Die Grundmelodie Berlins klingt tonal nach moll. Traurig und grau. Die Stadt kommt einem immer etwas dunkler vor als andere Großstädte. Irgendwie erscheint diese Stadt gris, vernebelt, so ohne Wärme, selbst wenn die Sonne scheint.
Wenn München einen Schuß Italien besitzt, Hamburg Skandinavien und Köln etwas savoir vivre, so hat Berlin allenfalls etwas von der tristen Melancholie osteuropäischer Metropolen.
Stets schwankt mein Eindruck von Berlin. Wohlfeile Neubauten, eine spürbar wachsende Weltläufigkeit, adrette Restaurants, besonders in Berlin-Mitte, dem ehemaligen Ost-Berlin. Im alten Westteil der Stadt hingegen sehen die Fassaden piefig, triste und verschlampert aus.
Wenn ich in Berlin weile, fällt mir auf, dass die Zahl der Bettler wächst. Bettler finden sich auch in München. Aber in Berlin sind es andere Bettler. In München kommen die Bettler von außen, aus Rumänien beispielsweise, und ihre Bettelei wird organisiert wie im Konzern. In Berlin jedoch kommen die Bettler von innen, es sind Berliner, ihre Arbeit wirkt nicht organisiert, sondern verzweifelt.
Schnell steht man in Berlin auch im Tabakqualm. In New York sieht man auf den Strassen mittlerweile fast gar keine Paffer mehr. Und die Berliner mit ihren Glimmstängel scheinen oft keine Genussraucher, sondern Unterschichtsraucher.
Deutlich merkt man der Stadt noch immer die dreifache Hypothek an. Den DDR-Kommunismus, die BRD-Subventionsmentalität und das Rot-Rote des Stadtchefs Klaus Wowereit. Man kann ziemlich erbärmliche Ecken in Berlin finden und eine erschreckende materielle Kargheit beobachten in dieser Stadt. Annahme von Sozialscheinen lese ich in riesigen Lettern an der Fassade eines Haushaltswarengeschäftes in der Beusselstrasse.
Nun könnte man Berlin als seltsames Biotop aus Politik am Tropf, Multikulti-Romantik und vier Jahrzehnte kommunistische Diktatur abtun. Doch seit mehr als 20 Jahren ist dies unsere Hauptstadt, eigentlich müsste die Stadt erblühen wie eine Frühlingsrose nach einem strengen Winter.
Doch hier zeigt sich auch, wo rot regiert, da zieht über kurz oder lang eine schleichende Armut in die Strassen und eine verschämte Not auf die Plätze. Und wo tiefrot regiert, da geht es für viele rasch abwärts mit materiellem Wohlstand und auch mit bürgerlicher Gediegenheit.
Das ist Berlin: Ein Drittel Bürokraten, ein Drittel Rentner, ein Drittel Hartz IV-Empfänger. Traurig genug, dass Deutschlands größte Stadt keinen einzigen Konzern von Weltrang, kein DAX-Unternehmen und keine bedeutende internationale Firma vorzuweisen hat. Traurig, aber irgendwie bezeichnend!
Arm aber sexy umschreibt der Regierende Bürgermeister seine Stadt, und der Slogan impliziert eine nonchalante Rotzigkeit des mit seiner Politik Gescheiterten. Arm ist unsexy möchte man rufen, aber ein Sozialscheine-Verwalter wird dies nicht kapieren.
apple
“ … eigentlich müsste die Stadt erblühen wie eine Frühlingsrose nach einem strengen Winter.“
Tatsächlich gab es mal jemanden, der sogar (1990) der gesamten Ex-DDR „blühende Wiesen“ versprochen hat. Hat er nicht geschafft, nicht einmal ein Röschen nach hartem Winter in Berlin. Lediglich etliche Prunk- und Protzbauten errichtet, die nicht nur Berlin eine Menge Geld kosteten und immer noch kosten.
Ach ja, vergleichen wir Berlin mit München: Da haben die OBs Vogel, Kronawitter und Uhde Hervorragendes geleistet, was Sie zu schildern nicht müde werden. Aber, igitt, die waren doch rot! Und dass München (mit einem kurzen schwarzen Intermezzo) unter roter Stadtregierung verarmt, kann mir niemand weismachen. Dazu kenne ich München zu gut.
Tatsächlich enttäuscht mich die parteipolitische Einseitigkeit des Artikels.
Clemens D. Vogl
Zu einseitig, der Blick auf diese kreative Stadt
apple
Liest sich fast so, also müsste man auf die Briefe wieder die kleine blaue Marke kleben auf der steht: NOTOPFER BERLIN. Die Wahrheit ist heute jedoch anders. Ich möchte wetten, Berlin hat mehr wohlhabende Stadtteile als Köln, Düsseldorf (das nicht gerade als arm gilt) und Hamburg zusammen. Und hier waren die Bürgermeister nicht immer nur rot und Berlin hatte nicht nur rote Bürgermeister, sondern auch schwarze. Und dass es derzeit dennoch einen roten Wowi gibt, spricht eher gegen die schwarzen Alternativen. Oder liegt es daran, dass die schwarz/gelbe Bundesregierung in Berlin residiert, dass die Berliner rot wählen?
Da kann man aus weiß-blauer Sicht wahrscheinlich nur noch den Kopf schütteln.