht man das junge Liebespaar verstohlen ins Dunkel des Kinotheaters huschen.

Die wuchtige Schwüle der Tropen drückt auf die ganze Stadt und ihre Bewohner. Dieser Ort besitzt aphrodisierende Wirkung, weshalb auch immer, und so lässt sich manch einer zu ziemlichen Verrücktheiten verführen. Und dieses Goin‘ loco meint dann auch, der Verstand setzt aus, man wird ein anderer Mensch, oder vielleicht, man wird endlich zu dem Menschen, der man immer sein wollte.

In diesem aufregenden Acapulco zählt auch nicht die Zeit. Die endlose Sonnenglut lässt nicht nur jeden deutlichen Klimabefund, sondern auch jedes ordentliche Zeitmaß zerrinnen. Dementsprechend besitzt die Vergnüglichkeit der Menschen und die Lebendigkeit dieser Stadt sowohl Gleichmaß als auch Unvergänglichkeit.

Die Acapulqueños gehören zu einem Menschenschlag, der von Sonne und Meer verwöhnt, das Leben in all seiner Lust, in all seiner Unbeschwertheit und all seinem Wohlbehagen auszuleben versteht. Dazu gehört die lockere Extrovertiertheit ebenso wie diese spürbare Sinnenfreude.

Wer erfand eigentlich dieses schöne Acapulco von heute? Die Antwort auf diese Frage mündet in einer netten Fussnote der Zeitgeschichte. Zwei – und zwar zwei sehr unterschiedlichen – Männern gebührt das Verdienst, Acapulco zum reizvollen Seebad gemacht zu haben. Da ist zum einen Teddy Stauffer, der emigrierte Swingmusiker und Mister Acapulco, der halb Hollywood nach Aca holte.

Und die zweite Person heißt Fidel Castro. Denn dessen Revolution von 1959 sagte finito auch zu amerikanischen Touristen und Nachtschwärmern in Havanna. Der Jetset musste weiter ziehen und nach einem anderen lustvollen Hot Spot im Süden Ausschau halten. Und es fand sich: Acapulco. The sunny side of life. Auch hierfür muss man Fidel Castro dankbar sein.

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Wong Kei – Londons Kaiser von China

Photo by W. Stock

Wenn ich in London bin, versuche ich, wenn es irgend geht, meinen Weg hier hin zu lenken. Schnurstracks nach Chinatown, am besten um die Mittagzeit, zu Wong Kei. Seit ich das erste Mal – noch als junger Student – dieses chinesische Restaurant entdeckte, komme ich regelmäßig wieder. Denn Wong Kei ist für mich der Kaiser von China – natürlich kulinarisch gesprochen.

Dabei glänzt Wong Kei nicht unbedingt als Edelgastronom. Im Gegenteil. Schon Adresse und Äußeres genügen nicht gerade großbürgerlichen Ansprüchen. Wong Kei residiert am westlichen Ende von Chinatown in der Wardour Street, dort wo schwere Jungs und leichte Mädchen nicht fern sind. Die Fassade, nun ja, ein wenig in die Jahre gekommen. Die Pariser Schauspielerin Sarah Bernhardt hat den Grundstein des Hauses gelegt. Man schrieb das Jahr 1904. So mag sich einiges erklären.

Etwas robust wird dem Hungrigen am Eingang bedeutet Cash only – no credit cards. Wenn man dann über die Schwelle tritt, wird man von einem ruppigen Keller angebafft, how many people und flugs an einen der eh schon vollen Tischen gesetzt.

Auf drei Etagen wird eingedeckt, in Parterre, wo der Ton am härtesten ist, dann im Keller und im ersten Stock. Das Restaurant ist einfach ausgestattet, vielleicht auch nicht das sauberste. Wenn man an einem Tisch Platz nimmt, bekommt man zuerst und ungefragt den heißen Haustee serviert. Ob es Cola gibt, ich vermag es nicht zu sagen. Bisher habe ich mich nie getraut, zu fragen.

Wenn jedoch nach dem obligaten Tee dann das Essen kommt, dann sind bröselnde Hausfassaden, bellende Kellner und unwirsche Kommandos wie ausradiert. Denn das Essen des Wong Kei schmeckt göttlich, es scheint von einem Kaiser der Küche gesandt.

Meist bestelle ich eine Wan Tan Soup und ein Lemon Chicken. Ein solches Lemon Chicken bleibt für jeden Koch weltweit eine Herausforderung, denn bei der Zitronensauce ist höchstes Geschick gefragt. Sie darf nicht übersäuert sein, auch nicht zu lau, dann muss die Konsistenz – nicht zu sämig, nicht zu flüssig – stimmen.

Die Wahrheit ist: Das Lemon Chicken bei Wong Kei muss als eine Offenbarung bezeichnet werden. Besser habe ich das bisher nirgends auf dem großen Globus gefunden. Und dass alles preiswert obendrein ist, mag man auch nicht als Nachteil auslegen.

Leicht verunsichert erscheint der regelmäßige Wong Kei-Besucher in letzter Zeit schon. Denn die Kellner, oh Wunder, scheinen in Wesen und Ton freundlicher geworden. Oder haben wir uns an den Feldwebelton über die Jahre nur gewöhnt?

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