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Reisen & Begegnungen

John Naisbitt: China, China, China!

John Naisbitt, Doris Naisbitt, Wolfgang Stock (v.r.n.l.); München, im November 2007.

Ein langes Mittagessen mit John und Doris Naisbitt im exzellenten Spatenhaus mit Blick auf die Münchener Oper. John mag ein saftiges Schnitzel und trinkt, wie immer, Tafelwasser mit Eiswürfel. Doris und John kommen aus Wien und fliegen am Abend nach Peking.

John Naisbitt, der große amerikanische Trendforscher, hat über 18 Millionen Bücher verkauft und allein sein Hauptwerk Megatrends ging weltweit 11 Millionen mal über die Ladentheke. In diesen Megatrends, 1982 erschienen, beschreibt er 10 Trends, die unsere Zukunft bestimmen. Er lag bei keiner Prognose daneben.

Es gibt für John und Doris im Augenblick nur ein großes Thema: China. Beide waren in diesem Jahr bereits siebenmal im Reich der Mitte und sind von dem rasanten Tempo der Entwicklung beeindruckt. Während wir in Europa das heutige China häufig noch als Land der gelben Ameisen sehen, ihm kurioserweise gar Entwicklungshilfe zukommen lassen, hat sich das Land längst zum selbstbewussten global player entwickelt. Die Chinesen genießen ihre wirtschaftliche Freiheit und erleben einen Wohlstandsschub wie noch nie.

Präsident Hu spreche ausdrücklich von Marktwirtschaft, und nicht verbrämt von sozialistischer Marktwirtschaft oder Marktwirtschaft mit menschlichem Antlitz. In China gebe es, so John, Marktwirtschaft pur. Das Wort Kommunismus hingegen komme im offiziellen Sprachgebrauch kaum noch vor. Wahrscheinlich gibt es in Deutschland heute mehr Kommunisten als in China, machen wir uns lustig.

Die Problembereiche seien der politischen Elite bekannt: Korruption, ökonomische Überhitzung, Umweltverschmutzung. Man sei jedoch, meint John, auf dem richtigen Weg. Übrigens, er halte China nicht für eine aggressive Macht, der Militäretat sei im letzten Jahr gekürzt worden. Die Chinesen interessiert hauptsächlich, das Land wirtschaftlich voran zu bringen.

Die Entwicklung sei nicht mehr umkehrbar. Der ökonomischen Freiheit werde die politische Freiheit folgen. Dies sei ein langsamer Prozess, aber er sei voll im Gange. Und man habe Zeit. Die Chinesen denken nicht in Monaten oder Jahren, sondern in Dynastien.

Und John Naisbitt ist in solchen Fragen nicht nur Theoretiker oder Beobachter, er möchte miterleben, er will dabei sein. Am Abend haben die Naisbitts die Lufthansa-Maschine nach China genommen und werden fortan einen ihrer Wohnsitze nach Tianjin, der 10-Millionen-Metropole nördlich von Peking, verlagern.

John wird dort, neben seiner Professorentätigkeit an chinesischen Universitäten, forschen und schreiben. Doris wird ihn unterstützen und weiterhin darauf achten, dass es ihm gut geht. Ein neues Abenteuer bricht an im Leben des sympathischen Amerikaners. Respekt, man mag es kaum glauben, der Mann wird nächsten Januar 79 Jahre jung.

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Northsea Jazz Festival

Das Konzept war für die 70er Jahre revolutionär. Jazz, nicht mehr als Einzelkonzert, sondern parallel in einem Dutzend verschiedener Säle zur Auswahl. Und so konnte der Besucher sich sein ganz eigenes Festival zusammenstellen, indem er von Saal zu Saal wechselte.

Das Northsea Jazz Festival, seit 1976 im Kongressgebäude von Den Haag, hat sich mit diesem innovativen Konzept schnell zu einem der besten Sommerfestivals in Europa gemausert.

Und Northsea Jazz bedeutet Gigantomanie: Der größte Saal bot mehreren tausend Leuten Platz, die kleineren einigen wenigen hundert. Und auch im Garten hatte man ein Riesenzelt aufgebaut, in dem dann Miles Davis tausende Musikbegeisterte anzog.

Dieses Mammut-Festival geht zurück auf einen älteren Herrn namens Paul Acket. Diesen sympathischen, etwas zerstreut wirkenden Jazzfreund sah man mit grauem wehenden Haar durch das Kongressgebäude von Saal zu Saal eilen. Acket, ein ehemaliger Verleger von Musikzeitschriften, verbuchte mit seiner Festivalidee einen vollen Erfolg: Schnell besuchten alljährlich 30.000 bis 40.000 Liebhaber das dreitägige Festival Mitte Juli.

In Den Haag habe ich Musiker gehört und gesehen, das will man heute kaum mehr glauben: Clark Terry, Dave Brubeck, Dizzy Gillespie, Ella Fitzgerald, George Shearing, Kai Winding, Grover Washington jr, Herb Ellis, Jim Hall, Joe Pass, Tony Williams, Jay McShann, die Lionel Hampton All Stars, Ken Colyer’s Jazzmen, Monty Alexander, Milt Jackson, Sonny Stitt, Taj Mahal, Woody Herman and the Young Thundering Herd, Tete Montoliu, Wild Bill Davis, Archie Shepp, Muddy Waters, Buck Clayton, Oscar Peterson, B.B. King, Ruby Braff, Bob Wilber, Count Basie and his Orchestra, den großen Chet Baker, Spyro Gyra, Chick Corea, Sun Ra Arkestra – und die Liste ist noch nicht vollständig.

Und all dies sind nicht die Musiker aus 34 Jahren Northsea Jazz Festival.  Nein, nein, das sind nur Musiker, die alleine in den drei Julitagen des Jahres 1979 den Weg nach den Haag gefunden haben.

Keine Frage, das ist beeindruckend, das wird so nicht wiederkommen. In Den Haag erlebte man das Who’s who der Jazzhistorie.

Ich war von 1977, dem zweiten Festival, dann viele Jahre regelmäßig in Den Haag. Und habe dort alle Großen des Jazz gesehen. In den letzten Jahren zog es mich nicht mehr zu North Sea Jazz, das nun alljährlich in Rotterdam stattfindet.

Denn, was haben all diese aufgeführten Musiker gemein? Nun, die Allermeisten weilen nicht mehr unter uns. Das ist ein herber Verlust für uns und natürlich auch für den Jazz. Ja, es gibt keinen Dizzy Gillespie mehr. Und genauso schlimm, es gibt keine Dizzy Gillespie-Musik mehr.

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Goa – Paradies hinter Büschen

Photo by W. Stock

Goa, im Januar 1982

Auf den ersten Blick scheint Goa wie ein paradiesischer Mix aus portugiesischem Katholizismus, hinduistischer Abgeklärtheit und azurblauem Himmel. So mag sich der liebe Gott, oder der indische Mensch-Elefant-Gott Ganesha, das Paradies vorgestellt haben. Panjim, die Hauptstadt dieses portugiesisch-indischen Doppel, strahlt den fröhlichen Reiz südeuropäischer Tropen inmitten Asiens aus.

Panjim ist eine betriebsame Gegend. Barocke indische Damen flanieren über tropische Boulevards, leicht bekleidete Europäer tummeln sich am Strand und auch die Bettler gehen entspannter als anderswo ihrem Tagewerk nach. Doch die Sonne Westindiens schönt manch bittere Tatsache.

Ich steige im Hotel Neptune, das Doppelzimmer zu 40 Rupien, ab. Der Hotelboy führt mich rasch in die Gepflogenheiten auf Goa ein. Es herrsche spürbarer Wassermangel, und im Neptune fließe das kostbare Naß nur morgens zwischen 6 und 8 Uhr sowie des abends von 7 bis 8. Und auch mit dem Generator ist es nicht weithin. Ich schreibe bei Kerzenlicht. Stromausfall. Kein Wasser. Kein Essen.

India Today, das Nachrichtenmagazin, meint, das abgelaufende Jahr könne man getrost vergessen. Die Politik sei ein Chaos. Rajiv Gandhi als Thronanwärter umstritten, Kerala zwischen der kommunistischen CPI und der Kongresspartei taumelnd, die Konservativen heillos zerstritten und zerfallen in Janata, Lok Dal und Congress S.

Beim Chinesen in der June Road wird ein ganz passables Chop Suey aufgetischt. Bahji, kleine Kartoffeln mit geschärfter Sauce, wird zu meinem neuen Leibgericht in den vegetarischen Kneipen. Dazu trinke ich eine Cola-ähnliche Brause undefinierbaren Ursprungs und Geschmacks. Coca Cola darf seit 1974 in Indien nicht mehr vertrieben werden. Das Gleiche gilt für Autos, Elektrogeräte oder andere westliche Verbrauchsgüter. Ein Relikt der kruden Subsistenzwirtschaft der Gandhi-Partei. Ohne Beschränkungen eingeführt werden dürfen nur Medikamente und Waffen.

Seit die Hippies Goa entdeckt haben, ist die paradiesische Ruhe dahin. Die Hippies haben die Preise kaputt gemacht, sie verbrauchen zu viel Strom und Wasser, verschmutzen die Strände, den Einheimischen wird alles zu viel und zu teuer. Im englischsprachigen Lokalblatt The Navhind Times beschwert sich ein Herr Fernandes mittels Leserbrief über die Hippy menance über die Hippies, die Herrn Fernandes schönen Landstrich mit ihren Drogen, nächtlichen Parties und mit ihren blanken Busen nur so verschandeln würden.

Und an den Wochenenden machen sich Heerscharen indischer Männer von weithin auf den Weg nach Goa, um zu beobachten, was hier Unglaubliches an den Stränden zu sehen ist: halbnackte oder auch ganze Nackedeis, Männlein wie Weiblein, die sich am Strand tummeln und ihre Parties und sonstwas laut zu feiern wissen.

Und wenn man dann die Inder mit großen Augen hinter den Büschen sieht, dann wird einem klar. Dieses schöne Goa zahlt einen hohen Preis, einen verdammt hohen Preis für sein Paradies.

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