Rio Amazonas, im Dezember 1985
Dies ist heute ein ganz besonderer Tag. Seit Stunden fahren wir auf dem Fluss ohne einer Menschenssele zu begegnen. Auf dem Amazonas, diesem kilometerbreiten und endlos langen Fluss, der aus den Anden bis hin in den Atlantik fließt.
Der Fotograf Norbert Böer, der einheimische Schiffsführer Asunción und ich, wir befinden uns wie verloren mitten in der unendlichen Weite dieses Flusses. Der Strom der Phantasie, wie der Franzose Jules Verne in einem Roman schrieb.
Die nächste Stadt liegt flussaufwärts eine Tagesreise entfernt, flussabwärts braucht man drei Tage. Durch die vielen Seitenarme und Sandbänke droht, besonders in den frühen Abendstunden, die Orientierung verloren zu gehen.
In den Tropen bricht die Abenddämmerung blitzartig herein, so als würde man von jetzt auf gleich einen Lichtschalter umkippen. In der Nacht fallen die Temperaturen auf angenehme 24 Grad. Aber am Tage wird die Hitze unerträglich. Das breite Wasser des Flusses spiegelt die Strahlen, die sich dann mit doppelter Kraft in die Haut bohren.
Auch wenn sich auf diesem Fluss jedes Zeitmaß zu verlieren scheint, zeigt der Kalender den 24. Dezember. Piotr und Joe paddeln wie jeden Tag auf dem langen, breiten Fluss. Genau 7.025 endlose Kilometer. Vom hohen peruanischen Andengletscher über einen riesigen tropischen Urwaldteppich bis hin zur breiten Mündung im brasilianischen Atlantik. Die beiden Männer fordern Gottes grandioses Naturspektakel zum Wettbewerb heraus.
Der Exil-Pole Piotr Chmielinski und der Kalifornier Joe Kane wollen als erste den Amazonas von der Quelle bis zur Mündung bezwingen – im Paddelboot. Langsam nähert sich unser Motorboot den kleinen, wendigen Kanus und ich werfe den beiden aus unserer Kühlbox eine kalte Dose Limonade zu. Beide freuen sich, etwas Erfrischendes zu trinken und sind froh, uns zu sehen. Endlich wieder eine Gelegenheit, sich mit jemandem unterhalten zu können, und nicht nur diese monotonen Selbstgespräche, nach denen man am Ende des Tages am eigenen Verstand zu zweifeln beginnt.
Das Gesicht der beiden ist von der Sonne zerfressen, die oberen Schichten sind bereits geschuppt. Besonders an den Ohren und an der Nase hat die sengende Sonne die Hautschichten abgetragen und blutrote Knäuel hinterlassen. Merry Christmas ruft Piotr dem Fotografen Norbert zu. Merry Christmas antworten wir und prosten uns auf dem Amazonas mit Sprite zu. Es ist ein ganz besonderer Tag. Es ist Weihnachten.
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