Reisen & Begegnungen

Autor: Wolfgang Stock Seite 8 von 22

Fernando Tejeda, der junge Wilde aus den Tropen

Ölgemälde by Fernando Tejeda, Collection WJS

Einst wollte er Chiles bester Maler werden, das stand für Fernando Tejeda schon als Jugendlicher fest. Seinem Onkel Mono Tejeda wollte er nacheifern, einem gefeierten chilenischem Karikaturisten, seinem großen Vorbild. Nach Abitur und Industriedesign-Studium in der Hafenstadt Valparaiso ging es dann für Fernando Tejeda allerdings nicht schnurstracks nach oben, er konnte in seinem Heimatland nicht mehr bleiben. Der Generalsdiktator Pinochet wütete in Chile, Fernando zog nach Deutschland, ins kalte Exil.

Dort gelingt es Fernando Tejeda in den 80er Jahren allmählich, die Dunkelheit der Vergangenheit abzustreifen und seinen eigenen Stil zu finden. Und es zieht ihn eigentümlicherweise hin zu sehr grellen und vitalen Ausdrucksformen: Er verbindet nun Stilformen der Jungen Wilden, die von Berlin ausgehend in Deutschland gerade dabei waren ihren Siegeszug anzutreten, mit schrillen karibischen Elementen.

Da tauchen dann Tejedas berühmte Papageienkopf-Tänzer auf, barbusige Frauen mit Stiergesichtern, Menschen, die Fischen oder Lurchen ähneln. Er malt tanzende Vogelhautmenschen, Bongos-spielende Tierköpfe oder nackte Grazien mit spitzen Brüsten – und all dies in einer für ihn nun typischen, explodierenden Farbmischung. Tejeda stellt hocherotische, bisweilen derbe Macho-Phantasien vor, die stets mit der für Lateinamerika eigenen farbenreichen Lebensfreude einher gehen.

Im Einfangen dieser Gefühlswelt ähnelt Fernando Tejeda den ganz großen Malern seines Kontinents, dem kubistischen Exotiker Wifredo Lam aus Kuba, der allegorischen Dampfwalze des Muralismus Diego Rivera, dem folkloristischen Ironiker Fernando Botero aus Kolumbien. Die erstklassigen lateinamerikanischen Maler bevorzugen traditionsreiche, phantasievolle Motive, in die das ganze emotionelle Erbe des Kontinents – die Magie, die Phantasie, die Träumereien, aber auch das Ekelhafte, das Widerliche und das Grauen – einfließt.

Genauso wie in den Büchern eines Gabriel García Márquez oder eines Juan Rulfo ereignen sich auf den Bildern der tropischen Maler für den Europäer verrückte und irrationale Dinge, die für einen Lateinamerikaner jedoch keineswegs weltfremd scheinen, weil er sie schon oft in Traum und Phantasie erlebt hat: ein Krokodil mit wohlgeformten Frauenbeinen, eine Frau mit drei Brüsten, Männer mit erschreckenden Stierhörnern, eine Welt, die nur aus dicken Menschen zu bestehen scheint. Sujet und Farben vieler Bilder wirken für das deutsche Auge zunächst seltsam und bizarr, aber dann

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Hemingways Ohr

I like to listen. I have learned a great deal from listening carefully. Most people never listen.

Ich mag zuhören. Ich ziehe großen Gewinn daraus, sorgfältig zuzuhören. Die meisten Leuten hören nie zu.
Ernest Hemingway

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John Naisbitt, Jäger und Sammler

München, den 17. Mai 1990; Photo by W. Stock

München, den 17. Mai 1990; Photo by W. Stock

Wie stellt man sich gemeinhin das Leben in der Beletage der Autorenwelt vor? Nun, First-Class-Reisen, Luxus-Hotels, Weiber, Schampus, Kohle bis zum Abwinken. Bisweilen mag das so sein. Doch der liebe Gott, man ahnt es schon, hat vor den Erfolg den Schweiß gesetzt.

John Naisbitt, der Autor von Millionenseller wie Megatrends, ist vor allem ein fleißiger Faktensucher. Zwar fließen die Sätze in seinen Bücher so flott dahin wie ein lieblicher Gebirgsbach. Was jedoch in seinen Büchern und Aufsätzen so leicht und locker daher kommt, bedeutet in Wirklichkeit monatelange mühevolle Kleinarbeit.

Wenn der bärtige Amerikaner recherchiert, dann lange und gründlich. Und John recherchiert nicht nur in Büchern oder anderen Veröffentlichungen, sondern er begibt sich am liebsten vor Ort, spricht mit den Protagonisten, will seine Kenntnis aus erster Quelle. Sicherlich ist es einfacher für einen Weltautoren wie ihn, um die halbe Welt zu jetten und Termine bei der ersten Riege zu bekommen. Bei Ministern, Präsidenten und Wissenschaftlern.

Ich erinnere mich, der Trendforscher sollte Anfang der 90er Jahre einen Artikel für das New York Times Magazine schreiben über Deutschland nach dem Mauerfall. In welche Richtung würde Deutschland sich entwickeln? Wie wird die Wiedervereinigung ausgehen? Was sind die Konsequenzen für Europa?

Viele Schreiber würden sich in solch einer Situation zu Hause an die Schreibmaschine setzen und los fabulieren. Nicht so John. Was nachher im Text so flott und kompakt erscheint, das ist richtig harte Arbeit von Tagen und Wochen.

Bei dem NYT-Artikel kann ich dies als Beobachter bestätigen. Ich half John und seinem Sohn John junior mit ein paar Terminen bei Politikern in Bonn und bot mich als Chauffeur an. Von morgens bis abends waren wir unterwegs. Termin auf Termin. Bei Regierungsmitgliedern, Politikern, Publizisten, Unternehmensberatern.

Naisbitt fragt im Gespräch nach der Einschätzung des Gesprächspartners, vor allem aber nach

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Hemingway trinkt sechs oder acht Daiquirís in El Floridita

Photo by W. Stock

Havanna, im April 1983

Ecke Obispo-Straße mit Monserrate im kolonialen Havanna findet sich eine prima Adresse für hohe Prozente. El Floridita. Nicht nur unter Säufern genießt Klein-Florida einen exzellenten Ruf. Ebenso unter Literaten. Haben die schwarzen Barhocker doch mehr nobelpreisgekrönte Arschbacken erspürt als jeder Fauteuil der Bibliotheque Nacionale de Paris.

Den Daiquirí schlürfte im El Floridita die Verlorene Generation, jene desillusionierten Mannsbilder, die im Ersten Weltkrieg all ihre Ideale verloren hatten und nicht so recht wussten, wie es nun weitergehen sollte. Und da hocken sie um die mahagonigetäfelte Bar mit ihrem dezent dunklen Interieur: der Sprachzauberer John Dos Passos ebenso wie der Weichzeichner Scott Fitzgerald. Der Dichtertitan Ezra Pound, später der schrullige Weltenbummler Graham Greene. Und natürlich auch der unverwüstliche Ernest Hemingway, der sich an diesem Orte bereitwillig dem Suff hingab.

Auch wir tauchen ein, in bester Absicht, und nähern uns schweren Schrittes dem Tresen. Die lange Mahagonitheke schimmert matt. Auf den schwarzen Holztruhen der Schankanrichte ist in stolzem Goldton Wiege des Daiquirí auf Spanisch und Englisch angebracht. Genosse Barkeeper, wo ist der Maestro?, fragen wir. Quien?? Wer?? El Maestro. Ma-es-tro. Der Meister aller Klassen. Schulterzucken. Na dann, dos Daiquirís, Compañero.

Hemingways zweites Stammlokal in Havanna kultiviert

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Visca el Barça!

Barcelona, im August 1978

Das sind die angenehmen Tage im Dasein eines Journalisten. Ich lebe ein halbes Jahr in Barcelona und nun gilt es, für deutsche und österreichische Zeitung Artikel zu schreiben. Politik, Wirtschaft, Kultur – sicher nötig und interessant, das ist das Schwarzbrot.

Der Fussball aber, das ist das warme Croissant zum kräftigen Morgenkaffee. Und ich mag warme Croissants.

Zunächst gehe ich zur Casa Masia und lasse mich akkreditieren. Das geht schnell und unkompliziert, weil im Jahr 1978 sonst kein deutschsprachiger Korrespondent beim FC Barcelona zu finden ist. Die Pressestelle vergibt die Akkreditierungsnummer 862. Mein blau-roter Presseausweis macht richtig was her.

Der einzige deutschsprachige Reporter vor Ort! Der Student hat sich sein Monopol geschaffen. Und viele Fussball-Nachrichten, die in jenen Tagen von Barcelona bis ins ferne Deutschland dringen, von der Nachrichtenagentur über das Handelsblatt bis zur BILD Zeitung, sind auf meinen Mist gewachsen. Und es gibt einiges zu berichten, der Ball ist bekanntlich rund, und das doch jeden Tag.

Der Trainer ist ein glückloser Belgier namens

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George Shearing’s Latin Escape

Es gibt diesen typischen Shearing Sound. Man hört einen Song dieses Pianisten und weiß nach wenigen Takten bereits, wer hier spielt.

Harter Anschlag, feste Blockakkorde, betonter Rhythmus – und trotzdem eine gefällige Melodieführung.  Das zeichnet das Klavierspiel von George Shearing aus. Darüber hinaus ist er einer der wenigen weißen Musiker, die sehr früh lateinamerikanische Rhythmen für eine Combo umgesetzt haben.

Meine Lieblingsplatte aus den frühen Jahren? Latin Escape. George Shearing und sein Quintett, auf Capitol Records. Wir schreiben das Jahr 1956.  Piano, Gitarre, Vibraphon, Bass und Schlagzeug. So einfach geht Jazz.

Ein guter Rhythmus, ein hübscher Sound. Das kann man gut heraus hören bei Shearings Version von Yours.

Der Vibraphonist ist übrigens Cal Tjader. Ein vitales und kompaktes Spiel der fünf Musiker. Das ist, das war, der Shearing Sound.
Gestern ist der Gott des Jazz-Pianos gegangen. In New York, mit 91 Jahren. Sir George Shearings Herz hat aufgehört zu schlagen.

siehe auch: Gott ist gegangen, sagt Jack Kerouac

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Horacio Politi malt sein Buenos Aires

Buenos Aires, im Dezember 1987; Photo W. Stock

Buenos Aires, im Dezember 1987; Photo W. Stock

Das Haus des Malers hat schon bessere Zeiten gesehen, und sein Bewohner, man merkt es schnell, wohl auch. Als ich Horacio Politi im Dezember 1987 in Buenos Aires aufsuche, spürt man, dass auch Engel auf den Boden fallen.

Das sonnige Leben, der Selbstzweifel vielleicht oder womöglich der Ehrgeiz haben ihm ein gutes Stück seiner Zuversicht ausradiert. Er steht da, mit weißen Bart und höchst vergnügt, an seiner Staffelei im Caminito von La Boca, dem von italienischen Einwanderern geprägten farbenfrohen Hafenviertel der argentinischen Hauptstadt.

Jetzt zählen die zwei Nationalpreise für Malerei nicht mehr, die man ihm angetragen hat, besitzt auch die Tatsache keine Bedeutung, dass er lange Jahre als der Picasso Argentiniens gegolten hat. All das ist weit weg. Jetzt hält er nur noch die Fahne hoch, die ein wenig nach billigem Fusel riecht.

Daniel Horacio Politi ist ein echtes Kind dieser Stadt, hier wurde er 1928 geboren. Die Malerei hat er bei Didimo Nardini und Enrique de Larragaña studiert, das Zeichnen bei Lajos Szalay. Unter den Picasso-Schülern ist er immer einer der eifrigsten und talentiertesten gewesen. Denn er kombiniert gekonnt den feinen und doch opulenten Strich des Maestro mit Porteño-Motiven.

Er lädt mich zu sich nach Hause um die Ecke ein, in ein bröckelndes Bauwerk mit wüsten politischen Graffitis und Parolen, quer über Hinterhöfe und hinter mit Unkraut bewucherten Bahngleisen. Seine schwarzhaarige Frau schaut mich zerknirscht und voller Gram an und man möchte mit arger Müh ahnen, dass hinter den zahlreichen Falten und all der Lebenspein einst eine hübsche Person steckte.

In einer Abstellkammer zieht Maestro Politi aus Falttaschen Dutzende von Aquarellen, Kreidezeichnungen und Wachsbilder hervor, die er allein in den letzten Monaten gemalt hat. Vieles erscheint von mittlerem Belang, doch einiges ist von erstklassiger Güte: die versunkene Melancholie des einsamen Bandoneon-Spielers, das Tango-tanzende Liebespaar unter der La-Boca-Zugbrücke. Oder die laszive Herausforderung Evas mit Apfel im Paradies.

Horacio Politi malt viel, er malt den Liebreiz und die Eigenheit von Buenos Aires und seinen Bewohnern, er malt die Verlassenheit und das Leben, ein Leben, das langsam zerbröselt, so wie Staub zwischen den Fingern zerrinnt. Politi hat sein karges Leben in den letzten Jahren merklich nach innen gekehrt. Da überrascht es nicht, dass nun zunehmend religiöse Motive in seine Werke einfließen.

Wir sitzen in seinem kleinen fensterlosen Atelier und an uns vorüber rauscht die Einmaligkeit dieser Stadt. Zu Papier gebracht von einem begnadeten Künstler, der all die Höhen und Tiefen eines Menschenlebens erfahren hat, und vielleicht auch ein bisschen mehr. Als mir Horacio Politi die Hand zum Abschied fest drückt, gehe ich mit der Empfindung, dass dieser Maler typisch ist für diese Metropole am Mündungsdelta von La Boca. Typisch für eine Stadt, die an guten Tagen beschwingt und ausgelassen daher kommt, sich in den trüben Stunden aber in aller Armseligkeit und voller Schwermut durch den Tag schleppt.

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Im 100 Club wird die Musik ganz leise


Da hat so manch einer große Augen gemacht. Der Hit-Gigant Paul McCartney spielt in einem kleinen Musikclub. So geschehen. Am 17. Dezember 2010, vor 300 Fans.

In solch kleinen Clubs tritt der Ex-Beatle selten auf. Für den 100 Club machte er die Ausnahme. Aus purer Dankbarkeit. Und aus Hilfsbereitschaft.

Denn der 100 Club steht auf der Kippe. Der heimelige Kellerclub an Londons exklusiver Oxford Street rechnet sich einfach nicht. Vor allem die zu hohe Miete macht dem Eigentümer zu schaffen, vielleicht aber auch die über die Jahre etwas zerfranste Programmpolitik.

Irgendwie wirkt dieser karge Kellerklub auch unter all den feinen Kaufhallen, den Schnickschnack-Boutiquen und den Touristenfallen ein wenig fehl am Platze. Wie ein Relikt, einst ansehnlich, das heute verloren in der Trödelbude von besseren Tagen kündet.

Seinen Namen hat der 100 Club, weil der Musikklub in der geschäftigen Oxford Street Hausnummer 100 residiert. Von einer unscheinbaren Nische am Eingang geht man den schmalen Gang hinunter in den dunklen Keller. Auf halbem Weg entrichtet man am Counter seinen Eintritt und findet sich als bald in einem weiten schummrigen Kellergeschoss wieder.

Ich war in den 70er Jahren oft im 100 Club gewesen. Auf einfachen Holzstühlen saß man direkt vor der kleinen Bühne, rechte Hand fand sich eine lang gezogene Schanktheke und links war der quirlige Chinese Mister Chan in einer Ein-Raum-Küche, der schnelle, preiswerte Gerichte zaubern konnte. Das Publikum saß an kleinen Holztischen, das Glas Pint Lager oder Guinness war an der Theke zu holen, eine Bedienung gab es nicht.

Der Club sah in den letzten 40 Jahren gleich aus, nur die Musiker wechselten. Zuerst kamen die Jazzer, in den 80ern dann die Punker. Roger Horton als Manager lenkte die Geschicke des Klubs durch die bewegten Zeitläufte. Man konnte für einen bescheidenen Obolus Mitglied werden und bekam dafür das Programm nach Hause geschickt.

Seit 1942 gab es den 100 Club und sein Ruf schallte weit über England hinaus. Der 100 Club war in den 60er und 70er Jahren so etwas wie die Wohnstube des traditionellen britischen Jazz. Gruppen wie jene von Ken Colyer, Humphrey Lyttleton, Acker Bilk, Kenny Ball, Chris Barber oder Monty Sunshine traten hier auf. Die Akustik im Keller war deftig, es durfte so richtig Krach gemacht werden. Und an so manchen Abenden ging hier richtig die Post ab. Meist war der Club war bis kurz nach Mitternacht rappelvoll, ausser Montags, da war Ruhetag, wenn ich mich recht entsinne.

Prächtige Musiker jazzten über die Jahre im 100 Club. Der kleine Billy Butterfield schaute mit seiner großen Trompete vorbei, der schüchterne Teddy Wilson streichelte die Klaviertasten und auch Teufelsgeiger Stephane Grappelli legte hier Station ein. Immer wenn es irgendwie ging, war ich im 100 Club zu finden. Ein solcher Club gefiel einem Zwanzigjährigen aus dem grauen Deutschland. Der Frühling warf zarte Sonnenstrahlen. Der Sommer schien noch weit hin.

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Kacheln im Urwald

Reliefkachel der Casa Cohen; Photo by Norbert Böer

Iquitos/Peru, im Dezember 1985

Der Kautschukboom im Amazonasbecken lockt Anfang des 20. Jahrhunderts Spanier, Italiener, Portugiesen und Deutsche in den Urwald. Und die Stadt Iquitos wird zum Mekka jener Glücksritter und Abenteurer.

Die schnell steinreich gewordenen Einwanderer schauen sich in Europa jene Herrschaftshäuser ab, die sie dann hier, mitten in den Tropen, in architektonischer Großsprecherei einfach nachbauen. Die vielen Dollars der Caucheros lassen in kurzer Zeit ein bizarres Phantasialand unter Palmen entstehen.

Die steinernen Zeugen jener gloriosen Zeit stehen noch heute in Iquitos, leicht angekratzt wohl, aber doch ziemlich wacker und weithin in praller Schönheit unter der sengenden Sonne Amazoniens. Rund um die Plaza de Armas und entlang des Malecón, der prachtvollen Uferpromenade am Amazonas, findet man auch nach hundert Jahren noch jene bunte Puppenstube des kautschuktrunkenen Gemüts.

Das im Jahr 1912 fertiggestellte Palace Hotel etwa, ein wuchtiger Jugendstilbau, dessen komplette Frontseite in feinsten glitzernden Ornamenten gekachelt ist. Die Balkongitter aus Hamburg und die farbenprächtigen Mosaiksteine aus Sevilla – dafür muss der Don dieses Prachtbaus, Otoniel Vela, tief in seine gefüllte Tasche greifen. Heute residiert in dem Gebäude die Militärkommandatur der Region Loreto.

In den staubigen, brütend heißen Straßen von Iquitos findet sich ein Dutzend weiterer Wohnpaläste, die vom Reichtum der längst vergangenen Belle Epoque Auskunft geben. Die Casa Cohen mit ihren farbenfroh blau leuchtenden Reliefkacheln an der Hauptstrasse beherbergt heute ein hübsches Restaurant. Und da ist die Casa Morey mit ihrem kunstvollen Stuckbalkon oder die Casa Cahn mit den verspielten Fenstergittern. Das Colegio del Sagrado Corazón ist wie ein Zuckerbäckerhäuschen erbaut, so als sei Antonio Gaudí für ein paar Tage dem Tropenfieber anheim gefallen.

Für die Kautschukbarone kann das Verrückteste nicht verrückt genug, kann kein Weg weit genug sein: Marmor aus Florenz, Kacheln aus Delft und Pflastersteine aus Portugal. Ein Eldorado des Modernismo inmitten des Urwaldes, eine Kreuzung aus Natur und Größenwahn, aus Klassik und Kitsch. Nach wenigen Jahren jedoch erlebt der Kautschukboom sein abruptes Ende und mit ihm der surreale Wahn europäischer Edel-Architektur im Dschungel. Die Fiesta findet ihr Ende.

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Als Gerhard Schröder noch nicht Kanzler war

Bonn, den 29. November 1978; Photo by Franz-Josef Simons

Bonn, den 29. November 1978; Photo by Franz-Josef Simons

Die in quadrigen Dunkeltönen gehaltene SPD-Parteizentrale in Bonn strahlte den Charme einer, naja, sagen wir mal, einer AOK-Bezirksniederlassung aus. Außen wie innen. Deshalb wurde das Gebäude von den Rheinländern auch Baracke genannt.

Nun ja, auf architektonische Finessen legte man in der biederen Bonner Republik keinen gesteigerten Wert. Man zählte das Jahr 1978, die Architektur kam grau und hausbacken daher, die Zeiten waren allerdings ziemlich wild.

Als junger Journalist in Bonn ergab sich das Vergnügen, einen aufstrebenden sozialdemokratischen Politiker namens Gerhard Schröder zu interviewen. Das halbstündige Gespräch fand just in der Baracke statt und man konnte schon damals ahnen, hier sitzt ein Mann mit Zukunft. Am Wochenende habe ich die Unterredung mit dem ehemaligen Bundeskanzler zum Nachlesen noch einmal hervor gekramt.

Gerhard Schröder ist ein sympathischer Mann mit dem man gerne mal ein Bier trinkt. Ein guter Kanzler war er obendrein. In den Geschichtsbüchern wird er sicherlich einen ansprechenden Rang einnehmen. Denn er hat das überlastete Sozialsystem reformiert und Deutschland aus dem sinnlosen Irak-Krieg herausgehalten.

In meinem Interview war er noch ganz der junge Wilde und schlug kräftig auf den Putz. Ausbildungsmisere und Jugendarbeitslosigkeit? Die Ursachen dieser Probleme – meinte Schröder damals – führen wir auf eine kapitalistisch verfasste Wirtschaftsordnung zurück, die wir von Grund auf in eine demokratisch-sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verändern wollen.

Huch, mit solchen Sprüchen haben wir vor 30 Jahren die Omas ganz schon verschrecken können. Und das ganze Establishment gleich dazu. Wir sind die SPD der 80er Jahre hieß es damals bei den Jusos, man müsse die alte Garde eigentlich nur aussitzen. So kam es denn auch. 20 Jahre später war Gerhard Schröder deutscher Bundeskanzler.

Und so wie der Bundeskanzler Schröder von den Linken und den Jungen aus seiner Partei geärgert wurde, so hat er in seiner wilden Zeit selber die eine oder andere Breitseite gegen den damaligen Kanzler Helmut Schmidt, seinen Parteifreund, losgelassen.

Ich fragte den späteren Bundeskanzler spitz: Herr Schröder, spielt die SPD heute in der Bundesrepublik nicht den Arzt am kapitalistischen Krankenbett? Aber ein Gerhard Schröder tappt in keine Fallen. Die Feststellung, dass die SPD heute den berühmten Arzt am Krankenbett des Kapitalismus spielt, würde ich – was die Regierungspolitik angeht – jedenfalls teilen. (…) Durch die gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen, durch die Verschärfung der Klassenauseinandersetzungen in der Bundesrepublik und durch die vermehrte Kampfbereitschaft der Gewerkschaften und auch der Studenten steigen die Chancen die SPD in Richtung sozialistische Partei wieder zu entwickeln.

Heute liest man solches mit entrücktem Amüsement. Die SPD in Richtung einer sozialistischen Partei zu entwickeln. Die Geschichte nahm dann doch einen anderen Lauf. Raus aus den Jeans, rein in den Brioni.

Die stürmischen Jahre sind endgültig vorbei. Tempi passati. Im Laufe der Zeit sind wir vernünftiger geworden, die allermeisten von uns jedenfalls. Auch jene in der SPD. Und die wilden Jusos von damals schauen verdutzt auf den Brief der BfA mit ihrem Rentenbescheid.

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