Bonn, den 29. November 1978; Photo by Franz-Josef Simons

Bonn, den 29. November 1978; Photo by Franz-Josef Simons

Die in quadrigen Dunkeltönen gehaltene SPD-Parteizentrale in Bonn strahlte den Charme einer, naja, sagen wir mal, einer AOK-Bezirksniederlassung aus. Außen wie innen. Deshalb wurde das Gebäude von den Rheinländern auch Baracke genannt.

Nun ja, auf architektonische Finessen legte man in der biederen Bonner Republik keinen gesteigerten Wert. Man zählte das Jahr 1978, die Architektur kam grau und hausbacken daher, die Zeiten waren allerdings ziemlich wild.

Als junger Journalist in Bonn ergab sich das Vergnügen, einen aufstrebenden sozialdemokratischen Politiker namens Gerhard Schröder zu interviewen. Das halbstündige Gespräch fand just in der Baracke statt und man konnte schon damals ahnen, hier sitzt ein Mann mit Zukunft. Am Wochenende habe ich die Unterredung mit dem ehemaligen Bundeskanzler zum Nachlesen noch einmal hervor gekramt.

Gerhard Schröder ist ein sympathischer Mann mit dem man gerne mal ein Bier trinkt. Ein guter Kanzler war er obendrein. In den Geschichtsbüchern wird er sicherlich einen ansprechenden Rang einnehmen. Denn er hat das überlastete Sozialsystem reformiert und Deutschland aus dem sinnlosen Irak-Krieg herausgehalten.

In meinem Interview war er noch ganz der junge Wilde und schlug kräftig auf den Putz. Ausbildungsmisere und Jugendarbeitslosigkeit? Die Ursachen dieser Probleme – meinte Schröder damals – führen wir auf eine kapitalistisch verfasste Wirtschaftsordnung zurück, die wir von Grund auf in eine demokratisch-sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verändern wollen.

Huch, mit solchen Sprüchen haben wir vor 30 Jahren die Omas ganz schon verschrecken können. Und das ganze Establishment gleich dazu. Wir sind die SPD der 80er Jahre hieß es damals bei den Jusos, man müsse die alte Garde eigentlich nur aussitzen. So kam es denn auch. 20 Jahre später war Gerhard Schröder deutscher Bundeskanzler.

Und so wie der Bundeskanzler Schröder von den Linken und den Jungen aus seiner Partei geärgert wurde, so hat er in seiner wilden Zeit selber die eine oder andere Breitseite gegen den damaligen Kanzler Helmut Schmidt, seinen Parteifreund, losgelassen.

Ich fragte den späteren Bundeskanzler spitz: Herr Schröder, spielt die SPD heute in der Bundesrepublik nicht den Arzt am kapitalistischen Krankenbett? Aber ein Gerhard Schröder tappt in keine Fallen. Die Feststellung, dass die SPD heute den berühmten Arzt am Krankenbett des Kapitalismus spielt, würde ich – was die Regierungspolitik angeht – jedenfalls teilen. (…) Durch die gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen, durch die Verschärfung der Klassenauseinandersetzungen in der Bundesrepublik und durch die vermehrte Kampfbereitschaft der Gewerkschaften und auch der Studenten steigen die Chancen die SPD in Richtung sozialistische Partei wieder zu entwickeln.

Heute liest man solches mit entrücktem Amüsement. Die SPD in Richtung einer sozialistischen Partei zu entwickeln. Die Geschichte nahm dann doch einen anderen Lauf. Raus aus den Jeans, rein in den Brioni.

Die stürmischen Jahre sind endgültig vorbei. Tempi passati. Im Laufe der Zeit sind wir vernünftiger geworden, die allermeisten von uns jedenfalls. Auch jene in der SPD. Und die wilden Jusos von damals schauen verdutzt auf den Brief der BfA mit ihrem Rentenbescheid.

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