Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Im Tropicana hageln die Sterne

Grafik by Fernando Tejeda

Havanna, im April 1983

Im doch tristen kommunistischen Alltag auf Kuba erwartet uns am Abend eine farbenprächtige Abwechslung. Wenn man einen guten Tag erwischt, so hat man uns gesagt, dann endet die Show des Tropicana weit nach Mitternacht.

Wie auch immer, der Ruf des Tropicana bleibt legendär. Der beste Nachtclub der Welt. Xavier Cugat und Nat King Cole haben auf der Bühne dieses Freiluftclubs gespielt und in den Zuschauerreihen saßen Kerle wie Ernest Hemingway oder Marlon Brando.

Und so nähern wir uns denn neugierigen Schrittes diesem Club unter dem schwülen Sternenhimmel Havannas. Vor uns sehen wir ein weitläufiges Areal, das von weitem eher an ein schmuckes Farmhaus erinnert. Tropicana prangt mächtig und bunt im Halbkreis über dem Eingang.

Ein Tisch vor der breiten Bühne wird uns zugewiesen. Ohne dass wir etwas bestellt hätten, stellt uns ein langer, ziemlich miesepetriger Ober wortlos drei, vier Flaschen Carta Blanca auf den Tisch, dazu ein paar Gläser, und überlässt uns hiernach in den nächsten Stunden unserem Schicksal.

Vor dem Urwaldbühnenbild des Nachtclubs schwingen alsbald kokette Damen ihr Tanzbein, dralle Hüften schlängeln sich durch die rauchverhüllte Nacht, und man kann sich nicht recht entscheiden, ob man nun von zu vielen Rundungen oder doch nur von zu viel Rum schwindelig zu werden droht.

Dort, wo die Natur beim Normalmenschen den Popo gesetzt hat, schlagen bei den Tropicana–Tänzerinnen augenfällige Zuckungen um sich, so wie kurze blitzartige Vibrationsstöße, die dann abwärts zu den Fußspitzen, als auch das Becken hinauf zunächst zu den Brüsten und weiter bis hinein in die Haarspitzen wie Stromschläge durch den ganzen Leib schießen.

Ganz gewiss ist dies wohlgefällig für das Auge, aber noch besser ist das, was die Ohren zu hören kriegen. Romantische Rumba-Takte und zündende Salsa-Brecher wirbeln wie tönernder Konfettiregen durch die nun kochende Luft. Bongos und Congas knallen, die Trompeten stoßen auf Hochtöne vor und die Saxophone brummeln herzzerreißend vor sich hin. Bis dahin könnte das Ganze mit ein wenig Vorstellungskraft auch, sagen wir mal, im New Yorker Blue Note abgehen. Na ja, dann doch eher mit reichlich Vorstellungskraft.

Was dann aber kommt, das ist dann nicht mehr New York oder sonst wo, nein, das ist Tropicana, La Habana, Isla de Cuba naturrein, la pura vida. Gegen Mitternacht steigen aus dem Publikum dem Wahnsinn nahe Frauen und Männer auf die Tische, balancieren zwischen leeren Rumflaschen und vollen Aschbechern im Vierviertel, andere tanzen, den Partner eng umschlungen, in den schmalen Gängen, hart an der Grenze des Erlaubten.

Der Promillepegel im Körper nähert sich der Außentemperatur. Zunächst versuchen die verzweifelten Kellner die Wogen überschwappender Begeisterung zu glätten. Nach vergeblichen Versuchen machen dann auch sie mit und tänzeln nun mit ihren Tabletts voller Rumflaschen fidel von Tisch zu Tisch. Gegen zwei Uhr morgens – die allermeisten Besucher sind sternhagelvoll – gleicht das Tropicana einem Tollhaus.

Ich kratze auf der Heimfahrt die letzte Hirnmasse zusammen und denke, wenn das der Kommunismus ist, dann, lieber Gott, möchte ich bitte jeden Abend den Kommunismus.

Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.

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Good night, and good luck

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  1. S. Losebrecht

    Der burschikose Ton ihres Berichtes wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Sie versuchen lächerlich zu machen, decouvrieren sich aber selber. Der Kommunismus ist mehr als nur Saufen bis zum Umfallen. Vielleicht bei ihnen…

  2. apple

    „… und tänzeln nun mit ihren Tabletts voller Rumflaschen fidel von Tisch zu Tisch.“

    Na, wenn Fidel gewusst hätte, dass Sie diese Art von Kommunismus so toll finden, wie Sie es beschrieben haben, hätte er wohl glatt an Ihrem Tisch Platz genommen. Und wenn Ernest und Marlon auch so begeistert waren wie Sie, dann waren die beiden sicherlich Stammgäste und nicht auszuschließen wäre, dass sie sich tatsächlich auch begegnet sind: sternhagelvoll!

    Tatsächlich ein Beitrag, der die 9,9 Sterne verdient! Und vom Tropicana einen Stern hinzu, macht 10,9!

    p.s.: Stephan kennt Ihren Humor nicht.

  3. Schlindwein

    Wunderbar geschrieben, Vielleicht mit etwas zu viel Promille.

  4. Stephan

    Der letzte Satz ist Zynismus pur. Widerlich!

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