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Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Christo: The Wrapped Reichstag in Berlin

Das neue Deutschland erfreut sich an einem Sommermärchen: der verhüllte Reichstag.
Berlin, am 30. Juni 1995. Foto: Archiv W. Stock.

Die Aktion ist lange umstritten gewesen. Einwände kommen vor allem aus der konservativen Ecke. Die hehre deutsche Tradition als Happening? Um Gottes Willen! Der Bundeskanzler Kohl aus Oggersheim ist dagegen, die meisten Mitglieder seines Kabinetts, viele Abgeordnete. Später ergibt sich dann doch eine Mehrheit für das Projekt. Und als dann die Verhüllung des Reichstags erfolgt ist, zeigen sich selbst die Kleingeister und Nörgler auf einmal begeistert.

Jene Verhüllung des Reichstags, die weltweit als Wrapped Reichstag für Aufsehen sorgt, ist eine Erfindung des umtriebigen Künstlers Christo. Im Juni und Juli 1995 kann man in der deutschen Hauptstadt das temporäre Meisterwerk bestaunen. Kunst im öffentlichen Raum, frei zugänglich für alle, keine Eintrittsgebühr, ein Magnet für Touristen aus aller Welt, Berliner Familien mit Picknickdecke. Die Darbietung wird rundweg zu einem vollen Erfolg.

Schon von weitem sieht man die silbrig glitzernden Stoffbahnen. Besucher, die sich einen Fetzen dieses Stoffes sichern, werden den Schnipsel noch Jahrzehnte später als Erinnerung in ihren Schubladen halten. Besonders bei Sonne und klarem Himmel, in der Stunde der einfallenden Abendsonne, entfaltet die Verhüllung ihren optischen Reiz. Die Zuschauer kommen zu Tausenden, nach den zwei Wochen zählt man fünf Millionen Frauen, Männer und Kinder, die dieses einzigartige Kunstwerk besucht haben. Ein durchschlagender Triumph, ein deutsches Sommermärchen, vom 24. Juni bis zum 7. Juli 1995.

Der Reichstag hat in seiner langen Geschichte ab 1894 viel gesehen: Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann, der von einem Balkon im Jahr 1918 die Republik ausruft, der Kaiser ist nach dem verlorenen Krieg vertrieben und hackt Holz in Holland. Dann die Nazis, die einen Brand im Reichstag nutzen, im Jahr 1933 ihre Herrschaft zu festigen, ein Jahr später durch Ermächtigung. Zum Kriegsende im Mai 1945 wehen rote Sowjetfahnen über einem fast völlig zerstörten Trümmerhaufen namens Berlin. 

Auch auf diese historische Last soll aufmerksam gemacht werden. Das Timing ist wunderbar. Christo kommt mit seinem Projekt hinein in eine historische Turbulenz deutscher Geschichte. Im Jahr 1989 fällt die Berliner Mauer, der deutsche Kommunismus und gleich der ganze Ostblock sind passé, ein Jahr später wird Deutschland mit dem Segen der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs wiedervereint. Spannende Momente: Es tun sich für die Deutschen so viele offene Fragen auf, zugleich überkommt die Nation aber auch eine Art mentaler Aufbruch.

Das des Künstlers Christo kommt zu richtigen Zeit. Durch Verhüllen Verborgenes sichtbar machen. Verschleiern, um neugierig zu machen. Das ist die Idee hinter den Kunstprojekten, die das Ehepaar Christo und Jeanne Claude seit 1961 symbiotisch planen und ausführen. Er, der aus seiner Heimat Bulgarien vertriebene Konzeptkünstler. Sie, die resolute Französin mit dem feuerroten Haar und den klaren blauen Augen.

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Ein silbrig glitzernder Stoff, der das goldene Sonnenlicht reflektiert. Foto: W. Stock

Doch der Wrapped Reichstag ist mehr als ein Kunstwerk, er symbolisiert auch die gesellschaftliche Erneuerung Deutschlands.  Der Verhüllte Reichstag veranschaulicht nach der Wiedervereinigung die Erneuerung Deutschlands auf Grundlage seiner nicht immer einfachen Tradition und seiner historischen Werte. 

Und siehe da: Deutschland zeigt auf einmal ein sommerliches Gesicht: Die Erhabenheit kann für ein paar Tage unter strahlend blauem Himmel versteckt werden, an Stelle des sonst üblichen Bierernstes darf für einen Moment eine heitere Kunst treten. 

Mittels Abstimmung mit den Füssen erweist sich Christos Meisterwerk als Volkskunst par excellence. Der Wrapped Reichstag ist ein Werk, an dem sich Millionen erfreuen und diese Freude

Ernest Hemingway in Peru – Vortrag in der Buchhandlung ‚Lesezeit‘ in Düsseldorf

In der Buchhandlung Lesezeit in Düsseldorf-Kaiserswerth halte ich am 11. Mai 2022 einen Vortrag rund um mein Buch Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru.

Am 11. Mai 2022 erwartet Sie in der Buchhandlung Lesezeit in Düsseldorf-Kaiserswerth ein spannender Vortrag. Ich werde über die Entstehung und den Inhalt meines Buches Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru berichten.

Am 15. April 1956 brechen Ernest Hemingway und seine Ehefrau Mary von ihrem Wohnsitz nahe Havanna auf zu einer mehrwöchigen Reise nach Cabo Blanco. In dem winzigen peruanischen Fischerdorf sollen die Außenaufnahmen zur Hollywood-Verfilmung von Der alte Mann und das Meer stattfinden.

Gut 60 Jahre nach dem Besuch des Nobelpreisträgers bin ich der Expedition nachgereist. Neben zahlreichen Dokumenten, Fotos und Spuren habe ich Zeitzeugen gefunden, die sich so lebhaft an Ernesto erinnern, als sei er gestern um die Ecke gebogen.

In einem einstündigen Vortrag möchte ich die abenteuerliche Reise von Ernest Hemingway in das südamerikanische Land nachzeichnen. Und neugierig machen: auf die (erneute?) Lektüre der Werke von Ernest Hemingway und auch neugierig machen auf das wenig bekannte, aber hochinteressante Land Peru.

Ort der Veranstaltung: Buchhandlung Lesezeit, Kaiserswerther Markt 31, 40489 Düsseldorf. Beginn: 19,30 Uhr.

Ich würde mich freuen, wenn wir uns zu diesem Anlass in der Lesezeit treffen würden. Und einen Daiquirí gibt es oben drauf.

Der Ukraine-Krieg: Wege aus der Krise

Winfried Böttcher: Russland – Die Ukraine – Der
Westen, 184 Seiten, ISBN: 978-3-7562-5716-4; BoD-Verlag, 14.50 €.

Es herrscht Krieg in Europa. Zerstörung, Tote, unfassbares Leid. Eine solche Krise hat Europa nach dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt. Ein falscher Schritt, eine fehlgeleitete Rakete, ein dummer Befehl – und die größte Katastrophe könnte sich ihren Weg bahnen.

Bei einer solchen Zuspitzung ist kühler Kopf und professioneller Rat gefragt. Einer der besten Kenner des europäischen Einigungsprozesses und zugleich der russischen Welt ist der Aachener Politologe Winfried Böttcher. Der 85-jährige Wissenschaftler hat jahrzehntelang den Lehrstuhl für Politische Wissenschaft an der RWTH innegehabt, nach seiner Emeritierung gründete er das Europa-Institut Klaus Mehnert an der Staatlichen Technischen Universität Kaliningrad. Böttcher hielt zudem hinaus zahlreiche Gastprofessuren, so auch in Kiew und Moskau. Wer könnte die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen besser einordnen als der Aachener Politikwissenschaftler?

Russland und der Westen heißt sein aktuelles Buch, in dem Winfried Böttcher für Respekt und gegenseitiges Verstehen wirbt. Die zu beobachtende ideologische und publizistische Aufrüstung verschlimmert den Konflikt nur. Schuldzuweisungen oder Verteufelungen mögen menschlich verständlich sein, tragen jedoch kein Jota zur Problemlösung bei. Das Schicksal Westeuropas bleibt eng mit dem Schicksal Russlands verbunden. Die Vorherrschaft des einen über den anderen ist nicht denkbar, nur gute Nachbarschaft und konstruktive Zusammenarbeit können die Grundlage für ein friedliches Miteinander sein.

Winfried Böttcher zieht in seiner Analyse den großen historischen und philosophischen Bogen. Vor diesem Hintergrund gelingt es ihm, auch Fehlentwicklungen anzusprechen. So hat das selbstverliebte Westeuropa die Neugier und die Auseinandersetzung mit anderen politischen und kulturellen Traditionen vernachlässigt und sich zu sehr in einem kulturellen Überlegenheitsanspruch gesonnt. In den schwachen Stunden ist dieser intellektuelle Dünkel in gebrochenen Zusagen, Herabwürdigungen und Hochmut gemündet.

Dabei ist vergessen worden, all die reichen Traditionen in eine gesamteuropäische Kultur einzubringen, die keinen abseits stehen lässt. Man kann diesen Ansatz auf die Politik umlegen: Weil immer noch die Interessen der Nationalstaaten im Vordergrund stehen, ist es nicht gelungen, eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur zu bauen. Doch wie kann der Krieg in der Ukraine nun beendet werden? Wie wird sichergestellt, dass es

Ein denkwürdiger Besuch bei der Autorin Vera F. Birkenbihl

Der Auftrag war klar, ich wollte Vera F. Birkenbihl als Autorin für den ECON Verlag gewinnen. Der gebürtigen Münchnerin ging eine legendäre Fama voraus: Dutzende erfolgreiche Bücher, Management-Kurse, Kassetten, Vorträge, Auslandslizenzen, sechsstellige Auflagen – Vera Felicitas Birkenbihl war ein hell leuchtender Stern in der Managementliteratur.

Damals war ich ein junger Cheflektor im Düsseldorfer ECON Verlag, keine schlechte Adresse für Autoren in jenen Tagen. Mitte Juli 1992 nahm ich einen zweimotorigen Propeller-Flieger der Gesellschaft Interot von Köln-Bonn nach Augsburg, eine Beechcraft King Air, ausgelegt für 7 Personen.

Am kleinen Augsburger Flughafen holte mich Michael Birkenbihl ab, Veras Vater, selbst ein erfolgreicher Autor und Trainer. Sein Train the Trainer galt als Standardwerk in der Ausbildungsbranche. Mit seinem Pick-up und einer bulligen schwarzen Dogge auf dem Rücksitz ging es zwanzig Minuten Richtung Süden, nach Odelzhausen.

Vor einem Einfamilienhaus, ihrem Elternanwesen, begrüsste mich Vera F. Birkenbihl herzlich. Von Statur war sie eher klein, ein paar Pfunde zuviel, eine knarzig-gepresste Stimmlage, zugleich von einer sympathischen Herzlichkeit. Zunächst machte sie eine kleine Hausführung. Im Schlafzimmer glich das schmale Bett einer Schreibzentrale. Das Bettlaken war übersät mit Büchern und VHS-Kassetten. Am Fuss des Betts befand sich ein TV-Gerät plus Videorekorder. Um das Bettgestell herum Bücherregale und Kassettenrekorder. 

Im Garten stand ein weißes Wohnmobil, mit dem Vera Birkenbihl zu den Vorträgen fuhr. Sie übernachtete ungern im Hotel, sondern meist in ihrem Wohnwagen, der – wie bei Hollywood-Stars auf Dreharbeiten – zeitgleich als Einsatzzentrale und Rückzugsort diente. 

Der Wirbelwind wirbelte uns durch den Tag: Auf dem Fahrradtrainer im Wohnzimmer drückte sie eine Viertelstunde kräftig in die Pedale. Dann setzte sie sich an die Heimorgel und spielte mir ein paar Melodien vor. Anschließend servierte sie für uns beide Kräutertee und zündete sich eine Zigarette an. Es sollte die erste von einem Dutzend an diesem Tag sein. Stark und selbstgedreht, der Tabak qualmte mehr als mein Schädel. 

Aus der Autorin, Jahrgang 1946, sprudelte es nur so heraus. Stichwort genügte. Meine Aufgabe bestand darin, ab und an mit dem Kopf zu nicken oder ein anerkennendes großartig herauszulassen. Ich merkte schnell, wir funkten nicht immer auf gleicher Wellenlänge. Ihr Denken erschien mir eklektizistisch, ein zu wilder Mix, oft wenig stringent und ein Hauch zu esoterisch. Allerdings, das musste man zugeben, alles sehr originell und rasant. Mehr als einmal kam ich aus dem Staunen über die Kreativität und die Denkschnelligkeit der Vera F. Birkenbihl nicht heraus.

Wir besprachen das eine oder andere Projekt. Auch über die Konditionen waren wir uns unkompliziert einig. Die ersten zwei Buchprojekte wurden ins Auge gefasst. Später gestaltete sich die Zusammenarbeit ein wenig holprig. Vera F. Birkenbihl hatte

Sturzregen in Paris

César Vallejo. Ein Peruaner in Paris.

Die schöne Literatur hat es in einem verarmten Land wie Peru schwer. Mit Sicherheit gilt dies für heute, erst recht für die Vergangenheit. Einer der allergrößten Schriftsteller des Landes, der avantgardistische Poet César Vallejo, mag stellvertretend für viele stehen, sein Leben ist ein steiniger Weg gewesen.

In Lima veröffentlicht er im Jahr 1919 Los Heraldos negros, einen Band mit Gedichten voller melancholischer Poesie, von Pein und Leid getragen, zwischen den Zeilen bemerkt der Leser Vallejos zornigen Hunger nach Respekt. In dem nordperuanischen Andendorf Santiago de Chuco 1892 geboren, wird es ihm in der Heimat dann schnell politisch zu heiß und wirtschaftlich zu eng.

Und so geht der junge Mann im Juli 1923 nach Frankreich. Nach Paris, in die Stadt der Liebe und des Lichts, die in den 1920er Jahre Intellektuelle mit neuen Ideen aus aller Welt anzieht. Doch das Paradies wird Paris nicht, in der Stadt an der Seine muss sich der mittellose Vallejo als Hungerleider durchschlagen.  

In Europa hält der stolze Mestize sich mit launischen Korrespondenzen für Mundial und El Comercio mehr schlecht als recht über Wasser. Doch einerlei, Paris bleibt die große Leidenschaft und die Sehnsuchtsmetropole der lateinamerikanischen Intellektuellen jener Tage, die Stadt sei so schön, dass man dort sterben wolle:

Me moriré en París con aguacero,
un día del cual tengo ya el recuerdo.
Me moriré en París – y no me corro –
tal vez un jueves, como es hoy, de otoño.

Die Verse schreibt César Vallejo in seinem Gedichtband Piedra negra sobre una piedra blanca. Auch wenn er mit indianischer Schwermut und französischem Fatalismus wortwörtlich dichtet, dass er in Paris sterben werde, so meint der von seiner neuen Heimat beseelte Peruaner jedoch vielmehr, dass er in Paris sterben wolle.

Ich will in Paris sterben, im Sturzregen,
an einem Tag, der mir bereits im Gedächtnis ist.
Ich will in Paris sterben – so soll es sein –
im Herbst, vielleicht an einem Donnerstag, wie heut.

Die Liebe zu Paris jedenfalls bleibt im Herzen des César Vallejo. So wie bei zahlreichen Autoren Lateinamerikas. Auch der Kolumbianer Gabriel García Márquez, Mario Vargas Llosa aus Arequipa, der Argentinier Julio Cortázar, Carlos Fuentes aus Mexiko verehren Paris. Sie alle haben dort Monate und oft Jahre verbracht.

Doch nicht nur die Lateinamerikaner pilgern nach Paris, weil die Stadt geschaffen ist, seinen Träumen nachzugehen und doch Platz bietet, nicht ganz abzurutschen. Paris ist ein Fest fürs Leben, so umschreibt es ein anderer Autor, auch weil man

Ein Münchner im Dschungel Perus

Halb Iquitos findet sich Anfang Januar 1981 zu den Dreharbeiten von Fitzcarraldo ein. Foto: W. Stock.

Wie so oft beginnt die Geschichte zunächst ganz harmlos. Bei den Dreharbeiten zu seinem Meisterwerk Aguirre, der Zorn Gottes im Amazonasurwald und in der Andenhochebene bei Cusco stößt der deutsche Regisseur Werner Herzog 1972 auf die Lebensgeschichte des aus Irland stämmigen Cauchero Charles Fermin Fitzgerald, eines Kautschukbarons, dessen Name im Spanischen zu Carlos Fitzcarraldo verballhornt wird.

Dieser Fitzcarraldo, der Ende des 19. Jahrhunderts durch den südamerikanischen Kautschukboom zu etwas Reichtum gelangt, ist von einer grotesken Idee beseelt: Er will der amazonischen Wildnis europäische Kultur schenken, Fitzcarraldo träumt von einer bombastischen Gran opera im tiefsten Urwald. Als 1978 Herzogs Murnau-Remake des Nosferatu einen hübschen Gewinn abwirft, beginnt Produzent Walter Saxer mit der Verwirklichung des ehrgeizigen Fitzcarraldo-Projektes. 

Werner Herzog, durch seinen Aguirre in Peru ein Filmemacher mit Renommee, wird im Museo del Arte in Lima eine Werkschau gewidmet, der Maestro gibt sich die Ehre und die peruanische La Prensa jubelt über „das Ereignis des Jahrzehnts“. Produzent Saxer spricht derweil beim Minister für Agrarwirtschaft vor – einen Minister für Kultur kennt die abgewirtschaftete Militärjunta des General Morales Bermudez nicht – und stößt beim obersten Bauern des Landes auf in höfliche Worte gepackte Gleichgültigkeit. „Die wollen uns nicht helfen“, so Walter Saxer.

Überdies wachsen an den ausgesuchten Drehorten Iquitos und Wawaim erste Widerstände. Zwar bewilligen die autonomen Indio-Behörden dem Team die nötige Drehgenehmigung, verweigern letzten Endes jedoch die unerlässliche Mitarbeit als Statisten. Das in Norden an der Grenze zu Ecuador gelegene 200-Seelen-Dorf Wawaim, das vom Stamme der Aguarunas bewohnt und von westlichen Zivilisationseinflüssen nicht mehr unberührt ist, spaltet sich in eine Fraktion Pro-Herzog und in eine, die gegen das Projekt agitiert.

Für den Münchner und seinen Schweizer Produzenten Saxer beginnt eine lange Zeit des Überzeugens. Beide leben drei Monate in Wawaim und versuchen das Vertrauen der Aguarunas zu gewinnen. Walter Saxer führt den Indios kurze Privatfilme vor, weil Filme und Kameras den Aguarunas unbekannt sind. Der schnauzbärtige Schweizer mit der drolligen Lockenfrisur erläutert bis in kleinste Details die technische Ausrüstung, versucht zu erklären, wie es denn sein kann, dass Menschen plötzlich auf der Leinwand auftauchen und herumwandern. Polaroidfotos werden von den Indios bestaunt und sorgsam gesammelt. Das Verhältnis zwischen Indios und den Filmemacher scheint sich zu entspannen.

Doch in Wirklichkeit ist zu diesem Zeitpunkt alles schon zu spät. Pishtaco, pishtaco, flüstern sich die Eingeborenen zu, sobald Herzog und die Filmcrew aufkreuzen. Denn findige Gegenspieler der Filmemacher haben streuen lassen, die weißen Männer aus Alemania seien Pishtacos, jene Menschentöter aus der Glaubenswelt der Anden, die die Indios umbringen und ihnen dann das Fett aussaugen, um damit ihre Bauwerke zu befestigen. Es seien die Filmkameras dieser Pishtacos, die die Kraft hätten, den Indios und ihren Kindern das Fett abzusaugen und damit Körper und Seele auslöschen.

Vor dieser bedrohlichen mythologischen Macht können Herzogs und Saxers vertrauensbildende Maßnahmen keine Früchte tragen. Die verdeckte Spannung entlädt sich Ende November, als Saxer und Herzog sich im Ausland befinden. José Rodriguez Navarro, ein gut vierzigjähriger, schmächtiger Kreole mit von der Sonne zerfurchten Gesichtszügen, arbeitet als Aufbauingenieur für das deutsche Filmteam.

Er schildert den Überfall auf das Drehcamp: „Herzog und die anderen waren weg zu Verhandlungen im Ausland. Plötzlich kamen bewaffnete Indios in meine Hütte, mir war sofort klar, was das zu bedeuten hatte. Ich hob die Hände und versuchte sie zu beschwichtigen. Die waren aber nicht zu beruhigen. Die Aguarunas legten unsere Ausrüstung und Gerätschaft im Wert von 60.000 Dollar in Schutt und Asche.“

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Die Vision des Unmöglichen: Ein Amazonasdampfer muss über einen Berg gezogen werden. Foto: Wolfgang Stock, Iquitos, Januar 1981.

Ein Großteil der Aguarunas ist zur Zusammenarbeit nicht bereit, obwohl der Münchner Regisseur in Peru ziemlich deutsch vorgegangen ist: er verfügt über Drehgenehmigungen und akribisch ausgehandelte Arbeitsverträge. Bei einem für peruanische Verhältnisse nicht üblen Tageslohn von knapp drei Dollar inklusive freier Verpflegung stehen dem schwer zugänglichen Indiodorf die Vorzüge eines von den Filmer bezahlten Entwicklungsplans auch über das Drehende zur Verfügung: Medikamente, ärztliche Versorgung, zwei Boote, Nähmaschinen und Nähkurse sowie Unterstützung beim landwirtschaftlichen Anbau.

Wird der Film im Januar 1981 von der harten Realität Perus eingeholt? Kann man Herzog, dem Sensibelsten unter den Filmemachern, einen

Teddy Stauffer: Von Berlin nach Mexiko

Teddy Stauffer auf der Terrasse seines Apartments im mexikanischen Acapulco, im November 1982; Photo by W. Stock

In Acapulco herrscht ewiger Hochsommer. Frühling und Herbst sind am mexikanischen Pazifik unbekannte Phänomene. Winter ohnehin. Um die 16 Kilometer sichelförmige Bucht ziehen sich riesige Hochhäuser und bombastische Hotelanlagen, wie ein fein reguliertes Gebiss ragen sie vor dem Meer in den blauen Himmel. Das Villa Vera ist oberhalb des Stadtzentrums in den Hang gebaut und gilt mit seinem Racquet Club neben dem Las Brisas als das Luxushotel des tropischen Seebades schlechthin.

Das Villa Vera ist Teddy Stauffers Heimat. Unter seinem Apartment in einem Turm befindet sich der geschwungene Swimmingpool, daneben die Plätze des Tenniscourts. Die Aussicht über die am Fuße des Hügels liegende Bucht von Iacacos als traumhaft zu beschreiben, wäre eine grobe Untertreibung. Teddy ist in Acapulco ein rühriger Zeitgenosse, neben dem Hotel unterhält er Teddy’s Beach Club an der Playa Condesa, eine maurisch verwinkelte Open-air-Bar mit direktem Zugang zu dem feinen, weißen Sandstrand des Pazifiks.

Der ewige Playboy hat ein paar Falten angesetzt. Einen Herzschrittmacher haben sie ihm gerade in Houston in die Brust eingesetzt. Aber seine Erinnerungen bleiben hellwach. Zwei Stunden erzählt er aus einem 73jährigen Leben. Seine einzige Tochter sei im fernen Italien, klagt er mit Tränen in den Augen. Manches hätte er anders machen sollen, aber im Großen und Ganzen sei sein Leben ein phantastisches Abenteuer.

Seit über vier Jahrzehnten lebt er in Acapulco, nachdem er aus Nazi-Deutschland mit einer Ozeandampfer in die Staaten fuhr. Schon als wir damals als junge Burschen in Berlin ankamen, denn es war ja ein Risiko, irgendwie von zu Hause wegzulaufen und einen neuen Beruf zu ergreifen. Aber damals in Bern hatten wir amerikanische Jazzmusik gehört, meist kleine Bands wie die Jumping Jacks. Das hat uns sehr impressioniert und unsere Gruppe versuchte, das zu kopieren.

In Murten am idyllischen Murtensee, zwanzig Autominuten von der Landeshauptstadt Bern entfernt, ist Ernest Henri Stauffer im Jahre 1909 geboren worden. Als Schüler hat er dann eine Jazzband gegründet. Zu ihrem Markenzeichen bestimmen die jugendlichen Musiker einen Teddy, was als Anspielung auf die berühmten Berner Bären gedacht ist. Es sollte prompt Ernests Rufname werden, ein Leben lang. 

In Berlin herrschen die Nazis und bald wird in Deutschland die Mobilmachung befohlen. Die deutschen Musiker der Teddies werden eingezogen, das Orchester zerbricht. Mit einer aus überwiegend Schweizer Musikern zusammengestellten Band mogelt sich Teddy Stauffer noch durch schwere Tage, bevor er sich 1941 entschließt, in die USA zu gehen. Eddie Brunner übernimmt das Orchester, das aber ohne Teddy Stauffer nicht

Filmszenen wie aus einem Traum

In Iquitos finden Anfang Januar 1981 die Dreharbeiten zu Fitzcarraldo statt. Foto: W. Stock

Das Filmprojekt scheint schon vor Drehbeginn in einer Sackgasse zu stecken. In Wawaim mit den Aguarunas zu drehen, ist für Werner Herzog nicht mehr möglich, einen neuen geeigneten Drehort zu finden, gestaltet sich schwierig. Produzent Walter Saxer, der weiterhin außerhalb von Iquitos die Konstruktion zweier historisch getreuer Amazonasdampfer leitet und dabei 300.000 Dollar ausgibt und bis zu 30 Männern zu Arbeit verhilft, gibt sich resigniert: „Wir alle wollen den Film drehen, doch ich sehe schwarz. Schon eine halbe Million Dollar haben wir in das Projekt gesteckt, die wären dann weg.“

Dass man die Hoffnung nicht ganz aufgegeben hat, erkennt man schnell an der Werft von Santa Clothilde, die Schweißer und Schreiner arbeiten weiter, das Filmprojekt ist zumindest nicht abgebrochen. Doch die Hiobsbotschaften häufen sich. Werner Herzog und Walter Saxer harren in Peru der Dinge. Irgendwie scheint ein dunkler Stern über diesem merkwürdigen Film über den Opernfreund Fitzcarraldo zu stehen. 

Nach mühseligem Suchen finden die Filmer dann doch einen anderen geeigneten Drehort im Süden Perus, im Distrikt Madre de Dios. Die hier ansässigen Indio-Stämme willigen in die Zusammenarbeit ein, Verträge werden geschlossen. Das Verhältnis zwischen den dortigen Indigenen der Machiguenga und den Gringos stellt sich als leidlich bis gut heraus, zumindest kann hier gedreht werden. Am Rio Camisea werden die Urwaldsequenzen gedreht, in Iquitos die Stadtszenen. Im Januar 1981 geht es los.

Die Vision ist größer als alle Hindernisse: Ein Amazonasdampfer muss per Manneskraft über eine Anhöhe geschleppt werden, um eine unpassierbare Stromschnellen zu umgehen. Die Schlüsselszene des Films erscheint wie ein pompöses Gemälde, man betrachtet es, als befände sich der Akteur in einem phantastischen Traum. Ein wuchtiger Amazonasdampfer muss über einen steilen Berg gezogen werden. Als ob jemand beweisen wolle, dass der Wille stärker ist als die Schwerkraft.

Schüchtern, verlegen, bisweilen ungelenk leitet Werner Herzog in Iquitos die Dreharbeiten in der Amazonas-Metropole. Manchmal scheint es, als lebe der Münchner Regisseur einzig und allein in seiner Filmwelt. „Mich interessiert es herzlich wenig, was die deutschen Zeitungen über mich schreiben. Mir ist auch egal, ob die Leute dann in meine Filme gehen, das ist nur ökonomisch relevant. Mich interessiert nur, dass ich den Fitzcarraldo-Film zu Ende bringe.“

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Werner Herzog und Kameramann Thomas Mauch leiten die Dreharbeiten in Iquitos. Foto: W. Stock, 1981

Von der Vision seinen Films ist Herzog mit allen Sinnen elektrisiert. Je größer die Schwierigkeiten, desto stärker sein Wille, dieses Projekt zu Ende zu bringen. Der drahtige Regisseur springt von haushohen Bäumen, der Produzent schlägt sich ohne eine Miene zu verziehen die Hand blutig und der Produktionsleiter George Sluizer durchschwimmt den Amazonas, der hier so breit ist wie zwanzig Fußballfelder. Filmarbeit sieht Herzog in erster Linie als eine körperliche Herausforderung. „Für meine Arbeit wäre es schlimmer, wenn ich ein Bein, als wenn ich ein Auge verlieren würde“, meint er im Gespräch auf seinem hohen Stelzenhaus in den Bäumen, in das er sich nach Drehende zurückzieht.

Für die Komparsen sind die Dreharbeiten in diesem doch verschlafenen Landstrich ein Jahrhundertereignis. Und neben dem Spaß kommt auch

Mick Jagger dreht einen Film am Amazonas

Mick Jagger als Schauspieler am Amazonas. Iquitos, im Januar 1981; Foto: W. Stock

Wenn Herzog und seine Crew sich in den Filmpausen zu Pizza und Pasta im Don Giovanni einfinden, dann werden sie von den Peruanern in einer Mischung aus Staunen und Respekt beobachtet. Que viene el director gringo, da kommt der Gringoregisseur, meint der Besitzer des Maynas Hotels. Und der Gringoregisseur bringt Arbeit, irgendwo wollen die acht Millionen Dollar auch bleiben: Dolmetscher, Koch, Arzt, Kostümschneider, Fahrer, Klempner, Bootsführer, Mechaniker. 

Die berühmten Schauspieler sind im komfortablen Holiday Inn am Flughafen von Iquitos untergebracht, mit Swimmingpool und Klimaanlagen, purer Luxus in diesen Breiten. Einer hat einen Riesenspaß an dem Film, es ist der vielleicht berühmteste Rock-Barde weit und breit. Ab und an wagt er einen Ausflug in die Welt des Films. Mick Jagger steht am Malecón von Iquitos, direkt neben mir, und nimmt die Filmaufnahmen seinerseits mit seiner privaten Schmalfilmkamera auf.

Was er denn von Herzogs Filmen halte, möchte ich wissen. In London, in einem Programmkino, habe ich einige Filme von ihm gesehen. Sie sind sehr eigenartig. Vor Drehbeginn weiß man nie, was zu guter letzt dabei herauskommt. Mal sehen, wie das ganze bei Drehschluss aussieht.

Warum er den Film mache, frage ich, warum tue er sich die ganzen Strapazen an? Es macht mir einfach Spaß, verdienen tu ich da nichts. Wir mussten sogar eine Tournee verschieben. Mick Jagger steht etwas verloren herum, zumal ihn in Peru des Jahres 1981 so gut wie niemand kennt. Heldin der Peruanerinnen ist da eher Bianca Jagger, die verstoßene Ex-Angetraute unseres Musikus.

Der Aufstieg der schönen Nicaraguanerin in die mondäne Glitzerwelt New Yorks lässt hier manchen Teenager an moderne Märchenprinzen glauben. Der schmächtige Mick hat seine neue Flamme in den Amazonasdschungel mitgebracht, vielleicht als eine Art Mutprobe. Das schöne Model liegt viel am Swimmingpool des Luxushotels, am Set des Films lässt sie sich in jenen Tagen nicht blicken.

Doch das große Abenteuer am Amazonas steht unter keinem guten Stern. Dem Kameramann Mauch wird bei einer

Hollywood im Amazonasdschungel

Film-Historie im Dschungel des Amazonas: Claudia Cardinale und Jason Robards in Iquitos, im Januar 1981; Foto: W. Stock

„Fitzcarraldo, Werner Herzog Filmproduktion, 1a, die erste, Klappe!“ Erster Drehtag ist der 5. Januar 1981. Jason Robards spielt den Fitzcarraldo. Ein erstklassiger amerikanischer Bühnen- und Hollywood-Mime, obwohl nur Herzogs dritte Wahl. Jack Nicholson, eigentlich zu teuer, hat dann doch irgendwann die Lust verloren und Warren Oates lässt sich für einen längeren Amazonastrip als unpässlich entschuldigen.

Doch dieser Hollywood-Mann mit dem noblen Charaktergesicht scheint ein Glücksfall für den Film zu sein. In Los Angeles ist er ein ganz große Nummer. Qualitätsfilme, zweifacher Oscar, ein Mann mit Meinung, Ex-Gatte von Lauren Bacall. Jason Robards spielt den Fitzcarraldo nicht als verwegenen Haudegen, sondern eher als zurückhaltenden, salonschnittigen Bonvivant mit Hang zu Weib und Kultur.

Jason Robards, jenem couragierten Chefredakteur aus dem Watergate Film, hat die Filmproduktion Spitzenakteure zur Seite gestellt, wie sie noch nie ein neuer deutscher Film gesehen hat: Claudia Cardinale spielt ein properes Puffmuttchen, Mick Jagger mimt Fitzcarraldos Kumpan Wilbur, Mario Adorf verkörpert den bärbeißigen Kapitän des Amazonasdampfers Molly Aida und Mexikos Starkomiker Adalberto Martinez Resortes als Koch gibt den Trottel vom Dienst. Drei Opernsänger erster Kategorie und Tausende von Statisten zeugen von cineastischem Geltungsbedürfnis.

Jason Robards macht die Temperatur bis zu 42 Grad im Schatten sichtlich zu schaffen. Unerfreulicherweise findet sich hier nirgends viel Schatten. Jemand fächelt der Cardinale ein wenig Luft zu, der gleichwohl die fein aufgetragene Schminke das hübsche Antlitz herunter läuft.

Robards, ganz in einem weißen Leinenanzug, küsst die immer noch schweißtriefende Wange der Cardinale, bewegt sich vorsichtigen Schrittes in Richtung Landungsbrücke und winkt der Italienerin, sie im Rüschenkleid mit Spitze, mit einem befreiten Lachen galant zu. Klappe. Jede gelungene Szene wird von den Einheimischen enthusiastisch beklatscht, Herzog klatscht ebenfalls.

In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts überfiel die Amazonasprovinz Loreto eine Welle ungeahnten Reichtums. Charles Goodyear, ein amerikanischer Wissenschaftler, fand erstmals Möglichkeiten, das in Loreto gewonnene Kautschuk zu vulkanisieren und Industriegummi zu gewinnen. Die aufkommende Automobilindustrie und die anlaufende Kriegsmaschinerie sorgten für eine reißende Nachfrage nach peruanischem Weichgummi. Das schwarze Gold zog zwielichtige Typen und draufgängerische Glücksritter an, von denen einer dieser Fitzcarraldo war, wohl ein

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